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2016 | Buch

Handbuch Bevölkerungssoziologie

herausgegeben von: Yasemin Niephaus, Michaela Kreyenfeld, Reinhold Sackmann

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Springer NachschlageWissen

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Über dieses Buch

In diesem Band präsentieren die Herausgebenden das Forschungsgebiet der Bevölkerungssoziologie. Mit unterschiedlichen Fragestellungen der Bevölkerungssoziologie befasste Autoren und Autorinnen tragen durch ihre Beiträge dazu bei. Nach einem ausführlichen Überblick über die in der Bevölkerungssoziologie gängigen Themen, Theorien und Daten werden die Bereiche Fertilität, Familie und Lebensformen, Migration und Mobilität sowie Mortalität, Morbidität und Pflege vorgestellt. Abschließend folgt eine Erörterung des gesellschaftlichen Umgangs mit demographischem Wandel.

Damit richtet sich das Handbuch Bevölkerungssoziologie an ein breites Publikum, das Studierende, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Politiker und Politikerinnen wie auch die interessierte Öffentlichkeit umfasst.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Überblick

Frontmatter
Gegenstandsbereich der Bevölkerungssoziologie

In diesem Beitrag stellen wir die Entwicklung der Bevölkerungssoziologie in Deutschland dar. Aufbauend auf den klassischen Arbeiten von Süßmilch wurde die Bevölkerungssoziologie in Deutschland bis zur Nachkriegszeit vor allem durch die Arbeiten von Nationalökonomen wie Brentano, Mombert und Mackenroth geprägt. Die zunehmende Verfügbarkeit von Mikrodaten hat zu einer Neuorientierung der Bevölkerungssoziologie beigetragen, in der statt einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des „Bevölkerungsgeschehens“ die Analyse spezifischer demographischer Übergänge in den Vordergrund rückte. Vor allem die Lebenslaufforschung hat sich seit den 1980er-Jahren als theoretisches Konzept an der Schnittmenge von demographischer und soziologischer Forschung hervorgetan. Neuere Entwicklungen verweisen auf methodische und theoretische Herausforderungen bei der Untersuchung des Zweiten Demographischen Übergangs. Eine „verstehende“ Bevölkerungssoziologie, die gesellschaftliche Bewältigungsprozesse des demographischen Wandels in den Vordergrund rückt, weist dabei ein methodisch und theoretisch noch nicht ausgeschöpftes Analyse- und Interventionspotential auf.

Michaela Kreyenfeld, Yasemin Niephaus, Reinhold Sackmann
Handlungstheoretische Ansätze in der Bevölkerungssoziologie: Fertilität, Familie und Lebensformen

Ausgehend von den Prinzipen des methodologischen Individualismus werden die drei Teilschritte benannt, die eine vollständige Erklärung ausmachen (Logik der Situation, der Selektion und der Aggregation). Auf einige Besonderheiten der Anwendung auf bevölkerungssoziologische Explananda wird hingewiesen. Zwei allgemeine sozialwissenschaftliche Handlungstheorien werden mit exemplarischen Anwendungen in der Bevölkerungssoziologie (Partnerwahl, generatives Verhalten, Migration) verknüpft. So stehen bei austauschtheoretischen Ansätzen die Interdependenz von Interesse an Ressourcen und deren Kontrolle im Mittelpunkt. Austauschtheoretische Hypothesen werden im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen, die beteiligten Akteure, die Komplexität der Ressourcen und die Symmetrie in den Tauschbeziehungen formuliert. Bei den allgemeineren subjektiven Nutzentheorien werden verschiedene Varianten diskutiert, je nachdem ob sie perfekte Informiertheit und stabile geordnete Präferenzen bei den Akteuren voraussetzen oder diese Bedingungen lockern. Anhand der Framing-Theorie und der Theorie sozialer Produktionsfunktionen werden die Argumente für eine Lockerung diskutiert und am Beispiel der „Value of Children“ auf das generative Verhalten angewendet.

Bernhard Nauck
Makrosoziologische Ansätze in der Bevölkerungssoziologie: Migration

Einleitend wird ein konzeptioneller Rahmen für Zuordnungen und Systematisierung der vielfältigen Migrationen mit unterschiedlichen Intentionen, variabler Dauer und unter spezifischen Machtverhältnissen erläutert. Unter Migrationssystemen mikro-, meso- oder makroregionaler Reichweite können vielfältige aber doch ähnliche Migrationen zusammengefasst werden. Dabei sind Informationsflüsse und Transportverbindungen sowie individuelle und familiäre Entscheidungen und staatliche oder überstaatliche Regelungen einzubeziehen. Migrationsregimes reichen von dem Zwangssystem der Sklaverei über Kontraktarbeit oder rigoros selektierende Zuwanderungskriterien bis zu zwischenstaatlich geregelten Arbeitswanderungen, darunter die gegenwärtigen Migrationen im Hausarbeits-, Kinderbetreuungs- und Pflegesektor. Forschungsstrategisch sind Abwanderungsrahmen in Ausgangsgesellschaften, der Prozess der Bewegung zum Ziel oder einer Sequenz von Zielen, und die Zugangsregelungen und Eingliederungsmöglichkeiten umfassend und aufeinander bezogen zu untersuchen. Akkulturation an die Zielgesellschaft oder Begrenzung auf eine ökonomische Nische lässt sich mit einem Konzept von Transkulturalität besser als mit transnationalen Ansätzen analysieren. Menschen investieren ihr mittransportiertes Humankapital – Fähigkeiten, Emotionalität, Glaubensvorstellungen – in lokalen und regionalen Varianten einer Gesellschaft. Dies wird erfasst durch den umfassenden Ansatz der Transkulturellen Gesellschaftsstudien, der von lateinamerikanischen und kanadischen Entwicklungen der 1930–50er-Jahre beeinflusst ist.

Dirk Hoerder
Die Entwicklung von formalen Theorien in der Bevölkerungswissenschaft

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Methoden, die in der Bevölkerungsforschung Anwendung finden. Ausgehend von den Ursprüngen der die in den Arbeiten von Graunt, Petty und Süßmilch zu finden sind, wird auf die wegweisende Bedeutung der Wahrscheinlichkeitstheorie für die Weiterentwicklung des Forschungsfelds verwiesen. Die Unterscheidung zwischen der Kohorten- und Periodenperspektive, die u. a. Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Arbeiten von Mannheim und Ryder verstärkt herausgearbeitet wurde, ist ein weiterer Meilenstein in der Weiterentwicklung des Fachs. Wichtige jüngere Entwicklungsschritte sind die Ereignisdatenanalyse und die Mehrebenen-Modellierung. Die Möglichkeiten kausale Effekte über „Frailty-Modelle“ zu isolieren, werden kritisch diskutiert. Weiterhin werden die mit den verschiedenen Methoden verbundenen Möglichkeiten der Überwindung der ontologischen Differenz von Teil und Ganzem erörtert.

Daniel Courgeau
Demographische Prozesse, Bevölkerungsstruktur und -entwicklung in Deutschland

In diesem Beitrag wird am Beispiel Deutschlands gezeigt, wie sich die Interaktion zwischen der Vitalstruktur, das heißt der Gliederung der Bevölkerung nach Alter und Geschlecht, einerseits und den demographischen Prozessen der Fertilität, Mortalität und Migration andererseits auf die Bevölkerungsentwicklung auswirkt. Die Vitalstruktur einer Bevölkerung bildet das demographische Gerüst, innerhalb dessen die herrschenden soziokulturellen, medizinischen, wirtschaftlichen, politischen und zunehmend ökologischen Bedingungen die demographischen Prozesse direkt oder indirekt beeinflussen. Die demographischen Prozesse verändern ihrerseits über die Geburten, Sterbefälle und Wanderungen die Vitalstruktur und Größe der Bevölkerung. Immer weniger Geburten und die steigende Anzahl der Menschen, die ein hohes Lebensalter erreichen, führen zur demographischen Alterung. Dieser Trend wird in Deutschland die Bevölkerungsentwicklung der nächsten Jahrzehnte prägen. Anhand der Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird ein Ausblick auf die wichtigsten zu erwartenden demographischen Veränderungen in der Zukunft gegeben.

Olga Pötzsch
Demographische Kennziffern und Methoden

Der Beitrag beschreibt die Grundlagen demographischer Methoden, auf denen die wichtigsten Kennziffern zur Charakterisierung der eine Bevölkerung strukturierenden Prozesse (Fertilität, Nuptialität, Morbidität, Mortalität und Migration) basieren und deren Kenntnis für ihre richtige Interpretation erforderlich ist. Dies beinhaltet die zentralen demographischen Konzepte der Ereignisrate, der Sterbetafel und ihrer Erweiterung zur Mehrzustandstafel, des stabilen Bevölkerungsmodells, der Perioden- und Kohorten-Analyse sowie der indirekten Schätzverfahren, die zur Gewinnung demographischer Kennziffern in Entwicklungsländern verwendet werden.

Marc Luy
Demographie und räumlicher Kontext

In diesem Beitrag wird ein theoriegeleiteter, praxisrelevanter Überblick über die Bedeutung des räumlichen Kontexts für bevölkerungswissenschaftliche Fragestellungen gegeben. Dabei werden zunächst maßgebliche Raumkonzepte vorgestellt. Im Hauptteil wird aufbauend auf der Theorie der Strukturation (Giddens 1984) zuerst aus einer Mikroperspektive heraus ausgeführt, inwieweit die raumzeitliche Verortung von Individuen menschliches Handeln und soziale Interaktion beeinflussen kann. Anschließend wird aus einer Makroperspektive heraus auf die Raumwirksamkeit gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse und die Rückwirkungen auf das menschliche Handeln eingegangen. Danach werden anhand von Beispielen Potenziale aufgezeigt, wie in der bevölkerungswissenschaftlichen Forschung durch die Einbeziehung raumtheoretischer Überlegungen oder aufgrund neu verfügbarer räumlicher Daten neue Perspektiven eröffnet und Erkenntnisfortschritte erzielt werden können. Die Betrachtungen schließen mit einer kurzen Erörterung statistischer Probleme, die sich bei der Analyse von Daten mit räumlichem Bezug ergeben können. Diese werden in bevölkerungswissenschaftlichen Studien häufig ignoriert, was zu Fehlinterpretationen der statistischen Ergebnisse führen kann.

Sebastian Klüsener

Fertilität, Familie und Lebensformen

Frontmatter
Fertilität und Familienformen in Europa: Eine historische Perspektive

Dieser Beitrag fasst Entwicklungen in der neueren historisch-ökonomischen und historisch-anthropologischen Familiendemographie zusammen. Dabei wird zunächst das weitgehend berührungsfreie Verhältnis von Geschichte und Soziologie der Familie analysiert. Sodann werden die wichtigsten Forschungsparadigmen zur Familie auf historischer Seite beschrieben. Abschließend werden historische Ergebnisse zu Paarbildung, Fertilität und Haushalt vorgestellt. Die Forschungsgeschichte legt nahe, dass das berührungsfreie Verhältnis der Disziplinen so nicht auf Dauer bestehen muss. Während die Soziologie nicht nur modernisierungstheoretische Begrifflichkeiten nutzt, sondern oft auch entsprechende historische Verläufe (etwa der Kontraktion von Familien) annimmt, hat sich in der historisch-ethnologisch-ökonomischen Familienforschung ein antimodernisierungstheoretischer Konsens herausgebildet. Dieser wird allerdings durch neueste empirische Forschungsergebnisse in Frage gestellt. Auch für die Familiensoziologie besteht demnach das Desiderat einer Revision bestehender Annahmen über historische Verläufe.

Georg Fertig, Mikołaj Szołtysek
Der Auszug aus dem Elternhaus

Das Verlassen des Elternhauses stellt aus Sicht der Individuen einen von mehreren zentralen Schritten im Lebenslauf auf dem Weg in eine sozial und ökonomisch eigenständige Lebensführung dar. In diesem Sinne repräsentiert der Auszug aus dem Elternhaus einen bedeutsamen Teil des Übergangs in das Erwachsenenalter. Der Beitrag umreißt zunächst die konzeptuellen Grundlagen der Analyse des Auszugs aus dem Elternhaus und fasst im Anschluss wesentliche Ergebnisse bisheriger Forschung zu dem Timing, der zeitlichen Beziehung des Auszugs zu anderen Übergängen im Lebenslauf sowie Einflussfaktoren des Auszugsverhaltens zusammen. Weiterhin geht der Beitrag der Frage nach, ob die medial geführten Debatten über immer mehr ‚Nesthocker‘ im ‚Hotel Mama‘ auf empirisch tatsächlich nachweisbaren Entwicklungen beruhen. Auf der Grundlage verschiedener Datensätze (der deutschen Lebensverlaufsstudie, des Beziehungs- und Familienpanels (pairfam/DemoDiff), des Projektes Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (AID:A) sowie des European Social Surveys) rekonstruieren wir den kohortenspezifischen Wandel des Auszugsalters in Deutschland im europäischen Vergleich. Es zeigt sich, dass die Ergebnisse der unterschiedlichen Studien bezüglich der langfristigen Entwicklung des Auszugsalters teilweise voneinander abweichen, sodass die Frage, ob junge Erwachsene, vor allem Männer, immer länger bei den Eltern wohnen, nicht eindeutig beantwortet werden kann.

Dirk Konietzka, André Tatjes
Kinderwunsch und Geburtenentwicklung in der Bevölkerungssoziologie

Kinderwunsch und Geburtenentwicklung sind zentrale Themen der Bevölkerungssoziologie. Es liegt nahe, die individuellen Motive für die Entscheidung zugunsten des „Ob“ und „Wann“ der Geburt von Kindern im Rahmen eines lebenslauftheoretischen Ansatzes zu untersuchen. Dieser Ansatz, der in seinen Grundzügen vorgestellt wird, dient als Basis eines theoretischen Erklärungsmodells zur Geburtenentwicklung, das einen gestuften Entscheidungsprozess zu(un)gunsten von Elternschaft vorsieht, der von dem allgemeinen Wunsch nach Kindern über die konkrete Intention ein Kind zu bekommen bis zu ihrer möglichen Umsetzung führt. Bezogen auf diese Etappen werden wichtige Definitionen und einige gängige Maße zur Empirie von Kinderwünschen, Fertilitätsintentionen und Geburtenentwicklung eingeführt und einige aktuelle Befunde dazu berichtet.

Johannes Huinink
Der Partnermarkt und seine bevölkerungssoziologische Relevanz

Unter dem Partnermarkt ist die Gelegenheitsstruktur der Partnersuche zu verstehen, die sich aus der Sozialstruktur unter der Berücksichtigung der sozialen Einbindung des Individuums ergibt. Zu den konstitutiven theoretischen Elementen des Partnermarkts gehören die Begegnung, die Verfügbarkeit und die potenzielle Relevanz der Begegnungen für den Partnermarkt sowie Marktmechanismen. Für die empirische Erfassung des Partnermarkts werden unterschiedliche Maßzahlen der Geschlechterproportion eingesetzt, die sowohl in Bezug auf einen Raum als auch in Bezug auf die Einbindung der Individuen in soziale Aktivitäten definiert sein können. Variationen des räumlich definierten Partnermarkts entstehen durch Veränderungen von Geburten, der geschlechtsspezifischen Sterblichkeit sowie durch geschlechtsspezifische Wanderung. Variationen des Partnermarkts im Hinblick auf die individuelle soziale Einbindung sind dagegen auch von der individuellen sozialen Position abhängig. Der Partnermarkt beeinflusst nicht nur die Partnerwahl, sondern auch die Beziehungsstabilität, die Fertilität, die Ausgestaltung der Beziehung und weitere gesellschaftliche Prozesse. Viele ältere Befunde der Partnermarktforschung stehen noch unter Vorbehalt, da die verwendeten Maßzahlen noch nicht theorieadäquat berechnet werden konnten. In der Zukunft könnten auch virtuelle Handlungskontexte im Internet eine größere Bedeutung für die Gelegenheiten des Kennenlernens erhalten.

Thomas Klein, Johannes Stauder
Eheschließungen und Scheidungstrends in der Bevölkerungssoziologie

Der Beitrag bietet einen Überblick zu soziologisch-demographischen Zugängen zu Heirat und Scheidung als elementare familiale Prozesse. Der klassisch demographische Blickwinkel setzt dabei vornehmlich bei der Erfassung und Quantifizierung von entsprechenden Kenngrößen in der Bevölkerung an. Die Soziologie stellt vor allem auf die soziale Strukturiertheit von Heirat und Scheidung ab. Hier geht es zum Beispiel um die soziale Musterung der Partnerwahl, die vor dem Hintergrund der sozialer Schließungs- und Öffnungstendenzen analysiert wird. Diskutiert werden sowohl klassische Befunde als auch neuere Entwicklungen in der Partnerwahlforschung sowie die Dynamik der Ehescheidung und das ehedauerabhängige Scheidungsrisiko.

Henriette Engelhardt, Jan Skopek
Private Lebensformen in Ost- und Westdeutschland

Dieser Beitrag skizziert konzeptuelle Grundlagen der Analyse von Lebens- und Familienformen in der Familien- und Bevölkerungssoziologie sowie in der amtlichen Statistik und zeichnet auf der Grundlage von amtlichen und Befragungsdaten Grundzüge der Struktur und des Wandels der familialen und nichtfamilialen Lebensformen in Deutschland nach. Während der Wandel von Eltern- und Partnerschaftsbeziehungen auf der Basis von sozialwissenschaftlichen Befragungsdaten haushaltsübergreifend dargestellt werden kann, kann die amtliche Statistik neuere Entwicklungen in den privaten Lebensformen wie die Zunahme von LAT-Beziehungen nicht abbilden. Darüber hinaus werden in der amtlichen Statistik in einem Haushalt bestehende stieffamiliale Beziehungen nicht erhoben, was zu einer Überschätzung der „klassischen“ Kernfamilien führt. Ein großer Teil der vorliegenden Studien über Lebensformen hat einen deskriptiven Charakter und weist eine schwache theoretische Fundierung auf. Ein weiteres analytisches Defizit der empirischen Forschung über Lebensformen ist die mangelnde dynamische Orientierung und Einbettung von Lebens- und Familienformen in den Gesamtzusammenhang des Lebenslaufs.

Michaela Kreyenfeld, Dirk Konietzka, Valerie Heintz-Martin
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften: Soziodemographie und Lebenspläne

Der Beitrag befasst sich mit der Lebenssituation von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ohne und mit Kindern. Hierzu werden eingangs die verfügbaren amtlichen Daten anhand von Mikrozensusauswertungen vorgestellt. Die differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebensformen erfolgt auf der Basis zweier großangelegter Studien, bei welchen die Autoren maßgeblich mitgewirkt haben. So wird nach einer Darstellung der Soziodemographie insbesondere aufgezeigt, dass ein Teil der Befragten in Lebensgemeinschaften ohne Kind sich durchaus Kinder wünscht. Viele haben – meist erwachsene – Kinder, die jedoch außerhalb des Haushaltes leben. Für gleichgeschlechtliche Paare sind Kinderwunsch und Elternschaft also durchaus relevante Themen. Das zeigt auch die Betrachtung der Lebensgemeinschaften, die bereits Kinder haben und mit diesen zusammenleben. Hier wird nochmals deutlich, dass es verschieden schwierige Wege zum Kind gibt und dass sich eine Verschiebung von Elternschaft, die in einer früheren heterosexuellen Beziehung gestartet wurde, zu mehr „eigenen“ Kindern des Paares vollzogen hat. Die Studie bestätigt zudem Forschungsergebnisse, denen zu Folge sich die Kinder in Regenbogenfamilien gut entwickeln.

Marina Rupp, Christian Haag
Fortsetzungsfamilien in Deutschland: Theoretische Überlegungen und empirische Befunde

In den letzten Jahrzehnten hat sich die strukturelle und distributive Vielfalt familialer Lebensformen in Deutschland erheblich verändert. Steigende Trennungs- und Scheidungsquoten sowie sich daran anschließende neue Partnerschaften und Wiederverheiratungen haben dazu geführt, dass das traditionelle Modell der Familie an Dominanz verloren hat und sich in vielfältiger Hinsicht Fortsetzungsfamilien gebildet haben. Der vorliegende Beitrag diskutiert zunächst die begrifflichen Schwierigkeiten, die im Kontext der Bezeichnung von Fortsetzungsfamilien auftreten, bevor daran anschließend die einzelnen spezifischen familialen Subtypen definiert werden. Im empirischen Abschnitt wird die Verbreitung von Fortsetzungsfamilien und die damit auftretende Komplexität ihrer Messbarkeit dargestellt. Ein Ausblick auf die bisherige Forschung zu Fortsetzungsfamilien und einige Anmerkungen zu weiteren offenen Forschungsfragen runden dieses Kapitel ab.

Michael Feldhaus
Familiale Generationenbeziehungen aus bevölkerungssoziologischer Perspektive

Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf den wechselseitigen Einflüssen zwischen familialen Generationenbeziehungen und den demographischen Kernprozessen Fertilität und Nuptialität, Mortalität (einschließlich Gesundheit) sowie Migration. Hierbei sind theoretisch jeweils zwei Wirkungsrichtungen denkbar: (1) Die Wirkung der spezifischen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern auf den demographischen Prozess und (2) die Wirkung des demographischen Prozesses auf die Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes zeigt, dass es zwar in einigen Teilbereichen bereits eine umfangreiche Literatur gibt, dass aber noch nicht zu allen theoretisch denkbaren Zusammenhängen empirische Ergebnisse vorliegen. Von diesem Befund ausgehend, schließt der Beitrag mit einem Ausblick auf zukünftige Perspektiven familialer Generationenbeziehungen und deren Erforschung.

Anja Steinbach, Karsten Hank
Reproduktionsmedizin: Rechtliche Rahmenbedingungen, gesellschaftliche Relevanz und ethische Implikationen

In diesem Beitrag wird zunächst die zunehmende gesellschaftliche Relevanz der assistierten Reproduktion skizziert. Dann wird auf die rechtlichen Rahmenbedingungen reproduktionsmedizinischer Behandlungen und die Regelungen zur Kostenübernahme mit besonderem Fokus auf Deutschland eingegangen. Daran schließt sich ein Überblick über in Deutschland zugelassene bzw. nicht zugelassene Verfahren an. Im Anschluss daran werden die quantitative Entwicklung assistierter Reproduktion und mögliche Erfolgsindikatoren dargestellt. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion einiger sozialer und ethischer Implikationen der zunehmenden Nutzung reproduktionsmedizinischer Verfahren im Hinblick auf Lebensformen, Mutter- und Vaterschaft sowie Verwandtschaft. Plädiert wird für eine gesellschaftliche Debatte der realistischen Einschätzung der Möglichkeiten und Folgen der Reproduktionsmedizin.

Heike Trappe

Migration und Mobilität

Frontmatter
Migrationsentwicklung aus historischer Perspektive

Der Überblick beginnt in deep time-Perspektive mit der Entstehung von Menschen in und ihrer Wanderung aus Ostafrika. Es werden die Wanderungsfolge bis zum homo und femina sapiens behandelt und die Verbreitung über alle Kontinente mit Hinweisen auf die Intensivierung der Landwirtschaft und frühe Siedlungsagglomerationen und damit verbundene Änderungen im generativen Verhalten. Anschließend werden sprachliche und kulturelle wanderungsbedingte Differenzierungen seit 15.000 v. u. Z. und bis etwa 500 u. Z. knapp zusammengefasst. Es folgt eine Analyse der Wanderungen bis zur Verbindung Asien-Europa-Afrika mit dem Doppelkontinent Amerika und der demographischen Folgen sowohl in Bezug auf Krankheitskeime wie Nahrungsmittel (Columbian exchange). Die Entwicklung innereuropäischer und, im 19. Jahrhundert, globaler Migrationssysteme folgt: Von afrikanisch-amerikanischer Sklaverei zu indenture im Plantagengürtel und besonders der Welt des Indischen Ozeans. Für das 20. Jahrhundert werden die Fluchtbewegungen, ethnischen Deportationen, und die Zwangsarbeit unter Kolonialismus, Faschismus und Stalinismus behandelt. Mit der Dekolonisierung und global ungleicher Entwicklung gehen Flüchtlingsgeneration und Arbeitswanderungen von dem nördlichen Drittel der Welt auf den „globalen Süden“ über. Die weltweite Wirtschaftskrise nach 1973 verändert Migrationsmuster ebenso wie die Bankenkrise von 2008. Durchgehend wird auf Veränderungen im regenerativen Verhalten bedingt durch freiwillige oder erzwungene Migration hingewiesen.

Dirk Hoerder
Transnationale Räume und Migration in der Bevölkerungssoziologie

Demographische Entwicklungen variieren einerseits aufgrund der jeweils spezifischen historischen, institutionellen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen nach nationalstaatlichen Kontexten sehr stark; andererseits entfalten sie sich im Zusammenhang erleichterter Kommunikations- und Transportbedingungen und wachsender grenzüberschreitender wirtschaftlicher und sozialer Netzwerkbeziehungen immer stärker auch transnational. Es entstehen zunehmend nicht nur transnationale Wirtschaftsräume und Wertschöpfungsketten, sondern auch transnationale Sozialräume. Ausgehend von der internationalen Transnationalisierungsforschung wird zunächst das Konzept transnationaler Sozialräume entwickelt. Anschließend wird das Verhältnis von transnationalen Sozialräumen und Migration als wechselseitiger Beeinflussungsmechanismus diskutiert. Schließlich werden die Konsequenzen für eine erweiterte Betrachtung von Bevölkerungsentwicklung erörtert.

Ludger Pries
Migration und Integration in der Bevölkerungssoziologie

Das Zuzugsgeschehen nach Deutschland zeichnet sich durch eine hohe Wanderungsdynamik und einen jüngst deutlich angestiegenen Wanderungssaldo aus. Netzwerktheoretische Erklärungsansätze ermöglichen es, wichtige empirische „Rätsel“ dieses Forschungsfeldes zu erklären. Allerdings herrscht im Themenfeld Migration noch ein gravierender Mangel an Daten und empirischen Studien. Im Bereich der Integration wird häufig das Phänomen der unterschiedlichen Integrationstempi der in Deutschland lebenden Einwanderergruppen diskutiert. Existierende Befunde verweisen diesbezüglich auf die zentrale Rolle individueller und familialer Ressourcen und sprechen nicht dafür, dass Einwanderer und deren Nachkommen im Hinblick auf ihre strukturelle Eingliederung von ethnischen Netzwerken und Ressourcen profitieren. Dabei ist allerdings zu beachten, dass vorliegende empirische Studien die Besonderheiten des deutschen Kontexts widerspiegeln. Dieser ist durch ethnische Gruppen gekennzeichnet, die über beschränkte ökonomische, finanzielle und Humanressourcen verfügen.

Claudia Diehl
Regionale Mobilität in der Bevölkerungssoziologie

In der Soziologie ist räumliche Mobilität ein relativ neues Forschungsfeld. Kernbegriffe werden deshalb oft nicht einheitlich verwendet. Der Artikel stellt verschiedene Ausprägungen räumlicher Mobilität dar, die Wohnungswechsel, Wanderungen sowie Pendelmobilität umfassen, und nennt Begriffsdefinitionen, die auch international anschlussfähig sind. Jüngste Entwicklungstrends der Binnenwanderungen und der Pendelmobilität in Deutschland werden identifiziert. Zum Schluss wird ein Überblick über aktuelle Forschungsfelder, die mit räumlicher Mobilität im Zusammenhang stehen, gegeben.

Stefanie Kley
Mobilität und mobile Lebensformen

Berufsbedingte räumliche Mobilität ist kein neues Phänomen. Seit den 1980er-Jahren ist jedoch ein erheblicher Wandel zu beobachten, zu dessen Kernmerkmalen die Intensivierung des Mobilitätsgeschehens, die Ausbildung einer größeren Formenvielfalt und die gestiegene soziale Wertschätzung von Mobilität gehören. Markant verändert haben sich daneben auch die Ursachen des Mobilitätsgeschehens. Sie liegen nicht nur in einer durch Globalisierung und Flexibilisierung gewandelten Arbeitswelt, wesentliche Impulse für die gegenwärtige Mobilitätsdynamik gehen auch vom Wandel der Familie und der Geschlechterrollen aus.Vor dem Hintergrund des veränderten Mobilitätsgeschehens stellt sich die Frage nach den Zusammenhängen von Mobilität, Lebensform und Familienentwicklung. Mit dem Beitrag soll der Forschungsstand zusammengefasst und interpretiert sowie mit eigenen Befunden aus dem europäischen Projekt „Job Mobilities and Family Lives in Europe“ erweitert werden.

Norbert F. Schneider, Heiko Rüger, Silvia Ruppenthal

Mortalität, Morbidität und Pflege

Frontmatter
Mortalitätsentwicklung und Gesundheitsbewegungen in Europa: Eine historische Perspektive

Der Beitrag skizziert die historische Entwicklung der Mortalität und der Morbidität in Deutschland und Europa und diskutiert die Determinanten, die auf diese Entwicklung eingewirkt haben. Ab dem 18. Jahrhundert setzte ein historischer Wandel ein, in dessen Verlauf sich die Sterblichkeit – unterbrochen von einigen Phasen der Stagnation und zwischenzeitlicher Erhöhung – langfristig und in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß reduzierte. Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich seitdem nahezu verdoppelt. Mit diesem Wandel ist eine grundlegende Veränderung der Todesursachen eng verknüpft: Starben die Menschen im 18. Jahrhundert in erster Linie an übertragbaren, endemischen Infektionskrankheiten und Seuchen, zählen heutzutage nicht übertragbare, chronische Krankheiten, allen voran Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu den häufigsten Todesursachen. Für diese Entwicklung werden eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich gemacht, von denen medizinische eine eher untergeordnete Rolle spielen. Wesentliche Einflüsse werden vielmehr dem sozialen Wandel und sozioökonomischen Faktoren zugeschrieben. Am Beispiel der Länder des ehemaligen Ostblocks zeigt sich, dass die Lebensbedingungen der Menschen deren Sterblichkeit und Lebenserwartung bis in die heutige Zeit hinein maßgeblich beeinflussen.

Eva-Maria Fach, Frank Rosenbach, Matthias Richter
Sozialstruktur und Lebenserwartung

Die Gewinne der Lebenserwartung, die wir im Zeitverlauf beobachten können, sind mit der Verbesserung der allgemeinen ökonomischen und sozialen Bedingungen und dem medizinischen Fortschritt verknüpft. Für viele Länder findet sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem sozialen Status von Personen und dem Mortalitätsrisiko, auch als „differentielle Sterblichkeit“ bezeichnet. Klassische Indikatoren, um die soziale Positionierung von Personen in einer Gesellschaft abzubilden, sind der Bildungsabschluss, die berufliche Stellung, der Erwerbsstatus, das Einkommen und die Rentenhöhe. Gerade die Rentenhöhe ist ein „kumulatives sozioökonomisches Maß“ einer Person, welches die Gesundheit und damit das Mortalitätsrisiko bestimmt. Die Chancen und Risiken für ein gesundes Leben und das Lebenseinkommen von abhängig Beschäftigten stellen einen sinnvollen Indikator dar, um den Zusammenhang von sozialem Status und Lebenserwartung zu analysieren. Zu beachten ist, dass ein enger Zusammenhang zwischen sozialem Status und dem Gesundheitsverhalten existiert. Der soziale Status beeinflusst das Ernährungs- und allgemeine „Gesundheitsverhalten“. Die Grundlagen für ein langes Leben werden in der Kindheit und Jugend gelegt und verfestigen sich während des gesamten Lebens durch die Wechselwirkungen zwischen der sozialen Positionierung und dem Gesundheitszustand.

Rembrandt D. Scholz
Lebenserwartung in Gesundheit
Konzepte und Befunde

In diesem Übersichtsbeitrag werden Konzepte und empirische Befunde zur gesunden Lebenserwartung vorgestellt. Nach einem Überblick über die Kontroverse der „Kompression der Morbidität“ und über die in den Studien verwendeten Gesundheitsindikatoren wird auf die Methoden zur Berechnung der gesunden Lebenserwartung, sowie auf die Datenquellen eingegangen. Hierbei wird insbesondere das mittlerweile vorherrschend angewandte Prävalenzraten-Verfahren von Sullivan und die Mehrzustands-Sterbetafel dargestellt und ihre jeweiligen methodischen Vor- und Nachteile diskutiert. Anschließend werden die empirischen Befunde der Studien zur gesunden Lebenserwartung mit besonderem Fokus auf Deutschland vorgestellt. Dabei wird zunächst auf geschlechts- und gesundheitsindikatorenspezifische Befunde zum Ausmaß der gesunden Lebenserwartung eingegangen, sowie auf Studien zum Wandel der gesunden Lebenserwartung. Anschließend werden schichtspezifische Unterschiede und internationale Unterschiede in der gesunden Lebenserwartung präsentiert. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick, in dem neben Forschungsdesideraten u. a. die Implikationen der Studien zur Gesundheitsentwicklung auf eine alternde Gesellschaft angesprochen werden.

Rainer Unger
Altern und Generationen bei hoher Lebenserwartung

Chronologisches Alter ist eine zentrale sozio-demographische Variable, die zwar einfach zu erfassen ist, jedoch inhaltlich mehrere Dimensionen umfasst. In einem ersten Schritt werden deshalb zentrale konzeptuelle Differenzierungen der Variable ‚Alter‘ angeführt. Dabei wird deutlich, dass die üblichen Indikatoren zur demographischen Alterung auf kritisierbaren Annahmen beruhen. Dies wird deutlich, wenn fixe und dynamische Konzepte zur Messung der demographischen Alterung verglichen werden. In einem zweiten Schritt werden Prozesse der vertikalen und horizontalen Differenzierung des Alters in Gesellschaften mit hoher Lebenserwartung diskutiert. Einerseits zeigt sich eine verstärkte Differenzierung der späteren Lebensphasen (Unterscheidung zwischen drittem und viertem Lebensalter). Andererseits ist das höhere Lebensalter durch eine ausgeprägte Heterogenität sowie durch Prozesse sozialer Selektivität gekennzeichnet, was beispielsweise zur ‚Feminisierung des Alters‘ beiträgt. In einem dritten Schritt werden intergenerationelle Auswirkungen der Langlebigkeit – erhöhte gemeinsame Lebensspanne familialer Generationen, ausgedehnte Kohortendifferenzen und neue Konstellationen familialer Pflegegenerationsbeziehungen – ausgeführt. Zum Abschluss werden gesellschaftliche Folgen hoher Lebenserwartung angesprochen.

François Höpflinger

Der demographische Wandel als gesellschaftliche Herausforderung

Frontmatter
Wirkungen von Familienpolitik auf die Geburtenentwicklung

Inwieweit familienpolitische Maßnahmen die Geburtenrate beeinflussen können, ist wissenschaftlich umstritten – und gleichzeitig politisch hochrelevant. Hier wird ein Überblick über nationale und internationale Studien zur Wirksamkeit familienpolitischer Leistungen gegeben, wobei nach finanziellen Leistungen, Betreuungsinfrastruktur, Zeitpolitik und Gleichstellung differenziert wird, aber auch familienrelevante Aspekte des Arbeitsmarkts und von Institutionen berücksichtigt werden. Anhand von methodischen Gesichtspunkten wird gezeigt, dass unterschiedliche Forschungsdesigns – insbesondere Mikro- sowie Makrostudien – und verschiedene Methoden zu differenten Befunden kommen, sich aber in ihrer Erklärungskraft oft ergänzen. Neuere Forschungen zeigen, dass v. a. die Förderung institutioneller Kinderbetreuung und finanzielle Transfers positive Effekte auf die Geburtenrate haben. Allerdings beschränkt sich die Wirkung oft auf bestimmte Gruppen, Paritäten und Phasen im Lebenslauf. Zudem ist die Interaktion verschiedener Politikmaßnahmen in einer längeren Zeitperspektive entscheidend und die Wirkung durch kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen begrenzt.

Martin Bujard
Altern und Alterssicherung in Deutschland

Gegenstand des Beitrags ist die Wechselwirkung von Bevölkerungsalterung und dem System der Alterssicherung in Deutschland. Aufgrund des stetigen Anstiegs der Lebenserwartung und des dauerhaft niedrigen Geburtenniveaus schreitet die Alterung in Deutschland besonders schnell voran. Dieser Prozess wird durch den nahenden Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer weiter beschleunigt. Der Beitrag beschreibt zunächst die Folgen des demographischen Wandels für das Alterssicherungssystem. Darauf folgt eine detaillierte Darstellung der Reformaktivitäten der vergangenen 25 Jahre, die die langfristige Finanzierbarkeit des Alterssicherungssystems zum Ziel hatten. Abschließend wird der aktuelle Forschungsstand zu den folgenden Fragen aufgearbeitet: Erstens, werden die beschlossenen Reformen ein wachsendes Altersarmutsrisiko nach sich ziehen? Zweitens, kann angesichts des demographischen Wandels ein generationengerechtes Alterssicherungssystem aufrechterhalten und die Akzeptanz für das System bei der jüngeren Generation sichergestellt werden?

Anika Rasner
Folgen des demographischen Wandels für das Bildungssystem

Aktuelle demographische Veränderungen haben keine vorbestimmten Folgen für das Bildungssystem, sondern diese werden entscheidend durch Bewältigungsstrategien beteiligter (kollektiver) Akteure gestaltet. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über Umgangsweisen mit demographischen Veränderungen im Bildungssystem anhand internationaler Forschungsbefunde sowie vorliegender Daten zum deutschen Bildungswesen. Während bei kleineren Altersjahrgängen reduktive Strategien kurzfristig nur unter bestimmten Bedingungen auftreten, steigt mittel- bis langfristig der Kostendruck, sodass Anpassungen verzögert wahrgenommen werden. Dabei spielen aber auch bildungspolitische Leitideen eine wichtige Rolle. Selektive Bildungsbereiche können kleinere Kohortengrößen in einem gewissen Umfang durch die Attraktion neuer Zielgruppen kompensieren. Aus einer stärkeren Integration des (deutschen) Schulwesens erwachsen neue Chancen im Umgang mit Heterogenität aber auch für die dezentrale Infrastrukturversorgung ländlicher Räume.

Walter Bartl
Demographischer Wandel und ausdünnende ländliche Räume

Unter dem Einfluss des demographischen Wandels, den unbewältigten Struktur- und Finanzkrisen haben sich alte und neue territoriale Ungleichheiten herausgebildet, die sich in einzelnen Teilräumen als ungleichwertige Lebensverhältnisse manifestieren. Besonders der ländliche Nordosten Deutschlands ist betroffen. Hier führt die De-Infrastrukturalisierung zu Versorgungsengpässen, verminderten Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben und zur Schwächung lokaler Öffentlichkeit. Wie ist mit den zunehmend disparaten räumlichen Entwicklungen, und besonders abgekoppelten ländlichen Räumen, umzugehen? Ein gesellschaftlicher Konsens, was Gleichwertigkeit jenseits von Gleichheit sein kann und welches Niveau an territorialer Ungleichheit akzeptabel erscheint, ist bisher noch nicht gefunden.

Claudia Neu
Demographischer Wandel und Sozialstruktur

Im Beitrag wird die sozialstrukturelle Relevanz des demographischen Wandels erörtert. Hierfür wird zunächst der demographische Wandel auf seinen unterschiedlichen Dimensionen – demographische Alterung, Schrumpfung der Bevölkerung, Pluralisierung von Lebensformen und ethnischen Zugehörigkeiten, Schrumpfung von Städten und Ausdünnen ländlicher Regionen – aufgezeigt. Im Anschluss erfolgt eine Darstellung der für die Sozialstruktur gegenwärtiger Gesellschaften relevanten Felder Wirtschaft, Politik/Sozialpolitik und Familie auf der Ebene der für die Felder aus feldtheoretischer Perspektive konstitutiven Spielregeln. So wird es möglich, theoretisch haltbare Aussagen über den Zusammenhang von demographischem Wandel und Sozialstruktur zu machen.

Yasemin Niephaus
Metadaten
Titel
Handbuch Bevölkerungssoziologie
herausgegeben von
Yasemin Niephaus
Michaela Kreyenfeld
Reinhold Sackmann
Copyright-Jahr
2016
Electronic ISBN
978-3-658-01410-0
Print ISBN
978-3-658-01409-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-01410-0

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