Skip to main content

2008 | Buch

Handbuch Medienpädagogik

herausgegeben von: Uwe Sander, Friederike von Gross, Kai-Uwe Hugger

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Geschichte und Strömungen der Medienpädagogik

1.1. Medien und Reformpädagogik

Die Reformpädagogik des angehenden 20. Jahrhunderts bezeichnet eine pädagogische Strömung von Schule, Unterricht und Erziehung, welche die sich im 19. Jahrhundert durchsetzende Institutionalisierung der Schule kritisierte und ihr Autoritarismus und mangelnden Bezug zur Lebenswelt vorwarf. Den Bruch mit der Vergangenheit und die Zuwendung zu Lebensfragen und Lebensreform betont z.B. Scheibe (1969: 25ff.) als wesentliche Merkmale der ‚reformpädagogischen Bewegung‘.

Heinz Moser
1.2. Medienpädagogik in der NS-Zeit

Ausgehend von heute — in der Tradition von Aufklärung und Mündigkeit — bedeutsamen medienpädagogischen Auffassungen, hat es Medienpädagogik in der NS-Zeit mit Ausnahme weniger Randerscheinungen nicht gegeben. Weder wurde die bewahrpädagogische Ausrichtung der Weimarer Zeit weiter verfolgt, noch konnte Medienpädagogik in einer kritischen Funktion ausgeübt werden, wenn man von Adolf Reichweins Filmerziehung (1938) mit begrenzter Reichweite absieht. Pädagogik und Medienpolitik waren im Kontext der ‚nationalsozialistischen Bewegung‘ genau auf das Gegenteil gerichtet: die Entmündigung des Menschen, die Beraubung seiner Individualität unter Anwendung einer irrationalen politischen Erziehungslehre, die Kennzeichnungen wie „Un-Pädagogik“ (Herrmann/Oelkers 1988: 11) und „Perversion der politischen Pädagogik“ (Assel 1969) verdient hat. Die ideologische Ausrichtung am rassistisch begründeten Volks- und Führertum lieädagogische, politische oder weltanschauliche Auffassungen nicht zu und erklärt, warum sich in der NS-Zeit — abgesehen von vermeintlich unverfänglichen didaktisch-methodischen Grundregeln zum Filmeinsatz — kein eigenes medienpädagogisches Verständnis entwickeln konnte. „Medienpädagogik im Dritten Reich bedeutete die totale ideologische Indienststellung und Funktionalisierung von Massen- und Unterrichtsmedien unter dem Deckmantel einer als Unterhaltung und Volkserziehung getarnten medialen Propaganda“ (Hüther/Podehl 2005: 120).

Bernd Podehl
1.3. „Wir möchten eine ‚Nation von Selbstdenkern ‘werden“ — Zur Medienpädagogik Adolf Reichweins

Adolf Reichwein, am 3. Oktober 1898 in Bad Ems als Sohn eines Volksschullehrers geboren, war ein vielseitig begabter und engagierter Reformpädagoge, der in politischer Verantwortung seines Wirkens den Widerstand gegen das NS-Regime gewagt und sein Leben für ein ‚anderes, besseres Deutschland‘ geopfert hat. Sein nur 46 Jahre umfassender Lebensweg hatte ihn vor dem Hintergrund der wechselvollen deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Wandervogel und Kriegserlebnis im Wilhelminischen Kaiserreich über Erwachsenen- und Lehrerbildung in der Weimarer Republik bis hin zur Schul-, Medien- und Museumspädagogik im ‚Dritten Reich‘ und zu den Widerstandsaktivitäten des ‚Kreisauer Kreises‘ während des 2. Weltkrieges geführt. Am 20. Oktober 1944 wurde Adolf Reichwein, der als Kultusministerkandidat für eine Regierung nach Hitler gehandelt wurde, vom ‚Volksgerichtshof‘ unter Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und Stunden später in Berlin-Plötzensee hingerichtet (Amlung 1999/2003).

Ullrich Amlung, Peter Meyer
1.4. Bewahrpädagogik

Der Begriff Bewahrpädagogik ist als Kennzeichnung pädagogischen Handelns bzw. entsprechender Erziehungskonzepte eng mit in ihrer jeweiligen Zeit ‚neuen‘ Medien verbunden. Er bezeichnet ein Verhalten, das Heranwachsende vor Gefährdungen beschützen und Schonräume der Kindheit und Jugend bewahren will. Historisch hängt die Entstehung einer Bewahrpädagogik mit dem Verständnis von Kindheit als eines Schonraumes zusammen, das sich Mitte des 19. Jhds. durchzusetzen begann. Die Massenschriften des 19. Jhds. und das um die Wende zum 20. Jhd. ‚neue‘ Medium Film wurden als Gefährdungen für diesen Schonraum angesehen.

Bernward Hoffmann
1.5. Die medienpädagogische Position von Martin Keilhacker

Für die Entwicklung der Medienpädagogik in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft steht Martin Keilhacker. Er hat seit dem Jahre 1949 bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Ausprägung einer eigenständigen Disziplin Medienpädagogik entscheidend begleitet. Sein Einfluss bezog sich dabei sowohl auf Theoriebildung als auch auf Forschung und Praxis einer Medienpädagogik, die bis ins sechste Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts noch als Filmerziehung firmierte. Sein Einfluss ging aus von den durch ihn gegründeten Münchner Einrichtungen, dem „Arbeitskreis Film“, der 1949 ins Leben gerufen wurde und dem nachfolgenden „Wissenschaftlichen Institut für Jugend- und Bildungsfragen in Film und Fernsehen“, die später vereint wurden als Institut Jungend Film Fernsehen (JFF), dem heutigen „JFF — Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis“. Des Weiteren verschaffte er der Medienpädagogik ein Sprachrohr mit der 1956 gegründeten Zeitschrift „Jugend und Film“, die 1976 in „medien und erziehung / merz“ umbenannt wurde. Trotz oder gerade wegen seiner Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs war Keilhacker keineswegs unumstritten, was sich in der kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Medienpädagogik durch Kommer (1979) in der Prägung des Begriffes „Keilhacker-Galaxis“ niederschlug. Damit hob Kommer ab auf die damalige Meinungshoheit der Auffassungen Keilhackers und die Bedeutung seiner MitarbeiterInnen und deren Arbeiten. Allerdings ist zu konstatieren, dass die Bedeutung für den fachwissenschaftlichen Diskurs sich nicht in der gesellschaftlichen Debatte spiegelte. Medienerziehung resp. Medienpädagogik wurde bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts, wenn überhaupt, dann aus aktuellem Anlass im Kontext jugendschützender Maßnahmen oder unter bildungstechnologischen Aspekten öffentlich wahrgenommen.

Bernd Schorb
1.6. Kritisch-emanzipative Medienpädagogik

Mit dem Präfix kritisch-emanzipativ wird eine historische Phase der Medienpädagogik aus den 1960er und 1970er Jahren benannt, deren zentrales Charakteristikum ihre Abstraktheit bzw. gesellschaftspolitische Ausrichtung ist. Als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft folgte die kritisch-emanzipative Medienpädagogik der sozialwissenschaftlichen Wende einer noch weitgehend geisteswissenschaftlich ausgerichteten Pädagogik hin zu einer Erziehungswissenschaft, die sich bewusst in den Dienst von Aufklärung, Emanzipation und Gesellschaftsveränderung stellte. Die theoretischen Grundannahmen der Erziehungswissenschaft allgemein und der Medienpädagogik speziell wurden seinerzeit durch die Wiederentdeckung der Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer bzw. marxistischer Theoreme neu geordnet. In den 60er und 70er Jahren wurde somit in Westdeutschland auch die Rolle der Massenmedien unter die Lesart kapitalistisch-politischer Ökonomie und gesellschaftlicher Verblendungszusammenhänge, aber auch unter die Tradition linker Kulturkritik subsumiert. An dieser Stelle müssen diese Theorieüberlegungen nicht mehr ausführlich erläutert werden (vgl. hierzu den Beitrag von Schicha, 2.2.8, in diesem Handbuch). Es reicht zusammenfassend darauf hinzuweisen, dass die Massenmedien bzw. die massenmedialen Akteure als Teilelement einer gesamtgesellschaftlichen Logik der Unterdrückung gesehen wurden. Den Medienrezipienten blieb dieser Umstand allerdings durch strukturelle Verblendungsmechanismen und einen ideologischen Gesamtüberbau der Gesellschaft (in dieser Theoriesicht) intransparent. Massenmedien als Teil des kapitalistisch-industriellen Systems (‘Kulturindustrie’) manipulieren und unterdrücken allerdings in dieser Perspektive nicht nur, sondern sie reproduzieren affirmativ die bestehenden ‘Produktionsverhältnisse’, d.h. die bestehenden politischen und ökonomischen Ungleichheitsverhältnisse, indem sie den Medienrezipienten zum passiven Konsumenten degradieren.

Sonja Ganguin, Uwe Sander
1.7. Bildungstechnologische Medienpädagogik

Gegenstand der Bildungstechnologischen Medienpädagogik ist das pädagogische Verständnis von und die Aufklärung über Technologien und Techniken, die zur Verständigung in Bildungsprozessen verwendet werden. Technologien sind die Ideen oder Konzepte, die den zur Verständigung verwendeten Gegenständen zu Grunde liegen. Mit Technik wird der Gegenstand bezeichnet, der als Mittel der Verständigung verwendet wird.

Christian Swertz
1.8. Handlungsorientierte Medienpädagogik

Handlungsorientierte Medienpädagogik ist verbunden mit dem Konzept einer integralen Medienpädagogik. Der Begriff ‚Integrale Medienpädagogik‘ will der Tatsache Rechnung tragen, dass die wissenschaftliche Disziplin Medienpädagogik in die Vielfalt sozialwissenschaftlicher Disziplinen eingebettet ist und sich diesen zuordnet. Diese Zuordnung ist notwendig, da es zur Entwicklung pädagogischer Modelle der Medienaneignung, der grundlegenden Erfassung des Verhältnisses von Menschen und Medien bedarf. Dies ist eine umfangreiche Forschungsaufgabe für die viele Disziplinen einen Beitrag leisten, auch die medienpädagogische Forschung selbst. In einem zweiten Sinne umfasst integrale Medienpädagogik die Zusammenführung von Medienalltag und Medienhandeln, also diejenige Erziehung, deren Ziel es ist, „heranwachsende Generationen für das Leben unter zukünftigen Bedingungen zu befähigen und sie zugleich in den Stand zu setzen, inhumanen, irreführenden, ausbeuterischen, verdummenden Zumutungen zu widerstehen“ (Schiefele 1991: 18).

Bernd Schorb

Theoretische Bezüge der Medienpädagogik

Erziehungswissenschaftliche Theorien

2.1.1. Mediensozialisation

Die Thematik um Sozialisationseffekte von Medien ist so alt wie die Medien selbst. Schon in der Frage um die Wirkung von Theaterdarstellung haben sich in den Positionen von Platon und Aristoteles zwei Perspektiven etabliert: der identifikatorische und der karthasische Charakter. Auch mit dem Aufkommen des Buchs als Massenmedium wurde Frauen das Lesen vorenthalten, um sie nicht den aufklärerischen Bestrebungen der Literatur auszusetzen. Aber erst die elektronischen Medien, also jene, die zu ihrer Produktion und/oder Rezeption technische Mittel benötigen, haben zu gesellschaftlich relevanten Diskussionen um die Wirkung von Medien insbesondere Massenmedien geführt. Egal ob es sich um das Kino, das Radio, das Fernsehen, den Videorekorder oder in neuerer Zeit um Computer und Internet handelt: die durch diese Medien transportierten Inhalte oder sogar die Medien selbst wurden für spezifische Sozialisationseffekte verantwortlich gemacht. Meist handelt es sich dabei um die Wirkung von Gewaltdarstellungen, Werbung oder politische Ideologien. Diese Perspektive der Mediensozialisation vernachlässigt jedoch Diskussionen innerhalb der Sozialisationsforschung der letzten Jahrzehnte. Der dort vor allem durch die Arbeiten von Geulen (1985) und Hurrelmann (2002) vorfindbare Paradigmenwechsel von einer normativen Sichtweise, die Sozialisation vor allem unter der Perspektive der Anpassung des Subjekts an die Gesellschaft verstand, zu einer interaktionistischen Sichtweise, in der von einem aktiven, die gesellschaftliche Wirklichkeit konstruierenden Subjekt (Berger/Luckmann 1977) ausgegangen wird, sollte auch einen Einfluss auf Theorien der Mediensozialisation haben. Nimmt man das von Klaus Hurrelmann formulierte Postulat ernst, dass Sozialisation verstanden werden sollte als jener „Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt“ (Hurrelmann 2002: 15), dann wird deutlich, dass unter Mediensozialisation ein sehr komplexer Prozess verstanden werden muss.

Stefan Aufenanger
2.1.2. Medienkompetenz

Als leitender Begriff und zentrales theoretisches Konzept der Medienpädagogik wird Medienkompetenz verstärkt seit Anfang der 1990er Jahre diskutiert, als im Zuge der Einführung von Internet und Multimedia ein medienpädagogischer wie materiell-ausstattungsbezogener Nachholbedarf in nahezu allen Feldern von Bildung und Erziehung — insbesondere aber in Schulen (Stichwort ‚Schulen ans Netz“) — durch Bildungspolitiker, Wirtschaftsvertreter und Pädagogen attestiert wurde. Im wissenschaftlichen Diskurs wird die Medienkompetenz eines Menschen in ihren unterschiedlichen Dimensionen zu definieren und empirisch zu erfassen versucht. Sie umfasst die Wissensbestände über Medien sowie die Fähigkeit, Medien souverän bedienen, kritisch beurteilen und kreativ gestalten zu können. Sie kann eigenständig im Rahmen von Selbstsozialisationsprozessen erworben werden, sie wird aber auch mit Hilfe medienpädagogischen Handelns in formalen wie non-formalen Bildungssettings gefördert. Obwohl der gegenwärtige Diskurs die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in den Mittelpunkt stellt, weil diese zurzeit die Entwicklungs- und Partizipationschancen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen entscheidend mitgestalten, orientiert sich Medienkompetenz an einem weit verstandenen Medienbegriff, der sowohl die individuelle Mediennutzung — von den klassischen Massenmedien über Computer und Internet bis hin zu mobilen Medien — als auch ihre Bezüge zu Gruppen, gesellschaftlichen Systemen und Kulturen mit einbezieht.

Kai-Uwe Hugger
2.1.3. Medienbildung

Das Konzept der Medienbildung stellt eine neue Entwicklung dar, die sich seit einigen Jahren im Schnittfeld bildungstheoretischer, medientheoretischer und kulturtheoretischer Erwägungen konstituiert. Es folgt der Einsicht, dass Bildungs- und Subjektivierungsprozesse sich grundsätzlich in medial geprägten kulturellen Lebenswelten und in medialen Interaktionszusammenhängen ereignen. Dieser Grundannahme trägt das Konzept der Medienbildung Rechnung, indem es Aspekten der Medialität in der Bildungswissenschaft einen systematischen, d.h. theoriebildenden und forschungsleitenden Wert zuweist.

Winfried Marotzki, Benjamin Jörissen
2.1.4. Medienerziehung

Die vielfältigen Angebote der Medienlandschaft — von Printmedien bis zu Computer und Internet — und ihre Nutzung durch Kinder, Jugendliche und Erwachsene werfen die Frage auf, welche Erziehungs- und Bildungsaufgaben sich im Medienbereich ergeben. Damit ist eine zentrale Fragestellung der Medienerziehung angesprochen. Unter diesem Begriff lassen sich alle Aktivitäten und überlegungen in Erziehung und Bildung zusammenfassen, die das Ziel haben, ein humanes bzw. verantwortliches Handeln im Zusammenhang mit der Mediennutzung und Mediengestaltung zu entwickeln. Die Medienerziehung ist somit — neben der Verwendung von Medien für Lehr- und Lernprozesse — ein wichtiger Gegenstandsbereich der Medienpädagogik. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff ‚Medienerziehung‘ in der Regel sowohl für praktische medienerzieherische Aktivitäten als auch für ihre wissenschaftliche Reflexion bzw. theoretische Grundlegung verwendet wird. Insofern könnte man noch zwischen der Medienerziehung (als Praxisfeld) und der Medienerziehung (als Wissenschaftsgebiet) zu unterscheiden. Als Wissenschaftsgebiet umfasst Medienerziehung den Bereich aller überlegungen zu dem Problemkreis, welche erziehungs- und bildungsrelevante Ziele im Zusammenhang mit Medienfragen angestrebt werden sollen und wie diese in pädagogisch angemessener Form erreicht werden können.

Gerhard Tulodziecki
2.1.5. Mediendidaktik

Thema der Mediendidaktik ist das Lernen und Lehren mit Medien. Dies umfasst analoge Medien, wie Texte und Bücher, genauso wie digitale Medien, zum Beispiel Lernsoftware auf einer DVD oder über das Internet abgerufene Materialien, die in institutionellen (schulischen) Kontexten und in der Freizeit genutzt werden.

Michael Kerres
2.1.6. Medienkunde

Medienpädagogische Überlegungen waren und sind stets auch mit der Frage verbunden, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten für ein humanes Handeln im Medienzusammenhang erforderlich sind. Entsprechende Überlegungen lassen sich unter dem Begriff der Medienkunde zusammenfassen. Demgemäß kann man die Medienkunde als die Lehre von dem — für ein reflektiertes und verantwortungsbewusstes Medienhandeln — notwendigen Wissen und Können auffassen.

Gerhard Tulodziecki
2.1.7. Medienkritik

Medienkritik bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit Einzelmedien (z.B. Fernsehkritik, Filmkritik, Literaturkritik), crossmedialen Angeboten und gesellschaftlichen Medienentwicklungen, ihrer Analyse und Bewertung bezüglich Produktionsbedingungen, Inhalt, Form und Distribution (inkl. rechtlicher, politischer und ökonomischer Aspekte) sowie auf die Reflexion und Selbstreflexion der Mediennutzung und der Mediengestaltung in verschiedenen lebensweltlichen Kontexten.

Horst Niesyto
2.1.8. Medienökologie

Im Laufe der Geschichte hat die Einführung und Etablierung neuer Medien stets zu massiven Veränderungen der gesellschaftlichen Kommunikationskultur geführt, wie z.B. die Entwicklung der Schrift, die Erfindung des Buchdrucks oder die Ausweitung der Informations- und Kommunikationstechnologien. Aufgrund des wachsenden Einflusses der Medien bei der Konstruktion sozialer Wirklichkeit kam Neil Postman, der hauptsächlich durch seine zwei Werke „Das Verschwinden der Kindheit“ (1983) und „Wir amüsieren uns zu Tode“ (1985) bekannt wurde, zu der Annahme, dass das öffentliche Leben einer „rigorosen Vorherrschaft neuer Medien unterworfen“ ist, bei der die Welt von uns immer weniger selbst erlebt, sondern verstärkend über die Medien beobachtet wird (Postman 1988: 31). Diese Sichtweise basiert auf der Deutung, dass ein Ungleichgewicht in der Kommunikationskultur aufgrund von technischen und medialen Veränderungen entsteht. In diesem Sinn werden Medien als sozialökologische Störfaktoren interpretiert, basierend auf der Vermutung eines sozialen Ungleichgewichts, das durch Medien hervorgerufen wird. Diese Annahmen, mit einem vornehmlich normativen Impetus, bilden die Ursprünge der Medienökologie. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ändert sich diese vorwiegend normativ ausgerichtete medienökologische Perspektive, in der soziale Umwelt und Medien als Antagonismen verstanden werden. Nicht mehr die normative Sorge um Stabilität und Gleichgewicht sozialer Gefüge, die tendenziell durch Medien bedroht werden, steht im Vordergrund, sondern die empirische, methodisch-wissenschaftliche Suche nach den Interdependenzen zwischen Medienentwicklungen und sozialen Wandlungsverhältnissen.

Sonja Ganguin

Sozialwissenschaftliche und psychologische Theorien

2.2.1. Cultural Studies

Die Cultural Studies haben in den letzten fünfzehn Jahren international eine nachhaltige Entwicklung erlebt: Von einem Ansatz, der in den 1980er Jahren nur einem kleineren Kreis von Experten bekannt war, haben sich die Cultural Studies zu einem inter- und transdisziplinären ‚Approach‘ (Krotz 1995) der wissenschaftlichen Auseinandersetzung entwickelt, bei dem eine Beschäftigung mit Kultur, Medien und Macht im Fokus steht (Hepp/Winter 2006). Verbunden damit ist ein spezifischer Kulturbegriff, wonach dieser ein ‚umkämpftes Gesamt‘ von Klassifikationssystemen und diskursiven Formationen der Bedeutungsproduktion ist (Hall 2002).

Andreas Hepp
2.2.2. Konstruktivismus und Sozialphänomenologische Handlungstheorie

Zwei so unterschiedliche theoretische Ansätze wie der Konstruktivismus und die Sozialphilosophische Handlungstheorie können in diesem kurzen Beitrag selbstverständlich nicht in der sachlich gebotenen Differenziertheit dargestellt und diskutiert werden. Worum es hier nur gehen kann, ist die Herausarbeitung elementarer Grundzüge ihres spezifischen Zugriffs auf Realität — soweit dies im Hinblick auf die Frage ‚Was ist Medienrealität?‘ medienpädagogisch bedeutsam ist. Dabei gibt es durchaus Gemeinsamkeiten in den Grundannahmen, die eine gemeinsame Betrachtung (unter Ausblendung entscheidender Unterschiede!) rechtfertigen, allerdings auch Überschneidungen mit anderen soziologischen Theorien wie etwa dem ‚Symbolischen Interaktionismus‘ (vgl. dazu Kap. 2.2.3), dem Pragmatismus, den Cultural Studies oder auch der Systemtheorie, die ich hier als spezielle Richtung des Konstruktivismus verstehe.

Ralf Vollbrecht
2.2.3. Symbolischer Interaktionismus und kommunikatives Handeln

Medienpädagogik handelt nicht in einem gesellschaftsfreien Feld, sondern sie ist in die öffentlichen Diskurse über die Rolle der Medien in der Gesellschaft ebenso eingebunden wie in die wissenschaftlichen Diskurse, die sich mit Medien und gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen befassen. Vor allem für die Ausbildung des Konzepts der Medienkompetenz als Zielrichtung der Medienpädagogik, wie es von Dieter Baacke (1972; 1997) entwickelt, und zu Beginn des 21. Jahrhunderts theoretisch fortgeschrieben wurde (Groeben/Hurrelmann 2002), war die Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas (1988 a,b), die er bereits in seinen vorbereiteten Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz (Habermas 1971) angelegt hatte, wegweisend. Für die medienpädagogische Forschung und das Verständnis des Medienumgangs kann dagegen die Bedeutung des Konzepts des Symbolischen Interaktionismus (Blumer 1973) als bedeutsam bezeichnet werden, das u. a. auf die sozialpsychologischen und -philosophischen Überlegungen von George Herbert Mead (1988) zurückgeht. Im Folgenden wird zunächst die Theorie der symbolischen Interaktion und ihre Auswirkungen auf die Medienpädagogik dargestellt, bevor die Theorie des kommunikativen Handelns und ihre Bedeutung für das Konzept der Medienkompetenz beschrieben werden.

Lothar Mikos
2.2.4. Systemtheorie

Um den Zugang der Systemtheorie zu den Medien zu verstehen, ist es hilfreich, sich zunächst den grundlegenden Zusammenhang von Gesellschaft, Kommunikation und Medien vor Augen zu führen. Gesellschaft wird in der Systemtheorie als „das umfassende System aller aufeinander Bezug nehmenden Kommunikationen“ begriffen (Luhmann 1986: 24). Gesellschaftsanalyse ist deshalb immer Kommunikationsanalyse, und soziale Phänomene werden als bestimmte Formen kommunikativer Prozesse analysiert. Daher spielen Kommunikationsmedien eine zentrale Rolle in der Gesellschaft, die schon früh in ihrer Entwicklung auf eine bestimmte Form von Kommunikationsmedien angewiesen ist: auf Verbreitungsmedien. Jenseits der einfachen, auf überschaubare Interaktionsgefüge und mündliche Überlieferung gestützten Gesellschaft stellt sich in der gesellschaftlichen Entwicklung das Problem, wie Kommunikation über größere räumliche und zeitliche Distanzen hinweg verbreitet werden kann. Verbreitungsmedien der Kommunikation sind „evolutionäre Errungenschaften“ (Luhmann 1997: 505ff.). In ihrer Entstehung und Weiterentwicklung von Schrift und Druck bis zu den heutigen elektronischen Medien antworten sie auf das Problem, wie in einer immer weiter ausdifferenzierten Gesellschaft sowohl Möglichkeiten der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung als auch die kommunikative Erreichbarkeit der Adressaten gesichert werden können. In der modernen Gesellschaft wird dieses Problem durch Massenmedien gelöst. Die heutige Gesellschaft ist in einem derart hohen Maße abhängig von Massenmedien, dass Niklas Luhmann zu Beginn seiner mediensoziologischen Analysen festhält: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 1996: 9).

Tilmann Sutter
2.2.5. Soziale Netzwerkanalyse

Der Netzwerkbegriff erfuhr in den letzten Jahren eine starke Popularisierung. Dabei diffundierte er von der eigentlichen Netzwerkanalyse in die verschiedensten Bereiche der Wissenschaft. Allerdings hatte dies auch den Effekt, dass damit die Konturen der eigentlichen Netzwerkanalyse in großen Teilen verloren gegangen sind. Der Netzwerkbegriff taucht in mindestens drei Verwendungsweisen auf: 1. als Metapher, 2. inhaltlich, als Beschreibung von bestimmten Beziehungstypen, 3. in der sozialen Netzwerkanalyse (SNA).

Christian Stegbauer
2.2.6. Uses-and-Gratification-Approach und Nutzenansatz

Beim Uses-and Gratification-Approach/Nutzenansatz handelt es sich weniger um eine in sich geschlossene Theorie, als vielmehr um eine Forschungsstrategie, die freilich zentrale theoretische Bezugspunkte aufweist. Der Ansatz ist vor allem Mitte der 1970er Jahre als Gegenmodell zur klassischen Medienwirkungsforschung entwickelt worden. Während letztere fragt „Was machen die Medien mit den Menschen?“, fragt der Uses-and Gratification-Approach/Nutzenansatz „Was machen die Menschen mit den Medien?“ Damit wird die am behavioristischen Denken orientierte Annahme eines medienzentriert und linear verlaufenden Prozesses von Massenkommunikation kritisiert und stattdessen gefordert, das zielorientierte und intentionale Handeln des aktiven Rezipienten zentral in den Blick zu nehmen, um Medienwirkung adäquat abzubilden.

Kai-Uwe Hugger
2.2.7. Dynamisch-transaktionaler Ansatz

Erkenntnisziele der Realwissenschaften sind in der Regel Probleme aus der Realität, also beschreibungs- und erklärungsbedürftige Sachverhalte. Eine Theorie soll die jeweils relevanten Merkmale dieser Sachverhalte auswählen und vollständig abbilden. Nur dann ist es möglich, präzise und treffende Aussagen über den jeweiligen Realitätsausschnitt zu formulieren. Es geht also stets um die beiden Fragen: Was ist relevant und wann ist das theoretische Modell vollständig? Im Fall der Medienwirkungsforschung wurden diese Fragen lange Zeit im Rahmen zweier konträrer ‚Paradigmen‘ unterschiedlich beantwortet: der Kommunikator- und der Rezipientenperspektive. Erstere ist insbesondere mit dem ‚Stimulus-Response‘-Ansatz (S-R), letztere mit dem ‚Uses-and-Gratification- Ansatz‘ (Ua-GA) verbunden. Der S-R-Ansatz geht vom Stimulus (bzw. dessen Urheber, dem Kommunikator) aus und fragt, unter welchen Bedingungen er beim Publikum welche Wirkungen erzielt. Die Rezipientenperspektive setzt dagegen beim Publikum an und fragt, welche Bedürfnisse der Rezipient mit Hilfe der Medienangebote befriedigen möchte, welche Angebote er dementsprechend auswählt und wie er sie interpretiert. Während also das S-R-Modell einen wirkungsmächtigen Kommunikator unterstellt, wird im publikumszentrierten Ansatz der Rezipient als aktiv und souverän gesehen.

Werner Früh
2.2.8. Kritische Medientheorie

Der vom Bielefelder Pädagogen Dieter Baacke im Jahr 1974 herausgegebene Sammelband „Kritische Medientheorien“ mit Konzepten und Kommentaren zum Thema vermittelt einen breiten Überblick über die damalige methodische Herangehensweise. Inhalte öffentlicher Medien wie Zeitung, Rundfunk und Fernsehen werden hier nicht isoliert betrachtet, sondern in den Kontext einer materialistischen Gesellschaftstheorie gestellt, in der Macht- und Herrschaftsverhältnisse kritisch reflektiert wurden. Die kritische Medientheorie sieht sich dabei zunächst als Gegenbewegung zur empirischen Ausrichtung: „Empirie und Erfahrungswissenschaft reproduzieren nur beschreibend und zählend, was war und ist. Diese Naivität als Verdinglichung wurde im Hinweis darauf, dass Erkenntnis und Interesse einander bestimmen, gesellschaftliche Zustände nicht unwandelbarer Natur sind, von der kritischen Medientheorie aufgedeckt“ (Baake 1974: 16).

Christian Schicha
2.2.9. Propagandaforschung

Obwohl der Propagandabegriff im öffentlichen Sprachgebrauch als Bezeichnung von vermeintlich lügenhaften politischen Kommunikationskampagnen besonders in Kriegszeiten häufig verwendet wird, spielte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Kommunikationsform in den letzten Jahrzehnten nur eine geringe Rolle (Merten 2000: 160). Inzwischen scheint sich jedoch der wissenschaftliche Propaganda-Diskurs im deutschen Sprachraum wieder zu intensivieren. Zentrale Themen sind dabei Definitions- und Abgrenzungsfragen (Arnold 2003; Merten 2000; Bentele 1999), die Rekonstruktion der Theoriegeschichte (Bussemer 2005) sowie die historische Perspektive (Gries 2000). In den USA kam es bereits in den 80er und 90er Jahren zu einer Neubelebung dieses Forschungsfelds (z.B. Sproule 1997; Smith 1989; Jowett/O’Donnell 1986).

Klaus Arnold
2.2.10. Lasswell-Formel

Im Jahr 1948 veröffentlichte der Kommunikationsforscher und Politikwissenschaftler Harold Dwight Lasswell einen Aufsatz zur Struktur und Funktion von Kommunikation in der Gesellschaft, den er mit dem Vorschlag einleitete, den Akt der Kommunikation mit der Beantwortung folgender Fragen zu beschreiben:

Markus Arens
2.2.11. Kognitive Theorien

Das älteste und auch bei Laien bekannteste Gebiet der empirischen Medienforschung ist die Wirkungsforschung, in der — jahrzehntelang am Reiz-Reaktions-Ansatz und an der ‚Lasswell-Formel‘ orientiert — neben der Analyse von Medienwirkungen auf das beobachtbare Verhalten der Rezipienten (z.B. Aggressions-, Konsum- oder Wahlverhalten) und von emotionalen Medienwirkungen (z.B. Ängste) schon frühzeitig (1) kognitive Medienwirkungen im Zentrum des Interesses standen: d.h. die Frage danach, unter welchen Bedingungen aufseiten des Medieninhalts und der Mediennutzer kognitive Prozesse und Kognitionen (oder auch das individuelle kognitive System) durch mediale ‚Reize‘ beeinflusst werden (können). Entsprechende Wirkungsfragen und -theorien richten sich auf kognitive Grundfunktionen des Wahrnehmens, Denkens, Behaltens und Urteilens, auf Lernen, Wissen und Bildung sowie auf ein breites Spektrum einzelner Kognitionen, angefangen von Umweltwahrnehmung und Weltsicht bis hin zu speziellen Einstellungen, Meinungen und sozialen Urteilen. Unter dieser medienzentrierten Wirkungsperspektive galt das Interesse von vornherein sowohl (a) intendierten kognitiven Wirkungen (z.B. gezielt beeinflusste politische Überzeugungen oder Produkteinstellungen; vgl. dazu ‚Persuasionstheorien‘) als auch (b) beiläufigen, nicht-intendierten Wirkungen im kognitiven Bereich (z.B. medienvermittelte Stereotype, Normen, Attributionsmuster oder Konsumorientierungen).

Ulrike Six

Medienphilosophische Theorien

2.3.1. Günther Anders

Es sind mehrere biographische Aspekte, die Günther Stern/Anders (1902–1992) zu einem Denker zwischen allen Stühlen gemacht haben. Schon in früher Kindheit wurde er zum Objekt der Wissenschaft — geboren als Sohn der Psychologen Clara und William Stern (‚Intelligenzquotient‘) dienten er und seine Schwester den Eltern als entwicklungspsychologische Studienobjekte. Günther Stern promovierte nach philosophischen Studien bei Ernst Cassirer, Erwin Panofsky und Edmund Husserl 1923, scheiterte aber mit einer musikphilosophischen Habilitation. Er studierte außerdem in Marburg bei Martin Heidegger, lernte Hannah Arendt kennen, mit der er mehrere Jahre verheiratet war. Im Zuge seiner anschließenden Tätigkeit als Kulturjournalist in Berlin nannte er sich ‚Anders‘. 1933 Emigration nach Paris, danach in die Vereinigten Staaten; Mitarbeit im Kreis des im amerikanischen Exil befindlichen Instituts für Sozialforschung (Kritische Theorie, Max Horkheimer), in dem er jedoch nicht verbindlich Fuß fassen konnte. 1950 kehrte Anders nach Europa zurück, nahm Wohnsitz in Wien und wurde als politischer Schriftsteller bekannt, vor allem als Kritiker der Atombombe und des Vietnamkrieges. Sein literarisches Schaffen umfasst Erzählungen und Dialoge zum politischen Totalitarismus und zur verlorenen Dimension des Ethischen.

Frank Hartmann
2.3.2. Walter Benjamin

Walter Benjamin hat keine explizite Medienphilosophie vorgelegt. Er hat kulturphilosophisch und ästhetisch gedacht, reflektiert und kritisiert. Dabei ist ihm in gewisser Weise ein Stück Medienphilosophie unterlaufen, was erst posthum im Modezeitalter der Medien so richtig deutlich wird. Und erst jetzt in der Beobachtung der Nutzung des Internets wird in allen Details und in voller Tragweite klar, was Benjamin vor 80 und mehr Jahren schon vorgedacht hat.

Norbert Meder
2.3.3. Ernst Cassirer

Wenn Medienphilosophen derzeit daran zu erkennen sind, dass sie einer Disziplin angehören, innerhalb derer man eine Analyse jener Zusammenhänge anstrebt, die zwischen sinnlichen Wahrnehmungsmedien, semiotischen Kommunikationsmedien und technischen Verbreitungsmedien bestehen (Sandbothe 2005: XV), dann war und ist Ernst Cassirer bestenfalls ein halber Angehöriger dieser philosophischen Disziplin. Haben ihn doch die fünf Sinne eher grundsätzlich, die Schrift, der Text und das Bild eher beiläufig beschäftigt — und der Film, das Fernsehen und erst recht der Computer und das Internet, jene digitalen Technologien des Geistes, noch kaum wirklich beschäftigen können.

Bernd Switalla
2.3.4. Gilles Deleuze und Félix Guattari

Wie alle dem Denken des Poststrukturalismus zuzurechnenden Autoren haben auch Gilles Deleuze (1925–1995) und Félix Guattari (1930–1992) keine von ihnen selbst so bezeichnete Medientheorie entworfen. Gleichwohl üben ihre Schriften, insbesondere „AntiÖdipus“, „Kapitalismus und Schizophrenie I“ (1977, frz.: 1972) und „Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie“ (1992a, frz.: 1980) innerhalb der gegenwärtigen Medientheorie einen großen Einfluss aus, ebenso wie eine Reihe von Werken, die Deleuze alleine verfasst hat. Dabei sind es vor allem der Denkentwurf und verschiedene philosophische Konzepte, die für die medientheoretische Debatte von Bedeutung sind.

Oliver Fahle
2.3.5. Jacques Derrida

Jacques Derrida gehört neben Gilles Deleuze und Michel Foucault zu den einflussreichsten Vertretern der neueren französischen Philosophie und des Poststrukturalismus. Dieser ist für die Medientheorie von enormer Bedeutung, zum einen, weil ihre Autoren selbst über konkrete Medien geschrieben haben (Literatur, Malerei, Film), zum anderen, weil sie einige fundamentale Konzepte und Methoden medientheoretischen Denkens vorbereitet haben. Derridas Einfluss gründet sich vorwiegend darauf, dass er mit dem inzwischen inflationär verwendeten Begriff der Dekonstruktion eine Methode der Textlektüre und -interpretation bereitstellt, die weit in kultur- und medienwissenschaftliches Denken hineinreicht. Zugleich stellt Derridas Werk eine explizite Hinwendung zu einer materialistischen Perspektive dar, die den metaphysischen Logozentrismus und die damit verbundene Medienvergessenheit der abendlärdischen Philosophie über die Thematisierung des Verhältnisses von phonetischer Sprache und Schrift kritisiert. Die frühen Werke Derridas wie „Die Schrift und die Differenz“ (1976, frz. 1967) sowie „Grammatologie“ (1983, frz. 1967) entwickeln diese doppelte Perspektive, die für das Gesamtwerk des französischen Philosophen von entscheidender Bedeutung ist.

Oliver Fahle
2.3.6. Harold A. Innis

Die Theorien des Kanadiers Harold A. Innis beschäftigen sich mit Themen auf der Makro-Ebene: Er versucht, das soziale System — dazu gehören die entscheidenden Institutionen offenbar aller Gesellschaften: Politik, Religion, Recht, Wirtschaft und andere — zu erklären. Es geht um nichts weniger als das Verständnis der Menschheitsgeschichte, und so ist er auch in seinen Aufsätzen und Büchern innerhalb weniger Seiten vom Ägypten des fünften vorchristlichen Jahrtausends zum englischen Weltreich des achtzehnten nachchristlichen Jahrhunderts und dann weiter in die kanadische Gegenwart (Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts) gesprungen. Zudem behauptet Innis, die ‚tatsächliche‘ Ursache des jeweiligen Zustands dieser Systeme zu kennen, mithin des Aufstiegs und Niedergangs der großen Kulturen und Reiche — diese Ursache liege nämlich in der Tat im Phänomen der Kommunikation. Dies mag faszinieren oder auch irritieren; in jedem Fall ist auf den ersten Blick fraglich, ob Innis’ Aussagen jenseits seiner allgemeinen geschichts- oder auch kommunikationsphilosophischen Bedeutung für Medienpädagogen von Interesse sind. Allerdings wird schnell deutlich, dass die theoretischen Überlegungen von Innis, wenn sie zutreffend sein sollten, auch weitreichende Konsequenzen für den Transfer von Information und Wissen, mithin für Bildungssysteme und deren gesellschaftliche Aufgaben und Möglichkeiten implizieren.

Hans W. Giessen
2.3.7. Friedrich Kittler

Wie organisiert eine Kultur ihre Diskurse? Welche Mechanismen sorgen für ihre Kontinuierung? In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts macht der Aufstieg des Computers zum zentralen Medium unserer Zivilisation deutlich, wie abstrakte technische Strukturen als mächtige, die menschliche Handlung überlagernde Faktoren wirken. Folglich muss kulturwissenschaftliche Forschung ein neues Verhältnis zur Technik finden. Dieses wurde von einem — technischen wie epistemologischen — Paradigmenwechsel eingeleitet, der die Abkehr vom Subjekt, von Bewusstsein und Handlungen ebenso wie vom bloß Gesellschaftlichen und Kulturellen implizierte. Der Name Friedrich Kittler steht wie kein anderer für einen medientheoretischen Ansatz, der in diesem Sinn die Materialität von Kommunikation zum nicht hintergehbaren Ausgangspunkt nimmt.

Frank Hartmann
2.3.8. Marshall McLuhan

‚Das Medium ist die Botschaft‘, das ‚Ende der Gutenberg-Galaxis‘, die ‚Medien als Massage‘ und die Prognose einer Entwicklung der ‚Weltgesellschaft zum globalen Dorf‘: Mit derlei Schlagworten und dahinter verborgenen theoretischen Aussagen war der kanadische Literaturprofessor Marshall McLuhan (1911–1980)1 in den 1960ern in allen Feuilletons präsent und seine Bücher über die Zukunft der Menschheit waren Bestseller. Die stürmische und längst nicht zu Ende gekommene Entwicklung im Bereich der audiovisuellen Medien der letzten Jahrzehnte — das digitale Fernsehen, das World Wide Web, das mobile Telefon und überhaupt die Verbindung von Telekommunikation, Medien und Computer — haben heute das Interesse an McLuhans Thesen wiederbelebt. Was war seine zentrale Aussage, und was kann er uns heute sagen?

Friedrich Krotz
2.3.9. Vilém Flusser

Vilém Flusser ist sein Leben lang Migrant: Geboren wird Flusser 1920 in Prag, 1939 flieht er vor den Nazis nach England. Von dort emigriert er 1940 nach São Paolo, wo er bis 1972 Kommunikations- und Wissenschaftsphilosophie lehrt. 1972 muss er vor dem Militärregime fliehen. Auf einem holländischen Frachtschiff entkommt er nach Italien und reist wenig später nach Frankreich, wo er sich in einem kleinen südfranzösischen Dorf niederlässt. 1991 stirbt Flusser an den Folgen eines Autounfalls bei der Rückkehr aus Prag. Es war der erste Besuch in Prag nach seiner Emigration.

Renate Möller

Theorieansätze und Hypothesen

2.4.1. Wissenskluft-Perspektive

Den Massenmedien werden in normativer Hinsicht vielfältige Informations- und Orientierungsfunktionen zugeschrieben. Argumentiert wird, dass demokratische Gesellschaften auf informierte Bürger angewiesen seien, und dass die Medien einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung leisten. Auf der Rezipientenseite entspricht dem das idealtypische Bild einer informierten Öffentlichkeit. Allerdings zeigen empirische Studien, dass der Informationsstand der Bevölkerung vor Wahlen und Abstimmungen eher tief ist, dass von TV-Nachrichten vergleichsweise wenig behalten wird, oder dass sogar Gesundheitskampagnen nicht immer wirksam sind. Auch wenn Bildungsangebote des Fernsehens wie die Sendung „Sesamstrasse“ bei Kindern auf Begeisterung stießen, erbrachte die Begleitforschung paradoxe Einsichten: Zwar profitierte die Zielgruppe der benachteiligten Kinder, aber weil die Sendung bei privilegierten Kindern erst recht auf Resonanz stieß, und diese zudem häufiger mit den Eltern zusammen rezipiert wurde, vermochte die Sendung kaum Bildungsbenachteiligungen auszugleichen, sondern es verstärkten sich sogar die vorhandenen Bildungsklüfte.

Heinz Bonfadelli
2.4.2. Kultivierungshypothese (Cultivation Hypothesis)

Die Kultivierungshypothese ist eine im Rahmen der Medienwirkungsforschung von dem Kommunikationswissenschaftler George S. Gerbner und der Annenberg School of Communication, Philadelphia, seit Ende der 1960er Jahre entwickelte Theorie, nach welcher eine nachhaltige Einflussnahme durch das Fernsehen und die in den Programmen vermittelten Inhalte auf das Weltbild des Rezipienten angenommen wird. Dem Fernsehen kommt nach Gerbner und seinen Kollegen neben der Familie und dem Freundeskreis die Rolle des Sozialisationsagenten unseres Zeitalters zu. Es ist demnach das entscheidende Massenmedium der modernen (US-amerikanischen) Industriegesellschaft, welches aufgrund seiner allgegenwärtigen Verfügbarkeit, seiner scheinbaren Realitätsnähe sowie der Kohärenz der transportierten Botschaften zur Formung eines kollektiven Bewusstseins in der Kultur beiträgt. Als ein schichten- und altersübergreifendes Ritual dient der Fernsehkonsum Gerbner zufolge in der heutigen säkularisierten Gesellschaft geradezu als Religionsersatz. Entsprechend interessiert sich die Kultivierungsforschung nicht für Effekte einzelner Sendungen oder Gattungen, für stilistische Eigenheiten oder ästhetische Qualitäten, sondern für langfristige Effekte, die das Gesamtprogramm im Verhalten und in Einstellungen von Zuschauern entfaltet.

Hans Jürgen Wulff, Ingo Lehmann
2.4.3. Theorie der Schweigespirale

Die Theorie der so genannten Schweigespirale ist direkt verbunden mit dem Namen und der Person Elisabeth Noelle-Neumann und wurde erstmals 1973 erwähnt (Noelle-Neumann 1973). Die bekannte deutsche Meinungsforscherin bzw. Demoskopin entwickelte den Begriff der „Schweigespirale“ (1980) und seinen Bedeutungsgehalt und machte sich und ihre Theorie der Entstehung und der Macht ‚öffentlicher Meinung’ (meint bei Noelle- Neumann: Mehrheitsmeinung) mit ihren Publikationen weltweit bekannt. Geboren im Jahre 1916 (Berlin) als Elisabeth Noelle, studierte sie Geschichte, Philosophie und Zeitungswissenschaft in Berlin, München und Königsberg, arbeitete als Stipendiatin an der School of Journalism der University of Missouri und bereiste in der Zeit des Nationalsozialismus viele Länder. Auf der Basis ihrer USA-Studien und -Aufenthalte trug Elisabeth Noelle wesentlich mit zur Etablierung der Meinungsforschung in Deutschland bei. Ihre später wegen antisemitischer Passagen nicht unumstrittene Promotion („Meinungs- und Massenforschung in USA. Umfragen über Politik und Presse“) wurde noch in der Zeit des Nationalsozialismus verfasst, und zwar 1940 in Berlin bei dem deutschen Gründungsvater der Publizistikwissenschaften Emil Dovifat. Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heiratet Frau Noelle 1946 den Journalisten und CDU-Politiker Erich Peter Neumann, mit dem sie, nach amerikanischem Vorbild, das erste deutsche Meinungsforschungsinstitut gründet, das „Institut für Demoskopie Allensbach, Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung mbH“. Die Intention des gegründeten Instituts und der Meinungsforschung generell, im Sinne von Elisabeth Noelle-Neumann, geht in Richtung einer repräsentativen Darstellung real existenter öffentlicher Meinungen, besonders politischer Meinungen und parteilicher Meinungsverhältnisse in der Bevölkerung.

Uwe Sander
2.4.4. Agenda-Setting

Der Agenda-Setting-Approach — auch Thematisierungsansatz genannt — beruht auf der theoretischen Grundlage von Bernhard C. Cohen (1963) und wurde im Jahr 1972 von Maxwell E. McCombs und Donald L. Shaw erstmals formuliert. Medien haben demnach einen nicht unerheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Allerdings geben sie laut Agenda-Setting-Approach nicht vor, was Menschen denken, sondern worüber nachgedacht wird. Dies geschieht, indem Massenmedien bestimmte Themen auf die Tagesordnung (Agenda) des individuellen und öffentlichen Diskurses setzen. Laut Rogers und Dearing (1988: 565) definiert sich die Agenda so: „it is a list of issues and events that are viewed at a point in time as ranked in a hierachy of importance“. Entscheidend ist beim Vergleich folglich die jeweilige Rangfolge der Themen auf der Medien- und der Publikumsagenda. Tritt hier Kongruenz auf, so bestimmt die Medienagenda (Media Agenda) — durch Publikationshäufigkeit, Aufmachung und Platzierung - die Themen der Publikumsagenda (Public Agenda), ihre Rangfolge und ihre gesellschaftliche Relevanz. Die durch die Medien präsentierte Realität stellt demgemäß nur einen Ausschnitt der objektiven Realität dar. Somit werden das Weltbild und das Wissen über die Wirklichkeit des Publikums beeinflusst. Das ?Wie’ der Auseinandersetzung mit den Themen können die Medien nach dem Theorie-Ansatz tendenziell aber nicht beeinflussen!

Friederike von Gross
2.4.5. Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation (Two-Step-Flow of Communication)

Innerhalb der Kommunikationsforschung gibt es eine Vielzahl von Ansätzen zur Wirkung der Massenmedien, die jedoch nicht alle als empirisch akzeptiert gelten. Generell anerkannt als Paradigmenwechsel in der Kommunikationsforschung ist die Hypothese des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation.

Sandra Ostermann
2.4.6. Die ‚fehlende Halbsekunde’

Hertha Sturms (1984) These von der ‚fehlenden Halbsekunde’ bezieht sich auf die spezifische Laufbildwahrnehmung bei der Fernsehrezeption. Das Medium Fernsehen, so die Behauptung, führe zu einer bestimmten Form medienvermittelter Wahrnehmung, die dem eigentlichen menschlichen Wahrnehmen und der üblichen gedanklichen Verarbeitung von Eindrücken nicht entspricht. Entgegen einer lebensrealen Variante menschlicher Wahrnehmung, die es gemeinhin erlaubt, eine kurze Zeit inne zu halten, um seine Erwartungen, Handlungspläne und Einschätzungen der Situation zu überdenken und zu ordnen, raubt das Fernsehen diese kurze Zeit der Reflexion bzw. inneren Verbalisierung des Geschehenen. „Ohne Medienvermittlung hat der Wahrnehmende fast in allen Situationen ein paar Halbsekunden Zeit zwischen der Erwartung eines Ereignisses und dessen Eintreffen“. (Sturm 1991: 55)

Uwe Sander
2.4.7. Parasoziale Interaktion

Parasoziale Interaktion (PSI) steht für einen spezifischen Modus, mit dem sich Rezipienten zu den in den Medien dargestellten Akteuren in Beziehung setzen. Während Identifikation und Imitation in der Regel den Wunsch ausdrücken, einer Medienperson ähnlich zu sein, beschreibt die parasoziale Interaktion das Phänomen einer ?partnerschaftlichen’ Auseinandersetzung. Das Konzept geht auf Donald Horton und Richard Wohl zurück (vgl. auch Horton/Strauss 1957). In einem grundlegenden Aufsatz führten die Autoren 1956 erstmals aus, auf welche Weise sich mediale Beziehungen sowohl auf Seiten der Rezipienten als auch auf Seiten der Medienakteure als parasoziale Interaktion gestalten. Konstitutiv für eine solche Art des interaktionistischen Umgangs mit medialen Bezugspersonen ist, dass die hier entwickelte Beziehung weitgehend im Imaginären verbleibt und keine wechselseitige Auseinandersetzung (Reziprozität) zwischen Rezipient und Medienakteur erlaubt. Eine quasi-reale Beziehung stellt diese Konstellation aber dar, sofern sie auf einer impliziten übereinstimmung zwischen der Medienperson und dem Rezipienten beruht, so zu tun, als sei die Beziehung nicht medial vermittelt, sondern tatsächlich gelebt. Ist die parasoziale Interaktion als singulärer Akt definiert, ergibt sich eine parasoziale Beziehung (PSB) hingegen aus der Summe der Interaktionssequenzen, die nunmehr in einer Interaktiongeschichte münden kann (Hartmann et al. 2004).

Claudia Wegener
2.4.8. Eskapismus-Konzept

Im Folgenden geht es um die Fragestellungen: Warum nutzen Menschen Massenmedien wie beispielsweise das Fernsehen? Welche Erwartungen verknüpfen sie damit, in welchen sozialen Situationen geschieht dies und welche Rolle spielt hierbei die psychische Befindlichkeit des Rezipienten? Diese zentralen Fragestellungen lassen sich dem Uses-and-Gratifications-Approach zuordnen, der soziale und psychologische Merkmale eines Individuums für die Auswahl und Nutzung eines entsprechenden Massenmediums für ursächlich hält. So schreiben Katz und Foulkes: „This approach („uses and gratifications“: Anm. d. A.) proceeds from the assumption that the social and psychological attributes of individuals and groups shape their use of the mass media rather than vice versa“ (Katz/Foulkes 1962: 378). Die nähere Betrachtung dieser Fragestellungen verdeutlicht zudem, dass es sich hierbei nicht um eine medienzentrierte Perspektive handelt, denn „vor dem Hintergrund des so genannten Wirkungsansatzes beispielsweise wäre zu fragen, mit welchen Strategien es den Medien bzw. den Kommunikatoren gelingt, die Zuschauer zur Rezeption zu ‚verführen‘; konkreter: welche Mittel die Medien einsetzen, um das Publikum zur Nutzung des Fernsehens zu ‚bewegen‘, wie sie eine spezifische ‚Auswahl‘ durch die Rezipienten ‚lenken‘ und schließlich: wie es ihnen gelingt, die Persistenz des Medienkonsums aufrechtzuerhalten“ (Vorderer 1992: 93). Stattdessen geht es hier um den rezipientenorientierten Ansatz, der den Fokus auf den Rezipienten und dessen Rezeptionsmotive legt, die Aufschluss darüber geben sollen, warum und zu welchem Zweck massenmediale Angebote genutzt werden. Die Fragestellung lautet daher nicht ‚What do the media do to people‘ sondern ‚What do people do with the media‘ (Katz/Foulkes 1962: 379).

Myriam Reimer

Forschung in der Medienpädagogik

3.1. Qualitative Medienforschung

Der Mensch ist in jeder Lebensphase gleichermaßen Interpret und Gestalter seiner Umwelt. Er betrachtet die Umwelt selektiv, interpretiert das Wahrgenommene subjektiv vor dem Hintergrund seiner bereits erworbenen Erfahrungs- und Wissensbestände sowie seiner aktuellen Lebenslage, und er greift aktiv in die Umwelt ein, verändert sie für sich und andere durch sein Handeln. Wird dieses auf der Theorie des symbolischen Interaktionismus fußende Menschenbild geteilt, so hat das Konsequenzen für die Erforschung des Handelns von Menschen in der sozialen Realität. Dann nämlich steht im Mittelpunkt, den subjektiven Sinnhorizont zu verstehen, in den Konstitution und Rekonstruktion der sozialen Welt eingebettet sind. Es geht um die sinnbewahrende Interpretation einer von den Subjekten immer schon vorinterpretierten Welt (Schütz 1974).

Helga Theunert
3.2. Quantitative Medienforschung

Medien sind mehr als Mittel der Informationsübertragung und ihre Wirkung erschöpft sich nicht darin, dass eine Nachricht von Sender A von einem oder mehreren Empfängern zur Kenntnis genommen wird. Auch Mediennutzung bedeutet mehr, als sich Informationen zu einem spezifischen Thema zu verschaffen, vielmehr nutzen Menschen Medien, um sich zu unterhalten und zu entspannen, um über internationale, nationale oder regionale Ereignisse auf dem Laufenden zu bleiben und sich zu informieren, als Identifikationsfolien und zur Bestätigung der eigenen Identität.

Renate Möller
3.3. Medienwirkungsforschung

Auf dem Soziologentag 1910 verglich Max Weber die Presse mit „kommandierenden Generalen“, deren Bedeutung allein durch den Griff auf das „Gebiet des Überirdischen“ angemessen umschrieben werden kann. Er mahnte deshalb an, die Wirkungen des Massenmediums im Einzelnen zu klären. „Wir haben die Presse letztlich zu untersuchen, einmal dahin: was trägt sie zur Prägung des modernen Menschen bei? Zweitens: Wie werden die objektiven überindividuellen Kulturgüter beeinflusst ...?“ (Weber 1999: 153). Über die Schwierigkeiten dieses Unterfangens machte er sich freilich keine Illusionen; und den damaligen Stand der Medienwirkungsforschung beurteilte er äußerst skeptisch, da die einschlägige Literatur, „auch soweit sie von hervorragenden Fachleuten herrührt, sich oft auf das Allerschärfste widerspricht“ (ebd.: 152). Daran hat sich bis in unsere Tage insofern wenig geändert, als die Notwendigkeit der Medienwirkungsforschung allenthalben betont wird und mit der Fähigkeit, gesicherte Erkenntnisse hervor zu bringen, auffällig kontrastiert. Man wird zwar heute Vergleiche der Medien mit überirdischen und militärischen Mächten eher meiden, Webers Grunddiagnose über die Kluft zwischen Forschungsmotiven und Forschungsvermögen ist nach wie vor aktuell — und zwar, wie zu zeigen sein wird, aus theoretischen und methodischen Gründen.

Jürgen Grimm
3.4. Medienethnographie

Medienethnographie ist ein methodischer Ansatz in der qualitativen Sozialforschung, dessen Ziel es ist, die sozialen und kulturellen Praktiken der Herstellung ebenso wie des Gebrauchs und der Rezeption von Medien aller Art auf ethnographische Weise zu beschreiben und zu interpretieren. Die Anfänge der Medienethnographie lassen sich bis in die 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen, doch hat sie sich im eigentlichen Sinn erst in den 80er und 90er Jahren entwickelt, wobei Arbeiten aus dem Umfeld der Cultural Studies zum sozialen Kontext und zu den interpretativen Praktiken der Fernsehrezeption entscheidende Impulse gegeben haben. Mit dem Internet hat die Medienethnographie in den vergangenen Jahren ein ganz neues Untersuchungsfeld entdeckt. Die neuen digitalen Medien sind jedoch für die Medienethnographie nicht nur als Forschungsfeld relevant, vielmehr dienen sie zunehmend auch dazu, anstelle der klassischen Form der reinen Text-Ethnographie neue ethnographische Darstellungsformen zu entwickeln, bei denen die lineare textliche Organisation aufgegeben wird und verschiedene audio- visuellen Medien zum Einsatz kommen.

Jörg Bergmann
3.5. Biographische Medienforschung

Mittlerweile werden alle gesellschaftlichen Räume bzw. das alltägliche Leben durch unterschiedliche Medien durchdrungen. Es existieren quasi keine öffentlichen Orte mehr, in denen eine Nutzung von Medien (zumindest theoretisch) nicht möglich wäre. Auf diese Weise sind Medien einerseits Bestandteil gesellschaftlicher Entwicklungen, andererseits können sie als Motor bzw. Träger sozialer und kultureller Veränderungen aufgefasst werden. Insofern verändern sich kulturelle Werte und Normen durch „die den Medien inhärenten Strukturen“ (Meister 2003: 40). Das bedeutet zum Beispiel, in einer funktional differenzierten Mediengesellschaft wird den Menschen mehr als eine in dichten Sozialräumen verankerte monopolistische Sinnkonstruktion angeboten, wie es in früheren gemeinschaftsorientierten Gesellschaftsformen noch der Fall war. Vielmehr wird von Gesellschaftsmitgliedern heute erwartet, eigene Sinnkonstruktionen zu entwickeln, mit denen sie in der Lage sind, ihr Leben zu stabilisieren. Um diese Eigenleistung zu erfüllen, bedienen sich viele bei Sinnangeboten, die ihnen die Medien (hier besonders das Fernsehen) vermitteln; auch im Kontext biographischer Konstruktionen. Dies lässt erkennen, „daß Medien an den gesellschaftlichen Prozessen der Individualisierung und Biographisierung von Lebensläufen zumindest in Verstärkerposition beteiligt sind“ (Baacke et al. 1991: 14). Obwohl Aufenanger in diesem Kontext zu Recht darauf hinweist, dass „Medien allein nicht bestimmend für Biographien sein können, sondern ihre Nutzung in einen differenzierten Verwendungszusammenhang des Alltags eingebettet ist“ (Aufenanger 2006: 108), weist die Durchdringung der Medien in der Lebenswelt von Menschen, bezeichnet mit dem Begriff von ‚Medienwelt‘, auf die besondere Bedeutung der Medien bei der Konstruktion von Biographien hin.

Sonja Ganguin
3.6. Rezeptionsforschung

Die Rezeptionsforschung beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn Menschen Angebote aus den (Massen-)Medien nutzen. Damit ist die Rezeption von Medienangeboten ihr Gegenstand. Darunter werden alle Phänomene verstanden, die damit verbunden sind, dass eine konkrete Person ein konkretes Medienangebot nutzt. Damit unterscheidet sich die Rezeptionsforschung von anderen kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfeldern, die sich entweder mit den Kommunikatoren bzw. dem Medienangebot befassen oder mit dem Publikum und dem Mediensystem auf der Makroebene, ohne die einzelne Rezeption zu betrachten (Gehrau 2002a: 9ff.).

Volker Gehrau
3.7. Konversationsanalyse

Die ethnomethodologische Konversationsanalyse entstand in den USA in den 1960er Jahren. Harvey Sacks (1935–1975) legte mit seinen „Lectures on Conversation“ (posthum 1992) den Grundstein. Sacks untersuchte Regeln und Mechanismen alltäglicher Gespräche anhand von Tonbandaufzeichnungen natürlicher Interaktionssituationen. Von der linguistischen Gesprächsanalyse unterscheidet sich die Konversationsanalyse durch ihren ethnomethodologischen Hintergrund. Der Begründer der Ethnomethodologie, Harold Garfinkel, zeigte in den „Studies in Ethnomethodology“ (1967), dass soziale Wirklichkeit nicht einfach etwas statisch Gegebenes ist, das uns umgibt und unser Handeln strukturiert und determiniert. Soziale Wirklichkeit wird vielmehr in einem fortwährenden Herstellungsprozess von den Interagierenden selbst erzeugt. Garfinkel bezeichnet dies als ‚ongoing accomplishment‘. Diese ‚Vollzugswirklichkeit‘ (Bergmann) bedeutet, dass sich Interagierende in sozialen Interaktionen nicht einfach an einer vorgegebenen sozialen Ordnung orientieren, sondern eben diese soziale Ordnung als geordnete Struktur erzeugen (welche wiederum reflexiv auf die Situation wirkt). Ethnomethodologie untersucht die alltäglichen Methoden dieser Wirklichkeitserzeugung (eben die Ethno-Methoden). Daher ist der Begriff des ‚doing‘ zentral — zum Beispiel im ‚doing gender‘. Garfinkel hatte schon 1967 anhand einer Fallstudie einer Transsexuellen aufgezeigt, wie das Geschlecht von ‚Agnes‘ von ihr selbst, aber auch in Interaktionen mit ihrer Umgebung erst hergestellt wird. In der Konversationsanalyse ist entsprechend von ‚doing questioning‘, ‚doing embarrassment‘ etc. die Rede (Churchill 1971: 183). Es wird eben nicht einfach eine Äußerung als eine Frage oder ein Vorwurf katalogisiert, sondern aufgezeigt, was genau diese Äußerung zur Frage resp. zum Vorwurf macht.

Ruth Ayaß
3.8. Inhaltsanalyse

Die Inhaltsanalyse (engl. content analysis) wird definiert als „eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen“ (Früh 2004: 119). Ihr Analysefokus richtet sich auf strukturelle Informationen über Mengen von Mitteilungen (ebd.: 127). Inhaltsanalytische Verfahren beschränken sich dabei nicht nur auf Inhalte sondern berücksichtigen auch formale Aspekte, wie Darstellungsformen oder Textkontexte. Der Anwendungsbereich dieser Methode, die sich allgemein auf materialisierte Kommunikation bezieht, ist weit gespannt und geht von der Analyse von Zeitungsartikeln oder Spielfilmen bis hin zur Untersuchung von Liebesbriefen oder Parteiprogrammen. Folgende Merkmale charakterisieren die Inhaltsanalyse: von Ausnahmen abgesehen, ist sie nicht-reaktiv, d. h. sie verändert den Untersuchungsgegenstand nicht im Zuge der Erhebung desselben. Sie benötigt kein vorstrukturiertes Material und ist effizient in der Verarbeitung großer Datenmengen sowie flexibel handhabbar für diverse Forschungsfragen (Bonfadelli 2002: 80). Man unterscheidet ferner eine primäre Inhaltsanalyse von einer sekundären (Wegener 2005: 200). In der ersten Form dient sie der Analyse von Mitteilungen, „deren Produktion außerhalb des Forschungsprozesses angesiedelt ist“. In der zweiten Version ist sie „Hilfsmittel zur Auswertung bereits im Forschungsprozess erhobenen Materials“, wie Interviews oder Gruppendiskussionen (Wegener 2005: 200).

Yvonne Ehrenspeck, Alexander Geimer, Steffen Lepa
3.9. Online-Forschung

Mit Online-Forschung (online research) ist zweierlei gemeint: Einerseits die Forschung über Online-Medien und andererseits die Forschung mittels Online-Medien. Jenseits wissenschaftlicher Forschung werden themenbezogene Internet-Recherchen — etwa im Journalismus — ebenfalls als ‚Online Research‘ bezeichnet.

Nicola Döring
3.10. Werbeforschung

Werbung kann als „beabsichtigte Beeinflussung von marktrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen ohne formellen Zwang unter Einsatz von Werbemitteln und bezahlten Medien“ definiert werden (Schweiger/Schrattenecker 1995: 9). Im Jahr 2006 wurden dafür laut Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in Deutschland über 30 Milliarden Euro investiert, davon etwa zwei Drittel für den Kauf von Werbezeiten bzw. - flächen in den unterschiedlichen Medien (www.zaw.de). Bei solch enormen Summen ist das Interesse der Branche an verlässlichen Daten über die ökonomische Effizienz von Werbung natürlich hoch. Die kommerzielle Werbeforschung hat sich daher auf die Bereitstellung solcher Daten spezialisiert und versorgt die Entscheider mit den notwendigen marketing- bzw. werbebezogenen empirischen Grundlagen. Dabei geht es um Fragen wie: Wer sind die potentiellen Konsumenten für ein spezifisches Produkt? Wo und wie häufig kann man sie am besten durch Werbung erreichen? Wird Werbung wahrgenommen und wenn ja, wie wird sie verarbeitet? Welche Einstellungen haben die Verbraucher gegenüber Werbung und Produkt? Welche kurz- und/oder längerfristigen Effekte haben unterschiedliche Kommunikationsstrategien auf Gedanken, Gefühle und Verhalten der Verbraucher? Wie kann werbliche Kommunikation optimiert werden? Neben einer solchen praxisorientierten Auftragsforschung existiert eine kommunikations- bzw. medienpsychologisch verankerte Werbeforschung, die sich zwar mit ähnlichen Fragen befasst, deren Erkenntnisinteresse allerdings eher nomothetisch ist. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung und Erklärung der komplexen Wirkungsprozesse werblicher Kommunikation aus psychologischer Sicht.

Uli Gleich
3.11. Meinungsforschung

Mit dem Begriff ‚Meinungsforschung ‘werden in der Regel zusammenfassend die Methode der Repräsentativumfrage und die auf diese Methode spezialisierten Institutionen, besonders die privatwirtschaftlich finanzierten Umfrageinstitute bezeichnet. Der Begriff ist eine deutsche Übersetzung des amerikanischen ‚Public Opinion Research‘. In Deutschland hat sich in der Sozialwissenschaft der präzisere Begriff ‚Umfrageforschung‘ durchgesetzt, in öffentlichen politischen Diskussionen spricht man, geprägt vom Institut für Demoskopie Allensbach, dem 1947 gegründeten ersten deutschen Umfrageinstitut, auch von ‚Demoskopie‘ (griech: ‚Volksbeobachtung‘). Innerhalb der Sozialwissenschaften ist die Umfrageforschung das wichtigste Instrument der empirischen Sozialforschung, also der nicht allein auf Theorie, sondern auf Beobachtungen gegründeten Sozialwissenschaft. Andere wichtige Methoden der empirischen Sozialforschung sind die teilnehmende Beobachtung, die Medieninhaltsanalyse und das Laboratoriumsexperiment. Außer in den Sozialwissenschaften spielt die Meinungsforschung heute auch eine wesentliche Rolle in der Markt- und Mediaforschung sowie als Informationsquelle für die Politik.

Thomas Petersen

Medienentwicklung und Medienpädagogik

4.1. Buch

Der Begriff Buch leitet sich etymologisch von der Baumart Buche ab: Das Wort stammt aus dem Germanischen (althochdeutsch: buoch) und wird auf zusammengebundene Buchenbretter zurückgeführt, die in Vertiefungen eine Wachsschicht zum Einritzen von Buchstaben enthielten. Heute versteht man unter einem Buch eine Folge von Blättern, die zu einer, meist aber mehreren Lagen oder Bogen zusammengefasst, in unterschiedlicher Bindetechnik miteinander verbunden sind und von einem verschiedenartig gefertigten Umschlag oder Einband zusammengehalten werden (Funke 1999: 66). In seiner beinahe 2000-jährigen Geschichte hat sich das Buch vom Schreibmedium zum Druckmedium gewandelt. Mit dem Kodex (lat. caudex: Holzklotz) als älteste Form trat es bereits in der Antike seinen Siegeszug an. Bei einem Kodex handelt es sich um eine Lage aufeinander gelegter bzw. gefalteter Pergament-Blätter, zweiseitig fortlaufend beschrieben, lose aufeinander gelegt oder mit einem Faden aneinander befestigt, die erst später gebunden und mit einem festen Umschlag versehen wurden (Faulstich 2004a: 131). Das Buch gehört zu den so genannten Sekundärmedien, da zu seiner Herstellung seit dem übergang zum Druckmedium technischer Aufwand benötigt wird und sich eine komplexe Organisation um die Bereitstellung und den Vertrieb entwickelt hat. Zu seiner Entschlüsselung bedarf das traditionelle Buch hingegen keiner technischen Apparate (Rautenberg 2005: 8f.). Ferner ist dem Buch eine ‚Doppelnatur‘ zu bescheinigen, denn es ist nicht nur Träger von Wort und Geist, sondern zugleich Handelsobjekt, womit der Gebrauchswert des Buches — als Mittel der Aufklärung, der moralischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Bildung und Unterhaltung — nur als Funktion des Tauschwerts im Sinne eines Mittels zur Verwertung des Verlagskapitals auf den Markt tritt (Winckler 1973: 43).

Karin Knop
4.2. Zeitungen und Zeitschriften

Zeitungen und Zeitschriften sind periodische Presseprodukte, die seit der Wende vom 16. auf das 17. Jahrhundert existieren. ‚Zeitung‘ tauchte im deutschen Sprachgebrauch im späten 13. Jahrhundert auf und bedeutete zunächst Nachricht oder Neuigkeit. Die ersten Produkte, die als Zeitungen bezeichnet wurden, waren auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert die so genannten ‚Neuen Zeitungen‘ (tautologisch ‚Neue Neuigkeit‘); sie waren gedruckte oder auch geschriebene Nachrichten in Form von Flugblättern oder -schriften. Mit ‚Zeitung‘ wurden anfangs auch Zeitschriften bezeichnet; dieser neue Gattungsbegriff wurde erstmalig um die Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet.

Rudolf Stöber
4.3. Kino

Es gibt kein anderes Massenmedium, das in Deutschland so mit dem Begriff Erziehung verbunden ist, wie der Film bzw. das Kino. Denn: Es gibt zum Beispiel keine Buch-, keine Hörfunk-, keine Fernseh- und auch keine Interneterziehung, es gibt aber — zumindest dem Begriff nach — eine Filmerziehung. Wo die Schnittstellen zwischen Pädagogik und Kino bzw. Film liegen und warum sie bis heute diskutiert werden, obwohl das Kino schon seit einigen Jahrzehnten seine Funktion als Leitmedium verloren hat, soll hier dargestellt und diskutiert werden.

Dieter Wiedemann
4.4. Radio

Als Einrichtung des öffentlich-rechtlich und privatrechtlich organisierten Rundfunksystems (Hörfunk und Fernsehen) in der Bundesrepublik Deutschland dient das Radio (Hörfunk) der akustischen (von griech. akoúein: hören) Verbreitung von Informationen an ein Publikum. Wer Radiosendungen nutzen will, muss zum einen fähig sein, sich auf Basis seiner Erfahrungs-, Vorstellungs- und Begriffswelt den Sinngehalt von Sprache, Musik und Geräusch zu erschließen. Zum anderen muss er sich im flüchtigen Angebotsmenü des Hörfunks orientieren können, in dem so disparate Sendungsinhalte und -formen wie Nachrichten, Magazine, Sportübertragungen, Reportagen, Gesprächsrunden, Vorträge, Features, Hörspiele, Glossen, Radio-Comics, Musikprogramme oder Werbeblöcke zu einem permanenten Fluss von Hörangeboten rund um die Uhr vereinigt sind.

Wolfgang Schill
4.5. Fernsehen und Video

Medienpädagogik ist sowohl in ihren theoretischen Bemühungen als auch in ihrer praktischen Arbeit von den Entwicklungen der technischen Medien beeinflusst. Einerseits muss sie sich mit neuen Technologien auseinandersetzen, um deren Bedeutung im Prozess der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen angemessen verstehen zu können. Erst aus diesem Verständnis heraus lassen sich Handlungsperspektiven für die Vermittlung von Medienkompetenz und die Konzeption von Medienbildung gewinnen. Auf der anderen Seite müssen die neuen Technologien auch daraufhin geprüft werden, ob sie sich für medienpädagogische Projekte in der aktiven, produktiven Medienarbeit verwenden lassen. Dabei ist es allerdings lediglich ein schmaler Grat zwischen einer kritischen Einbindung neuer Medien in die Medienarbeit und einer dadurch vorangetriebenen Technisierung und Mediatisierung medienpädagogischer Projekte. So ist es sicher wichtig, Kindern schon recht früh den Umgang mit dem PC beizubringen, da dies eine der Schlüsselqualifikationen für das Berufsleben im 21. Jahrhundert darstellt. Aber gleichzeitig wird mit Projekten wie ‚Schulen ans Netz‘ eine Technisierung von Schule vorangetrieben, die unter lerntheoretischen und didaktischen Gesichtspunkten erst in Bezug auf Aufgaben, Funktionen und Grenzen näher definiert werden muss. Im Folgenden geht es nicht um die neuen Medien des 21. Jahrhunderts, sondern um die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts modernen (und damals neuen) Medien Fernsehen und Video. Auf einen knappen Abriss der technischen Entwicklung mit markanten Eckdaten, folgt eine Beschreibung des Umgangs mit diesen Medien in der Medienpädagogik, und zwar bezogen auf drei Funktionen: 1) dem Einsatz in der aktiven, produktiven Medienarbeit, 2) der Erleichterung von Arbeitsprozessen, und 3) der sozialen und ethischen Evaluation der Rolle von Fernsehen und Video im gesellschaftlichen Kommunikationsprozess und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Förderung von Medienkompetenz.

Lothar Mikos
4.6. Neue Medien

Die Bezeichnung Neue Medien bringt eine begriffliche Schwierigkeit mit sich: Das Adjektiv ‚neu‘ bezeichnet eine Absetzung von etwas, das ihm gegenüber als — relativ — ‚alt‘ gilt. Und da im geschichtlichen Prozess alles ‚Neue‘ irgendwann einmal ‚alt‘ wird, ist die Frage nach der Entwicklung des ‚Neuen‘ nicht einfach zu beantworten, setzt sie doch eine Bestimmung voraus, ab und bis wann etwas in welcher Hinsicht als ‚neu‘ gelten dürfe. Ist der Computer noch ein ‚neues‘ Medium, wenn es ihn doch schon seit rund 50 Jahren gibt? Und wie lange noch ist das Internet ein ‚neues‘ Medium? Ab wann wird daher dieser Artikel hier als ‚veraltet‘ gelten müssen, wenn er als ‚Neue Medien‘ heute etwas bezeichnet, das morgen schon ‚Schnee von gestern‘ ist?

Werner Sesink

Diskussionsfelder der Medienpädagogik

5.1. Globalisierung

Über Globalisierung zu reden und zu schreiben ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur selbstverständlich geworden, in verschiedenen Bereichen zeichnet sich sogar ein Globalisierungshype ab. Nicht nur Akademiker, Journalisten, Unternehmer und Politiker benutzen diesen Begriff, auch in alltäglichen Gesprächen dient er dazu, einschneidende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen in der Gegenwart zu verstehen, die durch intensivierte und gesteigerte Wechselwirkungsprozesse, Konnektivität und das Erleben der Ganzheit sowie der Endlichkeit der menschlichen Zivilisation und unseres Planeten gekennzeichnet sind. Marshall McLuhans Idee, dass die elektronischen Medien durch planetarische und dezentrale Vernetzung traditionelle Lebensformen implodieren lassen und ein ‚globales Dorf‘ hervorbringen, nahm viele der heutigen Diskussionen vorweg und legte ein globales Bewusstsein nahe (McLuhan 1962), das die nun ‚geschrumpfte‘ Welt als Ganzes wahrnimmt. Insbesondere die durch das Fernsehen ermöglichte Gleichzeitigkeit des Erlebens führte zu dieser medial vermittelten Neuordnung der Erfahrung (Meyrowitz 1987).

Rainer Winter
5.2. Identitätskonstruktionen in digitalen Welten

Die Auseinandersetzung mit dem Identitätsthema hat Konjunktur. Den Grund dafür sieht Keupp darin, dass es „in prismatischer Form die Folgen aktueller Modernisierungsprozesse für die Subjekte“ bündelt (Keupp et al. 2006: 9). Während Jugendliche in den 50er und 60er Jahren unter einer sozial-ökologischen Perspektive noch stark an das Milieu der Nachbarschaft gebunden waren, das kaum weitere Differenzierungen bot, so ist das Milieu des 21. Jahrhunderts von vielfältigen Szenen durchsetzt. Bezogen auf die Identitätsentwicklung müssen sich Heranwachsende auf einem immer differenzierter werdenden Identitätsmarkt bewegen und bewähren. Allerdings ist die Identitätskonstruktion kein Prozess, der zu einem bestimmten Zeitpunkt, wie etwa mit Erhalt des Erwachsenenstatus, vollendet ist. Stattdessen ist Identität lebenslang in der Interaktion aufrecht zu erhalten. Auch ältere Identitätskonzepte, die in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus stehen, von Mead (1968) über Goffmann (1961) zu Krappmann (1969), vertreten diese Ansicht. Mikos (1999) bringt die Identitätsthematik im Kontext aktueller Modernisierungsprozesse prägnant auf den Punkt: „Die Fragen ‚Wer bin ich?‘, ‚Woher komme ich?‘ und ‚Wohin will ich?‘ sind zentral für die Ausbildung von Identität; oder sollte man in der multiperspektivischen, multipluralen, individualisierten Gesellschaft nicht besser von Identitäten sprechen?“ (Mikos 1999: 4). Dies führt uns zu der Frage der Identitätsdefinition zwischen Fragmentierung und Konsistenz.

Sonja Ganguin, Uwe Sander
5.3. Virtuelle Gemeinschaften, Gruppen und Netzwerke in Neuen Medien

Das Entstehen und die besonderen Vergemeinschaftungsbedingungen virtueller Gemeinschaften treten erst mit dem Aufkommen sog. Neuer Medien, vor allem mit der Verbreitung des Zugangs zu Internet, World Wide Web und zu Mobilnetzen in Erscheinung. Dabei wirken die Alltagswahrnehmung, zu Teilen aber auch die wissenschaftliche Beobachtung und Beschreibung dieser Gemeinschaften sehr uneinheitlich.

Udo Thiedeke
5.4. Migration und Medien

Der türkische Actionfilm „Tal der Wölfe“ (Originaltitel „Kurtlar Vadisi Irak“; Regie: Serdar Akar), der Anfang 2006 seinen deutschen Kinostart erlebte, ist insbesondere bei männlichen türkischstämmigen Jugendlichen begeistert aufgenommen worden. Teils beruht die Handlung auf wahren Begebenheiten aus dem Jahr 2003: Eine türkische Militäreinheit wird von amerikanischen Soldaten verhaftet und mit Säcken über dem Kopf abgeführt. Der Film thematisiert brutale Verbrechen der US-Armee im Irak. Erst einem türkischen Agenten gelingt es die Taten zu stoppen, indem er den hauptverantwortlichen amerikanischen Offizier mit einem Messer tötet. Spiegel Online berichtet am 14.02.2006 von Jubel im Kinosaal. Deutsche Politiker vermuten, dass der Film die Integration von Migrantenjugendlichen nicht fördert, sondern Segmentation zur Folge habe, weil er Hass und Misstrauen gegen den Westen sähe.

Kai-Uwe Hugger, Mareike Strotmann
5.5. Lehren und Lernen mit neuen Medien/E-Learning

Headset, WebCam, Notebook — und die Interaktion und Kommunikation im virtuellen Lernraum kann beginnen. Wie die Prozesse des Lehrens und Lernens generell gestaltet werden, ist Gegenstand der Didaktik. Lehren ist eine zielgerichtete Tätigkeit, fällt in den Kompetenzbereich des Lehrenden und geschieht nicht ununterbrochen (Terhart 2006: 11). Lernen ist ein lebenslanger Prozess und „eine der geistigen Grundfunktionen des Menschen“ (ebd.). Fragestellungen, wie Medien sinnvoll eingesetzt werden können, um Lehr- und Lernziele effektiv und effizient zu vermitteln, stehen im Mittelpunkt der Mediendidaktik. Sie hat organisierte Lehr- und Lernprozesse mit und durch Medien zum Gegenstand. Konzepte der Mediendidaktik basieren sowohl auf didaktischen Theorien wie auf Medientheorien (Hüther 2005b: 237). Diese werden durch E-Learning erweitert und verändert. E-Learning ist die Bezeichnung für Lehr- und Lernprozesse mit neuen, internetgestützten Medien. Mit dem Begriff E-Learning sind alle Varianten von Lehr- und Lernaktivitäten gemeint, die das Internet für Information oder Kommunikation nutzen.

Claudia de Witt
5.6. Gewaltdarstellungen

Die Diskussion um die Gefahren von Mediengewalt ist so alt wie die Medien selbst. Es gibt kein Medium, das nicht in Verdacht geraten wäre, durch Gewaltinhalte die Gewaltbereitschaft seiner Rezipienten zu fördern. Neben Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen stehen heute v.a. die Gefahren von Gewalt in Computerspielen oder im Internet im Mittelpunkt. Spektakuläre Gewalttaten wie z.B. der Amoklauf von Erfurt führen zu regelmäßigen Aufmerksamkeitswellen für das Thema ‘Gewalt und Medien’. Obwohl die Forschung eine Fülle von Befunden hervorgebracht hat, herrschen in der öffentlichen Diskussion um die Gefahren von Mediengewalt allerdings noch immer viele Unklarheiten und Vorurteile, und oft werden die Medien vorschnell zum Sündenbock gestempelt. Dies liegt nicht zuletzt an der Heterogenität der Forschungslage. Die vorliegenden Studien stammen aus verschiedenen Disziplinen, legen verschiedene Wirkungsannahmen zugrunde, bedienen sich unterschiedlicher Methoden und kommen zu z.T. widersprüchlichen Befunden. Im Folgenden soll daher ein überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Wirkung von Mediengewalt gegeben werden (vgl. dazu ausführlich Kunczik/Zipfel 2006).

Michael Kunczik, Astrid Zipfel
5.7. Emotionalisierung durch Medien

Die Rezeption von Medien und Medienangeboten, von fiktionalen Geschichten und Unterhaltungssendungen ebenso wie von Nachrichten und Informationssendungen ist getragen von Stimmungen und Gefühlen. Emotionen spielen in der menschlichen Wahrnehmung generell eine entscheidende Rolle. Ob wir in einer Situation Vorsicht walten lassen sollten oder ob uns soeben etwas Unerwartetes widerfährt, das uns Angst bereitet, sagt uns untrüglich unser ‚Gefühl‘. Dieses ist zwar nicht in jeder Situation auch ein guter Ratgeber, aber Emotionen gehören zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen und sind sowohl phylo- als auch ontogenetisch vermittelt. Auf individueller Ebene geht es um die Verbindung von Wahrnehmungs- mit Verhaltensmustern mit auslösenden Motivationen. In evolutionsbiologischer Hinsicht lassen sich fünf Basisemotionen mit ihnen entsprechenden Verhaltensweisen anführen: Angst, Trauer, Wut, Ekel und Freude. Die kulturelle Form dieser Verhaltensweisen hingegen variiert und Emotionen sind in Kulturen deutlich unterschiedlich konnotiert. Trauer wird kollektiv, z.B. in der Gruppe erlebt oder abgeschieden vom Clan verarbeitet. Angst wird mit bestimmten Ritualen bewältigt oder ist in bestimmten Initiationsriten mit einem Tabu belegt. In westlichen Gesellschaften gehört es als eine Folge von Informalisierungsprozessen dazu, Emotionen je nach beruflichem Umfeld derart kontrollieren zu können, dass je nach Situation erst gar keine Emotionen gezeigt werden. Dieses, von Goffman (1971) als ‚dramaturgische Disziplin‘ bezeichnete Verhalten ist zivilisationstheoretisch von Elias umfassend aus der Entwicklung und Abfolge von Fremd- und Selbstzwängen hergeleitet worden. Nach Elias (1969) haben die „Menschen als Gesellschaften in ihrem Umgang mit der Natur von ihrem Ausgangspunkt, den primären, naiv-egoistischen und stärker affektgeladenen Denk- und Verhaltensformen [...] einen langen Weg zurückgelegt, den jeder Mensch als Individuum, abgekürzt, beim Heranwachsenden immer wieder zurücklegen muß“ (Elias 1987: 17).

Udo Göttlich
5.8. Jugendkulturen und Medien

Jugendkulturen und Medien sind heute allgegenwärtig und berühren sich auf vielerlei Ebenen. Zum einen bedienen sich Jugendkulturen des breiten Medienensembles und nutzen es für ihre Zwecke. Zum anderen sind Jugendkulturen auch auf die Medien angewiesen, denn erst die Medien machen sie greif- und auffindbar. Dabei werden Jugendkulturen zur Importware, werden kommerzialisiert und ihre globale Verbreitung beschleunigt sich. Der vorliegende Beitrag thematisiert die gängigsten jugendkulturellen Medien und ihre Funktionen, wobei Musik und Internet besondere Berücksichtigung finden sollen.

Friederike von Gross
5.9. Politik und Medien

Die Bezeichnungen reichen von Symbiose und Vetternwirtschaft bis zu Schmarotzertum und Hassliebe — zumindest in westlich-demokratischen Gesellschaften scheinen politisches System und Mediensystem unauflöslich miteinander verknüpft. Dabei genießen Massenmedien einen besonderen Schutz, wie er z.B. in Art.5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (und weiteren nachgeordneten Rechtsgütern) niedergelegt ist. Gleichzeitig bestehen Erwartungen der Gesellschaft an die Massenmedien, die sich nicht nur auf die Funktionen der Informations- und Wertevermittlung und Unterhaltung ihres Publikums beschränken: Auch zur Orientierung im Zeitgeschehen sollen sie beitragen, die gesellschaftliche Integration fördern und sogar eine politische Kontrollfunktion einnehmen (McQuail 2000: 71ff.), wie es die Metapher von der ‚Vierten Gewalt‘ ausdrückt.

Patrick Rössler
5.10. Gender und Medien

In der theoretischen Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen hat sich der Begriff Gender erst in den 1970er Jahren eingebürgert um mit dieser Bezeichnung auf die Konstruiertheit von Geschlecht zu verweisen. Vor allem feministische Forscherinnen problematisieren die Naturalisierung des Geschlechtsunterschiedes und damit auch all die Argumente, die von der ‚Natur der Frau‘ ausgehen und daraus gesellschaftliche Erwartungen hinsichtlich dessen ableiten, was eine Frau zu tun habe. Bereits 1949 weist Simone de Beauvoir auf die kulturelle Formung des Geschlechts hin, wenn sie davon spricht, dass die Frau „nicht als Frau geboren wird“ (Beauvoir 1968: 265), sondern „ein Zivilisationsprodukt ist“ (Beauvoir 1968: 675). Die Frau ist „das (...), wozu man sie gemacht hat“ (Beauvoir 1968: 676). Die Wurzeln dafür finden sich nach Beauvoir im westlichen Denken, in dem, beginnend mit der Antike, die Frau als das Andere des Mannes konzipiert wird. Der Mann steht für den Menschen schlechthin, während die Frau im Unterschied zum Mann definiert wird. Mann und Frau bilden eine binäre Opposition, das ist ein Begriffspaar, bei dem sich die beiden Pole bedingen, aber gegenseitig ausschließen. Die binäre Opposition Mann/Frau wird mit anderen Gegensatzpaaren wie stark/schwach, rational/emotional, aktiv/passiv, Kultur/Natur, Geist/Körper verknüpft und ergibt eine Bedeutungskette, bei der jeweils die Pole auf der einen Seite das Bedeutungsfeld ‚Mann‘ und die Pole auf der anderen Seite das Bedeutungsfeld ‚Frau‘ bilden. Gleichzeitig erscheinen die beiden Pole nicht als gleichwertig, die Seite mit „Mann, stark, rational, aktiv, Kultur“ nimmt die privilegiertere Position ein. Diese Bedeutungsfelder von Mann und Frau symbolisieren die Ungleichheit der beiden Geschlechter, die sich konkret in einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung niederschlägt: der Mann ist für den öffentlichen, die Frau für den privaten Bereich zuständig.

Brigitte Hipfl
5.11. Medien und Wirklichkeit

Keine technische Erfindung, keine wirtschaftliche oder politische Entwicklung hat die Gesellschaften des 20. Jahrhunderts so stark und so schnell verändert wie die Entwicklung des Mediensystems zum wichtigsten Teilsystem moderner Gesellschaften, die folgerichtig zum Begriff Mediengesellschaft geführt hat.

Klaus Merten

Praxisbezüge der Medienpädagogik

6.1. Medienbildung und Bildung im Kindergarten

Wenn wir über Medienbildung im Kindergarten etwas erfahren wollen, dann können unterschiedliche Quellen herangezogen werden. Da sind die medienpädagogischen Praxiserfahrungen, die gerade in den letzten Jahren auch in zahlreichen öffentlich geförderten Projekten beschrieben wurden. Daneben müssen auch die neu formulierten Bildungspläne für den Kindergarten sowie empirische Studien in den Blick kommen.

Norbert Neuß
6.2. Schule und digitale Medien

Sowohl die — mediendidaktisch motivierte — instrumentelle Nutzung als auch die — medienerzieherisch motivierte — inhaltliche Auseinandersetzung mit digitalen Medien ist inzwischen in vielen Lehrplänen und Curricula als eine wichtige Aufgabe von Schule festgehalten (Herzig 2002: 15ff.). Die Begründungen hierfür sind unterschiedlich. Hawkridge identifizierte vier populäre Begründungsmuster, die in vielen Fällen auch heute noch anzutreffen sind (1990: 1f.): Die gesellschaftliche Begründung (social rationale): Sie beruht auf der Annahme, dass Kinder und Jugendliche in der Schule auf eine Welt vorbereitet werden müssen, die zunehmend von neuen Medien durchdrungen wird. Im Sinne einer Kulturtechnik müssen auch in diesem Bereich eine entsprechende Medien-Bildung und Medien-Erziehung stattfinden.Die berufsbezogene Begründung (vocational rationale): Neben der gesellschaftlichen Bedeutung komme den digitalen Medien eine enorme Bedeutung im beruflichen Sektor zu. Die Veränderung der Gesellschaft hin zu einer Informations- oder Wissensgesellschaft, in der Wissen einen Produktionsfaktor darstellt, erfordere auch die Ausbildung der Heranwachsenden im Umgang mit grundlegenden Computeranwendungen.Die pädagogische Begründung (pedagogical rationale): In dieser Argumentationslinie wird auf die Möglichkeiten der Veränderung des Lernens, der Entwicklung einer neuen Lernkultur und der Verbesserung von Lernergebnissen hingewiesen.Die ‚katalytische ‘Begründung (catalytic rationale): Neue Medien, so wird im Kontext dieser Begründungsvariante argumentiert, haben auch Wirkungen auf die Veränderung von Institutionen und ihrer Mitglieder. In der Schule können digitale Medien eine katalytische Wirkung im Rahmen der Schulentwicklung entfalten. Veränderungen in der Unterrichtskultur sind damit ebenso angesprochen wie administrative Entwicklungen oder die Öffnung der Schule nach außen.

Bardo Herzig
6.3. Schule und traditionelle Medien

Die Frage nach dem Verhältnis von Schule und traditionellen Medien erscheint angesichts der rasanten Entwicklungen ‚neuer‘ Medien auf den ersten Blick überholt. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass Schule als mediale Konstruktion seit Jahrhunderten auf den Funktionen der ‚traditionellen‘ Medien basiert und dass diese auch in Zukunft ihre grundlegende Bedeutung für die Schule behalten werden.

Dieter Spanhel
6.4. Außerschulische Jugendmedienarbeit

Die Jugendarbeit versteht sich als genuiner Ort der außerschulischen Bildung. Als Pflichtaufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist die außerschulische Bildung in § 11 des Kinderund Jugendhilfegesetzes gesetzlich verankert. Jugendarbeit wird angeboten von freien Trägern der Jugendarbeit vor allem in Jugendverbänden und -gruppen und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie nimmt Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen wahr und sieht sich den Interessen und Anliegen von Jugendlichen verpflichtet. Ihr Ziel ist u.a. die Interessenvertretung der avisierten Zielgruppe, das Erproben von politischen Lern- und Handlungsmöglichkeiten, das Umsetzen einer demokratischen Selbstorganisation sowie selbst bestimmtes und eigenverantwortliches Handeln. Ebenso will die Jugendarbeit zur Entfaltung der Persönlichkeit beitragen.

Franz Josef Röll
6.5. Medien in der Erwachsenen- und Weiterbildung

Die Bemühung, Medien für die Bildung Erwachsener fruchtbar zu machen, weist in der Geschichte der Pädagogik eine lange Tradition auf. Der Diskurs über die Relevanz von Medien für die Erwachsenenbildung lässt sich unterscheiden nach Fragen, die sich auf die Bildungspotenziale der Medien konzentrieren sowie Fragen, die sich mit den Folgenabschätzungen über die Irritationen, die Medien in den Handlungsfeldern verursachen, befassen.

Dorothee M. Meister
6.6. Bürgermedien

Mit Aufkommen des privaten Rundfunks in Deutschland — Mitte der achtziger Jahre — entstanden Offene Kanäle, in denen Bürger und Bürgerinnen die Möglichkeit haben, in Bild und Ton an öffentlicher Kommunikation zu partizipieren. Ein Ziel der Offenen Kanäle besteht u.a. darin, denjenigen eine kommunikative Plattform zu bieten, die trotz des Booms an neuen Frequenzen absehbar kaum oder gar nicht in den professionellen Programmen zu Wort kommen würden. Eine Expertengruppe Offener Kanal der Bundeszentrale für politische Bildung formulierte schon 1979 für Offene Kanäle folgende Zielsetzungen: „Qualifizierung der lokalen Kommunikation“, „unterrepräsentierten Personen, Perspektiven und Bedürfnissen den Weg zur Teilhabe am öffentlichen Leben zu ebnen“ sowie die „kommunikative Kompetenz der Rezipienten gegenüber den Massenmedien bzw. öffentlicher Kommunikation zu stärken“ (BpB 1980: 30).

Hans Paukens
6.7. Kinder- und Jugendmedienschutz

In Deutschland existieren eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen des Kinder- und Jugendmedienschutzes nebeneinander. Dies hat zum einen historische Gründe: So wurden jeweils beim Auftreten eines neuen Verbreitungsweges neue Zuständigkeiten geschaffen. Zum anderen liegt es am System von zum Teil parallel tätigen Selbstkontrolleinrichtungen und staatlich eingerichteter Aufsicht. Sowohl bei der staatlich eingerichteten Aufsicht als auch bei den Selbstkontrolleinrichtungen gibt es unterschiedliche Formen und Ausprägungen. Mit der Jugendschutzreform, die im April 2003 zu einer Neuordnung des Systems geführt hat, wurden mehrere Zielrichtungen verfolgt, die sich auf die Tätigkeit der einzelnen Jugendschutzeinrichtungen auswirken.

Verena Weigand
6.8. Träger und Institutionen der Medienpädagogik

In diesem Beitrag wird der Begriff Medienpädagogik rein deskriptiv operationalisiert. Als medienpädagogische Institutionen werden somit die Institutionen gefasst, die sich selbst so definieren oder die von außen so gesehen werden.

Jürgen Lauffer

Berufliche und professionelle Aspekte der Medienpädagogik

7.1. Professionalisierung der Medienpädagogik

Zu den zentralen Ergebnissen der erziehungswissenschaftlichen Professionsforschung gehört der Nachweis einer deutlichen Expansion, einer fortschreitenden Ausdifferenzierung und Diversifikation von Handlungsfeldern sowie des Aufkommens neuer pädagogischer Berufsbilder (Combe/Helsper 2002). Das medienpädagogische Berufsfeld ist Teil dieser Entwicklung. Die gesellschaftliche Anerkennung medienpädagogischer Berufspraktiker ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Medienpädagogisches Handeln wird in der Öffentlichkeit zunehmend als nützlich und unverzichtbar angesehen. Als berufliche Aufgabe muss Medienpädagogik nicht mehr eigens begründet werden; vielmehr muss legitimiert werden, warum sie als solche nicht umgesetzt wird. Die Vermittlung von Medienkompetenz/Medienbildung wird von staatlicher wie wirtschaftlicher Seite gefordert und ist bei der Formulierung politischer Leitgedanken zur Zukunft von Bildung und Erziehung zur Selbstverständlichkeit geworden. Obwohl etwa festgestellt werden kann, dass sich die digitalen Medien als Motor für die Berufsfeldentwicklung der Medienpädagogik erweisen (Hugger 2006; Möller/Sander 2002), müssen erst noch spezielle Arbeitsmarktstatistiken und systematische Berufsfelduntersuchungen für Medienpädagogen entwickelt werden, bevor sich die ‚These eines Arbeitmarktes der Zukunft‘ (Züchner 2002), die für das Sozial-, Erziehungs- und Bildungswesen insgesamt gilt, auch für den beruflichen Teilbereich der Medienpädagogik in konkreten Zahlen niederschlagen kann.

Kai-Uwe Hugger
7.2. Berufsbild und Arbeitsmarkt für Medienpädagogen

Medienpädagogin/Medienpädagoge ist ein medial mitkonstituierter pädagogischer Beruf, d.h. seine Existenz ist ohne den direkten Bezug zur Medienentwicklung nicht vorstellbar. Hinzu kommt, dass über die beruflichen Fähigkeiten von Medienpädagogen meist erst dann diskutiert wird, wenn es mediale Anlässe dazu gibt: die Einführung des Computers auf dem Massenmarkt Anfang der 1980er Jahre — prophezeit wurde eine ‚neue Bildungskrise‘ (Haefner 1982) —, die verstärkte Einführung von Internet- und Multimedia-Anwendungen Mitte der 1990er Jahre oder sogar die Entwicklung des Kinofilms bzw. der ersten Lichtspielhäuser an der vorletzten Jahrhundertwende, bei der über eine neue pädagogische Haltung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gestritten und die bewahrpädagogische Richtung der Medienpädagogik mitbegründet wurde, mit Folgen für die berufliche Handlungsstruktur (Hugger 2001). Solche medialen Anlässe können schließlich auch (scheinbar) problematische Medienprodukte oder -inhalte sein, wie beispielsweise das Computerspiel Counterstrike, das immer wieder mit den Amoktaten von Jugendlichen in Erfurt (2002) und Emsdetten (2006) in Verbindung gebracht wird. Dennoch bedeutet der medial mitkonstituierte Charakter keineswegs, dass der Medienpädagoge von Beruf die Medienentwicklung beeinflussen könnte. Er ist eher ein ‚Secondmaker‘ (Baacke 1996). Baacke will mit diesem Begriff deutlich machen, dass die Medienpädagogik der Entwicklung chronisch hinterherläuft. Sie könne gar nicht anders, weil auch die Pädagogik insgesamt dem Leben ohnehin immer hinterherlaufe. Dies sei aber kein Grund zu verzagen oder Minderwertigkeitskomplexe zu haben, denn eingebunden in die gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozesse sind wir dann doch an deren Produktion beteiligt.

Kai-Uwe Hugger
7.3. Studium und Weiterbildung

Medienpädagogik als Beruf zu bestimmen ist mit dem Problem verbunden, zahlreiche Unschärfen im Hinblick auf die Tätigkeitsfelder von ‚Medienpädagog/innen‘, deren professionstheoretische Fundierung und ihre Bezeichnung vorzufinden. Allerdings lassen sich Kernmerkmale wenigstens grob identifizieren, auf deren Basis dann Ausbildungsmöglichkeiten in Form von Studium und Weiterbildung — das akademische Niveau wird hier also schon vorausgesetzt — und die disziplinäre Verortung der Medienpädagogik diskutiert werden können.

Sigrid Blömeke
7.4. Neue Aktionsfelder für Medienpädagogen: Wirtschaft und Verbände suchen Partnerschaften und Impulse für die Unternehmenskommunikation

Wo Pädagogik draufsteht, ist im Verständnis der meisten Menschen fast immer noch Schule drin. Und weil Schule in Deutschland leider kein großes Ansehen genießt, sich langsam bewegt und oftmals als umständlich wahrgenommen wird, gelten Pädagogen allgemein in unserer Gesellschaft als wenig innovativ, langsam und umständlich. Das gilt auch für Medienpädagogen, die eher außerhalb der Schule, in Einrichtungen der Kinderund Jugendförderung, in Bildungsstätten, Medienzentren und Bibliotheken tätig sind.

Eva-Maria Oehrens
7.5. Qualität in der Medienarbeit

Medienarbeit, oder synonym ‚Aktive Medienarbeit‘, ist der wesentliche methodische Baustein handlungsorientierter Medienpädagogik und verfolgt die Zielsetzung des Medienkompetenzerwerbs (Schell, 1999; Baacke, 1999).

Roland Bader
7.6. Projektorientierung

Die Förderung von Medienkompetenz im Sinne der von Baacke (1999) formulierten Dimensionen zielt auf das Medienhandeln der gesellschaftlichen Subjekte. Souveränes Medienhandeln, das die kritische Rezeption von informativen, unterhaltenden und orientierenden Medieninhalten, den kommunikativen und kreativen Gebrauch der Medien und ihre aktive Gestaltung und Nutzung zur gesellschaftlichen Partizipation umfasst, kennzeichnet den medienkompetenten Menschen (Schorb 2005). Eine Medienpädagogik, deren Bemühungen auf Medienhandeln im genannten Sinne gerichtet ist, muss ihre methodischen Vermittlungsprinzipien daran orientieren. Handlungsorientierte praktische Medienpädagogik organisiert entsprechend Lernräume, in denen Heranwachsende selbstbestimmt und aktiv mit Medien umgehen und dabei Medienkompetenz entwickeln und entfalten können. Als wichtigste Methode hat sich hier die aktive Medienarbeit etabliert, die grundsätzlich projektorientiert organisiert ist. Das Projekt gilt in der (Medien)Pädagogik als methodisches Prinzip, das selbstbestimmtes und handelndes Lernen ermöglicht. Projekt und Projektorientierung werden im Folgenden näher beschrieben.

Fred Schell
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Medienpädagogik
herausgegeben von
Uwe Sander
Friederike von Gross
Kai-Uwe Hugger
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91158-8
Print ISBN
978-3-531-15016-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91158-8