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1995 | Buch | 2. Auflage

Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland

herausgegeben von: Dr. Uwe Andersen, Dr. Wichard Woyke

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Abgeordneter

Abgeordnete sind die nach den Vorschriften der Verfassung von den Bürgern gewählten Mitglieder eines Parlaments. Von den Deputierten der Ständeversammlungen unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nicht den Interessen eines Standes oder einer Region, sondern dem Wohle des ganzen Volkes verpflichtet und keinen Weisungen unterworfen sind. Bindungsfreiheit und Weisungsunabhängigkeit sind wesentliche Merkmale des Abgeordnetenmandats. Die Legitimation der Abgeordneten wird durch demokratische Wahlen herbeigeführt. Dem jeweiligen → Wahlsystem kommt dabei ein starker Einfluß auf diesen Legitimationsvorgang und dadurch auf die Stellung des Abgeordneten zu. Während das Verhältniswahlrecht die Abgeordneten über die Kandidatenlisten stark an die → Parteien bindet, stellt das Mehrheitswahlrecht eher die Person des einzelnen Abgeordneten in den Mittelpunkt des Wahlvorgangs. Dennoch ist der Abgeordnete nicht Vertreter eines Wahlbezirkes, sondern Repräsentant der gesamten staatsbürgerlichen Gesellschaft.

Paul Kevenhörster
Ämterpatronage

Ämterpatronage ist ein Begriff der politischen Umgangssprache, meist moralisch abwertend benutzt, und auch der politischen Soziologie. Er bezeichnet die Vergabe von beruflichen und politischen Positionen durch Entscheidungsträger an ihnen genehme Personen. Ämterpatronage ist ein zentrales und in der Öffentlichkeit umstrittenes Herrschaftsinstrument. Zwei mögliche Funktionen der Ämterpatronage lassen sich unterscheiden (vgl. Machura 1993).

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Äußere Sicherheit/Verteidigung

Die äußere Sicherheit der BRD wurde durch die Bündnispolitik, vor allem NATO und WEU, aber auch durch die Mitgliedschaft in der UNO sowie den Europäischen Gemeinschaften gewährleistet. Die äußere Sicherheit der BRD wurde insbesondere während des Ost-West-Konflikts als Sicherheit vor den Staaten des Warschauer Pakts verstanden. Die Bürger der BRD, an der Nahtstelle beider antagonistischer Systeme gelegen, perzipierten mehrheitlich eine Bedrohung durch die Sowjetunion und die Warschauer Pakt-Staaten. Umgekehrt war die DDR in das östliche Bündnissystem des Warschauer Pakts und des RGW integriert und befand sich ebenfalls an der Nahtstelle zum antagonistischen System, so daß äußere Sicherheit für die DDR als Sicherheit vor den „imperialistischen NATO-Staaten“ verstanden wurde.

Wichard Woyke
Arbeitslosigkeit (Politische Folgen)

Sieht man von den Reaktionen der politischen Entscheidungsträger ab (→ Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik), können mit Blick auf die politischen Folgen von Arbeitslosigkeit grundsätzlich zwei zentrale Fragestellungen unterschieden werden: 1.Inwieweit führt Arbeitslosigkeit bei den direkt Betroffenen und/oder Dritten zur Entfremdung vom jeweiligen politischen System und/oder zu extremistischen Einstellungen bzw. Verhaltensweisen?2.Inwieweit verfügen Arbeitslose über die Fähigkeit, ihre Interessen wirksam zu vertreten?

Andreas Gallas
Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik

Arbeitsmarktpolitik im weiteren Sinne — meist deckungsgleich mit „Beschäftigungspolitik“ verwendet — bezeichnet die institutionellen, prozessualen und entscheidungsinhaltlichen Aspekte globaler politischer Steuerung des Arbeitsangebotes und der Arbeitsnachfrage. Im enger definierten Sinne ist Arbeitsmarktpolitik hingegen der Fachausdruck für die selektive — nach Gruppen, Sachbezügen, Raum und Zeit differenzierende — Politik der Arbeitsmarktförderung, insbesondere im Sinne der im Arbeitsförderungsgesetz von 1969 genannten Ziele und Maßnahmen.

Manfred G. Schmidt
Ausländer und Asyl

Wie andere europäische Verfassungen gewährleistet das → Grundgesetz Asylrecht für politisch Verfolgte. Den Verfassungsvätern und -müttem waren 1948/49 die Erfahrungen der deutschen Verfolgten des Nationalsozialismus sehr gegenwärtig. 800.000 von ihnen hatten im Ausland Zuflucht gefunden, viele andere aber waren von den Nachbarstaaten zurückgewiesen worden, oft mit der Begründung, sie seien Wirtschaftsflüchtlinge. Deshalb wurde bewußt eine Formulierung gewählt, die „generös“ sein sollte, wie der Verfassungsvater C. Schmid es ausdrückte: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16 II 2). In den folgenden Jahrzehnten nahm die BRD großzügig deutsche und ausländische Flüchtlinge aus dem kommunistischen Machtbereich auf — u.a. Ungarn nach dem Aufstand von 1956, Tschechoslowaken nach dem „Prager Frühling“ 1968 und Polen nach der Verhängung des Kriegszustandes 1981.

Dietrich Thränhardt
Auslandsdeutsche

Auslandsdeutsche können nach drei unterschiedlichen Kriterien definiert werden. Als Auslandsdeutsche werden erstens die deutschen Staatsbürger verstanden, die dauerhaft im Ausland leben. Zweitens zählt man zu ihnen die größere Zahl der Deutschsprachigen, die sich auch im Ausland der deutschen Sprache und Kultur verbunden fühlen. Drittens werden auch Auslandsdeutsche als Deutschstämmige bezeichnet, deren Vorfahren einmal aus D ausgewandert sind.

Wilhelm Bleek
Ausschüsse

Sozialwissenschaftlich ist unter einem Ausschuß ein Gremium mit festem Mitgliederkreis zu verstehen, das von einer oder mehreren Institutionen zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bestellt wird. Der engere parlamentsrechtliche Ausschußbegriff umfaßt nur solche Kollegien, die zur Wahrnehmung von Parlamentsfunktionen unter Beteiligung aller Fraktionen allein aus Abgeordneten gebildet werden.

Jürgen Plöhn
Außenpolitik

Die Außenpolitik D.s resultiert aus der Einwirkung der internationalen Politik und der eigenen Gesellschaft auf das nationale politische System. Die Außenpolitik D.s wird bestimmt durch a)die normativen Vorgaben des Grundgesetzes (Wahrung des Friedens; Verbot eines Angriffskrieges; Bereitschaft zu offenem, kooperativen Internationalismus);b)die Einbindung in die westeuropäische Integration;c)die Einbindung in das transatlantische Sicherheitssystem mit den USA als Führungsmacht;d)die Notwendigkeit guter Ostverbindungen aufgrund der zentralen Mittellage in Europa;e)seine außenwirtschaftliche Verflechtung, die Integration in den Weltmarkt;f)seine hohe Rohstoff- und Exportabhängigkeit undg)schließlich seine Geschichte, insbesondere die nach wie vor bestehende Verantwortung für die Untaten des NS-Regimes.

Wichard Woyke
Bauernverband

Im Gegensatz zur Weimarer Republik mit ihren konkurrierenden agrarischen Interessenverbänden werden die Interessen der Landwirtschaft in D organisatorisch von einem Verband vertreten: dem Deutschen Bauernverband (DBV). Der DBV wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Einheitsverband gegründet und kennt als Dachbzw. Spitzenverband keine individuelle Mitgliedschaft. Ordentliche Mitglieder sind die Landesbauernverbände (inzwischen auch aus den neuen Bundesländern), der Bund der Deutschen Landjugend, der Deutsche Raiffeisenverband und der Bundesverband landwirtschaftlicher Fachschulabsolventen. Erheblich größer ist die Zahl der assoziierten Mitglieder; das Spektrum reicht von der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzer-verbände, dem Bund Deutscher Baumschulen, dem Bundesverband der Maschinenringe, der privaten Milchwirtschaft, dem Deutschen Weinbauernverband bis hin zum Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. Insgesamt arbeiteten Ende der 80er Jahre rund 40 Fachverbände im DBV mit, wobei ihr Einfluß auf die Verbandspolitik nicht allzu hoch einzuschätzen ist; sie bereiten allerdings die Entscheidungen der Spitzenorgane vor.

Rolf G. Heinze
Bevölkerung

In den letzten 50 Jahren haben in Deutschland gravierende Bevölkerungsumschichtungen stattgefunden. Durch die Nationalsozialisten wurden eine halbe Million deutsche Juden vertrieben oder vernichtet. 1940 begann im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts die Umsiedlung Volksdeutscher aus dem Baltikum, andere Gruppen folgten. Mit den zurückweichenden Fronten flüchteten Volksdeutsche gegen Ende des Krieges, 1945 floh etwa die Hälfte der 9,5 Mio. Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Ostbrandenburg. 3,5 Mio. wurden nach den Vereinbarungen im Potsdamer Abkommen in den folgenden Jahren ausgesiedelt. Hinzu kamen die Deutschen aus der Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn und Polen. Für das zerstörte Restdeutschland war diese zusätzliche Bevölkerung von 15 Mio., meist fast ohne jede Habe, zunächst eine große Bürde. Nur mit Mühe gelang es, sie unterzubringen und zu ernähren. Auswanderungsprogramme brachten eine gewisse Entlastung. Schon in den ersten Nachkriegsjahren floh zudem eine Mio. Menschen aus der Sowjetzone in die Westzonen. Deswegen wurden in den ersten Jahren der BRD Kontrollregelungen geschaffen, die einen weiteren Zustrom aus Ostdeutschland verhindern sollten.

Dietrich Thränhardt
Bildungspolitik/Bildungswesen

Schon in der frühen Nachkriegszeit fielen in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands und in der sowjetischen Besatzungszone entgegengesetzte Entscheidungen über die politischen Grundlagen und die Struktur des Bildungswesens. Während sich in den 1946 im Westen gebildeten Ländern — in Anknüpfung an die Verhältnisse im Deutschen Reich vor 1933 und als Reaktion auf den nationalsozialistischen Einheitsstaat — die föderalistische Ordnung etablierte und aus dem Bonner → Grundgesetz (1949) die „Kulturhoheit der Länder“ abgeleitet wurde, erhielt in der SBZ schon 1945 die „Deutsche Verwaltung für Volksbildung“ (das spätere Ministerium für Volksbildung der DDR) das Weisungsrecht gegenüber den noch bis 1952 bestehenden Länderverwaltungen. Der zentralistische Charakter der Bildungspolitik wurde in der Folgezeit weiter verstärkt: erstens durch den seit 1948/49 offen proklamierten und alsbald auch praktisch durchgesetzten Monopolanspruch der aus der Sowjetunion übernommenen marxistisch-leninistischen Parteiideologie in allen Fragen von Bildung, Erziehung und Wissenschaft und zweitens durch die enge Verknüpfung der Bildungspolitik mit der zentralen staatlichen Wirtschaftsplanung und -lenkung. Der weltanschauliche und interessengebundene Pluralismus im westdeutschen Bitdungs- und Wissenschaftsbereich kontrastierte seit den 50er Jahren scharf zu dem ideologischen Monismus und dem Jugenderziehung, Schule und Ausbildung umfassenden Totalitätsanspruch der SED (→ PDS-SED).

Oskar Anweiler
Bündnis 90/Die Grünen

Ungeachtet der These vom Einfrieren des westeuropäischen Parteiensystems (Lipset/Rokkan) ist mit den Grünen eine Partei auf der politischen Bühne erschienen, die sich nicht mehr durch Ausdifferenzierung bzw. Reaktionsbildung innerhalb der alten soziopolitischen Konfliktlinien (Cleavages) erklären läßt, deren gesellschaftliche Verankerung und Stabilität dennoch praktisch und theoretisch noch ungesichert ist. Die Partei konnte bis dahin marginalen Themen während der 80er Jahre eine breite Resonanz verschaffen und hat mit ihrer Verbindung unkonventioneller und konventioneller Formen einen neuen Politikstil eingeführt, dessen Ausstrahlung allerdings deutlich begrenzter ist als ihre thematischen Innovationen.

Joachim Raschke, Christoph Hohlfeld
Bürgerinitiativen

Der Begriff Bürgerinitiative kann wohl ob seiner plastischen Aussagekraft als eine besonders gelungene Hervorbringung der jüngeren politischen Semantik gelten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Wortbestandteil „initiativ“ nicht nur beschreibend, sondern durchaus auch normativ gemeint ist: Es wird als demokratiepolitisch erwünscht vorausgesetzt, daß der Bürger die Initiative ergreift. In der Praxis allerdings waren — seit Bürgerinitiativen dem Begriff wie der Sache nach, in den späten 60er Jahren in der Nachfolge der Wählerinitiativen und gelegentlich auch gestützt auf amerikanische Vorbilder in der BRD aufkamen und in den 70er Jahren rasche Verbreitung fanden — viele „Initiativen“ genauer besehen eher „Reaktiven“; d.h. sie reagierten auf öffentliche Planungen, auf (kommunal-) politische Handlungen oder Unterlassungen. Mehr als auf spezifische Inhalte hebt der Begriff auf das Moment des unmittelbaren Tätigwerdens des Bürgers ab, der sich mit seinem konkreten Anliegen unmittelbar zu Wort meldet und sich nicht mehr von Parteien und Verbänden vertreten läßt.

Bernd Guggenberger
Bundesanstalt für Arbeit (BA)

Die BA ist die Behörde der Arbeitsverwaltung. Sie wurde 1952 — zunächst und bis 1969 unter dem Namen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung — nach dem Vorbild der ehemaligen Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung errichtet. Die BA ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Ihre Organe — Vorstand, Verwaltungsrat, Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter und Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter — setzen sich drittelparitätisch aus Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften (Bund, Länder und Kommunen) zusammen. Vorschlagsberechtigt für die Vertreter der Arbeitgeber sind die Arbeitgeberverbände, für die der Arbeitnehmer die Gewerkschaften und für die Repräsentanten der öffentlichen Körperschaften je nach Organ die Bundesregierung, der Bundesrat, die Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und die obersten Landesbehörden. Berufen werden die Mitglieder des Verwaltungsrates und des Vorstandes vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, die Mitglieder der Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter vom Vorstand und die Mitglieder der Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter vom Verwaltungsausschuß des zuständigen Landesarbeitsamtes. Präsident und Vizepräsident der BA sowie Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesarbeitsämter werden nach Anhörung des Verwaltungsrates auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt.

Manfred G. Schmidt
Bundeskanzler

Die geistige und institutionelle Konzeption des Grundgesetzes ist stark von der Reflexion auf die Defekte und Versäumnisse der Vergangenheit geprägt. Das Bonner Grundgesetz trägt unübersehbar Züge einer „Anti-Verfassung“ (F.K. Fromme) sowohl gegenüber der Weimarer Republik als auch gegenüber der NS-Diktatur. Beide Negativerfahrungen einer gerade überwundenen Vergangenheit wirken nach, und wider beide Gefährdungen wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Vorsorge treffen. Und so standen an der Wiege des Bonner Grundgesetzes zwei Arten von Besorgnis Pate: zum einen die Angst um den Staat, um seine institutionelle Stabilität und Funktionsfähigkeit, und zum anderen die Angst vor seiner rechtlich und institutionell nicht gebändigten und kontrollierten totalitären Allmacht.

Bernd Guggenberger
Bundesländer

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, heißt es in Art. 20 GG. Damit ist eine Bestandsgarantie des Föderalismus gegeben, allerdings keine Bestandsgarantie über die Anzahl und die Größe der Länder.

Wichard Woyke
Bundespräsident

Die Rolle des Staatsoberhauptes hängt wesentlich von der Struktur des Regierungssystems ab. In parlamentarischen Monarchien (wie in Großbritannien) ist es der durch Erbfolge ins Amt gelangte Monarch, dem eine integrative und — aufgrund der Parlamentarisierung der Monarchie — überwiegend repräsentative Funktion zukommt. In parlamentarischen Republiken wird das Staatsoberhaupt auf Zeit gewählt — sei es indirekt durch ein Wahlgremium (z.B. in Italien), sei es direkt durch das Volk (z.B. in Österreich). In präsidentiellen Systemen wie den Vereinigten Staaten vereinigt der mächtige Präsident die Funktionen des Regierungschefs und des Staatsoberhaupts. Hingegen zeichnen sich semi-präsidentielle Regierungssysteme durch eine zweipolige Exekutive aus (wie in Frankreich): Dem meist einflußreicheren Staatspräsidenten steht der Ministerpräsident gegenüber. Konflikte sind jedenfalls unter einer Konstellation der cohabitation programmiert. In Diktaturen kann der Diktator entweder zugleich auch das Staatsoberhaupt sein oder neben sich ein formelles Staatsoberhaupt dulden. D ist der Musterfall einer parlamentarischen Demokratie. Der → Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, der Bundespräsident (Bpr.) ist als Staatsoberhaupt nicht annähernd so einflußreich. Seine Bedeutung unterscheidet sich fundamental von der des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik, der in manchem als eine Art „Ersatzkaiser“ figurierte, den Oberbefehl über die Wehrmacht besaß, über ein Notverordnungsrecht verfügte, das Parlament auflösen und den Reichskanzler entlassen konnte.

Eckhard Jesse
Bundesrat

Ein Kennzeichen und Essential des → Bundesstaates ist neben der doppelten, aber begrenzten Souveränität von Zentralstaat und Gliedstaaten, der Aufgabenteilung und Aufgabenverflechtung zwischen beiden staatlichen Ebenen, den originären Kompetenzen und der Finanzhoheit der Gliedstaaten deren institutionalisierte Mitwirkung bei der Politikgestaltung des Zentralstaates. Dies kann nach zwei Modellen geschehen: dem Bundesratsmodell oder dem Senatsmodell. Der Parlamentarische Rat hat sich 1949 nach kontroversen Diskussionen prinzipiell für das Bundesratsmodell im föderativen System der BRD entschieden.

Heinz Laufer
Bundesregierung

Die Bundesregierung D. hat das Gesamtinteresse D.s nach innen und außen zu vertreten, sie ist das zentrale Exekutiv- und Koordinierungsorgan des Landes. Größe und Reichweite ihrer Aufgaben haben über die Jahrzehnte immer mehr zugenommen, einschließlich der Führung und Kontrolle des großen und verzweigten Verwaltungsapparates des Bundes, der Verwaltung der umfangreichen Finanzmittel und ihres Einsatzes im Sinne politischer Konzeptionen, sowohl was die Sicherung des Bestehenden wie was die Planung und Durchführung von Veränderungen betrifft. Reichweite und Größenordnung dieser Aufgaben führen zu einer Konzentration der Entscheidungen bei der Regierung und so zu einem Ungleichgewicht der verschiedenen Gewalten, so daß nach neuen Kontrollinstrumenten auch innerhalb des bürokratischen Apparates Ausschau gehalten wurde, u.a. von Datenschutzbeauftragten (→ Datenschutz).

Dietrich Thränhardt
Bundesrepublik Deutschland — Geschichte und Perspektiven

Die Entstehung der BRD ist geprägt von der politisch-moralischen und militärisch-materiellen Katastrophe des „Dritten Reiches“ und der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Kommunismus. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bestand auf der Ebene der Besatzungsmächte und der deutschen Politik ein antifaschistischer Konsens unter Einschluß der Kommunisten. Dem Einheitsdenken der unmittelbaren Nachkriegszeit entstammen wesentliche Strukturprinzipien der Parteien- und Verbändelandschaft wie die Einheitsgewerkschaft, der einheitliche Bauernverband, die überkonfessionelle → CDU und → CSU, die Öffnung der → SPD gegenüber neuen Schichten und die Vereinigung der nationallibera-len und linksliberalen Traditionslinien in der → FDP.

Dietrich Thränhardt
Bundesstaat/Föderalismus

Bundesstaat (Bs) steht begrifflich zwischen den Polen Staatenbund und Einheitstaat. Er versucht das Spannungsverhältnis von Vielfalt und Einheit dadurch produktiv zu bewältigen, daß die staatlichen Funktionen territorial aufgegliedert werden auf zwei selbständige politische Träger, die Gliedstaaten und den Zentralstaat (in D Länder und Bund). Wie die historische Realität zeigt, deckt der Bs-Begriff eine erhebliche Bandbreite unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten mit stärkerer Orientierung an einem der beiden Pole (konföderaler bzw. unitarischer Bs). Der bundesstaatliche Gehalt eines konkreten politischen Systems kann nie allein aus den normativen Vorgaben (Verfassung) abgeleitet werden, sondern hängt ab von der faktischen Unterfütterung durch die Entwicklungen insbesondere in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die die Dynamik des Bs als eines schwierigen Balanceaktes prägen. Eine Position betrachtet den Bs ohnehin nur als Zwischenstation auf dem Wege zum Einheitsstaat, wobei die bisherigen internationalen Erfahrungen allerdings nicht für die Zwangsläufigkeit einer solchen „Einbahnstraße“ sprechen.

Uwe Andersen
Bundestag

Seitdem am 3.10.1990 144 noch von der Volkskammer gewählte Abgeordnete in den Deutschen Bundestag eingetreten sind, repräsentiert dieser das ganze deutsche Volk. Zuvor schon waren durch die freie Wahl der Volkskammer am 18.3.1990 „Volksdemokratie“ und „sozialistische“ Vertretungskörperschaften historisch erledigt worden. D hatte insgesamt endlich Anschluß an den demokratischen Parlamentarismus gefunden und ihn am 2.12.1990 mit der gemeinsamen Wahl aller Abgeordneten zum 12. Bundestag vollendet.

Heinrich Oberreuter
Bundesverfassungsgericht

Rechtsgrundlage des BVerfG, das als letztes der obersten Verfassungsorgane des Bundes erst zwei Jahre nach Gründung der BRD am 7.9.1951 seine Tätigkeit aufnehmen konnte, sind das → GG und — abweichend von der Regelung für die anderen obersten Verfassungsorgane — ein Gesetz, das BVerfGG vom 12.3.1951 in der Neufassung vom 11.8.1993.

Werner Billing
Bundeswehr/Wehrbeauftragter

Die Unterzeichnung der Pariser Verträge 1954 durch die → Bundesregierung legte den Grundstein für den Aufbau deutscher Streitkräfte. In Art.87a GG heißt es: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben“. Somit wird der Auftrag der Bundeswehr eindeutig durch die Verfassung festgelegt und sichert dem Parlament ein wichtiges Mitspracherecht hinsichtlich der Zahl, der Organisation und der Struktur der Streitkräfte. Das GG beschränkt die Aufgabe der Streitkräfte auf die Verteidigung. So war und ist es die Aufgabe der Bundeswehr, die Unversehrtheit des Territoriums sowie die Freiheit der Eigententwicklung des politischen Systems zu gewährleisten. Ein Angriffskrieg ist verboten.

Wichard Woyke
CDU — Christlich Demokratische Union Deutschlands

Die CDU versteht sich gegenwärtig als interkonfessionelle, klassenübergreifende Partei, ja, sie wird geradezu als „Prototyp einer Volkspartei“ (P. Haungs 1992) beschrieben. Eine ihrer Wurzeln liegt aber im politischen Katholizismus des vorigen Jhs. In den Auseinandersetzungen mit den Ideen der Aufklärung, den Prozessen der Nationenbildung und der (allmählichen) Demokratisierung sind im Laufe der Zeit verschiedene katholische Zirkel und Fraktionen entstanden, die sich im Jahr 1870 zur Zentrumspartei vereinigt haben. Der „Kulturkampf“, den Bismarck geführt hatte, verstärkte das sozialmoralische Milieu und die davon ausgehende politische Bewegung. Sie umfaßte neben der Partei auch christliche → Gewerkschaften sowie ein breites Spektrum sozialer und religiöser Vereinigungen. Gleichwohl war das Zentrum keine klerikale Partei, sondern schon im Kaiserreich bemüht, aus dem „Turm“ von ca. 20% Wähleranteil auszubrechen und eine Integration breiter sozialer Schichten zu betreiben. Wichtige ideologische Impulse haben dabei die katholische Soziallehre und v.a. das darin begründete Subsidiaritätsprinzip geliefert (G. Rüther 1984).

Josef Schmid
CSU — Christlich Soziale Union

Historische Tradition und aktuelle Situation führten nach 1945 erneut zu einer bayerischen Sonderenwicklung im neu entstehenden westdeutschen Parteiensystem und zu einer gesonderten parlamentarischen Repräsentanz Bayerns im Deutschen → Bundestag. Die CSU schloß auf der Parteiebene mit der → CDU in den Jahren 1947 bis 1949 lediglich eine lockere Arbeitsgemeinschaft und in den Vertretungs-körperschaften des entstehenden westdeutschen Teilstaates nur eine Fraktionsgemeinschaft. Als die CDU 1950 ihre Bundesorganisation gründete, war in der CSU die Aufrechterhaltung der Parteiautonomie bereits zur Selbstverständlichkeit geworden. Die bayerischen Raison d‘etre, das innerbayerische Ringen um den „richtigen“ bayerischen Kurs in der Nachkriegspolitik, führte 1949 im Deutschen Bundestag lediglich zu einer Fraktionsgemeinschaft der CSU-Landesgruppe mit der CDU, allerdings in einer neuartigen und effektiven Organisation.

Alf Mintzel
Datenschutz

Datenschutz regelt, wie unter den Bedingungen einer computerisierten Gesellschaft Konflikte zwischen Interessen an der Zugänglichkeit und der Geheimhaltung von Informationen ausgeglichen werden können. Mit Datenschutzregelungen werden die Bedingungen festgelegt, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten mit Informationstechnik für den Bürger akzeptabel und mit der demokratischen Struktur der Gesellschaft vereinbar ist.

Rudolf Wilhelm
DDR — Geschichte

Am 7.10.1949 konstituierte sich nach der BRD der zweite deutsche Staat durch die Inkraftsetzung der „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“. Name sowie erste Verfassung der DDR gingen auf einen Verfassungsentwurf der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED → PDS-SED) vom 14. 11. 1946 zurück, der 1948/49 den Verfassungsberatungen im Rahmen der Volkskongreßbewegung zugrunde lag. Der Name des neuen Staates war ein deutschland- und innenpolitisches Programm. In demokratietheoretischer und staatsorganisatorischer Hinsicht wurden die ostdeutschen Verfassungsdiskussionen von einer radikaldemokratischen und -parlamentarischen Interpretation der Maxime der Demokratie geprägt. Unter Ablehnung aller Konzeptionen von horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung wurde unter Demokratie die uneingeschränkte Ausübung der Volkssouveränität durch die vom Volk nach dem Verhältniswahlrecht gewählte Volkskammer verstanden. Die volle Verwirklichung der Demokratie setzte außerdem nach Ansicht der sowjetischen Besatzungsmacht, die damals von allen ostdeutschen Parteien geteilt wurde, die Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des Faschismus voraus. Entsprechend wurde 1945/46 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) eine rigorose Entnazifizierung in Justiz, Verwaltung und Erziehungswesen durchgeführt, durch die Bodenreform der agrarische Großgrundbesitz von „Junkern, Kriegsverbrechern und aktiven Nazis“ an Neubauern verteilt und das Industrievermögen von „Militaristen und Imperialisten“ enteignet. Die SED und die Sowjetische Militäradministration (SMAD) beriefen sich bei diesen Maßnahmen auf die von den drei Siegermächten während der Potsdamer Konferenz im August 1945 für alle Besatzungszonen beschlossenen politischen und wirtschaftlichen Grundsätze. Ihre Politik richtete sich verbal und zunächst auch real auf Gesamtdeutschland. Die Sowjetunion erhoffte sich davon größere Zugriffsmöglichkeiten auf das deutsche Wirtschaftspotential (Reparationsfrage). Die SED strebte als sozialistische Massenpartei aus Kommunisten und Sozialdemokraten (Vereinigungsparteitag von SPD und KPD am 21./22.4.1946 in Berlin) die politische Führungsstellung in Deutschland an und formulierte zu diesem Zweck ihr Gründungsprogramm eines demokratischen und nichtrevolutionären „besonderen deutschen Weges zum Sozialismus“. (A. Ackermann).

Wilhelm Bleek
Demokratie in Deutschland

Die BRD ist nach der politisch-moralischen und militärisch-materiellen Katastrophe des „Dritten Reiches“ und in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Kommunismus entstanden. Antitotalitäre Übereinstimmung prägt ihre innere und äußere Verfassung ebenso wie ihre Strukturen und Mentalitäten.

Dietrich Thränhardt
Demonstration

‚Demonstration‘ bezeichnet eine Handlung, die einen Sachverhalt beweist oder auf ihn hinweist. Im politischen Sprachgebrauch werden als Demonstrationen insbesondere öffentliche Versammlungen verstanden, die, meist unter freiem Himmel, als Aufzüge oder Kundgebungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu wecken und/oder ihre Unterstützung für bestimmte Forderungen unter Beweis zu stellen oder zu erreichen suchen. Im Gegensatz zu staatlich gelenkten Demonstrationen, die z.B. als Massenaufmarsch die Unterstützung für ein politisches System symbolisieren oder als Militärparade dessen Schlagkraft vor Augen führen sollen, ist die Demonstration in pluralistischen Demokratien eher eine oppositionelle Ausdrucksform, ein Ventil und Mittel zur Einflußnahme für diejenigen, die mit Handlungen und Leistungen des politischen Systems oder dem System insgesamt unzufrieden sind und Veränderungen oder Reformen einfordern.

Wilhelm Beckord
Deutsche Bundesbank

Der Verfassungsauftrag des Artikel 88 GG — „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank“ — ist erst 1957 im Bundesbankgesetz umgesetzt worden. Die Deutsche Bundesbank (Bb) löste das nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Siegermächten nach dem Vorbild des US Federal Reserve System begründete, noch stärker föderalistisch akzentuierte zweistufige Zentralbanksystem aus der Bank deutscher Länder und rechtlich unabhängigen Landeszentralbanken ab, indem beide Elemente in ihr verschmolzen wurden. Die Bb ist in Form einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts Teil der Exekutive mit Sitz in Frankfurt/M., dem Bankenzentrum D.s.

Uwe Andersen
Deutschland (vor 1945)

Das Bild vom deutschen Nationalstaat ist geprägt von der historischen Erinnerung an das Deutsche Reich, seiner verspäteten Gründung 1871 durch eine „Revolution von oben“, seinem Aufstieg zu einer industriellen Großmacht, seinem Ausgreifen zur Weltpolitik und schließlich seiner Aggressions- und Vernichtungspolitik durch die nationalsozialistische Diktatur. Zu dem ambivalenten Bild vom „ruhelosen Reich“ (M. Stürmer) und seinen Katastrophen von 1933 und 1945 gehören aber auch die Entfaltung einer modernen Industriewirtschaft und -gesellschaft, die nationale Integration einer heterogenen und mobilen Gesellschaft in einen Rechts- und Verwaltungsstaat, die Ausbildung des sozialen Interventions- und Wohlfahrtsstaats und die Ansätze einer parlamentarischen wie sozialen Demokratie, die trotz ihres Scheiterns 1933 die Grundlagen für die Wiederbegründung der zweiten deutschen Demokratie nach 1945 bildeten.

Hans-Ulrich Thamer
Deutschland und die UNO

Bedingt durch den Deutschlandkonflikt waren weder die BRD noch die DDR Mitglied in der UNO. Die BRD versuchte die UNO für ihre politischen Ziele — zunächst → Wiedervereinigung, dann Verhinderung der Anerkennung der → DDR — ebenso zu instrumentalisieren wie die DDR, die mit Hilfe der UNO gerade die internationale Anerkennung erreichen wollte. Erst nach Abschluß der ersten erfolgreichen Periode der Ost- und Entspannungspolitik traten die BRD und die DDR 1973 in die Vereinten Nationen ein und wurden vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Weltorganisation. Die BRD war bereits in den 50er und 60er Jahren Mitglied einiger Sonderorganisationen geworden wie z.B. der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltkulturorganisation (UNESCO), so daß man von einer Quasi-Vollmitgliedschaft der BRD sprechen konnte. Der DDR dagegen gelang es erst 1972, Mitglied einer UNO-Sonderorganisation (UNESCO) zu werden.

Wichard Woyke
Deutschlandforschung

Die mit einem Staat, einer Nation oder einer Kulturregion befaßten Studien im Sinne einer umfassenden „Landeskunde“ haben schon im 18. und 19. Jh. eine Rolle gespielt (z.B. über Rußland, das Osmanische Reich oder die Vereinigten Staaten von Amerika). Die Bezeichnung „Deutschlandforschung“, wie sie gegenwärtig verwendet wird, ist jedoch nur auf dem Hintergrund der deutschen Teilung nach 1945 verständlich. Als Sammelbegriff für die auf die SBZ/DDR, den Vergleich der beiden Staaten in D, die Deutschlandpolitik und schließlich nach 1990 auf die deutsche Vereinigung bezogenen Untersuchungen bezeichnet Deutschlandforschung ein multidisziplinäres Feld, auf dem die jeweiligen Fachwissenschaften das ihnen zugeordnete Sachgebiet, z.B. das politische System, die Rechtsordnung oder das → Bildungswesen, behandeln. Angestrebt wird zugleich eine umfassende, die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche integrierende Betrachtung im Sinne der klassischen area studies oder neuerer system- oder kulturvergleichender Konzepte. Deutschlandforschung gehört zu dem Typus der „Integrationswissenschaften“, in der je nach Fragestellung und Gegenstand eine „Mutterdisziplin“ mit anderen Nachbardisziplinen kooperiert.

Oskar Anweiler
Deutschlandpolitik

Die Deutschlandpolitik umfaßte jenen Bereich politischer Konzeptionen und Aktionen, der sich aus der Tatsache der deutschen Teilung und insbesondere der Existenz zweier deutscher Staaten zwischen 1949 und 1990 ergab. Die Deutschlandpolitik war dabei sowohl im programmatischen Anspruch ihrer Akteure als auch in der politischen Wirklichkeit zwischen Außen- und Innenpolitik angesiedelt. Auf der einen Seite war die Deutschlandpolitik stets in die Ost-West-Beziehungen und die Bündnispolitik der beiden Blöcke eingebettet, auf der anderen Seite stand sie in einem engen Bezug zur Innenpolitik des jeweiligen deutschen Staates und insbesondere dessen Legitimationsbedürfnissen. Daher verknüpften sich in der Deutschlandpolitik eine Vielzahl von politischen, juristischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten.

Wilhelm Bleek
Entwicklungspolitik

Trotz Bedeutungsgewinn und wachsendem Rückhalt in der Bevölkerung hat die EP nur geringes Gewicht in der deutschen Politik. Wegen der nur kurzen Kolonialphase (1894–1918) waren die Beziehungen zur Dritten Welt traditionell kaum entwickelt. Vorrang in der → Außenpolitik hatte zunächst die Westbindung, seit den 70er Jahren ergänzt durch eine aktive Ostpolitik. Neben der Europapolitik stehen z.Z. die neue Rolle D.s in der Weltpolitik und die Umbrüche in den MOE-Staaten im Mittelpunkt.

Andreas Langmann
Europapolitik

Das → Grundgesetz der BRD setzte zwei — sich im Ost-West-Konflikt ausschließende — politische Zielvorstellungen, nämlich die Vollendung der deutschen Einheit und die europäische Einigung. In der Präambel des Grundgesetzes wurde als nationaler Verfassungsauftrag formuliert, „die nationale und staatliche Einheit zu bewahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen“. Art. 24 GG sieht die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen vor, wobei der Bund in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen kann, „die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern“. Auch in den außenpolitischen Grundsatzverträgen der BRD wie z.B. dem Deutschlandvertrag von 1955 wurde sowohl die europäische Dimension als auch die Einheitsdimension verankert.

Wichard Woyke
Extremismus

Der politische Extremismus (E.) zeichnet sich dadurch aus, daß er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und beseitigen will. Alle Varianten des E. negieren demzufolge die Pluralität der Interessen, das damit verbundene Mehrparteiensystem und das Recht auf → Opposition. Der E. ist gekennzeichnet durch die Identitätstheorie der Demokratie, durch Freund-Feind-Stereotypen, durch ein hohes Maß an ideologischem Dogmatismus und in der Regel durch ein Missionsbewußtsein: Wer vom Glauben an ein objektiv erkennbares und vorgegebenes Gemeinwohl beseelt ist und sich im Besitz vermeintlich objektiver Gesetzmäßigkeiten wähnt, kann die Legitimität unterschiedlicher Meinungen und Interessen schwerlich dulden. Meistens ist auch die Akzeptanz von Verschwörungstheorien für extremistische Bestrebungen charakteristisch: Der eigene Mißerfolg wird mit der Manipulation finsterer Mächte erklärt. Der Begriff E. ist für antidemokratische Ideologien und Bewegungen besser geeignet — weil weniger konnotativ vorbelastet — als der des Radikalismus, welcher in der BRD in den ersten zwei Jahrzehnten für extremistische Bestrebungen weite Verbreitung gefunden hat und heute teilweise immer noch synonym gebraucht wird.

Eckhard Jesse
Familienpolitik

Das erklärte Ziel der Familienpolitik ist es, Bedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung für das Leben in der Familie, für Kinder und für eine Tätigkeit im Haus und in der Familie nicht länger gegenüber anderen Entscheidungen benachteiligen; und zwar in allen Fällen unter Beachtung des Solidaritäts- und → Subsidiaritätsprinzips. Der Familienbegriff ist keineswegs eindeutig, weil er einmal Familie als Verwandtschaft, ein anderes Mal Familie als kleinste Lebensgemeinschaft von Erwachsenen und Kindern meint. Heute haben wir es mit der nicht mehr zu reduzierenden Kernfamilie im Sinne der Zwei-Generationen-Familie zu tun, die sich als relativ stabil erwiesen hat, wenn auch seit Ende der 60er Jahre neue Probleme der Familie deutlich wurden. Sie zeigen sich z.B. an der steigenden Zahl unehelicher Kinder, an wachsenden Scheidungsraten, an alternativen Lebensformen wie etwa der Kommunenbewegung und an der Problematisierung der Frauen- und Kinderrolle. Diese Probleme führten zu einer Ausweitung des Familienbegriffs und damit zu einer Ausdehnung des familienpolitischen Objektbereichs, in dem heute nicht mehr nur die vollständige, sondern auch die unvollständige Familie anerkannt wird. Diesen Veränderungen in bezug auf die Vorstellung von der Familie trägt im übrigen auch der dritte Familienbericht der → Bundesregierung Rechnung (Familienbericht 1979). Danach wird Familie als eine durch Geburt oder Adoption von Kindern bestehende biologische oder soziale Kleingruppe zusammenlebender Menschen definiert, wobei solche Kleingruppen als „Normalfamilien“ bezeichnet werden (Familienbericht 1979: 13). Von ihnen gibt es natürlich Abweichungen, wie z.B. Familien, die aus alleinerziehenden Müttern bzw. Vätern und ihren Kindern bestehen, oder Lebensgemeinschaften unverheirateter Paare.

Viola Gräfin von Bethusy-Huc
FDP — Freie Demokratische Partei

Die FDP wurde im Dezember 1948 als Zusammenschluß von liberalen Landesorganisationen aus den drei westlichen Besatzungszonen und Berlin gegründet. Der Versuch, eine gesamtdeutsche Partei (Demokratische Partei Deutschlands) zu gründen, war Anfang 1948 gescheitert, weil sich die Liberal-Demokratische Partei (LDP) der Sowjetzone unter ihrem Vorsitzenden W. Külz der von der SED (→ PDS-SED) gesteuerten Volkskongreßbewegung anschloß. Der Heppenheimer Zusammenschluß der Westzonenparteien bedeutete organisatorisch die Überwindung der historischen Spaltung des liberalen Lagers in D. Gleichwohl besaßen die Landesverbände zunächst ein politisches und programmatisches Eigengewicht, die Bundespartei war ein „Kartell der Landesparteien“ (W. Stephan). Das Gewicht der Landesorganisationen gründete im Südwesten und in den Hansestädten für lange Zeit in einem spezifisch bürgerlich-liberalen Milieu des alten Mittelstandes. Die Landesverbände in Hess., NW und Nds. verstanden sich in der Anfangsphase als rechte Sammlungsparteien mit starken nationalliberalen Einfärbungen. Mit Beginn der sozialliberalen Regierungskoalition im Bund änderte sich das Erscheinungsbild der Partei. Sie wurde eine Regierungs- und Koalitionspartei, Koalitionspolitik und Regierungsteilhabe orientierten sich nahezu ausschließlich am bundespolitischen Muster. Gleichzeitig zeigte die Partei auf Länderebene eine zunehmende elektorale Labilität. Vor allem im Umfeld der Regierungswechsel von 1969 und 1982 wurde eine parlamentarische Schwäche in den Ländern offensichtlich. Ihren absoluten Tiefstand erreichte die Partei in den Jahren 1982–84, in denen die FDP zeitweilig in sechs → Landtagen nicht mehr vertreten war. Herausgehobene Position im → Parteiensystem und koalitionspolitische Funktion als Regierungspartei haben der FDP auf bundespolitischer Ebene eine Schlüsselstellung eingeräumt und damit Bedeutung und Einfluß gegeben, die weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinausreichen. Solange keine der großen Volksparteien über eine absolute Mehrheit verfügte, war die FDP als Mehrheitsbeschafferin ein notwendiger Koalitionspartner. Diese für die FDP günstige Ausgangsposition wurde nur durch die absolute Mehrheit der → CDU/ → CSU von 1957 bis 1961 und durch die Große Koalition von CDU/CSU und → SPD im Zeitraum von 1966 bis 1969 durchbrochen. Daraus folgte, daß die FDP seit 1949 mit Ausnahme von zwei Perioden (1957–1961; 1966–1969) an allen Regierungskoalitionen auf Bundesebene beteiligt war. Damit kann die FDP auf eine längere Regierungsbeteiligung zurückblicken als die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD. Erfolg und Existenzgefährdung liegen bei der FDP aber janusköpfig beieinander, weil sie als Wählerpartei weder eine feste sozialstrukturelle Verankerung in einer bestimmten Wählerschicht noch gesellschaftliche Vorfeldorganisationen wie → Gewerkschaften oder → Kirchen besitzt,die ein natürliches Milieu für FDP-Wähler darstellen könnten.

Hans Vorländer
Fraktion

Eine Fraktion stellt den organisatorischen Zusammenschluß einer Gruppe von → Abgeordneten zur gemeinsamen Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben dar. Die Fraktionen sind ein integrierender Bestandteil der parlamentarischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Sie beruhen auf dem Grundsatz des freien Mandats und sind ein repräsentatives Element der modernen Parteiendemokratie. Fraktionen sind „Teile der Parteien im Parlament“ (G. Kretschmer) bzw. „Teile des Bundestages“ (→ Bundesverfassungsgericht). Auch wenn Parteien und Fraktionen rechtlich zu trennen sind, so trägt die parlamentarische Praxis ihrer parlamentarischen Verflechtung weitgehend Rechnung.

Paul Kevenhörster
Frauen und Politik

Mit der am 15.11.1994 in Kraft getretenen Verfassungsreform wurde Art. 3, Abs. 2 GG — „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ — durch folgenden Satz ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Diese vage und deshalb kontrovers auslegbare Kompromißformel war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den die Verfassungskommission unter dem Druck eines breiten Frauenbündnisses festgelegt werden konnte. Die Ergänzung geht faktisch hinter den Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR von 1990 zurück, der immerhin die Zusicherung enthält, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung „weiterzuentwickeln“ und „bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten“ (Art. 31). Damit wurde das Ziel anvisiert, der familialen Verantwortung beider Elternteile künftig stärker Rechnung zu tragen und so bessere Voraussetzungen für ein partnerschaftliches Zusammenwirken in allen Lebensbereichen zu schaffen. Zwar hat die BRD mit der Familienrechtsreform von 1977 das offizielle Leitbild der „Hausfrauenehe“ endgültig aufgegeben, doch unzulängliche Rahmenbedingungen und das dadurch begünstigte Festhalten an tradierten Rollenmustern setzen der Gestaltungsfreiheit der Ehegatten bislang enge Grenzen (→ Familienpolitik).

Gisela Helwig
Freiheitlich-demokratische Grundordnung

Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in Art. 18 (Verwirkung von Grundrechten) und in Art. 21 Abs. 2 des → Grundgesetzes ausdrücklich genannt.

Ernst Benda
Gemeinden/kommunale Selbstverwaltung

Die G sind über die Jahrhunderte die Ebene gewesen, in denen der einzelne am unmittelbarsten mit öffentlichen Angelegenheiten konfrontiert wurde. In der Neuzeit gilt die vom Freiherrn vom Stein geprägte preußische Städteordnung von 1808 als wichtiger Einschnitt kommunaler Selbstverwaltung in D, zumal auch in süddeutschen Staaten vergleichbare Regelungen folgten. Damit wurde nach der Niederlage gegen Napoleon versucht, das bürgerschaftliche Engagement für die öffentlichen Aufgaben zu wecken und dem aufstrebenden Bürgertum in den Städten ein begrenzter Handlungsspielraum für die örtlichen Angelegenheiten eingeräumt. Diese Ausgangsposition — eine Art vom Bürgertum dominierter Enklave im monarchischen Obrigkeitsstaat — hat wesentlich zu einer Tradition beigetragen, die die gesellschaftlich geprägten und auf genossenschaftliche Denkfiguren rekurrierenden G und den herrschaftlichen Staat als Gegensätze, kommunale Selbstverwaltung tendenziell als Abwehrinstrument gegenüber der Staatsverwaltung verstand. Zu berücksichtigen ist, daß die kommunale Selbstverwaltung in den Landgemeinden im allgemeinen weit hinter der der Städte zurückblieb und die Bürgerrechts- und Wahlrechtsbestimmungen (z.B. preußisches Dreiklassenwahlrecht) die Mitwirkung an der städtischen Selbstverwaltung auf eine kleine Minderheit der Einwohner beschränkten. Die Ausdehnung der kommunalen Aufgaben im Industrialisierungsprozeß hat auch frühzeitig eine Verstärkung des fachlich vorgebildeten hauptamtlichen Verwaltungsexperten zu Lasten des ehrenamtlichen Elements in der kommunalen Selbstverwaltung bewirkt.

Uwe Andersen
Gerichte

Das → GG unterscheidet in Anlehnung an Montesquieu die drei Grundfunktionen → Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung und ordnet diese Funktionen besonderen Organen zu (Art. 20 II GG). Während Gesetzgebung und Vollziehung in vielfältiger Weise miteinander verwoben sind, ist die Rechtsprechung von den übrigen Funktionen grundsätzlich getrennt; sie obliegt allein den Richtern und wird von Gerichten ausgeübt (Rechtsprechungsmonopol der Richter, Art. 92 GG; Ausnahmen: Art. 10 II 2 und 84 IV, 1 GG). Zum ersten Mal in der dt. Verfassungsgeschichte und als unmittelbare Reaktion auf das nationalsozialistische Unrechtssystem wurde die rechtsprechende Gewalt im GG in konsequenter Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips — über Montesquieu hinausgehend — auch zu einer echten dritten Gewalt ausgeformt und trat gleichwertig neben Legislative und Exekutive.

Werner Billing
Geschäftsordnung

Allgemein werden unter Geschäftsordnung (GO) die von einer öffentlich- oder privatrechtlichen Organisation selbst erlassenen Bestimmungen betreffend ihre innere Struktur und ihre interne Willensbildung verstanden. Neben den anderen kollegialen Verfassungsorganen auf Bundesebene besitzt der → Bundestag aufgrund seiner im GG (Art. 40 I) verankerten GO-Autonomie das Recht, seine Organisation und das Verfahren selbst festzulegen. Das Recht zur selbständigen und unabhängigen Gestaltung der inneren Ordnung wird begrenzt durch a) allgemeine Verfassungsprinzipien und Wertentscheidungen des GG; b) ausdrückliche Bestimmungen des GG sowie c) gesetzliche Regelungen (sekundäres Verfassungsrecht). Die Geschäftsordnung des Bundestags enthält nicht nur unverbindliche Regelungen, die durch Vereinbarung oder langjährige Praxis gelten, sondern stellt eine Sammlung verbindlicher Rechtsnormen mit Innenwirkung dar. Die Beziehungen der Parlamentsmitglieder untereinander ebenso wie das Verhältnis des Bundestags zu den anderen Verfassungsorganen wird im Rahmen der Verfassungs- und Gesetzesvorgaben rechtlich ausgestaltet. Nach herrschender Meinung kommt der GO-Bundestag die Rechtsnatur einer autonomen Satzung zu, d.h., den organisationsinternen GO-Bestimmungen gehen die geschriebene Verfassung und die Gesetzesnormen vor.

Hartmut Klatt
Gesellschaft

Dem Wortursprung nach bedeutet Gesellschaft die Vereinigung mehrerer Gefährten oder ein freundschaftliches Beisammensein. In der deutschen Sprachentwicklung ist der Begriff mit dem der Gemeinschaft und der Genossenschaft aufs engste verknüpft. Wichtiger war jedoch die griech. und die lat. Begriffsgeschichte, denn seit Plato (428–348) und Aristoteles (384–322) haben die Begriffe Staat und bürgerliche G. (lat. societas civilis) einen bis heute beibehaltenen Sinn: eine größere Gruppe von Menschen (z.B. die griech. Polis), die in einem komplexen Zusammenhang wechselseitig eingebrachter Fähigkeiten, Bedürfnisse und Hilfen stehen (vgl. Plato, Politeia, 3, 9c) und auf einem klar definierten Territorium leben, sowohl nach innen wie nach außen als soziale Einheit zu definieren. Hinzuzunehmen ist die anthropologische Bestimmung, „daß der Mensch von Natur ein nach der staatlichen Gemeinschaft strebendes Wesen (Zoón politikón) ist“ (Aristoteles, Politik, 1278b). In allen Etappen der europäisch-abendländischen Staats- und Gesellschaftstheorie ist dieser ursprüngliche Sinn aufweisbar (vgl. Riedel, 1975). Unter den Bedingungen des Frühkapitalismus, der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen bildete sich die spezifische Form der bürgerlichen G. der Neuzeit zugleich als Marktgesellschaft, als politisch-nationale Einheit und als Rechtsgesellschaft zur Verwirklichung der Freiheits- und Gleichheitsansprüche jedes Menschen heraus. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist entsprechend den Prinzipien ihres „Gesellschaftsvertrages“ dem Typus bürgerliche G. zuzuordnen, für den die Trennung von Staat (der u.a. für die innere, v.a. rechtliche und soziale Sicherheit und für die äußere Sicherheit der Bürger zuständig ist) und Gesellschaft (der Handlungssphäre freier Bürger) konstitutiv ist. Dies wird auch nicht aufgehoben durch die „Verschränkungen“ zwischen diesen Bereichen, die mit den Schlagworten von der „Verstaatlichung der Gesellschaft“ und der „Vergesellschaftung des Staates“ belegt werden. (Daß die Menschheit in ihren längsten Entwicklungsphasen und ihrer überwiegenden Mehrheit auch nach der Seßhaftwerdung im Neolithikum in kleineren „Stammesgesellschaften“ organisiert war, die auf verschiedene Weise mit komplexen Verwandtschaftssystemen zusammenhingen, kann hier nicht behandelt werden.)

Bernhard Schäfers
Gesetzgebung

Allgemein gültige Gesetze sind in der Aufklärungszeit in den deutschen Staaten eingeführt worden. Damit sollte die Willkürlichkeit der Herrschaftsausübung überwunden und die Verwaltung des Staatsgebiets nach einheitlichen Prinzipien durchgesetzt werden. Mit den ersten Verfassungen, die in den meisten deutschen Staaten zwischen 1810 (Sachsen-Weimar) und 1851 (Preußen) eingeführt wurden, wurde die Mitwirkung der Parlamente an der Gesetzgebung festgelegt. Dabei konnte an das ältere ständische Haushaltsrecht angeknüpft werden. Entsprechende Rechte bekam 1871 der Reichstag, der allerdings dabei mit dem Bundesrat als Vertreter der Regierungen und dem Monarchen zusammenwirken mußte. Aus dieser Tradition heraus nimmt die Idee der Gewaltenteilung in den deutschen Verfassungen einen wichtigen Platz ein, wenngleich das Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Parlament immer mehr vom Parteienkonflikt überlagert wird, in dem die Regierung gemeinsam mit der Parlamentsmehrheit eine Seite bildet.

Dietrich Thränhardt
Gesundheitspolitik

Unter Gesundheitspolitik (G.) versteht man alle Maßnahmen zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die sich auf die Gesundheitsvorsorge, die Krankheitsbehandlung und die Krankheitsfolgen beziehen. In ihrer jeweiligen organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Ausformung, wie sie hauptsächlich durch die Krankenversicherungsgesetzgebung erfolgt, bestimmen sie die Struktur des Gesundheitswesens. Die Ziele der G. lassen sich nach drei Ebenen unterscheiden. Auf der gesellschaftlichen Ebene steht das Solidaritätsprinzip im Vordergrund. Im Bedarfsfall soll jeder Bürger unabhängig von Einkommen und sozialem Status Anspruch auf die notwendige Gesundheitsversorgung haben. Auf der medizinischen Ebene geht es um die bestmögliche Qualität der Gesundheitsversorgung unter Wahrung der menschlichen Würde und Freiheit. Auf der ökonomischen Ebene geht es um die kostengünstige Versorgung und Freiheit. Auf der ökonomischen Ebene geht es um die kostengünstige Versorgung mit Gütern und Diensten. Die verfügbaren finanziellen Mittel sollen nicht nur effektiv, sondern auch effizient verwendet werden. Diese Ziele stehen im Konflikt miteinander. Ihnen wird von den einzelnen Akteuren im Gesundheitssektor aufgrund verschiedener Interessenlagen eine unterschiedliche Priorität eingeräumt. Der Versuch, diese Ziele gleichzeitig zu verwirklichen, bestimmt die Konflikt- und Konsensprozesse der G. Die Ausgestaltung dieser Ziele erfolgt vor allem durch die Bundesgesetzgebung. Daher sind die politischparlamentarischen Institutionen auf Bundesebene, insbesondere die jeweiligen → Bundesregierungen, die wichtigsten Adressaten und Entscheidungsträger der G. Sowohl bei der Politikformulierung als auch bei der Durchführung von Gesetzen und Programmen wirken aber noch eine Vielzahl anderer Akteure mit. Sie sind teilweise gleichzeitig Träger und Organe des Gesundheitswesens. Hierzu gehören die → Parteien, die Länder und Kommunen, die gesetzliche und private Krankenversicherung und die freien gemeinnützigen Organisationen; ferner die Interessenverbände, die in der ambulanten und stationären Versorgung, in der Arzneimittelversorgung und bei den sozialen Diensten tätig sind.

Axel Murswieck
Gewaltenteilung

Das Sprachsymbol „Gewaltenteilung“(G), im Englischen „separation of powers“, im Französischen „separation des pouvoirs“, bezeichnet im Rahmen von Theorie und Praxis des europäischen Konstitutionalismus seit dem ausgehenden 17.Jh. ein Kernstück der Staatslehre: die institutionelle und/oder funktionelle Differenzierung der Staatsgewalt und ihre Verteilung auf mehrere, hinsichtlich ihrer Legitimation und ihrer Kompetenzen verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch mehr oder weniger unabhängige „Gewalten“ (Institutionen). In der Regel unterscheidet man drei „Gewalten“: Die Legislative, die Exekutive und die Judikative.

Theo Stammen
Gewerkschaften

Nach einer Phase des Aufschwunges in den 70er Jahren standen die bundesdeutschen Gewerkschaften, ebenso wie zahlreiche Gewerkschaftsorganisationen entwickelter westlicher Industriestaaten vor zahlreichen Problemen, die sich insbesondere aus dem sozialökonomischen Strukturwandel ergaben. Die Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und die Tertiarisierung des Produktionssektors veränderten die Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft in einer Richtung, die die Rekrutierung der Gewerkschaftsmitglieder eindeutig verschlechterte. So schrumpften einerseits die Mitgliederpotentiale der Gewerkschaften in den alten Industrien, wie z.B. Bergbau, Eisen und Stahl, Werften und Textil, d.h. in Wirtschaftszweigen mit einem hohen Anteil von Facharbeitern, den „geborenen“ Gewerkschaftsmitgliedern, andererseits wuchs im Dienstleistungssektor und aufgrund der Tertiarisierung des Produktionssektors die Gruppe der Angestellten, die für die Gewerkschaften eindeutig schwieriger zu organisieren ist. Dieser Prozeß war und ist begleitet von einer Zunahme der Zahl der Teilzeitbeschäftigten, der Leih- und Heimarbeiter und der unselbständig Selbständigen usw., mit relativ hohen Anteilen von Frauen, unqualifizierten und ausländischen Arbeitnehmern, die bisher in den Gewerkschaften eindeutig unterrepräsentiert sind. Extreme Mitgliederverluste in zahlreichen Industriestaaten (z.B. Großbritannien, Frankreich, USA, Japan usw.) bzw. stagnierende Mitgliederzahlen, wie z.B. in der BRD, waren die Folge.

Siegfried Mielke
Grundgesetz — Verfassung/Verfassungsreform

Das Jahr 1989 brachte eine historische Wende in der deutschen Geschichte. Niemand hatte mit ihr gerechnet. Im gleichen Jahr wurde in vielen Veranstaltungen auf den 40jährigen Bestand des Grundgesetzes hingewiesen. Es war 1949 nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes entstanden. Damals wurde die Teilung D.s als ein vorübergehendes Schicksal empfunden, die auf Dauer keinen Bestand haben konnte. Der Parlamentarische Rat hat nicht vorhersehen können, daß die → Wiedervereinigung über Jahrzehnte nicht möglich sein würde. Dem trug die Verfassung der neuentstandenen BRD schon in ihrer Bezeichnung Rechnung. Mit dem Namen „Grundgesetz“ sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um ein Provisorium handele, um eine neue Ordnung für eine Übergangszeit. Das Grundgesetz sollte möglichst bald durch eine vom deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossene (gesamt-) deutsche Verfassung abgelöst werden (Art. 146 GG in der damaligen Fassung). Auch die Präambel brachte den Wunsch der Deutschen nach Wiedervereinigung und die Pflicht aller Deutschen, sich hierum nach Kräften zu bemühen, zum Ausdruck.

Ernst Benda
Grundrechte — Abwehr- und Teilhaberechte

beschreiben Grundrechte (G.) grundsätzliche Rechtspositionen des einzelnen in der politischen Gemeinschaft: als Abwehr- oder Freiheitsrechte schützen sie persönliche Freiräume, gar Privilegien, als soziale G. oder Teilhaberechte sichern sie Mitwirkungs-, ggf. auch Leistungsansprüche. Darin drückt sich zugleich die Doppelrolle des einzelnen aus: mitgestaltendes Subjekt in der Gemeinschaft einerseits, Adressat und Objekt der Gemeinschaftsordnung anderseits. Das (vor)herrschende Staatsverständnis prägt zugleich das generelle bis konkrete G-Verständnis. Wird „Staat“ grundsätzlich als familienartige „natürliche“ oder als vertraglich vereinbarte Gemeinschaft begriffen, die Schutz und Wohlfahrt organisiert, geht es vorrangig um Teilhabe und Mitwirkung. Wird das Staatsdenken von der Ordnungs- und Sicherheitsidee der Herrschaft geprägt, treten persönliche Freiräume einerseits und grundsätzliche Versorgungsansprüche anderseits in den Vordergrund. Als besondere Variante stellte die marx.-lenin. Staatslehre „sozialistische Persönlichkeitsrechte“ dem zur Verfügung, der „frei“, also aus Einsicht in die Notwendigkeit, sich in den von der Partei der Arbeiterklasse gesteuerten Geschinchtsprozeß zum Fortschritt hin eingliedert (Art. 19 DDV).

Uwe Keßler
Innere Sicherheit

Der Begriff der inneren Sicherheit (i.S.) ist in keinem Gesetz rechtsverbindlich geregelt. Der Staat, nicht nur in D, dessen Verfassung sich zur Konzeption der streitbaren Demokratie bekennt, bedarf des Schutzes vor Kriminalität sowie vor dem politischen → Extremismus. I.S. bezieht sich damit auf diejenigen Maßnahmen, die „1. der Verhütung und Abwehr von Kriminalität, Gewalt und sonstigen Angriffen auf das in der Gemeinschaft geregelte Zusammenleben, also der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, dienen und 2. den Bestand und die Stabilität einer Gemeinschaft, den Schutz des Staates vor Gegnern im Innern und von außen, zum Ziele haben“ (Merk/Werthebach 1986: 11). Das Pendant zur i.S. ist der Terminus der äußeren Sicherheit. Für die Aufrechterhaltung der i.S. ist die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols eine conditio sine qua non. Es heißt, daß Prävention im umfassenden Sinne (z.B. Beseitigung der Wohnungsnot) i.S. begünstigt.

Eckhard Jesse
Innerparteiliche Demokratie

Innerparteiliche Demokratie (I.D.), verstanden als Realisierung demokratischer Mindestnormen in der Organisation politischer Parteien, ist in D Verfassungsgebot. Zu den „demokratischen Grundsätzen“, denen die „innere Ordnung” der → Parteien nach Art. 21 GG entsprechen muß, gehören die in freien Wahlen und Abstimmungen erfolgende Bildung des Parteiwillens durch die Mitglieder oder ihre Delegierten, die Freiheit der innerparteilichen Meinungsäußerung und Diskussion, der Schutz innerparteilicher Minderheiten und die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen (Parteiengesetz von 1967).

Bodo Zeuner
Interessengruppen

Schon ein kurzer Blick auf das System der Interessengruppen in D macht deutlich, daß einige Interessen besonders gut organisiert sind, während andere nur unzureichend im organisierten Interessenspektrum vertreten sind. Am ehesten organisieren sich homogene, durch eine gemeinsame ökonomische Lage und ggf. Deprivationen sich auszeichnende Statusgruppen. Dies zeigt sich sowohl an der Entwicklung der →Gewerkschaften als auch bei den → Unternehmerverbänden und den Mittelstandsvereinigungen. Durch diese ökonomische Logik werden allgemeine, außerhalb der Produktionssphäre angesiedelte Interessen strukturell benachteiligt. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um allgemeine Interessen und Bedürfnisse aus den Bereichen Umwelt, Verkehr, Freizeit etc. Wenngleich manche dieser Interessen, vor allem durch die zahlreichen Vereine auf kommunaler Ebene, eine organisatorische Interessenvertretung gefunden haben, und der Eindruck entstehen kann, jedem Interesse sei eine Organisation zuzuordnen, so müssen jedoch zugleich die vielfältigen organisatorischen Schwierigkeiten und die oft nur lokale politische Bedeutung dieser Gruppierungen erwähnt werden, die die strukturellen Restriktionen nicht gänzlich außer Kraft setzen können.

Rolf G. Heinze, Helmut Voelzkow
Jugend und Politik

In der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in allen hochindustrialisierten Demokratien ein fundamentaler sozialer Wandel, dessen Hauptmerkmale eine historisch beispiellose Zunahme des Wohlstandes breiter Bevölkerungskreise sowie eine Individualisierung der Lebensbedingungen sind. Die dadurch bedingte Auflösung traditioneller soziopolitischer Milieus hat dazu beigetragen, daß die Jugendlichen heute weit weniger als früher in sozialstrukturell vorgegebene politische Loyalitäten hineinwachsen.

Ursula Hoffmann-Lange
Kirchen

Kirchen (K.) sind organisierte Gemeinschaften von Christen. Ihr gemeinsames Merkmal ist der Glaube an Jesus Christus und seine im Neuen Testament enthaltene Botschaft, die weltweite Verkündigung dieser Botschaft, die Feier der Liturgie und der Sakramente, insbesondere der Taufe und der Eucharistie bzw. des Abendmahls sowie die Diakonie, das Handeln gemäß dem Evangelium. Die Gemeinde der Jünger Jesu war noch keine K. Nach dem Selbstverständnis aller Christen ist die K. die Befreiung von Sünde vermittelnde und Erlösung verheißende Gemeinde Christi zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. Sie lebt vom Hl. Geist. Sie unterscheidet sich von → Parteien, Verbänden und → Interessengruppen dadurch, daß sie nicht von Menschen gegründet, sondern auf Gottes Wort hörende Stiftung Christi ist. Sie erhebt einen öffentlichen Anspruch.

Manfred Spieker
Koalition

Unter Koaltion (K.) im parlamentarischen System D.s wird der Zusammenschluß zweier oder mehrerer Parteien bzw. ihrer Fraktionen zum Zwecke der Bildung und Unterstützung einer Regierung verstanden. K.en werden im parlamentarischen System erforderlich, wenn eine Partei allein nicht die notwendige Mehrheit aller Mandate erreicht hat bzw. über eine zu geringe Mehrheit verfügt. K.en sind zeitlich befristete Bündnisse, die in der Regel für eine Legislaturperiode geschlossen werden. In einer K. können die beteiligten Parteien notwendigerweise nicht ihre eigene Programmatik durchsetzen, sondern müssen Kompromisse eingehen. Dabei können die Interessen des kleineren K.partners/der kleineren K.spartner stärkere Berücksichtigung finden, als es sein/ihr Wählervotum aussagt, wenn er/sie für die Bildung der K. unbedingt erforderlich ist/sind. Der K.bildung werden rechtliche Grenzen gesetzt durch das freie Mandat des → Abgeordneten(Art. 38 GG), durch das Vorschlagsrecht des → Bundeskanzlers zur Ernennung von Ministern (Art. 64,1 GG) sowie durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Art.65 GG). Diese theoretischen Bestimmungen sind jedoch in der politischen Praxis der BRD immer weniger bedeutsam geworden, so daß die politsche Entwicklung diese Rechte zunehmend eingeschränkt hat.

Wichard Woyke
Kulturpolitik

Als Bundesstaat hat D mindestes in der Theorie, gerade auf dem Feld der Kulturpolitik eine Arbeitsteilung zwischen gesamtstaatlichen, regionalstaatlichen und kommunalen Instanzen aufgebaut, in der der Bund wenig, die Länder dagegen fast alles zu sagen haben. Über den mißverständlichen Begriff der „Kulturhoheit der Länder“ wird dieses Prinzip von manchen Verwaltern und einzelnen Verfassungsjuristen besonders vehement verteidigt, und dies nicht etwa nur für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik (wo darüber auch gestritten werden kann), sondern für die Kulturpolitik im engeren Sinne, mit der wir uns hier befassen wollen.

Andreas J. Wiesand
Land Baden-Württemberg

Bad.-W. existiert erst seit 1952, gebildet aus den damals bestehenden Ländern Württemberg-Baden (Hauptstadt Stuttgart), Württemberg-Hohenzollern (Tübingen) und Baden (Freiburg), die durch die Aufteilung zwischen der amerikanischen und französischen Besatzungsmacht nach 1945 aus den historischen Ländern Baden (Karlsruhe) und Württemberg (Stuttgart) sowie den Hohenzollerischen Landen Preußens (Regierungsbezirk Sigmaringen mit den Kreisen Sigmaringen und Hechingen) entstanden waren. Nach dem Sa. war Bad.-W. damit das jüngste Land der alten BRD. Ermöglicht wurde der Zusammenschluß durch die Sonderregelung des Art. 118 GG, die abweichend von Art. 29 GG ein vereinfachtes Verfahren im Falle einer Südweststaatsgründung vorsah (Regierungsvereinbarung oder, wenn diese nicht zustande kam, ein Bundesgesetz, das „eine Volksbefragung vorsehen“ mußte). Widerstand gab es von Seiten des Landes Baden, Streit dann wegen des Abstimmungsmodus bei der Volksbefragung: Das Bundesgesetz sah eine Abstimmung nach den vier Bezirken Nord- und Südbaden, Nordwürttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern vor, wobei der Zusammenschluß als zustandegekommen galt, wenn drei der vier Bezirke zustimmten. So kam es dann auch, wobei die Verfechter der Wiederherstellung Badens für sich reklamieren konnten, daß bei einer Abstimmung nach den alten Ländern der Zusammenschluß in Baden keine Mehrheit erzielt hätte. Mit einem solchen „Geburtsfehler“ behaftet, trat Bad.-W. am 25.4. 1952 ins Leben. Die Hypothek wurde erst am 7.6.1970 abgetragen, als bei einer erneuten Volksabstimmung Baden sich für die Beibehaltung des neuen Staates aussprach.

Hans-Georg Wehling
Land (Freistaat) Bayern

Bay. ist das größte und traditionsreichste Bundesland. Es blickt auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück. Das ältere Stammesherzogtum unter den Agilolfingern ist als politische Einheit seit dem 6. Jh. bekannt. Es umfaßte das altbayerische Siedlungsgebiet östlich der Alemannen und Franken einschließlich Kärntens, der Steiermark und Tirols. Mit der Absetzung Tas-silo III. (788) beendete Karl der Große diese frühe Eigenständigkeit, ohne daß unter fränkischer Verwaltung eigenes Stammesrecht und eigene kirchliche Organisation verlorengegangen wären. Beim Niedergang des karolingischen Großreiches konnte an diese Traditionen angeknüpft werden. Unter den Luitpoldingern entstand das jüngere Stammesherzogtum zu Beginn des 10. Jh., das zeitweise auch die Markgrafschaft Verona und die Marken Istrien und Krain umschloß. Herzog Arnulf erreichte weitgehende Unabhängigkeit vom Sächsischen Königtum, an welches das Land gleichwohl lehensrechtlich gebunden war. Die Bindungen an Königtum und Reich wurden vom 10.-12. Jh. immer enger. 1070 wurde Bay. an die Welfen, 1180 durch Barbarossa an die Wittelsbacher verliehen. Die südlichen und östlichen Besitztümergingen dabei verloren. Die Herrschaft der Wittelsbacher währte allerdings bis zur Revolution am 7.11.1918.

Heinrich Oberreuter
Land Berlin

„Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.“ In diesen schlichten Sätzen der Berliner Verfassung lassen sich weder die Bedeutung Berlins im Rahmen der deutschen und internationalen Politik noch die Besonderheiten der Stadt erkennen, die sich in vielem von den anderen Ländern der Bundesrepublik unterscheidet. Dazu bedarf es eines kurzen Blicks auf ihre Geschichte.

Peter Massing
Land Brandenburg

Bbg. hat eine mehr als 1000jährige Geschichte. Name, Landesfarben (rot und weiß) und Landeswappen (der rote märkische Adler auf weißem Feld) des zwischen Elbe und Oder mit der Vereinigung D.s am 3.10.1990 wiedererstandenen Landes gehen zurück auf das erste Herrschergeschlecht in Bbg., die Askanier (1134–1320). Mit Ernennung des Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. 1411 zum Verweser und 1415 zum Kurfürsten Bbg.s (Recht auf Beteiligung an der Königswahl) begann die 500jährige Herrschaft der Hohenzollern, unter denen Bbg. Kernprovinz des im 18. Jh. zur Großmacht aufsteigenden Preußen wurde. Als eines der Länder der → DDR wurde Bbg. von der → SED mit der Zentralisierung der DDR 1952 aufgelöst und in die drei Bezirke Potsdam, Frankfurt/O. und Cottbus aufgeteilt.

Frank Reuter
Land (Freie Hansestadt) Bremen

Die Freie Hansestadt Bremen kann auf eine traditionsreiche und stolze Vergangenheit zurückblicken, die wesentlich durch das Streben nach politischer und ökonomischer Autonomie bestimmt wurde. 787 zum Bischofssitz erhoben, ausgestattet mit Marktprivileg 965 und Stadtrecht 1186, dauerte es noch mehrere Jahrhunderte, bis Bremen 1646 unmittelbare Reichsstadt wurde. J. Smidt Bürgermeister von 1821 bis 1857, sicherte die bremische Unabhängigkeit im Deutschen Bund. Zugleich schuf er das Fundament für den Zwei-Städte-Staat, als er 1827 von Hannover einen Weseruferstreifen erwarb, um dort einen Überseehafen anzulegen, wodurch das heutige Bremerhaven entstand. Im Kaiserreich wurde Bremen ein Bundesstaat mit dem verfassungsrechtlich garantierten Namen Freie Hansestadt Bremen. Die eigene Landesverfassung vom 18.5.1920 stärkte zwar weiter die Eigenstaatlichkeit, was aber in der Reichsreformdiskussion der Weimarer Republik nicht unumstritten blieb. Schließlich wurde mit der Gleichschaltung der Länder durch die nationalsozialistische Diktatur Bremen mit Oldenburg zu einer Reichsstatthalterschaft vereinigt. Durch Reichs-gesetz von 1939 kam Bremerhaven zum preußischen Wesermünde, wobei jedoch das Bremerhavener Hafengelände stadtbremischer Besitz blieb. Zudem wurde die Stadt Bremen um ihre bisherigen Landes-gemeinden und ehemals preußischen Gebiete vergrößert.

Reinhold Roth
Land (Freie und Hansestadt) Hamburg

Nach Art. 1 der Hamburgischen Verfassung vom 6.6.1952 ist die „Freie und Hansestadt Hamburg ein Land der Bundesrepublik Deutschland“, Art. 4 formuliert die Besonderheit dieses „Landes“: Staatliche und gemeindliche Tätigkeit sind nicht getrennt. Hamburg ist ein historisch gewachsener „Stadtstaat“. Der Begriff „freie“ Stadt geht auf das mit der mittelalterlichen Städtebildung verbundene eigene Stadtrecht („Reichsfreie Stadt“) zurück. 1265 hatte Hamburg zusammen mit 5 Ostseestädten die Städte-„Hanse“ gegründet. Nach dem Verfall der Hanse blieb Hamburg eine weltoffene freihändlerische Hafenstadt ohne den sie umgebenden territorialstaatlichen Absolutismus und Merkantilismus. Im 1871 gegründeten Deutschen Reich war Hamburg neben Lübeck und Bremen als „Stadtstaat“ mit Sitz und Stimme im → Bundesrat vertreten.

Hans-Hermann Hartwich
Land Hessen

Die Gründung des Bundeslandes Hess. aus dem Volksstaat Hessen-Darmstadt (1918–45) und der ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau (1868–1944) kann nicht als reines Kunstprodukt der Alliierten angesehen werden. Es war gleichzeitig die Zusammenführung eines historisch verbundenen, aber seit dem 16. Jh. zersplitterten Territoriums, dessen Menschen in ihrer politischen Geschichte und in ihren kulturellen Traditionen vielfältige Anknüpfungspunkte für eine landesspezifische Identitätsbildung vorfanden.

Udo Bullmann
Land Mecklenburg-Vorpommern

Im Zuge der frühmittelalterlichen Völkerwanderung Mitte des 1. Jahrtausend u.Z. wurden die Gebiete zwischen Niederelbe, Saale und Oder von ihren germanischen Bewohnern verlassen und durch die westslawischen Völkerschaften der Abodriten und Luziten besiedelt. Diese wurden unmittelbare östliche Nachbarn des sich seit dem 4. Jahrhundert herausbildenden fränkischen Großreiches, das die germanischen Sachsen unterworfen und sich deren Gebiet angegliedert hatte.

Johannes Kuppe
Land Niedersachsen

Mit der Verordnung Nr. 55 bildete die britische Militärregierung am 1.11.1946 aus den Ländern Hannover (bis zum 23.8.1946 preußische Provinz), Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe das Land Nds. im Rahmen der Neugliederung ihrer Zone. Nach der Kapitulation im Mai 1945 gehörte der Oberpräsident von Hannover, H.W. Kopf zu den Befürwortern der Bildung eines Landes Nds. Einem entsprechendem Staatsvertrag zur Bildung eines Gemeinschaftsministeriums „Länderregierung für Reichsaufgaben in Nds.“ vom 29.9.1945 von Hannover, Braunschweig und Oldenburg versagte die britische Militärregierung die Zustimmung, setzte aber im Oktober 1945 den „Gebietsrat Nds.“ (bestehend aus der Provinz Hannover, den Ländern Braunschweig und Oldenburg) ein. Nach dem Scheitern der Pariser Außenministerkonferenz (Juni/Juli 1946) entschlossen sich die Briten zur Bildung des Landes NW, um den frz. Forderungen nach einer Abtrennung des Ruhrgebietes und seiner Internationalisierung entgegenzuwirken. Für die Neugliederung der restlichen britischen Zone wurden sechs Vorschläge eingebracht und dem Zonenbeirat zur Begutachtung übersandt. Die Mehrheit erhielt der „Niedersachsenplan“ H.W. Kopfs, dem sich auch der britische Militärgouverneur General B. Robertson anschloß (Schneider 1984:115 f.).

Birgit Pollmann, Hiltrud Naßmacher
Land Nordrhein-Westfalen

Das Land NW entstand als eigenständiges Land 1946 im Zuge der allgemeinen Neubildung der Länder innerhalb der Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland. Die britische Militärregierung verfügte durch Besatzungsverordnung am 23.8.1946 die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen und die Errichtung neuer selbständiger Länder. NW umfaßte zunächst nur die nördlichen Teile der früheren Rheinprovinz (Regierungsbezirke Köln, Aachen, Düsseldorf) sowie die Provinz Westfalen. Im Jahr 1947 wurde dann noch das Land Lippe-Detmold eingegliedert, so daß NW seine heutige territoriale Ausdehnung bereits vor der Gründung der BRD erhielt.

Uwe Andersen, Wichard Woyke
Land Rheinland-Pfalz

Das Land R.P. ist — darin nicht unähnlich der Entstehungsweise der übrigen Länder der BRD — das Ergebnis der nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Räume entstandenen Besatzungs- und Zonenstruktur. Aufgrund der „Berliner Erklärung“ vom 5.6.1945 erhielt Frankreich die im wesentlichen westlich des Rheins gelegenen Gebiete als Nordteil seiner außerdem noch (Süd-)Baden, Südwürttemberg-Hohenzollern und den Kreis Lindau (Südteil) umfassenden Besatzungszone zugesprochen. Nach einer anfänglich separatistisch und extrem dezentralistisch angelegten frz. Besatzungspolitik vollzog sich aus wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitischen Gründen ein allmählicher politischer Kurswechsel. Eine Folge des politischen Wandels war die Gründung des Landes R.P. am 30.8. 1946 durch die frz. Besatzungsmacht.

Werner Billing
Land Saarland

Das Saarland (Sal.) verdankt seine Existenz als eigenständige Region dem Umstand, daß sich um die Kohlevorkommen an der mittleren Saar in der 2. Hälfte des 19. Jh.s ein schwerindustrielles Zentrum herausbildete, das politisch im Grenzbereich zu Frankreich lag. Die Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Deutschen um die Nutzung dieser Industrieregion führten zu politischer Sonderbehandlung und Ausbildung einer regionalen Identität seiner Bewohner.

Wilfried Loth
Land (Freistaat) Sachsen

Die Geschichte des Namens S. beginnt nicht im heutigen S., sondern — an der Unterelbe, in Holstein, wo der germanische Stamm der S. Anfang des 1. Jahrtausend siedelte. Ein Teil von ihnen vertrieb zusammen mit dem Stamm der Angeln die Kelten aus Britannien, sie gelten als Väter der heutigen „Angelsachsen“. Der auf dem Festland verbliebene Teil wurde von Karl dem Großen dem Reich eingegliedert (Sachsenkrieg). Anfang des 10 Jh.s wurde Heinrich 1. der Löwe erster sächsischer Kaiser des Deutschen Reiches, der in der Mark Meißen die gleichnamige Burg (Albrechtsburg im heutigen Meißen) bauen läßt. Der Name S. lebt zunächst nur im askanischen Herzogtum S.-Wittenberg fort. Zu dieser Zeit hat sich in der Mark Meißen das Grafengeschlecht der Wettiner durchgesetzt. Als 1089 Heinrich I. von Wettin offiziell die Markgrafschaft Meißen als Reichslehen übertragen erhält, beginnt die mehr als 800-jährige Herrschaft der Wettiner in diesem Land. Für die Geschichte S. im engeren Sinne ist 1423 u.Z. das entscheidende Datum: Nach dem Aussterben der Askanier wird Markgraf Friedrich der Streitbare von Wettin auch mit dem Herzogtum S.-Wittenberg belehnt und erhält auch die Kurfürstenwürde. Nun herrschen die Wettiner, die sich zuvor schon die Landgrafenschaft (Nord-)Thüringen einverleibt hatten, über Teile Niedersachsens, ganz Thüringen und einige mainfränkische Gebiete. In der Folgezeit erlebte das Land zwar eine erste kulturelle Blüte, wird aber auch durch Erbfolgestreitigkeiten und Teilungen schwer erschüttert (Hussitenkriege, sächsischer Bruderkrieg). Besonders folgenreich wurde die sogenannte Leipziger Teilung 1485 zwischen den Brüdern Kurfürst Ernst dem Frommen und Herzog Albrecht dem Beherzten. Die ernestinische Linie herrschte fortan in Wittenberg, Torgau, Mittel- und Südthüringen sowie in Coburg und im Vogtland. Seitdem lebt der Name S. in dem zahlreicher thüringischer (Klein-)Fürstentümer (z.B. Goethes S.-Weimar) fort. Der albertinischen Linie bleibt dagegen zunächt nur die Mark Meißen und Nordthüringen. Sie setzt sich jedoch schließlich durch, nicht zuletzt, weil die Emestiner die Reformation entschieden förderten, jedoch im Schmalkaldischen Krieg gegen die katholischen Reichstruppen Kaiser Karl V. verloren und in der Wittenberger Kapitulation auch auf die Kurwürde verzichten mußten. Sie fiel 1547 u.Z. an den mit dem Reich verbündeten Albertiner Herzog Moritz von Sachsen. Mit ihm beginnt der Aufbau einer Verwaltung in Kur-S., er reformiert die Leipziger Universität und gründet die sogenannten Fürstenschulen Schulpforta, Meißen und Grimma.

Johannes L. Kuppe
Land Sachsen-Anhalt

S.-A. hat eigentlich keine eigene politische Geschichte, denn sie ist zugleich die Geschichte Thüringens und Sachsens. Selbstständiges Land war es lediglich von 1947 bis 1952.

Johannes L. Kuppe
Land Schleswig-Holstein

Das „Bindestrich“-Land S.H. hat eine lange und äußerst komplexe gemeinsame Geschichte und ist über die Jahrhunderte sowohl Brücken- und Bindeglied zwischen D und Skandinavien als auch Kampfplatz und Streitobjekt insbesondere im Verhältnis zu Dänemark gewesen. Fixpunkt war die anläßlich der Wahl des Königs von Dänemark zugleich zum Herzog von Schleswig und Graf von Holstein im Ripener Freiheitsbrief (1460) enthaltene Zusicherung: „Dat se bliven ewich tosamende ungedelt“. Im Zusammenhang mit den nationalen Bewegungen im 19. Jh. kam es sowohl zu dem dänischen Expansionsversuch, Schleswig stärker in den dänischen Gesamtstaat zu integrieren („Eiderdänen“) als auch im Zuge der deutschen Revolution 1848 zur niedergeschlagenen Erhebung in S.H., mit der vergeblich versucht wurde, aus den drei Herzogtümern Schleswig sowie den dem Deutschen Bund angehörenden Holstein und Lauenburg ein vereintes deutsches S.H. zu schaffen. Nach der Niederlage Dänemarks gegen Preußen und Österreich 1864 und dem Sieg Preußens gegen Österreich 1866 wurde S.H. zwar staatlich vereint, aber gegen den Willen weiter Teile der Bevölkerung nicht selbständig, sondern als Provinz in Preußen eingegliedert. Nach der Niederlage D.s im Ersten Weltkrieg wurde die schon 1866 vorgesehene, aber nicht durchgeführte Volksabstimmung in Grenzgebieten zu Dänemark nachgeholt. Die in ihren Einzelheiten umstrittene Volksabstimmung von 1920 führte zu einer dauerhaften Grenzverschiebung, bei der S.H. 1/5 seines Staatsgebietes verlor. Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Krisensituation gerade auch der Landwirtschaft in der Weimarer Republik wurde S.H. schon vor der Machtergreifung eine der stärksten Bastionen des Nationalsozialismus. Der Zweite Weltkrieg brachte mit der Besetzung Dänemarks eine weitere gravierende Belastung des Verhältnisses zum nördlichen Nachbarn, und die Niederlage führte kurzfristig auch zu einer Revitalisierung einer dänischen Option im Landesteil Schleswig, die allerdings nur bei einer Minderheit auf Resonanz stieß. Noch vor der formellen Auflösung Preußens durch den Alliierten Kontrollrat ernannte die britische Besatzungsmacht 1946 einen Landtag, der eine „vorläufige Verfassung“ erließ. Sie wurde 1949 durch eine vom gewählten Landtag beschlossene „Landessatzung“ (LS) abgelöst, die S.H. als „Glied“ — der Begriff Gliedstaat wurde bewußt vermieden — der BRD konstituierte.

Uwe Andersen
Land (Freistaat) Thüringen

Von einem Land T. kann eigentlich erst seit 1920 gesprochen werden, als sich sieben Kleinstaaten vereinigten. Trotz nur kurzer politischer Geschichte nimmt aber der geographische Raum T. geistes- und kulturgeschichtlich einen bedeutenden Platz in D. ein. Im Zuge der Völkerwanderung bildete sich aus den germanischen Völkerschaften der Hermunduren und Angeln ein Stamm, den die Römer „toringi“ nannten. Diese schufen Mitte des 1. Jahrtausend ein Königreich, das jedoch nur etwa 120 Jahre bestand und im 8. Jh. durch Eroberung an das fränkische Reich fiel, dessen östliche Grenzprovinz es bis ins 12. Jh. blieb. In dieser Zeit erfolgte auch die Christianisierung von T. durch den Benediktinermönch Bonifatius, der das Erzbistum Erfurt gründete (742 u.Z.). Die Ludowinger Landgrafen machten aus T. von Anfang des 12. bis Mitte des 13. Jh.s einen mächtigen Territorialstaat von der Lahn im Norden bis zu Saale im Süden. Während ihrer prunkvollen Hofhaltung auf der Wartburg erlebte T. eine kulturelle Blüte — es war die Zeit des höfischen Minnesangs (Wolfram von Eschenbach, Walter von der Vogelweide). Die ungarische Königstochter Elisabeth wurde als Gemahlin des Landgrafen Ludwig IV. wegen ihres damals ungewöhnlichen sozialen Engagements 1235 u.Z. heiliggesprochen und gilt seitdem als Schutzpatronin T. Nach dem Aussterben der Ludowinger fiel das Land Mitte des 14.Jh. an die sächsischen Wettiner, die Markgrafen von Meißen und späteren sächsischen Kurfürsten. Im 16. Jh. erfaßte die Reformation ganz T., ausgenommen die Erfurter Besitzungen des Kurfürsten- und Erzbistums Mainz und das Eichsfeld (um Heiligenstadt) am Südosthang des Harzes. Der mit Bann und Reichsacht belegte Martin Luther erhielt von Kurfürst Friedrich dem Weisen 1521 Versteck auf der Wartburg, wo er eine erste Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Deutsche anfertigte.

Johannes L. Kuppe
Landtage

Das parlamentarische System in den Ländern entspricht weitgehend dem Parlamentarismus auf der Bundesebene. Die Landesparlamente in D. stellen die gewählten Repräsentativorgane der 16 Bundesländer dar, wobei die Bezeichnung Landtag auf die die 13 Flächenstaaten zutrifft. In den Stadtstaaten HH und B. werden die Parlamente Bürgerschaft genannt. In Berlin heißt das Parlament Abgeordnetenhaus. Lediglich Bayern verfügt mit dem Senat neben dem Bayerischen Landtag noch über eine zweite Kammer, allerdings mit stark eingeschränkten Befugnissen. Der Senat repräsentiert ein fast noch ständisch zu nennendes Element und ist als Gegengewicht zum parteienstaatlichen Parlamentarismus gedacht.

Wichard Woyke
Massenmedien

Als Massenmedien (MM) bezeichnet man die technischen Verbreitungsmittel für Massenkommunikation (MK), jener Sonderform zwischenmenschlicher Kommunikation, bei der nach der klassischen Definition der Kommunikationswissenschaft ein „Kommunikator“ seine Aussagen öffentlich (d.h. prinzipiell jedermann zugänglich), indirekt und einseitig (d.h. ohne die Möglichkeit der Beobachtung der Adressaten) an ein anonymes, heterogenes und raumzeitlich verstreutes „Publikum“ richtet. Kommunikatoren sind nach diesem Verständnis Beobachter der Wirklichkeit, die ihre Beobachtungen und Reflexionen beispielsweise als Journalisten, Schriftsteller, Künstler usw. wiedergeben. Das Publikum umfaßt im weitesten Sinne alle von dem betreffenden Medium erreichten (technische Reichweite), im engeren Sinne die vom jeweiligen Kommunikator gemeinten Zielgruppen.

Heribert Schatz
Meinungsforschung

Meinungsforschung bezeichnet umgangssprachlich den Teil der Empirischen Sozialforschung, der sich ganz allgemein mit der Einschätzung von unterschiedlichen Objekten durch Angehörige einer Gesellschaft befaßt. In den Sozialwissenschaften haben Meinungen, im Gegensatz zu Einstellungen, keinen theoretisch eindeutig verankerten Stellenwert. Vielmehr definieren sie sich in der Regel ex negativo zu Einstellungen in dem Sinne, daß ihnen, anders als Einstellungen mit ihrer potentiell verhaltenssteuernden Kraft, etwas Flüchtiges, Belangloses und Folgenloses innewohnt. Betrachtet man jedoch die Gegenstände der Meinungsforschung näher, so stellt sich schnell heraus, daß sich hinter diesem Begriff eine Vielzahl von Sachverhalten verbirgt, die über die Erhebung flüchtiger Eindrücke weit hinaus bis hin zur Messung von „harten“ Daten wie vergangenem Verhalten bzw. Verhaltensabsichten reichen. Aus diesem Grunde trifft Umfrageforschung (survey research) den angesprochenen Sachverhalt auch wesentlich genauer, der vor allem die Methode der Informationsbeschaffung bezeichnet, nämlich durch Befragung der gewünschten Zielgruppe bzw. einer repräsentativen Stichprobe deren Mitglieder. Während die der Meinungsforschung zugrundeliegende Idee, Informationen über in der → Bevölkerung vorhandene Meinungen und Vorstellungen zu sammeln, keine zeitgenössische Erscheinung darstellt, sind die systematischen wissenschaftlichen Voraussetzungen für das, was heute als Meinungs- oder Umfrageforschung bezeichnet wird, erst in diesem Jahrhundert geschaffen worden.

Max Kaase
Ministerialbürokratie

Die Ministerialbürokratie umfaßt die in den Ministerien des Bundes sowie der Länder Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung und deren vielfältige Funktionen. Im umfassenden Sinne sind das jene 481.800 Vollzeitbeschäftigten, die nach der Statistik des → öffentlichen Dienstes im Aufgabenbereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“ tätig sind, davon 71.400 beim Bund und 213.400 bei den → Bundesländern (Angaben für das frühere Bundesgebiet zum Stichdatum 30.6.91). Im Hinblick auf die zentralen Funktionen der Ministerialbürokratie im politischen System können aber auch lediglich die im höheren Dienst in den Ministerien beschäftigten Beamten und Angestellten zur Gruppe der Ministerialbürokraten gezählt und die übrigen Mitglieder des gehobenen, mittleren und einfachen Dienstes als deren Hilfspersonal verstanden werden. In diesem engeren Sinne zählt die Ministerialbürokratie dann auf Bundesebene etwa 20.000 und auf Länderebene etwa 50.000 Mitglieder. Diese Ministerialbürokraten sind, bildlich gesprochen, das Zwischenglied zwischen politischer Führung und Verwaltung.

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Das im Jahre 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war der geheime Nachrichtendienst in der → DDR, der über exekutive Befugnisse verfügte und im Laufe der Jahre durch ein weitverzweigtes Zuträgersystem für eine gleichsam flächendeckende Überwachung der → Bevölkerung sorgte. Das MfS, das eng mit dem sowjetischen Geheimdienst, dem KGB, zusammenarbeitete und sich in der Tradition der Tscheka sah, der bolschewistischen Geheimpolizei der Jahre 1917–1922, verstand sich als „Schild und Schwert“ der Partei, der → SED. Insofern ist die inzwischen weit verbreitete Charakterisierung der DDR als „Stasi-Staat“ zumindest oberflächlich. Die weisungsgebundene Staatssicherheit war ein Werkzeug der Partei. Dem muß nicht widersprechen, daß MfS-Chef E. Mielke an der Ablösung Ulbrichts und Honeckers führend beteiligt war.

Eckhard Jesse
Mitbestimmung

Obwohl der Begriff Mitbestimmung (Mb) im Hinblick auf Träger und Objektbereich offen ist, wird er meist auf Mb der Arbeitnehmer in der Wirtschaft eingeengt. Mit Blick auf die unterschiedliche Intensität von Partizipationsrechten — z.B. Rangfolge: Informations-, Anhörungs-, Initiativ-, Beratungs-, Mitentscheidungsrecht — wird in der Literatur teilweise dafür plädiert, Mb nur dann zu verwenden, wenn eine gleichgewichtige Einflußnahme bzw. ein Vetorecht in Entscheidungsprozessen garantiert ist. Eine derartige Eingrenzung erscheint jedoch unpraktisch, so daß im folgenden die vorherrschende weitergefaßte Begriffsauslegung übernommen und unter Mb jede institutionalisierte Teilhabe der Arbeitnehmer an der Leitung und Gestaltung des Wirtschaftsprozesses verstanden wird. Die von den → Gewerkschaften propagierte „paritätische“ Mb erscheint daher nur als eine spezielle, nämlich gleichgewichtige Form.

Uwe Andersen
Nachrichtendienste

Wie andere Staaten auch verfügt D über geheime Nachrichtendienste (N.). Die drei N. sind der Bundesnachrichtendienst (BND), der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD). Sie agieren im Vorfeld der Gefahrenabwehr, sammeln und werten Informationen aus, nehmen aber keine exekutiven Funktionen wahr. Diese stehen ausschließlich den Polizeibehörden zu. Im Gegensatz zu diesen ist die Arbeit der N. nicht an das Legalitätsprinzip gebunden, sondern am Opportunitätsprinzip orientiert. Die N. dienen der Wahrung der → inneren Sicherheit und verstehen sich als Frühwarnsystem.

Eckhard Jesse
Nationalsozialismus

Nationalsozialismus, völkisch-antisemitisch-nationalrevolutionäre Bewegung in der Zwischenkriegszeit, die sich in Deutschland als Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) organisierte und die unter der Führung Hitlers in Deutschland von 1933–45 eine totalitäre Diktatur errichtete. Der Nationalsozialismus gehört überdies in den Zusammenhang der europäischen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die außer in Deutschland nur in Italien aus eigener Kraft und ohne ausländische militärische Unterstützung an die Macht gekommen sind. Der Nationalsozialismus stellt innerhalb der europäischen Faschismen aufgrund seines Rassenantisemitismus und seiner Vernichtungspolitik die radikalste Variante dar. Die Geschichte der NSDAP unterteilt sich in die sogenannte Bewegungsphase (1919–33) und die Regimephase (1933–45). Ihr Weg zur Macht verlief keineswegs geradlinig und folgte auch keinem ausgefeilten politischen Konzept oder einer politischen Zwangsläufigkeit.

Hans-Ulrich Thamer
Neokorporatismus

Mit dem Begriff Neokorporatismus wird die Einbindung („Inkorporierung“) von organisierten Interessen in Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Ausführung von politischen Entscheidungen bezeichnet. Der Neokorporatismusbegriff knüpft an den älteren Begriff des „Korporativismus“ an, der sich auf eine nach Ständen gegliederte → Gesellschaft bzw. Eine ständestaatliche Ordnung der Gesellschaft bezog und die Übertragung öffentlicher Gewalt auf gesellschaftliche Organisationen („Korporationen“) bezeichnete. In D wurde der Begriff in den 70er Jahren in Anlehnung an den angelsächsischen Begriff „Corporatism“ als Neokorporatismus wieder aufgegriffen. die begriffliche Anbindung wird damit begründet, daß ungeachtet der vielfaltigen Unterschiede in der Gesellschaftsordnung den vorstaatlichen Organisationen bzw. den organisierten Interessen in der vorbürgerlichen Gesellschaft ebenso wie in den entwickelten demokratischen Wohlfahrtsstaaten eine „intermediäre“ Stellung zwischen Individuum und Staat zukommt, in der sie einerseits die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem Staat definieren und repräsentieren, andererseits aber auch politische Vereinbarungen und Zugeständnisse gegenüber ihren Mitgliedern zu vertreten und durchzusetzen haben.

Helmut Voelzkow
Neue Soziale Bewegungen

Der Begriff Neue Soziale Bewegungen (NSB) setzte sich Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik durch. Er steht als eine Sammelbezeichnung für diverse politische Protestgruppen und soziale Bewegungen, die im Gefolge der außerparlamentarischen Opposition und insbesondere der Studentenbewegung ab den späten 60er Jahren aufkamen, deren Wurzeln jedoch teilweise weiter zurückreichen. Das Adjektiv „neu“ markiert eine zeitliche und qualitative Abgrenzung zur Arbeiterbewegung als die klassische „alte“ soziale Bewegung. Zwischen dieser und den NSB bildet die Studentenbewegung eine Art Brücke. Einerseits hielt sie an bestimmten Positionen der Arbeiterbewegung fest: dem entschiedenen Antikapitalismus, der zentralen Rolle der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt und dem Anspruch auf umfassende Demokratisierung. Andererseits distanzierten sich Studentenbewegung ebenso wie NSB von Fortschrittskonzepten und Organisationsmodellen der Arbeiterbewegung. Antikapitalistische und vor allem revolutionäre Positionen sind für die NSB nicht mehr konstitutiv. Dagegen teilen die NSB mit der Studentenbewegung die Kritik an hierarchisch-bürokratischen Organisationsstrukturen. Die NSB verbinden radikaldemokratische Forderungen mit dem Ziel solidarischer, selbstbestimmter Lebensweisen und der Verbesserung der Lebensbedingungen vorwiegend in der Reproduktionssphäre. Thematische Brennpunkte für wichtige Einzelbewegungen sind die Emanzipation von Frauen, Ökologie, Frieden und Abrüstung, selbstverwaltete Lebens- und Arbeitsformen, Hunger und Elend in der Dritten Welt sowie Bürger- und Menschenrechte. Zum Umfeld der NSB zählen aber auch Selbsthilfegruppen im Gesundheits- und Sozialbereich, Hausbesetzer und militante „autonome“ Gruppen.

Dieter Rucht
Notstandsverfassung

Das → Grundgesetz enthielt in seiner ursprünglichen Fassung von 1949 keine Vorsorge gegen einen Angriff von außen oder eine Gefährdung der inneren Sicherheit des Staates durch Bestrebungen eines mit gewalttätigen Mitteln versuchten Umsturzes. Erst nach Erlangung der Souveränität im Jahre 1955 wurde zunächst im Rahmen der Wehrverfassung durch Ergänzungen des Grundgesetzes die militärische Verteidigung rechtlich ermöglicht. Wird die Sicherheit D.s bedroht, sind rasche Entscheidungen notwendig, und alle verfügbaren Kräfte müssen zusammengefaßt werden. Hierfür ist der normale Prozeß der Staatswillensbildung nicht geeignet. Er ist langsam und umständlich, um Macht zu begrenzen. Nach jahrelanger politischer Auseinandersetzung entstand 1969 die Notstandsverfassung, die für den Verteidigungsfall oder für den Fall schwerer innerer Unruhen das Grundgesetz änderte und ergänzte.

Ernst Benda
Öffentliche Finanzen

Die Handlungskraft des modernen Staates ist wesentlich bestimmt durch seine Verfügungsgewalt über Geld, denn dieses stellt — neben dem Recht — sein vorrangiges Steuerungsmedium dar. Als „Steuerstaat“(Gold-scheid) absorbiert er, meist unter Einsatz seiner Hoheitsgewalt, einen erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Kaufkraft ohne direkte Gegenleistung und verwendet diesen für die Produktion von Gütern und Leistungen und für Transferzahlungen an Unternehmen und Haushalte. Gesamtumfang der Staatsquote, Einnahmen- und Ausgabenstruktur sind relevant für die Wohlfahrtsposition der Bürger und damit Themen des politischen Wettbewerbs zwischen konkurrierenden → Parteien.

Heinrich Mäding
Öffentliche Meinung

Öffentlich wird eine Angelegenheit nicht nur deshalb genannt, weil sie nicht geheim und allgemein zugänglich ist. Öffentlich ist etwas vor allem dann, wenn es mit der „res publica“ zu tun hat, wenn es alle angeht. Öffentliche Meinung (ö.M.) als politischer Begriff ergibt sich nicht automatisch aus der Addition individueller Meinungen, sondern aus der Wirkung von Meinungen als herrschende Meinung. Die ö.M. ist eine zentrale Kategorie für die Bestimmung der Legitimität demokratischer Herrschaft.

Ulrich Sarcinelli
Öffentliche Unternehmen

Nach der Definition der Finanzstatistik werden Unternehmen als öffentlich bezeichnet, wenn die öffentliche Hand die Kapitaloder Stimmrechtsmehrheit besitzt. Ende 1988 gab es in der BRD 3950 solcher Unternehmen (1982, einschließlich des VEBA- und VW-Konzerns: 4070), ihr Anteil an den Bruttoanlageinvestitionen betrug 16,7% (1982: 17,2%), ihr Anteil an den abhängig Beschäftigten 9,2% (1982: 11,3%) jeweils bezogen auf alle Unternehmen. Je ca. die Hälfte der öffentlichen Unternehmen war 1988 in privaten (AG, KG usw.) und in öffentlichen Rechtsformen (Eigenbetrieb usw.) organisiert. Der Anteil der öffentlichen Hand am Nennkapital betrug 98% von insgesamt 291,5 Mrd. DM. 0,5% aller Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) der BRD waren 1988 öffentlich und hielten 16,2% (1985:18,6%) des Nennkapitals aller Kapitalgesellschaften. Die öffentlichen Unternehmen haben ihre Schwerpunkte — gemessen am Anteil an der Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche im Jahre 1988 — mit 62,2% in den Bereichen Versorgung und Verkehr (Post, Bahn, Stadtwerke, Elektrizitäts-Verbundunternehmen), mit 51,4% bei Kreditinstituten (Sparkassen, Landesbanken, Kreditanstalt für Wiederaufbau) und mit 24,2% bei Versicherungen. Die übrigen Bereiche wiesen Anteile unter 2,5% auf. In den neuen → Bundesländern hat die → Treuhandanstalt bis Ende 1994 265 Unternehmen kommunalisiert und zahlreiche Unternehmen den Ländern zurückgegeben.

Thomas Lange
Öffentlicher Dienst

Der Begriff „Öffentlicher Dienst“ beinhaltet sowohl die Gesamtheit des Staatspersonals als auch das besondere Arbeitsverhältnis der Staatsbeschäftigten zu ihrem Arbeitgeber. In der Arbeitgeberrolle tritt der Staat in unterschiedlichster Gestalt auf: als Bund, Land, Kommune, als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder als Verwaltung im Gewande des Privatrechts (z.B. Stadtwerke GmbH).

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Öffentlichkeitsarbeit/Presse-und Informationsamt der Bundesregierung

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist seit jeher Instrument der Regierungsmacht, mit zentraler Bedeutung in totalitären Staaten. Ebenso ist sie aber in komplexen, demokratischen Staaten notwendiger, legitimer Bestandteil der Informationsvermittlung. Bereits Friedrich II. betrieb eine systematische Informationspolitik zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Bismarck schuf ein auf ihn zugeschnittenes Preßdezernat und beeinflußte mit Mitteln seines geheimen Reptilienfonds Journalisten durch Druck oder Bestechung. 1915 wurde ein Kriegspresseamt als Zensurbehörde geschaffen. In der Weimarer Verfassung ist erstmals das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verankert worden. Ein Reichspressechef stand einer Regierungsabteilung vor. Der NS-Staat setzte die → Grundrechte außer Kraft und schaltete die → Massenmedien gleich. Die Reichspressekammer als Zwangsorga-nisation wurde Instrument des Ministers für Propaganda und Volksaufklärung. Die → DDR betrieb Öffentlichkeitsarbeit als Mittel des ideologischen Klassenkampfes im Sinne sozialistischer Parteilichkeit und Bewußtseinslenkung. Instrumente der zentralgelenkten Informationspolitik waren zentralisierte Journalistenausbildung, Personalpolitik in den Medien, ein staatliches Lizenzsystem, die Monopolisierung der Vertriebswege, die Zuteilung von Papier, die Einrichtung eines Presseamtes sowie der Kommitees für Rundfunk und für Fernsehen beim Ministerrat als kontrollierende Institutionen, die tägliche Übermittlung der Vorschriften der Abteilungen Agitation und Propaganda der → SED an Medien. Im Zeitalter grenzüberschreitender Medien gelang die Durchsetzung des Meinungsmonopols der SED aber nicht.

Peter Schwiderowski
Opposition

Institutionalisierte Opposition als ständige legitime Kraft innerhalb des politischen Systems ist eine für die moderne Demokratie wesentliche Einrichtung, die auf den britischen Parlamentarismus zurückgeht. Einer Gruppe von durch Patronage an die Regierung gebundenen Abgeordneten saß dort seit dem 18. Jh. eine Gruppe → regierungskritischer Abgeordneter gegenüber („opposite“), die schließlich als „his majesty’s loyal opposition“ definiert wurde. Im 19. und 20. Jh. ist dieses System vervollkommnet worden und hat andere parlamentarische Systeme beeinflußt. Opposition in diesem Sinne ist die ständige Alternative zur Regierung, die nach konstitutionellen Regeln, insbesondere durch → Wahlen, Mehrheit werden will und kann.

Dietrich Thränhardt
Parlamentarisches Verfahren

Der organisatorische Aufbau des Parlaments läßt sich vom Verfahren unterscheiden, wenn die beiden Aspekte in der politischen Praxis auch nicht voneinander zu trennen sind. Ausgangspunkt für die Ausprägung des parlamentarischen Verfahrens (parl. Verf.) ist die Parlamentsautonomie, d.h. das Recht des → 4 Bundestags, seine Organisation und sein Verfahren im Rahmen des Selbstversammlungsrechts (Art. 39 II, III GG) sowie des Selbstorganisationsrechts (Art. 40 I GG) selbständig zu regeln. Die Gestaltung des parl. Verf. orientiert sich an den Aufgaben (Wahl-, Gesetzgebungs-, Kontroll- und Kommunikationsfunktion) sowie an der (parlamentarischen und parteipolitischen) Gliederung des Bundestags.

Hartmut Klatt
Parteien

Parteien sind in modernen politischen Systemen allgegenwärtig, und ihre (plurale) Existenz gilt als Merkmal der → Demokratie. Sie nehmen eine „intermediäre“ Stellung zwischen Staat und → Gesellschaft ein, dienen der Regierungsbildung und der Aggregation und Vermittlung von Interessen. Ihre Leistungsfähigkeit trägt dazu bei, politische Stabilität und Integration sowie ökonomische Effizienz zu gewährleisten. In wissenschaftlichen Ansätzen variiert ihre Funktionsweise zwischen „Stimmenmaximierungsapparat“, multifunktionaler „sozialer Organisation“, bürokratisierter „Großpartei“ (bzw. komplementär „Kleinpartei“) oder gar „organisierter Anarchie“ (A. MintzellH. Oberreuter 1992).

Josef Schmid
Parteienfinanzierung

Einige Probleme des vereinten D sind einer empirisch fundierten Erörterung noch immer nicht zugänglich. Dazu gehört auch die Parteienfinanzierung, weil ausreichende Informationen darüber nicht vorliegen.

Karl-Heinz Naßmacher
Parteiensystem

Der Wirkungszusammenhang von Beziehungen zwischen allen →Parteien wird als Parteiensystem bezeichnet. Bei einer engen Definition wird der über →Wahlen vermittelte Wettbewerbsaspekt betont, was eine Abgrenzung gegenüber totalitären Regimen erlaubt. Der Begriff setzt somit voraus, daß eine Mehrzahl von Parteien existiert, die über eine gewisse organisatorische Stabilität verfügt, und daß sie in einem Konkurrenzverhältnis steht, welches institutionell (d.h. rechtlich und politisch-kulturell) verankert ist.

Josef Schmid
PDS — SED

Sowohl die seit der Jahreswende 1989/90 existierende Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) wie auch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) als ihre Vorgängerpartei aus den Jahren 1946–89 stehen in der Traditionskette kommunistischer Parteien in Deutschland. Im Januar 1919 wurde unter der Führung R. Luxemburgs und K. Liebknechts die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet, die ihrerseits auf den linken Flügel der Sozialdemokratie der Kaiserzeit und insbesondere auf den Spartakusbund und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) zurückging. Im Verlauf der Weimarer Republik radikalisierten sich Ideologie und Politik der KPD, wurden ihre Parteistrukturen an das Vorbild der bolschewistischen KPdSU angeglichen und übernahmen Parteigänger Stalins die Parteiführung. Damit isolierte sich die KPD immer mehr im politischen System der Weimarer Republik, nicht zuletzt gegenüber der SPD als der anderen Partei der Arbeiterklasse, und trug zum Untergang der ersten deutschen Demokratie bei. Im Dritten Reich standen die Kommunisten an vorderster Front des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur und hatten daher auch die größten Opfer zu beklagen. Nach der Befreiung Deutschlands von der Naziherrschaft wurde die KPD im Juni 1945 von aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrten Kommunisten unter Führung W. Piecks und W. Ulbrichts mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht wiedergegründet, obwohl damals viele Kommunisten und Sozialdemokraten, die in Deutschland überlebt hatten, sich für einen demokratischen Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien aussprachen. Nachdem aber die Kommunisten entgegen ihren Erwartungen nicht einmal in der Sowjetischen Besatzungszone zur dominierenden Volkspartei werden konnten, schwenkten die deutschen und sowjetischen Kommunisten ab Herbst 1945 auf das Ziel der Vereinigung von KPD und SPD um. Dieses Ziel konnte mit indirektem Druck und offenem Zwang im April 1946 lediglich in der Sowjetischen Besatzungszone erreicht werden; in den drei Westzonen bewahrte die Sozialdemokratie aufgrund des entschiedenen antikommunistischen Kurses von K. Schumacher ihre Selbständigkeit. Seit dieser Spaltung des deutschen Parteiensystems unter dem Einfluß des Kalten Krieges, von der als erste die SPD betroffen war, nahmen die kommunistischen Parteien in Ost- und Westdeutschland eine ganz entgegengesetzte Entwicklung. Während die KPD in der Bundesrepublik längst vor ihrem Verbot durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 zu einer marginalen politischen Kraft absank und auch nach der Wiedergründung als Deutsche Kommunistische Partei (DKP) im Jahr 1968 eine Splitterpartei blieb, wurde die SED zur kommunistischen Staatspartei der DDR.

Wilhelm Bleek
Pluralismus

Pluralismus (P) als Begriff der politischen Theorie kennzeichnet die moderne Lebenswelt in den hochindustrialisierten Gesellschaften der westlichen OECD-Länder. Im P. konkurrieren eine Vielzahl verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen mit- und gegeneinander um gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Macht. Sie versuchen ihren Einfluß in den politischen Prozeß einzubringen und auf die staatliche Gewalt durchzusetzen. Verschiedene intermediäre Gruppen — z.B. → Parteien, → Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, karitative Organisationen, → Kirchen, wissenschaftliche Vereinigungen, → Bürgerinitiativen u.a.m. verfolgen selbständig und autonom ihre Ziele innerhalb des politischen Systems, wobei sie theoretisch gleichberechtigt sind. Wie im politischen System „Staat“ die Staatsgewalt institutionell zwischen den Organen der Staatsgewalt aufgeteilt ist, so sollen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen ihre Macht gegenseitig begrenzen, d.h. daß im pluralistischen System einer Organisation immer eine machtvolle Gegenorganisation gegenüberstehen soll (z.B. Arbeitgeber/Gewerkschaften).

Wichard Woyke
Politikberatung

In den politischen Systemen der Gegenwart hat sich der Umfang der wissenschaftlichen Beratung politischer Entscheider erheblich ausgeweitet. Die Träger der Politikberatung, Experten aus Forschungs- und Beratungsinstituten, verfolgen dabei das Ziel, ihre Adressaten, Fachbeamte und Politiker, über das Umfeld und die Auswirkungen politischer Entscheidungen zu informieren. Dabei nimmt die Politikberatung zwei Funktionen wahr: Information und Legitimation Im ersten Fall dienen die Gutachten und sonstigen Hinweise der Experten dazu, Informationsdefizite von Verwaltung und Politik zu beseitigen; im zweiten Fall, beabsichtigte politische Entscheidungen durchempirische Analysen zu bestätigen oder bereits vollzogene Handlungen fachlich zu legitimieren.

Paul Kevenhörster
Politikwissenschaft

Die Politikwissenschaft ist keine „reife monoparadigmatische Wissenschaft“ (vgl. Kuhn 51981), auch nicht in Deutschland. In der → DDR offiziell lange Zeit verpönt, hat sie in der BRD nach Abschluß ihrer Institutionalisierungs- und Etablierungsphase Ende der 50er Jahre einen Prozeß der Auflösung ihres ursprünglich liberal-parlamentarisch bestimmten Grundkonsenses durchgemacht. Parallel dazu hat sie einen Prozeß allmählicher Negativetikettierung erfahren. Das gilt sowohl für die Selbst- als auch für die Fremdeinschätzung des Faches. Gleichwohl konnte die Politikwissenschaft in Westdeutschland lange Zeit kräftig expandieren. Mitte der 80er Jahre war sie mit 278 ausgewiesenen Professorenstellen an 39 Universitätsstandorten entweder mit einem Magister- oder mit einem Diplomstudiengang vertreten. Die Zahl der Hauptfächler belief sich auf über 14000, die der Nebenfächler auf knapp 7500. Hinzu kamen 6132 Lehramtsstudierende.

Rüdiger Robert
Politische Beteiligung/Politische Partizipation

Unter politischer Beteiligung werden in der Regel jene Verhaltensweisen von Bürgern verstanden, die sie alleine der mit anderen freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen (Barnes, Kaase u.a. 1979: 42). Diese Einflußnahmen können sich auf eine oder mehrere Ebenen des politischen Systems (Gemeinde, Land, Bund) richten. Der fortlaufende Prozeß der institutionellen internationalen Vernetzung, in Europa vornehmlich im Kontext der EG, führt darüber hinaus auch zur Einbeziehung transnationaler Regime, konkret z.B. in Form von Wahlen zum Europäischen Parlament.

Max Kaase
Politische Bildung

Die Notwendigkeit politischer Bildung (pB) ist heute unbestritten. „Politische Bildung gehört zu den unerläßlichen Elementen einer demokratischen politischen Kultur“ (Sander). Was im einzelnen jedoch unter pB verstanden wird, ist in Wissenschaft und Politik mehr oder minder kontrovers. Eine inhaltliche Begriffsbestimmung von pB zu suchen, die Aussicht hätte, von allen akzeptiert zu werden, macht daher wenig Sinn. Auf einer eher formalen Ebene lassen sich allerdings ein weiter und ein enger Begriff von pB unterscheiden. PB in einem weiten Sinne ist danach ein Sammelbegriff, der alle Prozesse umfaßt, die auf jeden Menschen als Mitglied einer sozialen und politischen Ordnung über unterschiedliche Gruppen, Organisationen, Institutionen und Medien politisch prägend einwirken. PB in einem engeren Sinne ist die Sammelbezeichnung für alle bewußt geplanten und organisierten, kontinuierlichen und zielgerichteten Maßnahmen von Bildungseinrichtungen, um Jugendliche und Erwachsene mit den zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben notwendigen Voraussetzungen auszustatten. PB im letzteren Sinne findet sowohl in der Schule, im Unterricht bestimmter Fächer, als Unterrichtsprinzip oder in Bildungsprozessen außerschulischer Institutionen statt. So wichtig gerade in der jetzigen Situation die außerschulische pB auch sein mag, der Kern der theoretischen Diskussion um Grundlagen, Ziele, Konzeptionen und Rechtfertigungen pB beschränkt sich im wesentlichen auf die pB in der Schule und auf die entsprechenden Unterrichtsfächer. PB in der Schule steht daher auch im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen. Durch diese Eingrenzung ist allerdings eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs noch nicht geleistet.

Peter Massing
Politische Elite

Die Struktur der politischen Klasse nach der deutschen → Wiedervereinigung ist das Ergebnis einer dreifachen Eliten-Transformation: Eines rapiden Personalwechsels in den zentralen staatlichen Führungsrängen während der Endphase der → DDR, wo — bereits vor der Einigung — die Spitzenfunktionäre der alten, SED-dominierten Nomenklatur weitgehend ausgeschaltet worden waren; 2. einer selektiven Integration neuer Kräfte, sowohl aus Teilen der DDR-Transitions-Elite als auch aus den alten → Bundesländern, in das bereits bestehende Machtgefüge der BRD; und 3. einer Neuformierung in den ersten Jahren des vereinten D. Zwar liegen zur Zeit nur erst partielle elitensoziologische Analysen vor; erkennbar sind jedoch zwei generelle Merkmale der neuen politischen Führungselite in D: Personelle Regeneration einerseits, strukturelle Kontinuität andererseits. Das jedenfalls trifft auf den Kern der politischen Klasse zu, d.h. auf die gesamtstaatlichen parlamentarisch-gouvemementalen und parteipolitischen Führungsgruppen zu.

Dietrich Herzog
Politische Kultur

Der Begriff ist amerikanischer Herkunft und wird in der Forschung wertfrei benutzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dagegen in Deutschland eine nur positive Verwendung des Begriffs durchgesetzt. Danach beinhaltet politische Kultur (im folgenden pK genannt) einen besonders stilvollen oder moralischen Umgang mit politischer Macht, den man einander zubilligen oder absprechen kann. Im folgenden wird einzig der wissenschaftliche Wortgebrauch verwandt. Er erlaubt die Bezeichnung pK auch im Zusammenhang mit politischen Regimen, die man verabscheut, in folgendem Sinne:

Martin, Sylvia Greiffenhagen
Politische Sozialisation

Politische Sozialisation (PS) ist in engem Zusammenhang mit → politischer Kultur und → politischer Bildung zu sehen. Nimmt man die klassische Definition politischer Kultur als die „jeweilige Verteilung von Orientierungsmustern gegenüber politischen Gegenständen“ in einer Gesellschaft (Almond/Verba 1963), dann bezeichnet PS den Erwerb dieser Orientierungsmuster durch das Individuum. Der Begriff ist außerordentlich komplex, da er mit allen Problemen und Kontroversen der Definition des „Politischen“ belastet ist und „Sozialisation“ die gesamte — bewußte und unbewußte — Vermittlung gesellschaftsbezogener Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen und Werte bezeichnet — wobei sowohl der Prozeß als auch die Ergebnisse in Betracht kommen können. Forschungspraktisch ergibt sich ein Übergewicht des Ergebnisaspekts, da empirische Befragungen zunächst statische Bilder hervorbringen und Verläufe sich nur durch aufwendige qualitative Verfahren untersuchen oder durch Zeitreihen rekonstruieren lasen. So bleibt der eigentliche Prozeß der PS zwangsläufig zumindest teilweise eine „black box“.

Ulrich Meyer
Politische Stiftungen

Als politische Stiftungen gelten in D fünf Organisationen, die den fünf großen deutschen, im Bundestag vertretenen Parteien nahestehen: die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, die F.D.P.-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und der den Grünen nahestehende Stiftungsverband Regenbogen.

Roland Kress
Rechnungshof

Rechnungshöfen obliegt die Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Verwaltung. Insbesondere vergleichen Rechnungshöfe den Haushaltsplan der ihrer Kontrolle unterstehenden Körperschaft mit der Verwendung, d.h. den tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben unter Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit, der Ordnungsmäßigkeit, der Sparsamkeit, der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit. Das Aufgabenfeld umfaßt die Revision aller Staatsfinanzen und des Finanzgebarens. Gegenstand der Finanzkontrolle sind nicht nur die einzelnen finanzwirksamen Verwaltungsakte, sondern auch deren Verknüpfung durch das Verwaltungshandeln. Entscheidungen des Gesetzgebers sowie der legitimierten politischen Entscheidungsebene (Regierung) unterliegen nach allgemeinem Verständnis nicht der Kontrollen des Rechnungshofes.

Nils Diederich
Rechtsstaat — Rechtspolitik

Die Idee des Rechtsstaates ist nicht neu, aber sie hat erst nach den Erfahrungen mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus im → Grundgesetz ihren zeitgemäßen Inhalt erhalten. Der Rechtsstaat des 19. Jhs. wollte die bürgerlichen Freiheiten sichern. Daher wurden Eingriffe der Verwaltung von einer gesetzlichen Ermächtigung abhängig gemacht. Dem Betroffenen wurde die Möglichkeit gegeben, Rechtsschutz gegen die Verwaltung durch unabhängige Gerichte in Anspruch zu nehmen. Auch der Grundsatz der Gewaltenteilung und das Recht auf Entschädigung bei Eingriffen in die private Vermögenssphäre gehörten zum Wesen dieses „formalen“, „bürgerlichen“ Rechtsstaates.

Ernst Benda
Regierungserklärung

Die Regierungserklärung als Absichtserklärung einer neu gebildeten Regierung hat eine lange Tradition, die bis in die Zeiten des liberalen Konstitutionalismus des vergangenen Jahrhunderts zurückreicht. Versteht man sie noch allgemeiner als programmatische Eröffnung aus Anlaß des Eintritts in ein öffentliches Amt oder eine bedeutende politische Funktion oder gar als richtungsweisende Rede anläßlich eines einschneidenden Ereignisses, so mag es Herkunftslinien geben, die weit über den Parlamentarismus hinaus bis in die Frühzeiten des Politischen verweisen.

Bernd Guggenberger
Regionen

Abgrenzungen einer Region (R) beziehen sich immer auf die politisch-rechtliche Stellung im jeweiligen politischen System und/oder die Auswahl aus einer Vielzahl möglicher Abgrenzungskriterien. R sind also nicht allgemeingültig definierbar. Grundsätzlich können jedoch — zumindest analytisch — zwei Formen von R unterschieden werden: 1. R als vom Zentralstaat nach funktionalen Kriterien (z.B. Wirtschaftsstruktur, Planung, Raumordnung) abgegrenzte Gebietskörperschaft, die in unterschiedlicher politisch-institutioneller Form mit Eigenkompetenzen ausgestattet sein kann; 2. R als historisch gewachsener, veränderbarer Raum, der durch die territoriale Verdichtung kultureller, sprachlicher, landsmannschaftlicher oder naturräumlicher Eigenarten und v.a. durch ein raumbezogenes Zusammengehörigkeitsgefühl (Identität) der Bevölkerung gekennzeichnet ist.

Andreas Langmann
Republik

Der Begriff der Republik (R.) ist einem fundamentalen Bedeutungswandel unterworfen. N. Machiavelli hatte die aristotelische Dreiteilung (Alleinherrschaft, Herrschaft weniger, Herrschaft vieler) auf eine Zweiteilung reduziert und die Staaten der Welt nach R.en und Monarchien unterschieden. In den R.en herrschten viele, in den Monarchien gehe die Staatsgewalt von einem einzigen aus. Aufgrund der Parlamentarisierung vieler Monarchien hat sich heute der Bedeutungsgehalt gewandelt. Mit R. ist jede Nicht-Monarchie gemeint. Das Staatsoberhaupt wird also nicht durch Erbfolge bestimmt. Die Frage der Staatsform — R. oder Monarchie — ist demnach weitaus weniger wichtig als die Frage nach der Regierungsform — Demokratie oder Diktatur. Schließlich sagt die jeweilige Staatsform noch nichts über die tatsächlichen Herrschaftsträger und über die Legitimität des Staates aus. Die → DDR war ebenso eine R. wie die BRD. In diesem Sinne ist R. ein bloßer Formalbegriff, der eine klare Einteilung der Staaten nach diesem Kriterium ermöglicht. Da die Propagierung der Monarchie heute keine Rolle spielt, ist der Begriff R. ohne Substanz. Doch gibt es zunehmend eine Position, die den Begriff der R. aufzuwerten sucht (vgl. Henke 1987). R. wird wieder mit der römischen res publica in Verbindung gebracht. Danach sind Staaten mit einer freiheitlichen Ordnung R.en — Staaten, die an den Bürgersinn appellieren, das Gemeinwohl zu verwirklichen suchen und eine rechtsstaatliche Ordnung aufweisen.

Eckhard Jesse
Republikaner

Die Gründung der Republikaner als eine neue Partei „rechts der Mitte“ ging im November 1983 von Bayern aus. Nach parteiinternen Auseinandersetzungen wurde F. Schönhuber 1985 Vorsitzender der Partei. Im Oktober 1986 erreichten die Republikaner bei den bayerischen Landtagswahlen überraschende 3,1% (→ Land Bayern). Bis zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Januar 1989 (7,5%) (→, Land Berlin) erzielte die Partei in den übrigen drei Landtagswahlen, an denen sie sich beteiligte, nur sehr bescheidene Ergebnisse. Erstmals seit den kurzfristigen Erfolgen der NPD → Splitterparteien) Ende der 60er Jahre gelangte mit den Republikanern in Berlin wieder eine Rechtspartei in ein Landesparlament. Dieser Erfolg fand seine Fortsetzung in der Europawahl vom 18.6.1989, in der die Republikaner bundesweit 7,1% der Stimmen erzielten. Ihre höchsten Stimmenanteile lagen im Süden der BRD (Bay. 14,6% und Bad.-W. 8,7%) (→ Land Baden-Württemberg). Bei den weiteren Landtagswahlen der Jahre 1990 und 1991 und insbesondere bei der Bundestagswahl vom 2.12.1990 mit 2,1% blieben die Republikaner weit hinter ihren eigenen Erwartungen und ihren proklamierten Zielen zurück. Die hohen Erfolge in der Landtagswahl vom April 1992 in Bad.-W. (10,9%) und auch der DVU in S.H. (→ Land Schleswig-Holstein) (6,3%) deuten jedoch darauf hin, daß der Aufschwung rechtspopulistischer Protestparteien unter den besonderen Bedingungen des deutschen Vereinigungsprozesses zwar ins Stocken, nicht aber zum Stillstand gekommen war.

Norbert Lepszy
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Der 1963 auf der Grundlage eines Bundesgesetzes geschaffene und schon deshalb herausgehobene Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) — in den Medien häufig als die „fünf Weisen“ apostrophiert — bildet das im Hinblick auf Stellung und öffentliche Resonanz prominenteste Beispiel wissenschaftlicher → Politikberatung in der BRD. Vor dem Hintergrund zunehmender Verteilungskämpfe erhofften sich die Protagonisten des Gesetzes, u.a. der damalige Bundeswirtschaftsminister Erhard, v.a. eine „Versachlichung“ der Einkommenspolitik, wenn die Tarifparteien dem öffentlichen Druck des Sachverstandes und der Autorität eines prominenten Wissenschaftlergremiums ausgesetzt würden, konnten dann aber auch die staatliche Wirtschaftspolitik der wissenschaftlichen Kritik nicht entziehen.

Uwe Andersen
Selbständigenverbände

Selbständigenverbände (S) sind eine Sammelkategorie; insofern läßt sich kein einheitlicher „Typ“ von S. ausmachen. Abgrenzungsprobleme ergeben sich insbesondere gegenüber den Unternehmerverbänden. Ein mögliches Abgrenzungskriterium wäre die Mitgliedschaftseinheit: die Person hier — das Unternehmen/der Betrieb dort. Dann wäre z.B. die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) ein S., der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ein Unternehmerverband; in der Praxis dagegen ist die Zuordnung gemeinhin umgekehrt. Theoretisch unstrittig dürfte die Zuordnung zu S. nur bei den im Bundesverband der Freien Berufe (BFB) zusammengeschlossenen Verbänden sein.

Heidrun Abromeit
Sonderorganisationen der Parteien

Die Sonderorganisationen der beiden großen Parteien, der → CDU und der → SPD, sind — dies gilt insbesondere für die CDU — Ausdruck ihres Selbstverständnisses als Volkspartei und des in ihr organisierten innerparteilichen Interessenpluralismus. Dabei ist ihre Aufgabe grundsätzlich in einer Doppelfunktion zu sehen: Zum einen artikulieren sie innerhalb der eigenen Partei die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen; zum zweiten haben sie die Aufgabe, innerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe für die Ziele und Prinzipien der eigenen Partei intensiver zu werben.

Norbert Lepszy
Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftspolitik

Die totale militärische und politische Niederlage des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg bedeutete für D. auch eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe. Stichworte sind Flüchtlings-, Hungers-, Wohnungsnot. Die Siegermächte betrieben anfänglich eine Politik der Reparationen, der Demontagen und der Fertigungsverbote. Die Kriegsfinanzierung über die Notenpresse hatte einen gewaltigen Geldüberhang zur Folge (→ Währung).

Uwe Andersen
Sozialpolitik

Sozialpolitik im engeren Sinne — die in diesem Beitrag im Zentrum steht — ist die Bezeichnung für institutionelle, prozessuale und entscheidungsinhaltliche Dimensionen verbindlicher Regelung der sozialen Sicherheit durch Staat, Verbände, Betriebe sowie Verwandtschafts- und familiäre Systeme, während zur Sozialpolitik im weiteren Sinne zusätzlich die Gestaltung der Arbeitsordnung zählt.

Manfred G. Schmidt
Sozialstaat

In D ist der Sozialstaat verfassungsrechtlich in den grundgesetzlichen Formulierungen „sozialer Bundesstaat“ (Art. 20,1) sowie „sozialer Rechtsstaat“ (Art. 28,1) als allgemeine Staatszielbestimmung normiert, die das Gemeinwesen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit als Richtschnur der Erfüllung öffentlicher Aufgaben verpflichtet. Der Sozialstaat der BRD trat im Rahmen der dt. Vereinigung an die Stelle sozialistischer Staatlichkeit der DDR. Staats- und Einigungsvertrag übertrugen die sozialstaatlichen Strukturen der BRD mit den Hauptpfeilern eines kollektiven Arbeitsrechts und der gegliederten Sozialversicherungen auf die DDR bzw. D. Dies geschah unter Verzicht auf Reformen oder Vereinfachungen des Sozialrechts — nur unter Hinzufügung von Übergangs- bzw. Sonderregelungen (z.B. Altersübergangsgeld, Sozialzuschlag) bei Zweiteilung der Sozialleistungsniveaus entsprechend den weiterhin differierenden Lohnniveaus in Ost und West. Der soziale Rechtsstaat löste den „sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern“ (Art.1) der DDR-Verfassung von 1974 ab. Sozialistisches Eigentum an den Produktionsmitteln bot danach die Gewähr für das „Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation“ (Art. 24,1), beinhaltete mithin eine staatliche Beschäftigungsgarantie qua weitestgehender Integration der Bevölkerung in den Arbeitsprozeß. Im Zentrum der marktwirtschaftlich-sozialstaatlichen Transformation der DDR-Gesellschaft stand der Fortfall dieses „vorsorgenden“ Systems sozialer Sicherung zugunsten kompensatorischer, „nachträglich” einsetzender Einrichtungen sozialer Sicherung (Offe 1994, S.116).

Frank Nullmeier
SPD — Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Die SPD leitet ihren Ursprung von zwei Organisationen her: dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, 1863 in Leipzig von F. Lassalle gegründet, und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die 1869 in Eisenach auf Initiative von A. Bebel und W. Liebknecht entstand. In beiden → Parteien gehörte die „deutsche Frage“ zu ihren zentralen Themen und war auch ein Grund ihrer Trennung: Die Lassalleaner waren „kleindeutsch“, die Eisenacher „großdeutsch“. Durch die Gründung des Deutschen Reiches verlor der Konflikt seine Relevanz. 1875 schlossen sich die beiden sozialdemokratischen Parteien zusammen.

Susanne Miller
Splitterparteien

Trotz der Konzentration des deutschen → Parteiensystems gab es immer auch eine Vielzahl von „nicht-etablierten Kleinparteien“ (Rowold), die im Parteienwettbewerb antraten. Insgesamt sind seit 1945 etwa 150 politische → Parteien und Gruppierungen in Erscheinung getreten. Obwohl diese Parteien und Gruppierungen nicht immer die sehr strengen Definitionskriterien des Parteibegriffs des Parteiengesetzes erfüllen, sind sie doch gleichwohl Zeichen einer bemerkenswerten parteipolitischen Vielfalt im vorparlamentarischen Raum und im „Schatten der Macht“ (Rowold: 312).

Jürgen Hoffmann, Norbert Lepszy
Staatliches/öffentliches Vermögen

Öffentliches Vermögen ist nach der Definition des Haushaltsrechts das im öffentlichen Eigentum stehende Vermögen. Es ist der bewertete Bestand an Wirtschaftsgütern, über den Bund, Sozialversicherungen, Länder und → Gemeinden verfügen. Es besteht aus dem Verwaltungs- und dem Finanzvermögen. Das Verwaltungsvermögen setzt sich zusammen aus den unmittelbar der Erfüllung der Staatsaufgaben dienenden Anlagen wie Straßen, Verwaltungsgebäude, Schulen und Krankenhäuser. Das Finanzvermögen setzt sich zusammen aus Betriebsvermögen, Kapitalbeteiligungen und Forderungen gegen Gebietskörperschaften, Unternehmen, Private und das Ausland.

Thomas Lange
Staatsangehörigkeit/Staatsbürgerschaft

Das Institut der Staatsangehörigkeit als eines spezifische Rechte und Pflichten zwischen dem Staat und seinen Bürgern konstituierenden Rechtsverhältnisses ist historisch gekoppelt an die Herausbildung national- und verfassungsstaatlicher Strukturen in Europa im Übergang vom 18. zum 19. Jh. Die mittelalterlichen, polyarchisch zersplitterten Gemeinwesen kannten noch nicht das spezifische, in der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommende Zuordnungsverhältnis von Person und Staat. Vielmehr existierten persönliche Treueverpflichtungen gegenüber den jeweiligen Lehnsherren. Dieses Zuordnungsprinzip verlor vor dem Hintergrund mehrerer wechselseitig aufeinanderbezogener Modernisierungsund Transformationsprozesse in Europa an historischer Legitimität. Zum einen verlangte der aufkommende Nationalismus und seine Idee von der Sammlung der Völker in homogene Nationalstaaten nach einem Instrument zur Abgrenzung von der anders-staatlichen und andersnationalen Umwelt. Zum anderen bedingt die Erweiterung demokratischer Partizipationsrechte, die Einführung des allgemeinen → Wahlrechts sowie die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Strukturen eine im Institut der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommende Festlegung der Personalhoheit der Staaten.

Bernhard Santel
Staatsgebiet/Grenzen

Völkerrechtlich zeichnet sich ein Staat durch die die drei folgenden Attribute aus: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Das Staatsgebiet ist der räumliche Bereich, über den der Souverän Gebiets- oder Territorialhoheit besitzt und allein rechtmäßig Staatsgewalt ausüben kann. Alle im Staatsgebiet anwesenden Personen sowie alle befindlichen Sachen und Objekte sind der Staatsgewalt unterworfen. Somit umreißt das Staatsgebiet rechtlich jenen verfassungsrechtlich bestimmten Geltungsbereich, in dem auch ein Volk seine rechtliche und reale Existenz gefunden hat. Zum Staatsgebiet zählen das Landgebiet, eventuelle Exklaven, die inneren Gewässer, die Eigengewässer und das Küstenmeer. Zum 1.1. 1995 hat Deutschland die Dreimeilenzone zugunsten der Zwölfmeilenzone verändert und damit seine Souveränität in der Nord- und Ostsee ausgedehnt. Das Staatsgebiet bezieht außerdem den Luftraum senkrecht über dem und den Raum unter der Erdoberfläche ein. Das Staatsgebiet wird von Staatsgrenzen umgeben, die völkerrechtlich zwischen den angrenzenden Staaten in Form eines Grenzvertrages oder durch multilaterale Verträge festgesetzt werden.

Wichard Woyke
Staatsgewalt

Der Staat als komplexes kulturelles Gebilde hat historisch verschiedene Strukturformen durchlaufen, im modernen Sinne aber definiert sich die Gestaltung des öffentlichen Raumes als herrschaftliche Ordnung. Unabhängig von seiner Definition als Rechtsordnung, Sozialgebilde, Integrationsform o.ä. — also der jeweiligen Staatszwecklehre — war im Kontext der europäischen Dynastien-/Regionalkonkurrenz seit dem 16. Jh. der evolutive Vorteil geschlossener Macht- als Wirtschaftsräume evident.

Sven Papcke
Staatssymbole

Symbole sind sichtbare, klangliche, rituelle oder gedankliche Zeichen, die auf einen sonst nicht wahrnehmbaren Sinngehalt verweisen. Zu Staatssymbolen werden im Rahmen der politischen Symbolik u.a. Wappen und Siegel, Farben und Flaggen, Hymnen, Hauptstädte und Feiertage gezählt. Als Zeichen dienen sie zur Veranschaulichung und öffentlichen Darstellung eines Staates. Über diese Repräsentations-funktion hinaus kommt ihnen die Aufgabe zu, als Sinnbilder die grundlegenden Traditionen und Werte eines Staatswesens zu verdeutlichen und zu vermitteln. In enger Verbindung mit dem Angebot von Deutungsmustern steht die Integrationsfunktion von Staatssymbolen, die zur Herausbildung einer kollektiven Identität und zur Identifikation mit dem politischen System beitragen können. Aufgrund ihrer Eigenschaft als „geronnene Werte“ und ihrer Bedeutung für die Legitimitätssicherung spiegeln Staatssymbole → die politische Kultur einer → Gesellschaft wider.

Rainer Bovermann
Staatsverschuldung

Staatsverschuldung (SV) umfaßt die staatliche Kreditaufnahme in der Regel am Kapitalmarkt, die die Finanzierung von Haushaltsdefiziten ermöglicht. Nach den Steuern stellt SV meist die zweitwichtigste Einnahmequelle des Staates dar. Der Begriff wird sowohl für die gesamte, über die Zeit kumulierte SV als auch für die neue, jährliche Kreditaufnahme verwendet. Im letztgenannten Fall ist regelmäßig die Nettokreditaufnahme (Bruttobetrag./. Tilgung) gemeint, obwohl für bestimmte Analysezwecke (z.B. Schuldenmanagement) auch die Brutto-SV interessiert. Zu beachten ist bei der SV — teilweise auch als öffentliche Verschuldung bezeichnet — die Ausdifferenzierung des Staatsbegriffes und damit die Frage, welche Institutionen einbezogen werden. Dies gilt um so mehr, als die teilweise Verlagerung von Kreditaufnahmen auf „staatsnahe“ Sondertöpfe erlaubt, die SV optisch zu verschleiern und statistisch zu „schönen“, was u.a. internationale und intertemporale Vergleiche erschwert. Die enge Verbindung zwischen Fiskal- und Geldpolitik zeigt sich u.a. darin, daß die Finanzierung staatlicher Defizite auch direkt über die Notenpresse der Zentralbank — formal über Notenbankkredite an staatliche Kreditnehmer — erfolgen kann. Wegen der damit verbundenen Mißbrauchsgefahr waren der → Deutschen Bundesbank nur eng begrenzte Kassenkredite gegenüber Bund und Ländern erlaubt, eine Möglichkeit, die entsprechend den Vereinbarungen über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion inzwischen ganz beseitigt worden ist.

Uwe Andersen
Stabilitätsgesetz/Konzertierte Aktion

Mit dem als „prozeßpolitisches Grundgesetz“ eingestuften „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (StWG) von 1967 verband sich die Hoffnung auf eine „Globalsteuerung“ der Wirtschaft im Sinne einer systematischen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen und damit eine Gewichtsverlagerung von der Ordnungs- zu einer an Keynes orientierten Prozeßpolitik. Der Schwerpunkt des StWG liegt bei der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung und Koordinierung der Einnahmen- und Ausgabenpolitik der verschiedenen Gebietskörperschaften. Abgesichert durch eine Änderung des Artikels 109 GG wird in § 1 das Ziel vorgegeben: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“ Zur Erreichung dieses „magischen Zielvielecks“ wird eine Reihe zusätzlicher Instrumente bereitgestellt, die bei unterschiedlichen Ansatzpunkten vor allem auf eine Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zielen: Information und Planung: Verpflich-tung der → Bundesregierung zu Jah-reswirtschaftsberichten (jeweils im Ja-nuar mit Jahresprojektion in Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Stellungnahme zum Jahresgutachten des → Sachverständigenrates) und fünfjähriger, jährlich fortzuschreibender Finanzplanung sowie Aufstellung mehrjähriger Investitionsprogramme und alle zwei Jahre Vorlage eines Subventionsberichtes;Antizyklische Finanzpolitik: zur Dämpfung kann die Bundesregierung bis zu 3% der im Vorjahr erzielten Steuereinnahmen von Bund und Ländern als Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillegen und die Kreditaufnahme öffentlicher Stellen begrenzen (mit Zustimmung des → Bundesrats und nach Beratung im neugeschaffenen „Konjunkturrat für die öffentliche Hand“), zur Belebung z.B. die aufgestellten Investitionsprogramme unter Rückgriff auf Konjunkturausgleichsrücklage und zusätzliche Kreditaufnahme vorzeitig realisieren;Beeinflussung privater Investitions- und Konsumnachfrage: Investitionsbonus(Abzug von bis zu 7,5% ber Investitionskosten von Einkommen- und Körperschaftsteuer) und umgekehrt Kürzung oder Aussetzung von Sonderabschreibungen und degressiver Abschreibung; Möglichkeit der Variation der Einkommen- und Körperschaftssteuer um bis zu 10%, wobei Mehreinnahmen in der Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillzulegen sind;Einbindung der Verbände: bei Gefährdung der in §1 genannten Ziele muß die Bundesregierung „Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmerverbände“ zur Verfügung stellen. Der Bundeswirtschaftsminister „hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern“ (§3).

Uwe Andersen
Statistisches Bundesamt/Statistische Landesämter

Die amtliche Statistik als die von staatlichen Stellen oder auf Veranlassung des Staates betriebene Statistik hat nach dem Gesetz über die Bundesstatistik (vgl. Statistisches Bundesamt 1988) die Aufgabe, laufend Daten über Massenerscheinungen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten und zu analysieren. Sie ist dabei dem Grundsatz der Neutralität, Objektivität und wissenschaftlichen Unabhängigkeit verpflichtet.

Hermann Schmitz
Streik und Aussperrung

Streik (S.) und Aussperrung (A.) sind Mittel des Arbeitskampfes im System der Tarifautonomie. Nach Art. 9/3 GG stehen sie unter einem besonderen Rechtsschutz. Ein eigenes Arbeitskampfgesetz gibt es jedoch nicht. Die Grundsätze des Arbeitskampfrechts haben sich im Rahmen der richterlichen Rechtsprechung herausgebildet (Richterrecht).

Gerhard Himmelmann
Strukturpolitik

Sektorale Strukturpolitik (St.) hat das Ziel, das Wachstum einzelner Sektoren der Volkswirtschaft, oder, innerhalb eines Sektors, das einzelner Branchen zu fördern oder Schrumpfungsprozesse zu verlangsamen. Die Förderung einzelner Branchen der Industrie wird auch als „Industriepolitik“ bezeichnet.

Dieter Grosser
Subsidiarität

Subsidiarität (S.) ist ein Begriff der Sozialphilosophie zur Kennzeichnung einer bestimmten Ordnung im Verhältnis von Staat und → Gesellschaft. Er stammt vom lat. „subsidium ferre“ (= Hilfestellung leisten) und besagt, daß der Staat im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr, aber auch nicht weniger tun soll, als Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten.

Manfred Spieker
Subventionen

Bereits die begriffliche Abgrenzung von Subventionen (S.) ist schwierig. Zielabhängig werden unterschiedliche S.-Begriffe verwendet mit enormen quantitativen Folgen. Die an der Strukturberichterstattung beteiligten sechs Wirtschaftsforschungsinstitute verwenden einen umfassenden S.-Begriff, der alle den Unternehmen mit Erwerbscharakter zufließenden Transfereinkommen erfaßt (Finanzhilfen, Steuervergünstigungen, zweckgebundene Zahlungen), auch die, die zwar an private Haushalte geleistet werden, aber wie Wohngeld oder Bergmannsprämien indirekt die Unternehmen entlasten. 1987 betrugen danach die S. 122 Mrd. DM = 6,1 % des BSP. In den S.-Berichten der → Bundesregierung wird ein engerer Begriff der S. verwendet. Dabei werden insbesondere Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für Bundesunternehmen oder die Grundlagenforschung nicht als S. gerechnet. Ebenso werden indirekte Transfers ausgeklammert. Nach dieser Abgrenzung betrugen die S. von Bund, Ländern und Gemeinden, ERP und EU 1987 71 Mrd. DM, 1993 114 Mrd. DM. Noch enger ist der Subventionsbegriff in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Er beschränkt sich auf die Finanzhilfen für laufende Produktionszwecke (1987 45 Mrd. DM, 1992 47 Mrd. DM). Im folgenden wird bei Zahlenangaben der S.-Begriff der S.-Berichte benutzt.

Dieter Grosser
Tarifautonomie

Die Tarifautonomie (TA) umfaßt das Recht der eigenständigen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge. Es ist ein spezielles Recht der Verbände des Arbeitsmarktes (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) und beruht auf Art. 9, 3 GG. Eine umfassende Gesetzgebung fehlt. Inhalt und Wirkung der TA haben sich aus der richterlichen Rechtsprechung heraus entwickelt (Richterrecht). Lediglich die formalen Zuständigkeiten der Arbeitsmarktverbände sind im Taritvertragsgesetz festgelegt. Danach können nur solche Vereinigungen „tariffähig“ sein, die den Abschluß von Tarifverträgen als Verbandsziel in ihrer Satzung verankert haben, die auf freiwilligem Beitritt beruhen, die vom Gegner unabhängig und zugleich zum Arbeitskampf bereit und fähig sind.

Gerhard Himmelmann
Terrorismus

Der Terrorismus (T.) ist eine Form des politischen Extremismus. Durch die systematische Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des „Systems“ soll die „herrschende Schicht” verunsichert und die „unterdrückte Klasse“ mobilisiert werden — z.B. dadurch, daß der Staat mit seinen Abwehrmechanismen überreagiert. In einem demokratischen Verfassungsstaat wie der BRD jedoch solidarisierte sich die Bevölkerung aufgrund der Gewaltakte mit der politischen Führung, nicht mit ihren militanten Gegnern. Der T. ist faktisch ein Ausdruck der politischen Isolation revolutionärer Minderheiten. Obwohl Rechts- und Linksterrorismus unterschiedliche Ziele anstreben, nimmt der Terrorakt eine so dominierende Rolle ein, daß die politischen Vorgaben irrelevant sind. Im Gegensatz zu manchen diktatorisch regierten Staaten speist sich der T. in der BRD nicht aus sozialen Defiziten. Bezeichnenderweise kommt der überwiegende Teil der Terroristen aus einem gehobenen sozialen Milieu. Die Wissenschaft ist sich darin einig, daß monokausale Erklärungsversuche bei einem hochkomplexen Phänomen wie dem T. nicht verfangen. Eine besondere Bedeutung dürfte der biographischen Methode als einer Art Integrationskonzept zuzumessen sein.

Eckhard Jesse
Treuhandanstalt

Am 1.3.1990 beschloß der Ministerrat der → DDR die Gründung der „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ (THA). Nach dem Willen der Regierung Modrow sollte die THA das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten. Wirtschaftsleitende Funktionen sollte die THA nicht ausüben. Haupttätigkeit der „Ur-Treuhand“ bestand in der Entflechtung von Kombinaten und der Umwandlung der Nachfolgeunternehmen in Kapitalgesellschaften. Diese Aufgabe war bis Juni 1990 erst zum kleinen Teil abgeschlossen. Die Regierung de Maiziére begann mit der Restitution von überwiegend kleineren Unternehmen, deren Eigentümer 1972 enteignet worden waren. Im Juni 1990 hatte die „Ur-Treuhand“ 143 Planstellen; sie waren fast ausschließlich durch Personen besetzt, die vorher in den Fachministerien und im Finanzministerium der DDR gearbeitet hatten. Am 17.6.1990 beschloß die Volkskammer das Treuhandgesetz. Westdeutscher Einfluß auf die Ziele und Inhalte des Gesetzes war gering.

Dieter Grosser
Umweltpolitik

Wie in anderen Industrieländern hat Umweltpolitik in Deutschland eine bis in das vergangene Jahrhundert zurückreichende Tradition. Dies gilt für die Genehmigungspflicht für bestimmte Anlagen nach der früheren preußischen Gewerbeordnung, für frühe Regelungen zum Gewässerschutz oder für den privatrechtlichen Nachbarschaftsschutz. Als neues Politikfeld, das die Problembereiche vor allem des Gewässerschutzes, der Luftreinhaltung, des Lärmschutzes, der Abfallregulierung, des Natur- und Strahlenschutzes integriert, entstand Umweltpolitik in den beiden deutschen Staaten jedoch erst Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre. Die Politik reagierte damit auf die fortschreitende Belastung von Wasser, Boden, Luft und Landschaft und auf den außerordentlichen Nachholbedarf im Umweltschutz nach einer Phase hohen Industriewachstums.

Martin Jänicke, Jürgen Pöschk
Umweltschutzverbände

Mit der wachsenden Bedeutung umweltpolitischer Fragestellungen in den 70er Jahren entstehen an Einzelprojekten orientierte → Bürgerinitiativen. Zur gleichen Zeit bilden sich umweltpolitisch orientierte Verbände, die relativ schnell wachsen und an Bedeutung gewinnen. Einige der vorwiegend am klassischen Naturschutz orientierten Verbände gehen auf teilweise berufsverbandsähnliche Organisationen von z.B. Jägern zurück. Mit einer stärker am Natur- und Umweltschutz orientierten Verbandspolitik haben diese „Naturnutzer“ die Umweltschutzverbände verlassen.

Wolfgang Kiehle
Ungleichheit

Der Begriff (soziale) Ungleichheit bringt zum Ausdruck, daß in einer → Gesellschaft soziale Positionen und sozialer Status (Ränge) wie Ressourcen (z.B. Eigentum und Einkommen, aber auch Macht und Prestige) ungleich verteilt sind, diese Verteilung negativ bewertet wird und daher ein gesellschaftliches Problem darstellt.

Bernhard Schäfers
Unternehmerverbände

Unternehmerverbände (U.) sind Organisationen zur politischen Vertretung der Interessen der Unternehmenswirtschaft, d.h. ihr primärer Organisationszweck ist die Artikulation und Durchsetzung unternehmerischer Forderungen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Für Unternehmer ist solche Assoziationsbildung nur eine unter mehreren Optionen der Interessendurchsetzung. In erster Linie erfolgt diese über den Markt, in zweiter Linie über Organisationen wie Kartelle und Trusts, die die bessere ökonomische Interessenrealisierung bezwecken; drittens steht vor allem Großunternehmern die Option informeller bzw. persönlicher Einflußnahme auf politische Entscheidungsprozesse offen. Im Unterschied zu anderen Gruppen ist politische Assoziation für Unternehmer folglich kein entscheidendes Mittel wirtschaftlicher Exi-stenzsicherung. Hinzu kommt für diese Gruppe eine spezifische Ausprägung des allgemein für Interessengruppen geltenden Organisationsproblems: Das gleiche gemeinsame Interesse am Wohlergehen der eigenen Branche impliziert den Kampf der Einzelunternehmer gegeneinander um Marktanteile innerhalb der Branche.

Heidrun Abromeit
Verkehrspolitik

Für die dt. Verkehrspolitik der 90er Jahre hat die Bundesregierung folgende Ziele aufgestellt (Bundesministerfair Verkehr 1990a: 2):„ Verkehr soll Wirtschaftswachstum und Mobilität ermöglichen.Es gilt, den EG-Binnenmarkt im Ver-kehr wirtschafts- und umweltverträglich zu vollenden.Leistungsfähige Ost-West-Verkehrsadern sind zur dauerhaften Überwindung der Teilung Europas zu schaffen.Die vom Verkehr verursachten Belastungen für Mensch und Umwelt müssen auch bei steigender Mobilität abgebaut werden.Der Lebensraum des Bürgers in seiner Stadt und seiner Gemeinde soll bei der verkehrlichen Erschließung lebenswert gestaltet werden.“

Friedrich von Stackelberg
Vermittlungsausschuß

In seinem Abschnitt zur Gesetzgebung des Bundes spricht das Grundgesetz von einem „aus Mitgliedern des → Bundestages und des → Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildete(n) Ausschuß“ (Art. 77 Abs. 2 Satz 1), der in seiner Geschäftsordnung als „Vermittlungsausschuß“ bezeichnet wird. Diese Institution ist 1949 ohne Vorgänger auf nationaler Ebene in freier Anlehnung an die Verfassungspraxis der USA in das Grundgesetz übernommen worden.

Jürgen Plöhn
Vertrauensfrage

Klassischen Gleichgewichttheorien des Parlamentarismus gelten Vertrauensfragen, Mißtrauensvotum und Parlamentsauflösung als komplementäre Instrumente, die gemeinsam Machtbalance und Stabilität im Regierungssystem bewirken: Ein Instrumentarium zur Bewältigung von Krisen zwischen Parlament und Regierung, das Mehrheitsbildung sichern soll. Formal gesehen verfügt auch der → Bundeskanzler mit der Vertrauensfrage nach Art 68 GG über ein Mittel zur Stabilisierung seiner Position oder zur Initiierung von Neuwahlen. Eine Vertrauensfrage kann mit bestimmten Entscheidungen, speziell mit einer Gesetzesvorlage, verbunden werden. Findet sie nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des → Bundestages, kann der Bundeskanzler dem → Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages vorschlagen. Die Auflösungsbefugnis erlischt, wenn der Bundestag im Gegenzug einen anderen Kanzler wählt.

Heinrich Oberreuter
Volkssouveränität

Seit den bürgerlichen Revolutionen in Nordamerika und Frankreich Ende des 18. Jhs. findet das Sprachsymbol „Volkssouveränität“ (V.) als normativer Grundbegriff in der Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaates Verwendung. Auf charakteristische Weise verbindet V. den von Bodin in die neuzeitliche Staatstheorie eingeführten, vom Lateinischen „superioritas“ abgeleiteten „Souveränitäts“-Begriff mit dem eher politisch unbestimmten „Volks“-Begriff. V. wird dann im 19. und 20. Jh. zur allgemein anerkannten Bezeichnung für die verfassungsgebende, „konstituierende“ Gewalt (pouvoir constituant) und zur Kurzformel für die demokratische Legitimation des Verfassungsstaates — in deutlicher Kontraposition einmal gegenüber allen noch nachwirkenden Formen monarchischer Legitimation („Monarchisches Prinzip“), zum anderen gegenüber den verschiedenen, durch die Systematik der Gewaltenteilung „konstituierten Gewalten“ (pouvoirs constitués) Legislative, Exekutive und Judikative, die erst durch den Bezug auf die V. als solche konstituiert werden und Legitimation gewinnen Exekutive und Judikative, die erst durch den Bezug auf die V. als solche konstituiert werden und Legitimation gewinnen. „Konstituierte Gewalten“ in diesem Verständnis sind übrigens auch direktdemokratische oder plebiszitäre Elemente in demokratischen Verfassungssystemen; Einrichtungen wie Volksentscheide, Referenda, Volksabstimmungen etc. können entsprechend nur im Rahmen der vorgegebenen normativen Verfassungsordnung ausgeübt werden; insofern sind sie zwar Ausdruck des Prinzips der V. und durch sie legitimiert; nicht aber die V. selbst. Als konstituierende Gewalt „erschöpft“ sich die V. im Akt der Verfassungsgebung; sie bleibt in der Verfassungsordnung „aufgehoben“, bis es — aus welchen internen oder externen Gründen auch immer — zu einer Erneuerung des verfassungsgebenden Aktes kommen wird. In den sprachlichen Formeln „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, „Alle Macht kommt vom Volke“ etc. hat dieses V.— Prinzip inzwischen Eingang in alle geltenden, auch in die neuesten osteuropäischen Verfassungen gefunden und gehört damit zu den tragenden Legitimationsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates der Gegenwart überall in der Welt.

Theo Stammen
Wählerinitiativen

Der Begriff der Wählerinitiativen (WI) umfaßt alle Arten von Gruppen von nicht parteipolitisch Engagierten, die versuchen, Einfluß auf die politische Willensbildung zu nehmen, u.a. auch Aktionen wie ‚Rock gegen Rechts‘,‚Künstler für den Frieden‘, etc. Im engeren Sinne verweist der Begriff vor allem aber auf Personenkreise, „die sich außerhalb der politischen → Parteien um Mandate in kommunalen Vertretungskörperschaften bewerben“ (Becker/Rüther 1976: 280). Im Sprachgebrauch hat sich, alternativ zum Begriff der WI, auch der der kommunalen Wählergemeinschaften eingebürgert. WI weisen Gemeinsamkeiten mit, aber auch Unterschiede zu anderen Formen kommunaler Interessenorganisation (z.B. Parteien, → Bürgerinitiativen) auf. Mit und in Konkurrenz zu Parteien haben WI einerseits gemein, daß sie Interessen bündeln, sich mit Kandidatenvorschlägen an → Wahlen beteiligen, die Übernahme politischer Verantwortung anstreben; im Unterschied zu Parteien ihre Aktivitäten vorrangig aber auf die kommunale Ebene abzielen. Von Bürgerinitiativen scheidet sie andererseits, daß sie innerhalb der bestehenden kommunalen Institutionen operieren, ihre politischen Anliegen etwa nicht zeitlich und sachlich begrenzt sind. Ihrem Selbstverständnis zufolge sehen sich WI von daher als bewußte personelle und programmatische Alternative zu den Parteien und optieren nicht für parteipolitische, sondern für sachlich-verwaltungsbezogene Entscheidungen in der Kommunalpolitik (Haller 1979: 336).

Rainer Olaf Schultze, Frank W. Semrau
Wählerverhalten

In D geben Bürger und Bürgerinnen auf verschiedenen politischen Ebenen in turnusmäßigen Abständen ihre Wahlstimmen ab. Diese Abstimmungen über Parteien, Sachprogramme und Personen finden im repräsentativ-demokratischen System, abgesehen von wenigen Ausnahmen auf Länderebene, wo Referenda möglich sind, durch Parlamentswahlen zum Europaparlament, zum Bundestag, zu den Landtagen sowie kommunalen Vertretungskörperschaften statt. Politisch am bedeutsamsten (im übrigen auch durch die Einschätzung des Wählers) sind dabei unverändert die Wahlen zum nationalen Parlament, in D also die Wahlen zum Bundestag.

Rainer-Olaf Schultze, Frank W. Semrau
Währung/Währungsreformen

Spätestens seit Bodin gilt die Währungshoheit als ein wesentliches Souveränitätsmerkmal von Staaten. Der korrespondierende Grundsatz „ein Staat — eine Währung” läßt sich auch in der Entwicklung in Deutschland verfolgen. Erst mit der Bildung des Deutschen Reiches 1871 kam es auch zur Einführung einer einheitlichen deutschen Währung, deren Bindung an Goldreserven 1914 aufgehoben wurde. Die deutschen Erfahrungen belegen auch nachdrücklich die mit der Währungshoheit verbundenen staatlichen Mißbrauchsmöglichkeiten. Die Finanzierung des Ersten Weltkrieges und der aus der Niederlage resultierenden unmittelbaren Nachkriegsbelastungen führten zu einer der schlimmsten Inflationen, die die Welt gesehen hat. Die notwendig gewordene erste Währungsreform 1923 (Einführung der Rentenmark auf der Basis 1 Rentenmark = 1 Billion alte Reichsmark) entwertete vor allem das Geldvermögen der Mittelschichten und entfremdete diese der Weimarer Republik.

Uwe Andersen
Wahlen/Wahlfunktionen

Ihrer technischen Funktion nach ist die Wahl ein Mittel zur Bildung von Körperschaften oder zur Bestellung einer Person in ein Amt. Diese funktionale Bestimmung unterscheidet die Wahl allerdings nicht von anderen Bestellungstechniken, die — anders als die gewaltsamen Methoden der Machterlangung wie Kampf, Putsch oder Krieg — ebenfalls auf Vereinbarung beruhen können: Bestellung nach Geburtsrecht, aufgrund Amtsstellung (ex officio), durch Losentscheid, durch Ernennung und durch Akklamation. Von diesen Bestellungstechniken ist die Wahl durch nur ihr eigene Verfahren unterschieden. Bei der Wahl werden von einer wohl abgegrenzten Wählerschaft (im Sinne der Wahl-Berechtigten) individuell Stimmen abgegeben; die Stimmen werden ausgezählt und mittels eines vorher festgelegten Entscheidungsmaßstabes und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines bestimmten Verrechnungsverfahrens (→ Wahlsysteme) in Mandate übertragen.

Dieter Nohlen
Wahlforschung

Wahlforschung (WF) beschäftigt sich unter verschiedensten Aspekten mit dem Phänomen der Wahl, der allgemeinsten und einfachsten Form politischer Partizipation und einer der Grundvoraussetzungen moderner Demokratie. Schwerpunkte der WF sind heute: (1) Analysen des Wahlrechts, des Wahlprozesses, des Wahlsystems aus der Sicht der Rechts- und → Politikwissenschaft. Dabei geht es um die Ausgestaltung der Wahlrechtsgrundsätze, um Probleme des Parteienwettbewerbs, des → Wahlkampfes, der Finanzierung und Kosten des Wahlprozesses, um das → Wahlsystem und seine Auswirkungen auf die politische Machtverteilung (vgl. Nohlen 1990; Schreiber 1994). (2) Untersuchungen der Bestimmungsgründe individueller Partizipation bei Wahlen durch Politische/Wahl-Soziologie und Politische Psychologie. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses dieses Zweiges der WF steht die Frage: Wer wählte wen/was warum? Es geht um die Analyse von Einstellungen, Verhaltensmustern und Motiven des einzelnen Wählers und darum, welchen Voraussetzungen, Bedingungen, Einflüssen seine Wahlbeteiligung und Stimmabgabe unterliegen, welche Konsequenzen sie auslösen (vgl. Bürklin 1988; Schultze 1991). (3) Analysen von Wahlen aus der Sicht von Kommunikationswissenschaft und Sozialisationsforschung. Dabei geht es nicht allein um die Rolle der Medien im Wahlprozeß, sondern um die Bedeutung von Wahlen als Akt der Kommunikatirn und Politikvermittlung, um den Stellenwert von Wahlen im Prozeß lebenslangen Lernens, um Wahlen als Ritual und um Symbolische Politik (vgl. Sarcinelli 1987a, 1987b). WF in einem solchen umfassenden Verständnis ist multidisziplinär und wird unter Verwendung der je spezifischen Methoden und Theorien von der Mehrzahl, wenn nicht dem gesamten Spektrum der Sozialwissenschaften betrieben. Erkenntnisinteressen und Forschungsziele variieren dementsprechend stark.

Rainer-Olaf Schultze
Wahlkampf

Als Wahlkampf bezeichnet man die im Kontext von → Wahlen auf der Bundes-, Landes-, kommunalen oder europäischen Ebene zur ergreifenden programmatischen, parteiorganisatorischen und publizistisch- kommunikativen Maßnahmen von (i.d.R.) Parteien, mit denen das Wahlvolk informiert und in ihrer Stimmabgabe beeinflußt werden soll.

Ulrich Sarcinelli
Wahlrecht/Wahlsystem/Wahlprüfung

Das Wahlrecht im umfassenden Sinne des Begriffs enthält alle rechtlich fixierten Regelungen, die die Wahl von Körperschaften oder von Amtsträgern betreffen. Das Wahlrecht im engeren Sinne definiert das Recht, an der Wahl von Körperschaften oder Amtsträgern teilzunehmen, und zwar aktiv als Wahlberechtigter und passiv als wählbare Person. Das engere Wahlrecht, worauf im folgenden abgehoben wird, bezeichnet, ob das Wahlrecht beschränkt oder allgemein, ungleich oder gleich, indirekt oder direkt, offen (öffentlich) oder geheim sein soll.

Dieter Nohlen
Wertewandel

Wenngleich die Frage nach der Wertorientierung menschlichen Handelns schon für Klassiker sozialwissenschaftlicher Theoriebildung wie M. Weber, E. Durkheim oder T. Parsons zentralen Stellenwert hatte, wird ihr v.a. seit Beginn der 70er Jahre mit der Hinwendung zu handlungstheoretischen Erklärungsansätzen und subjektiv ausgerichteten Forschungsmodellen in der Diskussion eine breite Aufmerksamkeit gewidmet. Ihren Ausgang nahm die Diskussion bei den Arbeiten von R. Inglehart, der davon ausgeht, daß Menschen Hierarchien von Bedürfnissen und entsprechender Werte entwickeln, in denen zunächst Bedürfnisse physiologischer und physischer Sicherheit (materialistische Werte) zu befriedigen sind und erst danach soziale, kulturelle oder intellektuelle (postmaterialistische Werte). Weiterhin behauptet er, daß für das Individuum diejenigen Bedürfnisse von besonderer Bedeutung sind, die (noch) nicht erfüllt sind bzw. zu deren Erfüllung nur knappe Mittel zur Verfügung stehen (Mangelhypothese). Er verbindet diese Mangelhypothese mit einer Sozialisationshypothese, die wiederum besagt, daß die Werteeinstellungen stabil im Wertsystem einer Person verankert sind, die unter den in der Jugendphase (formative Phase) bestehenden Lebensverhältnissen erlangt wurden. In Verbindung von Mangel- und Sozialisationsthese behauptet er dann, daß diejenigen Kohorten, die ihre formative Phase in einer Zeit materiellen Mangels erlebten, eine lebenslange Hinwendung zu materialistischen Werten zeigen, diejenigen, die sie in materieller Sicherheit erlebten, sich dagegen postmateriellen Werten zuwenden. Diese zentrale Aussage wurde von R. Inglehart im Verlauf der 70er und 80er Jahre anhand einer Reihe von Befragungen in ganz Europa überprüft, in denen die Probanden Ranglisten von Items bildeten, die jeweils für materialistische oder postmaterialistische Werte standen. In diesen Untersuchungen schien der Nachweis dafür erbracht worden zu sein, daß es 1. im Verlauf dieser Jahre zu einem Bedeutungsanstieg der postmaterialistischen und einem Bedeutungsverlust der materialistischen Werte gekommen ist und daß sich Zusammenhänge zwischen niedrigem Lebensalter, hoher Bildung und Tätigkeiten im Dienstleistungssektor einerseits und der Bevorzugung postmaterialistischer Werte andererseits nachweisen lassen.

Irene Gerlach
Wettbewerb/Kartellamt

Wettbewerb meint als Bewegungsvorgang ein allgemeines Ordnungsprinzip zur Koordination und Steuerung des Verhältnisses zwischen Individuen und Gruppen, die das gleiche Ziel anstreben. Diese Konstellation taucht in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens auf, also nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, im Sport, in der Kultur usw. (vgl. Abromeit 1973: 466).

Rüdiger Robert
Wiedergutmachung

Wiedergutmachung (W.) bezeichnet im völkerrechtlichen Sinne einen Schadensersatz für den Geschädigten. Die W. erfolgt entweder durch Naturalrestitution oder, wenn dies nicht möglich ist, durch Geldleistungen. Unter W. wird im deutschen Staatsrecht und in der öffentlichen Meinung sowohl die bundesdeutsche Restitution an die Opfer des nationalsozialistischen Unrechts in den 50er und 60er Jahren verstanden, als auch die Eigentumsrückerstattung an die Betroffenen von Zwangsenteignungen in der ehemaligen → DDR nach der deutschen Vereinigung.

Lothar Mertens
Wiedervereinigung

In den Jahren der staatlichen Teilung D.s war es üblich im Hinblick auf das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit D.s. von der „Wiedervereinigung“ zu sprechen. Allerdings regte sich seit Mitte der 60er Jahre Kritik an diesem Begriff, weil er die Rückkehr zum Deutschen Reich Bismarckscher Provenienz assoziierte. Linke Intellektuelle und Politiker sprachen daher eher vom Ziel einer „Neuvereinigung“. Nachdem sich 1989/90 die Möglichkeit zur Lösung der „deutschen Frage“ eröffnet hat, spricht man heute eher von der „deutschen Vereinigung“. Der Vertrag zwischen BRD und → DDR vom 31.8.1990 regelt die „Herstellung der Einheit Deutschlands“ und wird selbst in Kurzform als „Einigungsvertrag“ bezeichnet. Er beinhaltet aus verfassungsrechtlicher Sicht vor allem den „Beitritt“ der fünf Länder der ehemaligen DDR zur BRD. Kritiker des deutschen Vereinigungsprozesses verurteilen diesen als „Anschluß“. Die sozialwissenschaftliche Begleitforschung versteht den deutschen Vereinigungsprozeß vor allem als ein „Experiment“. Damit wird weniger auf seinen offenen Ausgang abgestellt als vielmehr auf das Feldexperiment einer Angleichung von sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen zweier Bevölkerungen, die in den letzten 40 Jahren ganz unterschiedlichen politischen und ideologischen Systemen ausgesetzt waren.

Wilhelm Bleek
Wissenschaft, Forschung und Technologie

„Wissenschaft und Forschung bilden auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft. Der notwendigen Erneuerung von Wissenschaft und Forschung unter Erhaltung leistungsfähiger Einrichtungen ... dient eine Begutachtung von öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat ...“ Diese zentrale Aussage in Artikel 38 des „Vertrages zwischen der → BRD und der → DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ (EV) bildet die rechtliche Grundlage zum Aufbau einer gesamtdeutschen Forschungslandschaft.

Otto Ulrich
Wohnungspolitik

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren in den Westzonen von 10,6 Mio. Wohnungen 2,3 Mio. (entsprechend 21%) völlig zerstört, weitere 2,3 Mio. schwer beschädigt. In der Ostzone lag die Zerstörung mit etwa 10% des Vorkriegsbestandes von 5,1 Mio. Wohnungen deutlich niedriger. Der Zuwachs der Wohnbevölkerung durch Ausgewiesene und Flüchtlinge lag in den Westzonen bei 11,5 Mio., entsprechend 25%. In der Ostzone ist eine Zunahme der → Bevölkerung bis 1948 zu verzeichnen, danach ist die Bevölkerungsentwicklung rückläufig.

Ulrike Heinz, Wolfgang Kiehle
Backmatter
Metadaten
Titel
Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland
herausgegeben von
Dr. Uwe Andersen
Dr. Wichard Woyke
Copyright-Jahr
1995
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-97316-0
Print ISBN
978-3-322-97317-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-97316-0