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17.10.2012 | Ingenieurbau | Interview | Online-Artikel

Stahlbau in der Entwicklung

verfasst von: Annette Galinski

5:30 Min. Lesedauer

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Uni.-Prof. i. R. Christian Petersen lehrte Stahlbau am Institut für konstruktiven Ingenieurbau der Universität der Bundeswehr München. In 2012, seinem 81. Lebensjahr, ist die 4. Auflage seines anerkannten Standardwerkes „Stahlbau“ erschienen. Wir haben Prof. Petersen zur Entwicklung des Stahlbaus und zum aktuellen Stand befragt. Soviel vorab: Den Eurocode 3 Stahlbau sieht er eher kritisch.

Springer für Professionals: Wo befand sich der Stahlbau am Beginn Ihrer beruflichen Laufbahn? Was hat sich seitdem maßgeblich verändert?

Christian Petersen: Meine berufliche Laufbahn begann im Jahr 1957. Es war im Stahlbau die Zeit des Übergangs von der Nietbauweise zur Schweißtechnik. Es war eine Zeit großer Stahlknappheit mit entsprechend schlanken und filigranen Konstruktionen – ganz im Sinne des Stahlbaus als Leicht- und Fertigbauweise. Das Baumaterial galt es sparsam einzusetzen. Seinerzeit wurde die hochfeste vorgespannte Schraube entwickelt. Sie verfügt über eine hohe statische Tragfestigkeit, was gänzlich neue Anschlusskonstruktionen im Hochbau und gedrungene Stoßverbindungen im Brückenbau ermöglichte. Wegen ihrer hohen Ermüdungsfestigkeit in Längsrichtung übernimmt die vorgespannte Schraube, beispielsweise bei der Stoßausbildung und Fundierung von Windkraftanlagen, nur einen kleinen Teil der auf sie entfallenden äußeren Zugkraft. ­Weitere wichtige Entwicklungen waren die hochfesten, schweißbaren Baustähle, einschließlich wetterfestem Stahl, die Stahltrapezbauweise und gemeinsam mit dem Massivbau der Stahlverbundbau als zwischenzeitlich hoch entwickelte eigenständige Bauweise. Zur Erzielung eines ausreichenden Brandschutzes wurden neue konstruktive und rechnerische Konzepte entwickelt.

Dass Stahl in freier Natur korrodiert, war und ist ein Problem. Dem wird inzwischen mit nachhaltig wirksamen Konservierungsbeschichtungen begegnet. Hierzu gehört auch die Technik des Feuerverzinkens.

Durch den Einsatz des Computers beim Konstruieren haben sich für den Stahlbau neue Möglichkeiten bei der Be- und Verarbeitung eröffnet. Die Bearbeitungszeiten verkürzten sich. In Verbindung mit den CAD-Plänen konnten die zugehörigen Materiallisten erstellt und die Planung direkt in die Fertigung umgesetzt werden. Im Trend wurden die Konstruktionen aufwendiger und komplizierter. Es entstanden neue Konstruktionsformen, unter anderem in Verbindung mit dem Einsatz von Seilen und der Stahl-Glas-Bauweise. Für Architekten wurde der Stahlbau wegen seiner Gestaltungsvielfalt immer attraktiver. Avantgardistische Architektur erlebt man inzwischen überwiegend in Form von Stahlbauten, die Tragstruktur wird nicht versteckt, im Gegenteil, sie wird gezeigt. Ihre Funktion ist dadurch auch für den Laien nachvollziehbar. Ohne die computergestützte Planung wären viele moderne Konstruktionen wohl nicht möglich gewesen. So z. B. beginnend mit der Zeltdachkonstruktion des Olympiastadions in München Anfang der 1970er-Jahre und vielen weiteren Bauwerken des Hoch- und Brückenbaus, beispielsweise den Schrägseilbrücken, die zunächst im Wesentlichen hierzulande entstanden. 

Seit ich mit der Sache „Stahlbau“ befasst bin, hat sich somit sehr viel Neues entwickelt.

Wie bewerten Sie den aktuellen Eurocode und die Entwicklung hin zu immer umfangreicher werdenden Normenwerken?

Diese Entwicklung sehe ich eher kritisch. Wie entstanden Regelwerke ehemals? Nach DIN 820, die die Verfahrensweise bei der Erarbeitung einer neuen DIN-Norm festlegte, wurde der für die Beratung berufene Arbeitsausschuss zu je einem Drittel aus Wissenschaftlern, Fachleuten aus der Praxis und solchen der Bauverwaltung zusammengesetzt. In die Bearbeitung der neuen DIN-Norm, oder die Überarbeitung einer bestehenden, floss somit der Wissensstand der Fachleute aus diesen Bereichen ein. Der Entwurf einer so entstandenen neuen Norm, der sogenannte Gelbdruck, wurde zunächst zur Stellungnahme veröffentlicht. Innerhalb einer festgelegten Einspruchfrist wurden die Stellungnahmen gesammelt und vom Ausschuss anschließend kritisch diskutiert. Über dieses Verfahren war das Regelwerk mit der Praxis abgestimmt, es spiegelte die Regeln der Technik zu jenem Zeitpunkt.

Der Eurocode ist ein von der EU in Brüssel in Auftrag gegebenes Regelwerk. Es wurde über viele Jahrzehnte von europäischen Fachleuten erarbeitet. Es ist sehr umfangreich ausgefallen. Beispielsweise umfasst das Normenwerk Eurocode 3 (Stahlbau) einschließlich der Berichtigungsblätter und nationalen Anhänge ca. 800 Seiten. Manche Regelungen darin sind selbst für mich als Fachmann nicht nachvollziehbar. Eigentlich müsste dieses Normenwerk der Praxis nochmals zur Stellungnahme über gegeben werden. Auch sollten für alle Teile des Eurocode ausführliche Kommentare vorliegen, bevor es bauaufsichtlich eingeführt wird.

Die Regelung der verschiedenen Stahlsorten in einer einheitlichen EN-DIN-Norm sehe ich als segensreiche Entwicklung. Die Euronormen zum Thema Schweißtechnik dürften indessen nur von einschlägigen Spezialisten überblickt werden. Vielleicht sind Technik und Prüfwesen auf diesem Gebiet inzwischen so hoch entwickelt, dass es tatsächlich so vieler Regelwerke bedarf. Das gilt in Grenzen natürlich auch für viele andere Bereiche, sodass der wachsende Umfang der Regelwerke vielleicht unvermeidlich ist. Mit diesem Argument könnte man postulieren, dass eine Vereinfachung und eine Konzentration heutiger Regelsetzung gar nicht möglich sind. Dennoch: Der Ingenieur sollte die Regelwerke, nach denen er arbeitet, überblicken und verstehen können, er trägt die Verantwortung für sein Tun und dafür, dass er die Regeln der Baukunst einhält. Ein Beispiel dazu aus meiner Praxis: Ein versierter Kollege erstellte für ein Hochhausensemble ein Windgutachten anhand von Windkanalversuchen und Berechnungen nach Eurocode 1. Die Berechnungen im Gutachten waren für den Prüfingenieur, einem erfahrenen Fachmann, nicht nachvollziehbar. Ich wurde gebeten, das Gutachten zu begutachten. Wenn nur noch Spezialisten und Gutachter Regelwerke verstehen, kann etwas an der Entwicklung nicht stimmen.

Mit dem Anschwellen der Regelwerke wird auch die Vermittlung der Inhalte an die Studenten innerhalb des Verfügungsrahmens schwieriger. Der Einsatz von Softwareprodukten zwecks Erstellung statischer Berechnungen und zur Bemessung von Anschlusskonstruktionen ist zweifelsfrei ein großer Fortschritt, wenn aber der Ingenieur am Computer die Grundlagen nicht kennt, nach denen die Software arbeitet, nach denen er also rechnet und konstruiert, ist das aus meiner Sicht eine eher bedenkliche Entwicklung. Sie wird durch zu umfangreiche Regelwerke in der Tendenz eher gefördert.

Der Deutsche Stahlbautag 2012 in Aachen widmet sich am ersten Tag dem Motto „Stahlbau verbindet Europa“. Was erwartet die Besucher zu diesem Thema?

Ich erwarte eine Aufklärung und Auseinandersetzung mit den beschriebenen Problemfeldern. Ich bin ein überzeugter Europäer, der das Zusammenwachsen der europäischen Staaten im Sinne des wissenschaftlichen Austauschs positiv beurteilt. Ich bin gespannt auf die Diskussionen vor Ort.

Dieses Jahr ist ja die 4. Auflage Ihres Standardwerkes „Stahlbau“ erschienen – sozusagen als Höhepunkt Ihres langjährigen Einsatzes für den Stahlbau. Was bewegt Sie da?

Die vierte Auflage hat mich sehr angestrengt, ich habe viele Jahre daran gearbeitet. Das Werk wurde in großen Teilen neu abgefasst, es erscheint in neuem Layout. Ich bin inzwischen 81 Jahre alt. Kurz vor Fertigstellung des Buches erleide ich bei einem Bergunfall schwerste Verletzungen. Aber ich habe es noch geschafft, alle Unterlagen rechtzeitig dem Verlag zu übergeben – gemäß meinem Lebensmotto: Stahl ist fest und zäh zugleich.

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