Skip to main content

2008 | Buch

Innovation und Kontinuität

Die Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung

verfasst von: Tanja Klenk

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1.. Fragestellung, methodische Anlage und Aufbau der Studie
Auszug
Am 1. Januar 2005 ist das ‚Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG)‘ in Kraft getreten. Mit dem RVOrgG wurde die seit den Anfängen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bestehende Differenzierung zwischen einer Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung aufgehoben und ein einheitlicher Versichertenbegriff eingeführt. Darüber hinaus wird der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zur Deutschen Rentenversicherung Bund, einem Bundesträger mit integriertem Dachverband, fusioniert.
2.. Die Institutionengeschichte der gesetzlichen Rentenversicherung
Auszug
Die Gründung einer gesetzlichen Alters- und Invalidenversicherung im Jahr 1891 stellte nach dem Aufbau der Krankenversicherung (1883) und der Unfallversicherung (1884) das dritte und vorläufig letzte Element der in der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1871 angekündigten Sozialversicherungsgesetzgebung im Deutschen Kaiserreich dar. Der soziale und ökonomische Wandel, der der Herausbildung eines gesetzlichen Sozialversicherungssystems vorausging bzw. diese begleitete, wurde vielfach beschrieben (vgl. stellvertretend für viele: Reidegeld 1996; Ritter 1983; Tennstedt 1981,2000) und soll hier nur mit Stichworten benannt werden: die Auflösung der Ständegesellschaft und der Zunftverfassung, die beginnende Industrialisierung, die Binnenwanderung und Urbanisierung, schließlich das bis dato nicht bekannte Ausmaß an Massenelend und die sukzessive Herausbildung eines Industrieproletariats. Durch die Gesamtheit der sozialen und ökonomischen Umwälzungen entstanden einerseits gänzlich neue Problemlagen, die zunehmend mehr als soziale (und nicht mehr als ‚natürliche‘) Lebensrisiken verstanden wurden. Gleichzeitig lösten sich tradierte soziale Sicherungsnetze wie die Familie oder die Dorfgemeinschaft auf oder wurden in ihrer Funktion hinfällig. Die noch wenig entwickelten kommunalen Hilfeformen und -instanzen waren angesichts der Massivität der Problemlagen schlichtweg überlastet.
3.. Das neue Organisationsmodell der gesetzlichen Rentenversicherung
Auszug
Das Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG) hebt die administrative Trennung zwischen der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung auf und führt einen einheitlichen Versichertenbegriff ein. Nach außen wird die Organisationsreform vor allem in der veränderten Namensgebung deutlich: Die verschiedenen Trägerorganisationen tragen nun einheitlich den Namen ‚Deutsche Rentenversicherung‘. Nach innen manifestiert sich die Organisationsreform u.a. in einer veränderten Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Trägerinstitutionen und einer Zentralisierung der Entscheidungskompetenzen. Welche Regelungstatbestände das RVOrgG en Detail enthält, beschreibt das folgende Kapitel.
4.. Der Politikprozess: Vom Agenda-Setting zur Implementation
Auszug
Zur Erinnerung: In den Verhandlungen zum RRG 92 waren sich die Fraktionen mehrheitlich einig, dass die Notwendigkeit besteht, die Organisationsstruktur der GRV zu reformieren. Angesichts des deutsch-deutschen Einigungsprozesses und drängender anderer rentenrechtlicher Probleme wurde das Vorhaben einer Organisationsreform aber zunächst zurückgestellt. Es dauerte noch gut 15 Jahre, bis die Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung am 1. Januar 2005 schließlich in Kraft getreten ist. Was ist in diesen Jahren geschehen?
5.. Die politikstrukturierende Wirkung institutionalisierter Interessenkonflikte
Auszug
Eine moderne Rentenversicherung ‚aus einem Guss ‘— dies war das übergeordnete Ziel der Organisationsreform. Die Leitformel der ‚Rentenversicherung aus einem Guss‘ wurde bereits in einer frühen Phase des Reformprozesses geprägt. Sie zieht sich seit der Diskussion des Berger-Gutachtens wie ein roter Faden durch die Organisationsreformdebatte, insbesondere was die Stellungnahmen der Selbstverwaltungsakteure betrifft. Doch die im RVOrgG vereinbarten Regelungen sind weit davon entfernt, der gesetzlichen Rentenversicherung eine klare und auf den ersten Blick verständliche Organisationsstruktur zu geben. Das RVOrgG ist ein komplexer Gesetzestext, der sich eindimensionalen juristischen, betriebswirtschaftlichen oder verwaltungspolitischen Begründungsmustern entzieht (Schnapp 2005: 235).
6.. Entscheidungsfindung unter Bedingung des Selbstverwaltungskorporatismus
Auszug
Aufgrund der spezifischen Akteurskonstellation in der GRV — dem Selbstverwaltungskorporatismus — können Entscheidung in der GRV nicht durch einseitiges Handeln, Mehrheitsentscheid oder autoritative Entscheidung getroffen werden. Konsens (oder: Kompromiss) muss ausgehandelt werden. Unter theoretischen Gesichtspunkten gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Wege, um in Verhandlungssystemen zu einer Einigung zu gelangen: Bargaining und/oder Problemsolving. Zähes, hartes Feilschen oder Verhandlungen, die nach Möglichkeiten suchen, die Interessen beider Parteien zu befriedigen und damit das Problem grundsätzlich lösen. Welcher dieser beiden Einigungsstile zum Einsatz kommt, hängt u.a. von den Interaktionsorientierungen der beteiligten Akteure ab (Scharpf 2000: 148 – 158). Die akteurzentrierte Policy-Forschung geht davon aus, dass Akteure in Verhandlungssystemen grundsätzlich rational und eigennutzorientiert handeln. Für die Form der Verhandlungsführung ist es jedoch entscheidend, wie Akteure ihr Verhältnis zu den anderen Verhandlungspartnern begreifen und wie sie Eigennutz definieren. Akteure mit einer kooperativen Interaktionsorientierung verfolgen ein gemeinsames Ziel: Für sie zählt ein Vorteil für den Verhandlungspartner genauso viel wie der eigene Verhandlungserfolg. Akteuren mit einer kompetitiven Haltung hingegen ist es wichtig, relative Gewinne zu erzielen und ihre Position im Vergleich zu der des Verhandlungspartners zu verbessern. Für Akteure mit einer konfrontativen Haltung wiederum genügt es, wenn der andere Verlust erzielt, um sich selbst als Gewinner zu begreifen — auch wenn sich die eigene Situation gar nicht verändert hat. Verhandlungen im Bargaining-Modus werden in der Regel von Akteuren praktiziert, deren Verhältnis zu den Verhandlungspartnern durch eine kompetitive oder gar konfrontative Grundhaltung geprägt ist, die nur bedingt bereit sind, Konzessionen einzugehen und an ihren Positionen festhalten. Wenn in einer solchen Akteurskonstellation ein Konsens erzielt wird, dann durch Tauschhandel und Koppelgeschäfte oder durch Ausgleichszahlungen an die nachgebende Partei. Problemsolving setzt hingegen ein Mindestmaß an Kooperation und wechselseitigem Interesse voraus.
7.. Bilanz und Perspektiven
Auszug
In der öffentlichen Diskussion wird der Organisationsreform das Prädikat der ‚historischen Weichenstellung‘ zugesprochen und das RVOrgG als der Beginn einer neuen Epoche präsentiert (vgl. z.B. Deutscher Bundestag 2004d: 11908; Rische 2005: 454; Glombik 2005:1). Hat mit Inkrafttreten des RVOrgG die gesetzliche Rentenversicherung, was ihre Verwaltungsstrukturen betrifft, aufgehört eine „Arche der Kontinuität“ (Stolleis 1989) zu sein?
Backmatter
Metadaten
Titel
Innovation und Kontinuität
verfasst von
Tanja Klenk
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90933-2
Print ISBN
978-3-531-15817-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90933-2