Skip to main content

30.01.2013 | Innovationsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Die Produktivitätslücke im traditionellen Hochschulsektor

5:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Der Hochschulsektor spielt als Motor der Wissensgesellschaft eine herausragende Rolle. Allerdings deuten zahlreiche Symptome darauf hin, dass dieser Motor zunehmend ins Stocken gerät. Im ersten Teil der Serie "Ein Sanierungskonzept für den globalen Hochschulsektor" legt Autor Christian Schierenbeck eine erhebliche Produktivitätslücke offen.

Als Konsumenten sind wir es gewohnt, dass Produkte wie Mobiltelefone, Laptops und Personenkraftwagen von Jahr zu Jahr leistungsstärker und kostengünstiger werden. Dies ist Produktivitätssteigerungen zu verdanken, die Jahr für Jahr über praktisch alle Wirtschaftszweige hinweg zu beobachten sind – mit einer Ausnahme: Hochschulbildung. Die Produktivität traditioneller (i.e. öffentlicher und privater gemeinnütziger) Hochschulen hat sich in den letzten Jahrzehnten konsistent rückläufig entwickelt. Das gilt sogar für den weltweit bewunderten amerikanischen Hochschulsektor: Die buchhalterischen Kosten öffentlicher Hochschulen in den USA mit vierjährigen Studiengängen haben sich innerhalb von 25 Jahren inflationsbereinigt um über 40 Prozent erhöht. Bei privaten gemeinnützigen Hochschulen lag der Anstieg sogar bei über 50 Prozent.

Gleichzeitig zeichnen die verfügbaren Daten zu Abschlussquoten, Studienzeiten, Lernresultaten und Studienzufriedenheit ein eher düsteres Bild auf der Output-Seite der Hochschulbildung – auch beim Weltmarktführer USA. So schaffen es beispielsweise vier von zehn amerikanischen Studienanfängern nicht, einen vierjährigen Studiengang innerhalb von sechs Jahren abzuschließen. Der Anteil amerikanischer Hochschulabsolventen, deren Textverständnis in standardisierten Tests als kompetent beurteilt wird, ist innerhalb von zehn Jahren von 40 Prozent auf 31 Prozent gefallen. Und 45 Prozent aller Studienanfänger in den USA sind mit der Qualität der Lehre unzufrieden. (siehe auch: Fixing Higher Education)

Eskalierende Kosten und hohe Studiengebühren

Die rückläufige Produktivität des traditionellen Hochschulsektors hat gravierende gesellschaftliche Konsequenzen. Eskalierende Kosten führen unmittelbar zu steigenden finanziellen Belastungen der Studierenden und der öffentlichen Hand. Eliteuniversitäten wie Harvard, Princeton und Yale verlangen mittlerweile Studiengebühren von über 50.000 Dollar im Jahr. Dass sich Studienbewerber aus einkommensschwächeren Familien von derartigen Listenpreisen abschrecken lassen, dürfte dabei nicht verwundern. Tatsächlich kommen rund 70 Prozent der Studierenden an amerikanischen Eliteuniversitäten aus Familien im obersten Einkommensquintil. Studierende aus Familien in den beiden untersten Einkommensquintilen stellen dagegen zusammen lediglich ein Zehntel der Studentenschaft.

Andere Länder glauben, diese Probleme durch ein Verbot von Studiengebühren im öffentlichen Hochschulsektor in den Griff zu bekommen. Abgesehen von der Tatsache, dass dadurch die Bürde der Kostendeckung lediglich zwischen Studierenden und der öffentlichen Hand hin- und hergeschoben und keineswegs beseitigt wird, verstärkt eine derartige Hochschulpolitik sogar häufig noch die soziale Selektion: Das Verbot von Studiengebühren führt nämlich zu Mittelknappheit im Hochschulsektor, Mittelknappheit führt zur Rationierung des Studienangebots, Rationierung führt zu einem leistungsbasierten Wettbewerb um knappe Studienplätze, und in einem leistungsbasierten Wettbewerb genießen Bewerber aus einkommensstärkeren Schichten fast uneinholbare Wettbewerbsvorteile, nicht zuletzt durch ihren Zugang zu besseren Schulen in der Primar- und Sekundarstufe.

Dass Hochschulbildung nicht inhärent unproduktiv sein muss, zeigt das Beispiel kommerzieller Hochschulen. Auf den ersten Blick erstaunt es, dass kommerzielle Anbieter in einer Branche wie dem Hochschulsektor überhaupt überleben können. Schließlich profitieren traditionelle Hochschulen von umfangreichen Subventionen in Form von Steuerbefreiungen und staatlichen Zuschüssen und schaffen es trotzdem oft nur mit Mühe, ein ausgeglichenes Budget vorzuweisen.

Trotz dieses herausfordernden Umfelds hat der kommerzielle Hochschulsektor in den letzten Jahrzenten weltweit einen rasanten Aufstieg erlebt. An der amerikanischen University of Phoenix, zum Beispiel, waren im Jahr 2011 rund 380.000 Studierende an über 100 Standorten eingeschrieben. Ihre Muttergesellschaft, die Apollo Group, erzielte bei einem Gesamtumsatz von 4.7 Milliarden Dollar einen Jahresüberschuss von 570 Millionen Dollar. Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern haben kommerzielle Hochschulen Fuß fassen können. In Brasilien beispielsweise feierten im Jahr 2007 vier kommerzielle Hochschulketten ihr Debüt an der brasilianischen Aktienbörse.

Kommerzielle Hochschulen haben die soziale Selektion entschärft

Da sich kommerzielle Hochschulen praktisch ausschließlich über Studiengebühren finanzieren, läge die Vermutung nahe, dass der kommerzielle Hochschulsektor die soziale Selektion beim Hochschulzugang eher noch verschärft. Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall. Bereits im 19. Jahrhundert haben kommerzielle Hochschulen in den USA traditionell benachteiligten Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Frauen, Schwarzen und Behinderten, erstmals den Zugang zu einer Hochschulbildung ermöglicht. Seit den siebziger Jahren haben sie berufstätigen Erwachsenen den Weg zu einem Hochschuldiplom geebnet. Und auch heute noch kommen Studierende an kommerziellen Hochschulen überdurchschnittlich häufig aus sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig haben kommerzielle Hochschulen in Entwicklungs- und Schwellenländern einen essenziellen Beitrag dazu geliefert, das Studienangebot trotz knapper öffentlicher Mittel drastisch auszuweiten.

Der Aufstieg des kommerziellen Hochschulsektors ist vor allem seiner höheren Produktivität zuzuschreiben. Die buchhalterischen Kosten in der Lehre sind an kommerziellen Hochschulen in den USA mit vierjährigen Studiengängen ungefähr 70 Prozent niedriger als an traditionellen Hochschulen. Bei den Opportunitätskosten fällt der Produktivitätsvorteil von kommerziellen Hochschulen sogar noch deutlicher aus. So verzichten kommerzielle Hochschulen zum Beispiel fast vollständig auf Eigentum an Gebäuden. Außerdem bieten die meisten kommerziellen Hochschulen Studiengänge an, die durch Abend- und Wochenendkurse auf die Bedürfnisse von Teilzeitstudierenden ausgerichtet sind und somit deutlich geringere Opportunitätskosten in Form entgangener Arbeitszeit verursachen.

Skeptiker werden an dieser Stelle einwenden, dass solche Effizienzgewinne sicherlich auf Kosten geringerer Bildungsqualität erzielt werden. Tatsächlich produzieren kommerzielle Hochschulen jedoch einen mindestens vergleichbaren Bildungsmehrwert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Studierende an kommerziellen Hochschulen im Durchschnitt schwächere schulische Vorleistungen sowie zusätzliche sogenannte Risikofaktoren aufweisen, wie zum Beispiel den Status als Teilzeitstudierender oder alleinerziehender Mutter.

So ähneln die Abschlussquoten an der University of Phoenix zwar auf den ersten Blick denen traditioneller Hochschulen. Wenn man diese Daten jedoch um Risikofaktoren bereinigt, liegt die Abschlussquote der University of Phoenix fast dreimal so hoch wie im traditionellen Hochschulsektor. Auch im Hinblick auf ihre Lernresultate, gemessen in standardisierten Tests wie zum Beispiel dem Measure of Academic Proficiency and Progress-Test, schneiden die Studierenden der University of Phoenix im Durchschnitt besser ab als Studierende traditioneller Hochschulen, sofern die Ergebnisse um die schulischen Vorleistungen der Studierenden bereinigt werden.

Hinter der Produktivitätslücke verbirgt sich erhebliches Wertschöpfungspotenzial

Kommerzielle Hochschulen erzielen also einen mit traditionellen Hochschulen durchaus vergleichbaren Output, verursachen dabei aber nur einen Bruchteil ihrer Kosten. Die sich hinter dieser Differenz verbergende Produktivitätslücke ist beträchtlich: Wenn traditionelle Hochschulen weltweit ihre Produktivität auf das durchschnittliche Niveau ihrer kommerziellen Wettbewerber anheben würden, könnten allein durch die Reduzierung buchhalterischer Kosten sowie der Opportunitätskosten des gebundenen Kapitals jährliche Einsparungen von rund einer Billionen Dollar realisiert werden – zweifelsohne eine der größten Wertschöpfungsmöglichkeiten, die sich über alle Wirtschaftszweige hinweg je geboten hat.

Lesen Sie auch:

Teil 2: Die Anwendung moderner Managementmethoden im Hochschulsektor

Teil 3: Für ein produktivitätsorientiertes Hochschulsystem

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt