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2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Intentionen und Motive Kritischer Theorie

Zum methodischen Problem der Theorie kommunikativen Handelns

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Zusammenfassung

Habermas’ Kritik an Horkheimer und Adorno führt die Perspektivlosigkeit, in die sich beide begeben, auf begrifflich-konzeptionelle Probleme zurück, die in dem bewusstseinsphilosophischen Paradigma gründen, dem die ältere Kritische Theorie zuzurechnen ist. Dem unterkomplexen Bild sozialer Beziehungen, das einzig den erkennenden und manipulierenden Zugriff eines Individuums auf ein Objekt abbildet, entspricht ein eindimensionaler Begriff der Rationalität, unter dem ausschließlich instrumentelle Zugänge zur Welt gefasst werden. Um den Kerngehalt Kritischer Theorie, die Form immanenter Gesellschaftskritik und eine interdisziplinär orientierte, empirisch prüfbare Begriffsbildung zu retten, überführt Habermas diese grundlegenden Intentionen vom bewusstseinsphilosophischen in das intersubjektivistische Paradigma. Dieses Kapitel prüft die kritischen Motive und Intentionen, denen Habermas’ theoretisches Schaffen folgt und legt den Grundstein für den Nachweis, dass er mit der Theorie des kommunikativen Handelns seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.

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Fußnoten
1
Erst in Kapitel 4 und Kapitel 5 wird gezeigt, wie die hier identifizierten konzeptionellen Schwachstellen die am Material vollzogenen theoretischen Erklärungen und die Kritik Habermas’ konkret beeinträchtigen.
 
2
Die Kritik Habermas’ an drei verschiedenen sozialwissenschaftlichen Theorieparadigmen wird hier sehr knapp, später jedoch ausführlicher dargestellt (vgl. hier Kapitel 5). Zunächst soll lediglich der kritische Anspruch der Theorie des kommunikativen Handelns nachvollziehbar werden.
 
3
Sicherlich bedarf es nicht nur der Segel allein. „Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende“ (Benjamin 1991e: 592). Gibt es jedoch keine dem Wetter angemessenen Segel, ist jeder Versuch sie auszurichten, zum Scheitern verurteilt.
Ebenso argumentiert Matthes 1993 in seinem Symposiumsbeitrag für eine stärkere Rückbindung sozialwissenschaftlicher Kategorien an gesellschaftliche Erfahrungen, da die Soziologie sonst zum Glasperlenspiel ohne gesellschaftlichen Bezug mutiert.
 
4
Für die Charakterisierung der drei den Erkenntnisinteressen entsprechenden Wissenschaften vgl. hier und im Folgenden Habermas 1968: 155-159.
 
5
Maßgeblich ist hier Peirces Schrift „The Logic Of 1873“ in Peirce 1958: Kapitel 5.
 
6
Mag Habermas’ Kritik an einem technischen Verständnis des Sozialen plausibel sein, so überzeugt seine Kritik der hermeneutischen Schule nicht. Wieso soll eine Interpretation von geschichtlichen Sinngehalten nicht dazu befähigen, diese Gehalte zugleich gegenwartsrelevant darzustellen? Kapitel 6 dieser Arbeit wird zeigen, dass die Methode der hermeneutischen Interpretation durchaus mehr als nur museale Gehalte zutage fördern kann.
 
7
Honneth hingegen deutet Habermas’ Intentionen in „Erkenntnis und Interesse“, unterdrückte Sinngehalte zu erschließen, als klassisch hermeneutisches Vorhaben (vgl. Honneth 1979a: 650). Honneths Formulierungen sind jedoch zu unpräzise und bilden die von Habermas selbst getroffene Unterscheidung von geistes- und geschichtswissenschaftlicher Hermeneutik und psychoanalytischer Tiefenhermeneutik nicht ab. Habermas’ Vorhaben ist zuzeiten von „Erkenntnis und Interesse“ primär der Psychoanalyse und damit der Tiefenhermeneutik, nicht aber der Hermeneutik verpflichtet.
Vgl. zur Tiefenhermeneutik ebenfalls Lorenzer 1986. Die Diskussionen, die Habermas mit diesem führt, gehen in die Schrift „Erkenntnis und Interesse“ ein.
 
8
Die methodologische Unterscheidung zwischen Beobachtenden und Beobachteten kritisieren ebenfalls Boltanski und Thévenot im Rahmen ihrer Soziologie der Kritik, jedoch anders akzentuiert. Durch die Rekonstruktion der von Individuen (in spezifischen Rechtfertigungsordnungen) formulierten Kritiken weisen die beiden Autoren nach, das eine grundlegende „Symmetrie zwischen ‚gewöhnlichen‘ Akteuren und ‚professionellen‘ Soziologen‘“ (Celikates 2008: 120) besteht. Denn Beobachtende wie Beobachtete verwenden zur Beschreibung der sozialen Realität ein ähnliches, hochgradig reflektiertes Vokabular (vgl. Boltanski/Thévenot 2007: 21-28). Die Analyse Boltanskis und Thévenots nimmt eine Aufwertung des Begriffs der Akteure/innen vor. Denn die spezifischen Fähigkeiten des Urteilens und Begründens werden nicht allein der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sondern ebenfalls den Beobachteten zugeschrieben. Vgl. zur Frage nach den unscharfen Grenzen zwischen Forschenden und Objektbereich ebenfalls Baum/Dumke 2012.
 
9
Diese Haltung unterscheidet Habermas nicht allein scharf von der älteren Kritischen Theorie, sondern ebenfalls von Marx (und dem historischen Materialismus). Marx nimmt ebenfalls an, Ursachen gesellschaftlicher Herrschaft und verzerrter Wahrnehmungen, die die Individuen selbst nicht durchschauen, zu Bewusstsein zu bringen. Im Gegensatz zu Habermas muss Marx jedoch niemanden von der Wahrheit der Geschichte – entweder dem Sieg der arbeitenden Klasse in früheren Schriften wie dem „Manifest der kommunistischen Partei“ (Marx/Engels 1972), oder der Selbstzerstörung des Kapitals in späteren Schriften wie „Das Kapital“ (Marx 2007) – überzeugen. Denn das von Marx Erkannte beruht ihm zufolge auf Gesetzmäßigkeit und trifft deswegen notwendig ein, ganz unabhängig davon, ob er andere von seinen Aussagen überzeugen kann.
 
10
Vgl. hier ebenfalls Kapitel 6 und 7 für weitere Überlegungen zu Benjamins Verständnis von Geschichte, Tradition und Kritik.
 
11
Als Beispiel für bewusstmachende Kritik nennt Habermas die Ideologiekritik, die den partikularen Kern scheinbar allgemeiner Interessen aufdeckt.
 
12
Exemplarisch für einen solchen Fortschrittsglauben können hier Hegel (Hegel 1970c) oder der Marquis de Condorcet (Condorcet 1973) stehen, die in ihren jeweiligen Abhandlungen versuchen, Geschichte am Leitfaden des Fortschritts zu rekonstruieren.
 
13
Zugespitzt formuliert, verschiebt Habermas die Perspektive von der wissenschaftstheoretischen zur gesellschaftstheoretisch Betrachtung. Konzeptionell und sprachlich zeigt sich diese Perspektivverschiebung darin, dass nun statt der kritischen Wissenschaft die Kritische Theorie der Gesellschaft im Fokus seiner Überlegungen steht.
 
14
Ausführlicher werden die konkreten Ausführungen der Theorie des kommunikativen Handelns hier in Kapitel 4 und Kapitel 5 behandelt. Die Diskussion in diesem Kapitel dient lediglich der Grundlegung einer immanenten Kritik der Theorie Habermas’.
 
15
Die Logik sozialer Evolution ist nicht zu verwechseln mit der Hegelschen Logik der Phänomenologie des Geistes. Habermas’ Darstellung nimmt eine Abstraktion von konkreter Geschichte mit dem Ziel vor, die Strukturen einer sukzessiven Entwicklung erkenntlich werden zu lassen. Hegel bildet die Erfahrungen des Bewusstseins mit sich selbst zwar ebenfalls im Rahmen logischer Notwendigkeiten ab (vgl. Hegel 1970a: 593). Jedoch bleibt innerhalb seiner Darstellung offen, inwiefern sich die einzelnen Episoden einer historischen Chronologie fügen – die Hegelforschung gibt hier keine eindeutige Antwort.
 
16
Habermas’ ablehnende Haltung gegenüber der Hermeneutik ist irritierend. Denn Erich Rothacker, der die Dissertation Habermas’ betreut, prägt dessen Denken durch die Vermittlung zentraler hermeneutischer Texte (vgl. Wiggershaus 2001: 598ff.). Im Vorwort zur zweiten Auflage von „Zur Logik der Sozialwissenschaften“ bezeichnet Habermas die Hermeneutik sogar als einen Einfluss, der seine Vorhaben, die Kritische Theorie in eine Kommunikationstheorie zu überführen, entscheidend prägt (vgl. Lafont 2009a: 29ff.). Spuren der hermeneutischen Tradition zeigen sich in den Schriften Habermas jedoch nicht im methodischen Zuschnitt der Theorie des kommunikativen Handelns, sondern vielmehr in der Anstrengung der Interpretation derjenigen Texte, mit denen er sich kritisch auseinandersetzt. Die zentralen Motive des Systemfunktionalismus Parsons oder Luhmanns arbeitet er ebenso sorgfältig heraus die wie Intentionen Horkheimers und Adornos.
 
17
Dass die genannten Begriffe Habermas’ nicht teil des normativen Alltagsvokabular der Individuen sind und ebenso schlecht als Abstraktion von diesem Vokabular verstanden werden können, lässt sich in David Millers Studie „Grundsätze sozialer Gerechtigkeit“ (Miller 2008) nachvollziehen. Miller unternimmt eine empirische Analyse der normativen Vorstellungen von Individuen und überführt sie in einen theoretischen Rahmen, der durch die Begriffe Gleichheit, Verdienst und Bedarf aufgespannt wird. Sicherlich stellt Millers Schrift eine inhaltlich bestimmte Konzeption der Gerechtigkeit dar und somit ein anderes Vorhaben als die Theorie des kommunikativen Handelns. Jedoch zeigen seine der empirischen Sozialforschung entnommenen Begriffe ihren Abstand zu Habermas’ Begriffen und Konzepten deutlich an.
 
Metadaten
Titel
Intentionen und Motive Kritischer Theorie
verfasst von
Markus Baum
Copyright-Jahr
2018
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20694-9_3