Skip to main content

2023 | Buch

Handbuch Genossenschaftswesen

herausgegeben von: Johannes Blome-Drees, Nicole Göler von Ravensburg, Alexander Jungmeister, Ingrid Schmale, Frank Schulz-Nieswandt

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Das Handbuch spiegelt eine moderne Fassung transdisziplinärer Wissenschaft und heterogener Praxis. Aktuelle Grundlagen und Entwicklungen der Genossenschaftswissenschaft wie auch des Genossenschaftswesens werden zeitgemäß aufbereitet. Bis auf wenige Ausnahmen beziehen sich die Beiträge auf Genossenschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Vordergrund steht die Vermittlung wissenschaftlicher Methoden und Konzeptionen. Einen breiten Raum nimmt die anwendungsorientierte Analyse spezifischer betriebswirtschaftlicher Probleme der Genossenschaften ein. Anders als in einem Lexikon oder Wörterbuch sind die gesammelten Beiträge nach verschiedenen Themenbereichen geordnet. Dies ermöglicht den Leserinnen und Lesern einen schnellen Zugriff auf die jeweils interessierenden Fragestellungen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung

Der vorliegende Beitrag führt in die Architektur des Handbuchs zum Genossenschaftswesen ein, das sich in sechs Teilbereiche gliedert. Im Handbuch werden sowohl disziplinäre und methodologische Zugänge der Wissenschaft als auch rechtliche und wirtschaftliche Strukturen der Genossenschaften sowie deren Stellung und Funktion in Wirtschaft und Gesellschaft dargestellt und analysiert.

Johannes Blome-Drees, Ingrid Schmale

Disziplinäre Zugänge

Frontmatter
Morphologie und Kulturgeschichte
Was sind Genossenschaften und wie erforscht man sie?

Der Beitrag analysiert Varianten der Genossenschaftlichkeit sozialer Gebilde der Gesellung und der Hilfe auf der Grundlage der anthropologisch fassbaren Kategorien der Gabe und der Reziprozität bzw. Mutualität. Die gebildemorphologische Methode stellt hermeneutisch auf die Sinnfunktion in ihrer strukturellen Formfindung im Sinne der Charakteristika der freien Assoziation ab. Beispiele aus der Europäischen Kulturgeschichte mit Verweisen auch auf die vorderasiatischen Wurzeln im vorchristlichen Altertum plausibilisieren diesen Blick im Sinne einer historischen Anthropologie der Formfindung des homo reciprocans.

Frank Schulz-Nieswandt
Ideen- und Realgeschichte der Genossenschaften in Industriegesellschaften im 19. Jahrhundert

Traditionell besteht sowohl in der Genossenschaftspraxis als auch in der Genossenschaftswissenschaft ein hohes Bewusstsein für die geschichtliche Entwicklung des Genossenschaftswesens. Allerdings erscheinen in den letzten Jahren nur noch wenige Veröffentlichungen, die man der Genossenschaftsgeschichte zuordnen kann, mit Ausnahme in Jubiläumsjahren der Genossenschaftspioniere oder genossenschaftlicher Organisationen (Ausnahme zuletzt Schulz-Nieswandt 2020). Dabei ist der Blick zurück in die Historie hilfreich bei der Einordnung der vorgefundenen Artefakte und Organisationsformen sowie der Vergewisserung von dahinterstehenden Ideen und Konzeptionen. Hier geht es insbesondere um die Ideen, Utopien und Konzeptionen der geistigen Wegbereiter sowie der Organisatoren der Genossenschaften in Westeuropa mit Schwerpunktsetzung britischer, französischer und insbesondere deutscher Pioniere.

Ingrid Schmale
Konzeptionelle Überlegungen zu einer Besonderen Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften als Führungslehre

Der vorliegende Beitrag dokumentiert den aktuellen Stand der konzeptionellen Überlegungen zu einer Besonderen Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften. Erkenntnisperspektive ist die Führung von Genossenschaften, die gleichsam die für eine Besondere Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften relevante Praxis bildet.

Johannes Blome-Drees
Politische Ökonomie
Kollektives Handeln und die Entstehung von Gemeingütern zwischen privatem und öffentlichem Nutzen

Dieser Beitrag befasst sich mit den Designprinzipien eines gelingenden Gemeingutmanagements und den Kernelementen kooperativen Handelns nach Ostrom. Dabei wird die Besonderheit genossenschaftlicher Kooperation, als „dritter Weg“ zwischen Markt und Staat, herausgestellt und ihr Potenzial zur Schaffung und Gestaltung von Gemeingütern beleuchtet. Der nun schon seit einigen Jahren zu beobachtende Bedeutungszuwachs genossenschaftlicher Kooperationsformen wird zum einen mit dem Prozessnutzen von kollektivem Handeln und den Enttäuschungen mit dem Massenkonsum im Industriekapitalismus erklärt. Zum anderen liegen die Vorteile von Genossenschaften u. a. in ihren qualitätssichernden institutionellen Mechanismen und ihrer Ausrichtung auf Nachhaltigkeitsziele.

Joschka Moldenhauer, Remi Maier-Rigaud
Soziologie und Genossenschaftswesen
Überblick mit dem Schwerpunkt seit 1945, Einordnung und Plädoyer für eine Perspektive

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Soziologie und Genossenschaftswesen. Es wird ein Überblick über die thematischen und theoretischen Entwicklungen der deutschsprachigen Soziologie mit Schwerpunkt auf der Entwicklung nach 1945 gegeben, an den sich eine Einordnung der im Beitrag behandelten Genossenschaftssoziologen anschließt. Aufbauend auf dieser Einordnung, werden ältere und neuere Theorielinien herausgearbeitet, an die eine Soziologie des Genossenschaftswesens heute anknüpfen kann, wobei insbesondere für eine relationale Perspektive plädiert wird.

Simon Micken
Altruismus, prosoziales Verhalten, Eigennutz und Moralität aus psychologischer Perspektive

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, inwiefern Rücksichtslosigkeit und Egoismus oder Altruismus und Prosozialität menschliches Handeln treiben. Es wird gezeigt, dass Menschen im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte die Disposition erworben haben, in ihren Entscheidungen nicht nur die eigenen Belange zu berücksichtigen, sondern auch die legitimen Erwartungen anderer. Allerdings ist menschliche Moralität immer begrenzt und dient letzten Endes immer (auch) der Durchsetzung eigener Interessen.

Detlef Fetchenhauer, Anne-Sophie Lang
Ethnografische Ansätze in der Genossenschaftsforschung – Felder, Methoden und Erkenntnisinteressen

Der Beitrag widmet sich ethnografischen Ansätzen in der Genossenschaftsforschung und benachbarten Forschungsfeldern, die sich mit kooperativen Praktiken befassen. Neben den Grundzügen dieser Forschungsansätze stellen wir ethnografische Studien zu Genossenschaften und anderen kooperativen Wirtschafts- und Organisationsformen vor. Ziel ist es dabei, die vielfältigen Perspektiven ethnografischer Ansätze auf Genossenschaften und kooperative Praktiken zu systematisieren und zu diskutieren, welchen Beitrag ethnografische Ansätze zur aktuellen Genossenschaftsforschung leisten können.

Sanna Frischknecht, Benjamin Haas

Methodologische Zugänge

Frontmatter
Morphologie
Metatheoretische Grundlagen zur Methodologie der Genossenschaftsforschung

Der Beitrag entfaltet das morphologische Verständnis von Genossenschaften als sozialwirtschaftliche Einzelgebilde sowie von genossenschaftsartigen lokalen sozialen Netzwerken als Caring Community aus der methodologischen Sicht einer hermeneutischen Morphologie. Grundlage einer solchen Methodologie ist eine Metaphysik der Gestaltbildungsfunktion von Form und Inhalt. Der Form kommt dabei, sozialontologisch gesehen, eine generative wie auch eine expressive Funktion zu. Bindeglied ist die Anthropologie des Personalismus. Darauf basiert die kulturelle Grammatik der Mutualität/Reziprozität des sozialen Miteinanders als solidarische Grundlage der Entfaltung individueller Freiheit. In diese moralökonomische Logik sozialer Praktiken in den institutionellen Settings von Einzelwirtschaftsgebilden oder Sozialraumgebilden ist die Bestimmbarkeit von Effizienz und Effektivität eingebettet.

Frank Schulz-Nieswandt
Morphologie II
Anwendungsorientierte Grundlagen zur Methodologie der Genossenschaftsforschung

Der vorliegende Beitrag ist eine Einführung in anwendungsorientierte Grundlagen der morphologisch-typologischen Methode in der (betriebswirtschaftlichen) Genossenschaftsforschung. In einem ersten Schritt werden die Funktionen, die diese erfüllt, sowie ihr schrittweises Vorgehen erläutert. In der Folge befasst sich dieser Beitrag mit der Morphologie der genossenschaftlichen Form anhand von ausgewählten Merkmalen und Prinzipien, die in eine exemplarische Typenbildung mündet. Der letzte Abschnitt behandelt, im Sinne einer normativen Lehre mit praktisch-politischer Orientierung, die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen und die Funktion von Leitbildern.

Johannes Blome-Drees, Joschka Moldenhauer
Die geistreiche Verbindung von Kooperation und Netzwerk in Form von Genossenschaften

Der Beitrag beleuchtet, welche Parallelen in Genossenschaften zu Unternehmenskooperationen und Unternehmensnetzwerken zu finden sind und inwieweit Genossenschaften als Netzwerke bezeichnet werden können. Die Nähe zum Netzwerkgedanken wird anhand der genossenschaftlichen Besonderheit der Doppelnatur mit dem genossenschaftlichen Geist und der daraus hervorgehenden Wertebasis verdeutlicht.

Harald Bolsinger
Commons, Commoning und Genossenschaften

Im vorliegenden Beitrag werden die Begriffe Gemeingüter, Commons und Commoning erläutert, ins Verhältnis gesetzt und Bezüge zu genossenschaftlichem Wirtschaften bzw. genossenschaftlicher Handlungslogik im Kontext der Kooperation als soziale Praxis hergestellt. Zudem wird das transformative Potenzial von Commons, Commoning und Genossenschaften herausgestellt.

Simon Micken, Joschka Moldenhauer, Johannes Blome-Drees
Genossenschaftswissenschaft und Systemtheorie

Systemtheorie ist eine wissenschaftliche Methode, mit der im Gegensatz zu einer Beschreibung der Funktionsweise der einzelnen Elemente, die Strukturbildung entweder aus statischer oder dynamischer Perspektive betrachtet wird. Dabei wird etwas Ganzes gesehen, das Gesetzmäßigkeiten entwickelt, die seinen Elementen nicht eigen sind. In den Sozialwissenschaften hat es sich als zweckmäßig erwiesen, Mensch-Mensch- oder Mensch-Maschine Systeme zu analysieren, die vom Menschen gestaltet werden.Durch die Arbeiten von E. Dülfer, H. Lipfert und dem Freiburger Management-Modell wurde dieser Denkansatz in die Genossenschaftswissenschaft eingebracht. Dülfer untersucht ein Kooperativ in seiner Gesamtheit (Personenvereinigung in Beziehung zu einem Wirtschaftsbetrieb, d. h. Draheims Doppelnatur der Genossenschaft) und somit die Interaktion zwischen dem Genossenschaftsbetrieb und den Mitgliederwirtschaften.Lipfert spricht von einem aus drei Systemebenen bestehendem genossenschaftlichen System und differeziert dabei zwischen Mitgliederwirtschaften, Primärgenossenschaften und Verbundeinrichtungen (Zentralen). Diese drei Systemebenen sind voneinander abhängig und somit auch in alle Managemententscheidungen als interdependente genossenschaftliche Systemebenen miteinzubeziehen.Die Zielsetzung des Freiburger Management Modells ist die Einführung eines möglichst praxisorientierten Leitfadens zur Gestaltung der Führung von Nonprofitorganisationen. Es postuliert eine besondere Betriebswirtschaftslehre für Nonprofit-Organisationen.

Johann Brazda
Spieltheorie und Genossenschaften

Spieltheorie ist eine junge Wissenschaftsdisziplin, die erst in den 1940er-Jahren ihren Ursprung fand. Sie hat sich aus einem Teilgebiet der angewandten Mathematik zu einem imposanten methodischen Werkzeugkasten, sowohl für die ökonomische Theorie, als auch darüber hinaus für andere Sozialwissenschaften und der Biologie entwickelt. Durch die Spezifität der Genossenschaftsforschung auf das Gefangenendilemma der nichtkooperativen Spieltheorie und nur vereinzelter Einsätze der kooperativen Spieltheorie hat man das Potenzial der Spieltheorie in der Genossenschaftswissenschaft bisher kaum genutzt.

Johann Brazda

Betriebswirtschaftliche Fragestellungen

Frontmatter
Genossenschaftliche Geschäftsmodelle – Semantik, Morphologie und Typologie

Mit Hilfe der morphologisch-typologischen Methode wird im vorliegenden Beitrag ein generatives Sprachspiel für genossenschaftliche Geschäftsmodelle entwickelt. Dabei werden nicht bloß begriffliche und konzeptionelle Fragestellungen erörtert, sondern aus der Perspektive einer Besonderen Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften und normativen Morphologie auch Hilfestellungen für Praktiker geleistet.

Johannes Blome-Drees, Philipp Thimm, Andreas Wieg
Genossenschaftliches Management als „Mitglieder-Fördermanagement“

Das Management von Genossenschaften hat den Auftrag zur „Förderung der Mitglieder“ bestmöglich zu erfüllen. Ein dazu entwickeltes mitgliederzentriertes Management-Konzept bildet den Denk- und Aktionsrahmen für die Erzielung von Markt- und Fördererfolg. Es wird untersucht, wie die Genossenschaftsführung den Vorstellungen von einer „artgerechten Genossenschaft“ sowie dem Anspruch an ein systemkonformes Mitglieder-Fördermanagement entsprechen kann.

Günther Ringle
Strategisches Management von Genossenschaften

Strategisches Management hat seinen Ursprung in zahlreichen ökonomischen sowie verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Um die Relevanz und Eignung verschiedener Theoriestränge für ein Strategisches Management in Genossenschaften aufzuzeigen, werden die Ansätze und Konzepte aufgegriffen und mit den Ergebnissen aus den bisher vorliegenden Beiträgen der Genossenschaftswissenschaft verknüpft. Dabei zeigt sich, dass einige vielversprechende Konzepte zum Strategischen Management in Genossenschaften bisher nur einen verhaltenen Eingang in die Genossenschaftsliteratur gefunden haben.

Rainer Kühl, Julia Höhler
Marketing Management in Genossenschaften

Genossenschaftliches Marketing führt ein Schattendasein in Forschung und Praxis. Entweder werden klassische Marketingtechniken unreflektiert für Genossenschaften adaptiert oder die Thematik wird als genossenschaftsfern vernachlässigt. Anhand der in der Marketingforschung wesentlichen Entwicklungslinien untersucht der Beitrag die Anwendbarkeit zentraler Marketinginstrumente und -dogmen für Genossenschaften. Zweckmäßige Anpassungen und Schwerpunkte für ein genossenschaftliches Marketing werden skizziert.

Marion Pester
Finanzmanagement

Bedingt durch die laufende Veränderung der Finanzmärkte und Finanzierungsbedingungen steht die Finanzwirtschaft immer mehr im Zentrum der Aufgaben des Genossenschaftsmanagements. Dabei kommt dem Finanzmanagement im Sinne einer aktiven Managementfunktion besondere Bedeutung zu. In diesem Beitrag werden die Grundlagen des genossenschaftlichen Finanzmanagements, die Wesensmerkmale der Genossenschaftsfinanzierung und die verschiedenen Finanzierungsformen der Genossenschaft näher beschrieben.

Hannah Büchner, Markus Mändle
Management von Genossenschaften aus der Netzwerkperspektive

Der Netzwerkansatz wird für unterschiedlichste Untersuchungsobjekte und Fragestellungen verwendet. Aufgrund der Doppelnatur der Genossenschaft als Personengemeinschaft und als von dieser Gruppe getragener Geschäftsbetrieb und ihrer Einbettung in Genossenschaftsverbände können Genossenschaften auf mehreren Betrachtungsebenen als Netzwerke aufgefasst werden. Prima vista erscheint es daher zweckmäßig Genossenschaften aus der Perspektive des Netzwerkansatzes zu analysieren.

Dietmar Rößl
Verbundmanagement bei Genossenschaften

Der genossenschaftliche Verbund ist weder rechtlich noch genossenschaftswissenschaftlich exakt definiert und zeichnet sich bis heute durch seine Vagheit aus. Umso interessanter ist es, diesem Begriff aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Winkeln zu begegnen. Der vorliegende Beitrag ist der Versuch einer derartigen Annäherung. Der Bogen spannt sich von der rechtlichen Feststellung eines laufenden Anpassungsprozesses der Genossenschaft an die kapitalistische Wirtschaftsweise bis zur These eines Lebenszyklus des Verbundes mit allen damit verbundenen Konsequenzen.

Johann Brazda, Robert Schediwy
Partizipation in Genossenschaften und Aspekte der Führung

Das demokratische Wesensmerkmal der Genossenschaft, das sich in Deutschland in den allein aus Mitgliedern gebildeten Organen der Genossenschaft wie Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliederversammlung und in dem Kopfstimmrecht der Mitglieder (ein Mitglied – eine Stimme) manifestiert, stellt besondere Anforderungen an die genossenschaftliche Führung. Der Beitrag zeigt, dass Mitgliederdemokratie und damit die Partizipation der Mitglieder als Selbstzweck, aber auch als Mittel, um heterogene Mitgliederansprüche an die Genossenschaft zu erheben und abzugleichen, aufgefasst werden kann. Arenen der Mitgliederpartizipation in rechtlicher Hinsicht sowie aus Sicht der Praxis werden aufgezeigt und es werden Anforderungen an die genossenschaftliche Führung formuliert, um genossenschaftsadäquate Antworten auf Mitgliederapathie und Managerdominanz zu geben.

Ingrid Schmale
Genossenschaftliche Gründungsprozesse
Anforderungen und Gestaltungsoptionen

Im vorliegenden Beitrag erörtern wir unter Abstraktion von branchenspezifischen Anforderungen allgemeine Bedingungen von genossenschaftlichen Gründungsprozessen, die wir anhand der Dimensionen Gründer*innen, Umfeld und Unternehmen ordnen. Zu den Besonderheiten von Genossenschaftsgründungen gehören insbesondere die rechtlichen Anforderungen der eingetragenen Genossenschaft, die hervorgehobene Stellung der Genossenschaftsverbände sowie die faktische Benachteiligung der Genossenschaft in der Gründungsförderung. In Bezug auf die Organisationsgestaltung der neuen Genossenschaft zeigen wir zentrale Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich Mitgliederkreis, Leistungsbeziehung und Satzungsausgestaltung auf. Die Ausführungen münden in der Darstellung eines morphologischen Tableaus, das die grundlegenden Gestaltungsoptionen neuer Genossenschaften – damit Entscheidungsoptionen für Gründer*innen – enthält.

Philipp Degens, Clemens Schimmele
Berichterstattung und Prüfung

Die Berichterstattung von Genossenschaften entspricht bezüglich Jahresabschluss und Lagebericht weitgehend der Berichterstattung von Kapitalgesellschaften nach HGB. Als Besonderheit gilt der Förderauftrag, wobei unklar ist, woher sich eine Begründung für die Berichterstattung ergibt. Die Prüfung von Genossenschaften ist zweigeteilt. Zum einen entspricht die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes weitgehend den Vorschriften für Kapitalgesellschaften nach HGB. Daneben erfolgt eine Prüfung der Geschäftsführung, die für Kapitalgesellschaften nicht vorgesehen ist. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die Genossenschaften vom Prüfer eines Prüfungsverbandes geprüft werden.

Volker Peemöller

Juristische Fragestellungen

Frontmatter
Der Rechtsrahmen für Genossenschaften in Deutschland: Einführung in das Genossenschaftsrecht

Das „Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz – GenG)“ gibt für juristische Personen in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG/eGn) den Rechtsrahmen in der Bundesrepublik Deutschland vor. Zentral ist der in § 1 Abs. 1 GenG verankerte Zweck, die Mitglieder in ihrer Wirtschaft, ihrem Erwerb oder in ihren sozialen oder kulturellen Belangen durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Obwohl es sich bei der eG um einen Wirtschaftsverein im Sinne von § 22 BGB handelt, sieht das GenG, anders als bei der GmbH oder AG, kein Mindestkapital vor. Gleichwohl finanzieren sich eGn über die Einlagen ihrer Mitglieder. Die Sicherung der eG und damit auch ihrer Gläubiger erfolgt zudem durch die Verpflichtung, einem Prüfungsverband angehören zu müssen.Losgelöst von jedweder Sozialromantik oder der Fehlvorstellung von einer sozialistischen Veranstaltung bietet die eG die ideale Rechtsform, sich kooperativ, d. h. mit mehreren gemeinsam, zum eigenen Nutzen wirtschaftlich zu betätigen. Die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Betätigung sind vielfältig und nur in Ausnahmefällen, wie insbesondere bei Kreditgenossenschaften der Fall (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG), erlaubnispflichtig. Ob in Form von Energiedörfern, der kollektiven Nutzung von Gemeingütern, gemeinschaftlicher IT-/Digitalisierungsprojekte, der Versorgung mit Bank- oder sonstigen Dienstleistungen oder Lebensmitteln oder Wohnungen, es geht immer um die auf Dauer, teils über Generationen hinweg, angelegte Kooperation mehrerer zum wirtschaftlichen oder ideellen Nutzen eines jeden einzelnen Mitglieds durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb, d. h. durch wirtschaftliche Interaktion zwischen der eG und dem einzelnen Mitglied.

Rouven Kober
Geschichte des deutschen Genossenschaftsrechts

Der Beitrag gibt einen Überblick über die Geschichte des deutschen Genossenschaftsrechts. Hierzu skizziert er zunächst dessen zentrale Entwicklungslinien. Anschließend werden der Förderzweck, Aspekte der Organisationsverfassung, das Haftungskonzept sowie das Pflichtprüfungssystem der eG als ausgewählte Einzelfragen näher betrachtet. Der Beitrag endet mit einem Fazit und einem Ausblick darauf, wie sich die Geschichte des deutschen Genossenschaftsrechts fortsetzen könnte – und sollte.

Sebastian Reif
Cooperative Governance

Christian Picker bestimmt zunächst Inhalt und Funktion des genossenschaftlichen Förderzwecks, der dem deutschen Rechtstyp Genossenschaft als normatives Leitbild dient und der für die Rechtsform eingetragene Genossenschaft (eG) nach § 1 Abs. 1 GenG konstitutiv ist. Darauf aufbauend skizziert er eine systemgerechte und funktionale Corporate Governance (Unternehmensverfassung) für die eG.

Christian Picker
Der Rechtsrahmen für Genossenschaften in Österreich

„Was einer alleine nicht schafft, das vermögen viele.“ Diese Grundidee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888), einem der Pioniere des Genossenschaftswesens, hat nach wie vor ihre Gültigkeit und beschreibt das zentrale Charakteristikum von Genossenschaften in Österreich: Die Funktion als Selbsthilfevereinigung ihrer Mitglieder. Die meisten rechtsformspezifischen Besonderheiten der Genossenschaft im Vergleich zum Kapitalgesellschaftsrecht lassen sich auf diesen Selbsthilfegedanken zurückführen. Ziel des nachfolgenden Beitrages ist es, einen Kurzüberblick über den rechtlichen Rahmen für Genossenschaften in Österreich zu liefern.

Markus Dellinger, Julia Schellner
Der Rechtsrahmen für Genossenschaften in der Schweiz

Die Schweizer Genossenschaft ist gemäß der gesetzlichen Umschreibung im Obligationenrecht eine als Körperschaft organisierte Verbindung von mindestens sieben Personen oder Handelsgesellschaften, die hauptsächlich den wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder in gemeinsamer Selbsthilfe dient. Über ein Grundkapital muss die Genossenschaft nicht verfügen. Die Genossenschafter unterstehen einer Treuepflicht. Die gesetzlichen Organe der Genossenschaft sind die Generalversammlung, die Verwaltung und unter Umständen eine Revisionsstelle (Abschlussprüferin).

Harald Bärtschi
Genossenschaftsrecht – international

Der Beitrag stellt nationales Genossenschaftsrecht in den Zusammenhang von regionalem (supranationalem) und Genossenschaftsvölkerrecht sowie Standards nichtstaatlichen Ursprungs. Er macht sich das Argument der besonderen kulturellen Verflechtung des Genossenschaftsrechts zu eigen, schließt sich aber nicht der von vielen erhobenen Forderung an, das Genossenschaftsrecht müsse nationale Angelegenheit bleiben. Unmittelbar und mittelbar wirkendes regionales Genossenschaftsrecht sowie die Anerkennung der Genossenschaftsprinzipien der International Cooperative Alliance durch die internationale Staatengemeinschaft sind rechtliche Realitäten, deren Kenntnis und die ihres Zusammenwirkens mit nationalem Genossenschaftsrecht die Verfolgung berechtigter nationaler Interessen eher fördern als verhindern.Am Ende stellt der Beitrag die Frage nach Sinn und Unsinn weiterer Rechtsvereinheitlichung über Staatsgrenzen hinweg.

Hagen Henrÿ
§ 1 Abs. 2 GenG – Typenbeschränkte Beteiligungsfreiheit im Recht der eingetragenen Genossenschaft

§ 1 Abs. 2 GenG schränkt die Beteiligungsfreiheit im Recht der eingetragenen Genossenschaften (eG/eGn) ein. Beteiligungen von eGn an Dritten sind nur zulässig, wenn diese der Mitgliederförderung (Nr. 1) oder den gemeinnützigen Bestrebungen der eG (Nr. 2) dienen. Nr. 1 ist Ausdruck der gesetzlich normierten Typenbeschränkung; Nr. 2 des genossenschaftsrechtlichen Nebenzweckprivilegs. Die Entscheidung über die Eingehung eines Beteiligungsverhältnisses obliegt grundsätzlich dem Vorstand im Rahmen seiner Leitungsmacht. Nur in den Fällen, in denen der Kern der eG betroffen ist, ist die Generalversammlung zuständig. Verstößt der Vorstand gegen § 1 Abs. 2 GenG können die einzelnen Vorstandsmitglieder der eG gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Der Verstoß führt zwar nicht zur Nichtigkeit des Beteiligungserwerbes. Die eG hat sich aber von der Beteiligung zu trennen. § 1 Abs. 2 GenG lässt es zu, dass die eG herrschendes Unternehmen eines (genossenschaftlichen) Konzerns ist. Hingegen ist es fraglich, ob die eG selbst abhängiges Konzernunternehmen sein kann. Vom Konzern abzugrenzen ist die Kooperation im Verbund, was der eG innerhalb der Grenzen von § 1 Abs. 2 GenG analog möglich ist. Eine vollständige Auslagerung des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs auf eine Tochter ist nicht möglich. Dagegen steht bereits der Zweck der Mitgliederförderung durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb durch die eG selbst (§ 1 Abs. 1 GenG).

Rouven Kober

Genossenschaften in verschiedenen Ländern

Frontmatter
Genossenschaften in Deutschland

In Deutschland gibt es 7748 genossenschaftliche Unternehmen, die von 22,6 Millionen Mitgliedern getragen werden. Damit ist der genossenschaftliche Verbund die mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation in Deutschland. Die traditionelle Einteilung der Genossenschaften ist historisch gewachsen und unterscheidet die vier Genossenschaftssektoren: Genossenschaftsbanken, ländliche Genossenschaften, gewerbliche und sonstige Genossenschaften sowie Wohnungsgenossenschaften. Diese Unternehmen fördern ihre Mitglieder zum Beispiel durch die gebündelte, kostengünstige Beschaffung, durch die Erschließung von Absatzmärkten, durch die Verarbeitung angelieferter Rohstoffe, durch umfassende Finanzdienstleistungen, durch Beschäftigungsmöglichkeiten, durch die Bereitstellung günstigen Wohnraums oder durch spezielle Serviceleistungen.In fast allen Sektoren existieren Zentralunternehmen, die die Primärgenossenschaften im Wettbewerb unterstützen. Die gesetzlich vorgesehene Prüfung der Genossenschaften wird von speziellen Regionalverbänden und Fachprüfungsverbänden durchgeführt. Für die verschiedenen Genossenschaftssektoren gibt es zudem nationale Spitzenverbände, die die Interessen ihrer Genossenschaften in Politik und Öffentlichkeit vertreten. Gemeinsamer Dachverband der Genossenschaftsbanken, der ländlichen sowie der gewerblichen Genossenschaften ist der DGRV Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Spitzenverband der Wohnungsgenossenschaften ist der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. DGRV und GdW bilden den Freien Ausschuss der deutschen Genossenschaftsverbände, der sich seit 1916 um die Vertretung der Gesamtinteressen kümmert und dem Gedankenaustausch dient.Die Entwicklung der Genossenschaftsorganisation in Deutschland ist durch einen lang anhaltenden Konzentrationsprozess sowie eine zu Beginn des letzten Jahrzehnts einsetzende Neugründungswelle gekennzeichnet. Diese Neugründungen machen inzwischen knapp ein Drittel aller Genossenschaften in Deutschland aus. Das zeigt, dass notwendige Kurskorrekturen, wie die Reform des Genossenschaftsgesetzes oder die Neugründungsinitiativen der Verbände, erfolgreich durchgeführt wurden. Die Erfolge dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung und aktive „Vermarktung“ neuer Genossenschaftsmodelle eine Daueraufgabe bleibt.

Michael Stappel
Der Genossenschaftsbereich in Österreich

Dieser Beitrag bietet einen historischen sowie auch aktuellen Einblick in das österreichische Genossenschaftswesen, das in die vier Bereiche der Genossenschaftsverbände – Raiffeisenverband, Genossenschaftsverband nach Schulze-Delitzsch, Verband der gemeinnützigen Bauvereinigungen, CoopVerband – eingegliedert wird. 2016 ist ein fünfter Revisionsverband – Rückenwind – gegründet worden, mit dem Ziel gemeinwohlorientierte Genossenschaften zu fördern und zu vereinen. Die Kreditinstitute und landwirtschaftlichen Betriebe des Raiffeisensektors (87,5 %) nehmen den größten Bereich der Primärgenossenschaften ein, gefolgt von den gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften (5,7 %).

Johann Brazda
Genossenschaften in der Schweiz – Kennzahlen, Strukturen und Herausforderungen

Die Schweiz ist – auch im Vergleich zu ihren Nachbarländern – ein genossenschaftsreiches Land mit einer langen genossenschaftlichen Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Stichworte sind hier „Allmendegenossenschaften“, „Eidgenossenschaft“. Die wirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaften in der Schweiz ist aber auch heute noch gross, dies gemessen an der absoluten Zahl der Genossenschaften im Land, dem Anteil der 20 grössten Genossenschaften am BIP, der Anzahl Genossenschaftsmitglieder im Verhältnis zur Bevölkerung sowie der Dominanz der Rechtsform Genossenschaft in einige Industriesektoren wie zum Beispiel im Lebensmittel-Einzelhandel Coop und Migros und Fenaco in der Landwirtschaft. Hier wurden und werden die Genossenschaften teilweise sogar als marktbeherrschend taxiert – auch 2017 wurden noch knapp 80 % des Umsatzes der 10 grössten Unternehmen im Detailhandel der Schweiz von Genossenschaften erbracht. Allerdings werden kaum noch Genossenschaften – zugunsten von AG und GmbH – neu gegründet, die Anzahl der Genossenschaftsunternehmen sinkt durch Übernahmen langsam aber stetig, trotz steigendem Umsatz. Damit stehen die – heute nach wie vor wirtschaftlich erfolgreichen – Genossenschaften vor einigen Herausforderungen. Diese liegen begründet insbesondere in der Globalisierung, der Digitalisierung, sowie der Lage der Schweiz als Hochlohnland inmitten Europas und einer seit 1936 nicht mehr revidierten gesetzlichen Grundlage, die zudem oft im Konflikt mit dem aktuellen Aufsichtsrecht steht.

Alexander Jungmeister
Dimension und Struktur des italienischen Genossenschaftswesens

Über 59.000 aktive Genossenschaften – bei etwas mehr als 60,6 Millionen Einwohnern – hat das Nationalinstitut für Statistik in Italien gezählt. Sie sind in allen Regionen und Wirtschaftsbereichen tätig und umfassen die unterschiedlichsten Betriebsgrößen. Dieser Beitrag analysiert die wichtigsten Erkenntnisse aktueller Forschungsberichte und erörtert die territoriale Verteilung, beschäftigungspolitische Bedeutung und Konzernbildung innerhalb des italienischen Genossenschaftssystems. Der letzte Teil behandelt die Struktur der Genossenschaftsverbände, mit besonderer Berücksichtigung der Revisionskosten.

Oscar Kiesswetter
Die potenzielle Rolle der Genossenschaften bei der Entwicklung in Ländern Afrikas und Asiens

Nach Klärung zentraler Grundbegriffe wie Armut, Genossenschaftsmodelle, Bedeutung und weltweite Verbreitung von Genossenschaften werden Konzepte der Armutsbekämpfung durch Förderung von Genossenschaften diskutiert. Dabei werden Elemente einer wirksamen Förderpolitik im anglofonen Asien und Afrika erläutert und konzeptionelle Fragen der Genossenschaftsförderung im frankofonen Afrika beschrieben. Dieses erfolgt am Beispiel der Entwicklung von Vorgenossenschaften und von deren Rechtsrahmen. Den Abschluss bildet eine zusammenfassende Übersicht über Erfolgsfaktoren und Hindernisse für die Entwicklung von Genossenschaften als Instrumente der Armutsbekämpfung und Treiber des sozialen Wandels durch organisierte Selbsthilfe.

Hans-H. Münkner
Genossenschaftsentwicklung und Genossenschaftspotenzial in den Ländern Afrikas südlich der Sahara

Nach Klärung der Grundbegriffe Armut und Genossenschaft und Übersicht über Konzepte staatlicher Genossenschaftsförderung in Afrika südlich der Sahara aus interdisziplinärer (sozio-kultureller, wirtschaftlicher und rechtlicher) Sicht, Diskussion der Vielschichtigkeit der Probleme der Genossenschaftsförderung mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Masse der Bevölkerung. Unterschiedlich erfolgreiche Wege im anglofonen und frankofonen Afrika, Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen. Suche nach einem Kompromiss zwischen traditionellen Lebensformen und moderner Entwicklung im ländlichen Raum. Nutzung von Genossenschaften als Instrumente des Wandels zwischen autochthonem und importiertem Recht. Vorgestellt werden Vorgenossenschaften im Senegal (1960) und in der Elfenbeinküste (1966) sowie neue Modelle genossenschaftlicher Selbsthilfe in Obervolta/Burkina Faso (1983) und Kamerun (1992).

Hans-H. Münkner

Stellung und Funktion in Wirtschaft und Gesellschaft

Frontmatter
Genossenschaften im Spannungsfeld von Wirtschaft und Gesellschaft

Genossenschaften werden im europäischen Raum unterschiedlich verortet. In einer aus Organisationsperspektive tripolar gedachten Gesellschaft mit staatlichen, marktlichen und gemeinschaftlichen Allokations- und Distributionsmustern wird ihre Wirtschaftsweise unter verschiedenen Gesichtspunkten beurteilt. Unstrittig ist mittlerweile, dass sie überwiegend zu den privaten, dauerhaft wirtschaftenden formalen Organisationen gehören, wenngleich genossenschaftliche Wirtschaftsweisen auch außerhalb der genossenschaftlichen Rechtsform realisiert werden. Ob bzw. welcher Teil von ihnen der Economie Sociale, einer Gemeinwirtschaft, dem Dritten Sektor oder der Zivilgesellschaft zugehören, unterliegt den verschiedenen Ein- bzw. Ausschlusskriterien, die diese Konzepte hinsichtlich der Ziele sowie der Gruppen, für die Wirtschaften Nutzen erbringen soll, und den Regeln zum Umgang mit erwirtschafteten Überschüssen sowie ihrem Vermögen anlegen. Dieser Beitrag erläutert diese Konzepte und untersucht die Stellung der Genossenschaften in ihnen, betrachtet ihr Potenzial für bürgerschaftliches Engagement und diskutiert, welche Art Genossenschaften dem derzeit in der Europäischen Union verfolgten Konzept des Sozialen Unternehmens genügen.

Nicole Göler von Ravensburg
Genossenschaften als Teil des Dritten Sektors

Der Beitrag konzeptualisiert Genossenschaft als Organisationsform des Dritten Sektors. Festgemacht wird dies am Entstehungskontext der Genossenschaft als moderne Organisationsform und Kombination von „Verein“ und „Wirtschaftsunternehmen“. Hybridität als synergetische Verbindung unterschiedlicher institutioneller Logiken wird als konstitutives Moment von Genossenschaft herausgearbeitet und gezeigt, dass Hybride in besonderem Maße geeignet sind, auf Herausforderungen zu reagieren, die sich infolge verstärkten Wandels von Gesellschaft und Wirtschaft ergeben. Allerdings, so die Ergebnisse empirischer Analysen, wird das innovative Potenzial der Genossenschaft derzeit nur bedingt genutzt. Es lässt sich bisher kein Gründungsboom von Genossenschaften feststellen; auch entstehen Genossenschaften bislang vorrangig in eher prosperierenden Regionen. Notwendig wäre eine stärkere Unterstützung bei der Gründung und Etablierung von Genossenschaften, insbesondere im strukturschwachen Raum.

Annette Zimmer, Eckhard Priller
Genossenschaften und Co-Produktion in der Daseinsvorsorge der kommunalen Gewährleistungsstaatlichkeit

Die eingetragene Genossenschaft eignet sich als Rechtsform für die Organisation von Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge, an denen Einwohner:innen beteiligt und damit zur Co-Produktion öffentlicher Güter eingeladen werden können. Der Beitrag klärt dazu den rechtlichen Rahmen und zeigt das breite Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten, die das Genossenschaftsrecht und das Kommunalrecht zulassen.

Winfried Kluth
Die Entwicklung des zweiten Förderauftrages italienischer Genossenschaften

Diese Arbeit behandelt die Besonderheiten des italienischen Genossenschaftswesens, ausgehend von der Entstehung in der Arbeiterbewegung über die konstante Nähe zur Politik bis hin zu seiner im Grundgesetz verankerten sozialen Aufgabe. Diese hat Unternehmensmodelle hervorgebracht, die neben der wirtschaftlichen Mitgliederförderung auch einen zweiten und letzthin sogar einen dritten Förderauftrag übernehmen, wie die Sozialgenossenschaften und die Bürgergenossenschaften. Am Ende erläutert der Beitrag die Funktion der genossenschaftlichen Systemfinanz.

Oscar Kiesswetter
Nachhaltigkeit von und durch Genossenschaften

Nachhaltigkeit und sustainable development stehen für ein Konzept, das Produzenten wie Konsumenten bzw. Prosumenten vor besondere Anforderungen ihres wirtschaftlichen Handelns stellt. Diese Anforderungen werden auf einer ökonomischen, sozialen sowie ökologischen Dimension analysiert und zielen darauf, für die gegenwärtige Bevölkerung weltweit eine Deckung des grundlegenden Bedarfs zu ermöglichen, ohne dass die Wahlmöglichkeiten der Bedarfsdeckung aufgrund der zum Zuge kommenden Technologien, der sozialen Organisation sowie insbesondere der genutzten Umweltressourcen für die zukünftige Bevölkerung (zu stark) eingeschränkt werden. Die verschiedenen Strategien zur Herstellung von Nachhaltigkeit, analysiert unter den Überschriften wie Suffizienz, Material- und Energie-Effizienz, Konsistenz sowie Subsistenz werden vorgestellt. Es wird überprüft, inwieweit die Genossenschaft sich durch ihre handlungsleitenden Prinzipien und Werte als besonders geeignet erweist, um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Auch werden Ansätze aus der Praxis der traditionsreichen wie auch neu gegründeten Genossenschaften vorgestellt und ihre Eignung, zur Nachhaltigkeit beizutragen, analysiert.

Ingrid Schmale
Genossenschaften: Ausblick auf die Zukunft

Der Ausblick skizziert – fundiert durch die Kölner Forschung zur Morphologie wirtschaftlicher Sozialgebilde – ein Szenarium der Zukunft der Genossenschaftsidee in der sozialen Wirklichkeit, die von zwei idealtypischen Entwicklungspfaden ausgeht, wobei epistemologisch kritisch nachgefragt wird, wann denn eine Innovation innovativ ist: Einerseits wird die Fortschreibung der Rolle der Genossenschaften (Position der „Normalisten“) in einem regulierten wettbewerblichen Markt mit Trägerpluralismus, andererseits wird die Transformationskraft der Genossenschaftsidee in Richtung auf die Heterotopie einer „Dualen Wirtschaft“ (Privatwirtschaft versus Gemeinwirtschaft) mit einer vom „kapitalistischen Geist“ in einem sozialreformsozialistischen Sinne (Position der „Transgressisten“) skizziert. Im Zwischenraum der Realtypen sind viele hybride Formen denkbar. Ferner ist die sozialpolitische Bedeutung der Genossenschaft für die Sozialraumentwicklung im Kontext kommunaler Daseinsvorsorge zu beachten. Letztendlich ist auch der Beitrag der Genossenschaft als Form für die Frage der Organisation von Commons zu bedenken.

Frank Schulz-Nieswandt
Metadaten
Titel
Handbuch Genossenschaftswesen
herausgegeben von
Johannes Blome-Drees
Nicole Göler von Ravensburg
Alexander Jungmeister
Ingrid Schmale
Frank Schulz-Nieswandt
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-18626-5
Print ISBN
978-3-658-18625-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-18626-5

Premium Partner