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2007 | Buch

Journalismus und Unterhaltung

Theoretische AnsÄtze und empirische Befunde

herausgegeben von: Armin Scholl, Rudi Renger, Bernd Blöbaum

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung und Einführung in den Band

Einleitung und Einführung in den Band
Auszug
Journalismus wird in erster Linie mit Information in Verbindung gebracht. Im Fokus der Forschung steht deshalb hÄufig der Informations-journalismus. Damit ist jedoch nur die eine Seite beschrieben. Auf einer anderen Seite stehen Unterhaltungselemente im Journalismus, Boulevardjournalismus und die journalistische Leistung, ein Publikum (auch) zu unterhalten. Zwar wird Journalismus oft deutlich von Unterhaltung unterschieden — etwa bei Rundfunkanstalten, wo zwischen Informations- und Unterhaltungsformaten programmatisch getrennt wird. Allerdings können bei den Medieninhalten, den Formaten sowie Darstellungsformen hÄufig Verknüpfungen von unterhaltenden und informierenden Bestandteilen beobachtet werden.
Armin Scholl, Rudi Renger, Bernd Blöbaum

Theoretische Grundlagen

Frontmatter
Information und/oder Unterhaltung?
Auszug
„Informationen sind, wir bleiben dabei, Unterschiede, die einen Unterschied machen.“ (Luhmann 1996: 100) Diese auf (1981) zurückgehende Definition des Konzeptes von Information als doppelte Differenz umfasst in knappster Form die konstituierenden Elemente von Information: Neuigkeit, Relevanz und Richtigkeit. Mit den Worten von (2004) lautet dies:
  • „Eine Information muss unser Wissen vermehren oder, anders ausgedrückt, unsere Ungewissheit verringern.“ (2004: 42) Damit ist primÄr die Erweiterung von Wissen, also von Informationen über die Unterschiede in der Sequenz von mindestens zwei Ereignissen gemeint.
  • „Unter einer Information verstehen wir etwas, das nützlich für unser Handeln jetzt oder in naher Zukunft ist.“ (2004: 42) Damit ist die Anwendbarkeit, der lebensweltliche Nutzen, die Orientierungsfunktion, rsp. der Nutzwert von Informationen für Individuen, Gruppen oder Gesellschaften gemeint.
  • „Eine Information muss richtig sein, das hei\t, sie muss eine zutreffende Aussage über einen Sachverhalt darstellen.“ (2004: 43) Das Neuigkeits-, Nützlichkeits- und Relevanzpotenzial von Informationen zum Zwecke der „Reduktion von Ungewissheit“ (Bonfadelli 2001: 22), zur Lösung von Problemen oder zur Beantwortung von Fragen (vgl. Ritchie 1991: 3) kann nur aktualisiert werden, wenn diese korrekt sind.
Louis Bosshart
Unterhaltung
Auszug
Der Begriff Unterhaltung ist ein Allerweltsbegriff und jeder glaubt zu wissen, was damit gemeint ist. Die hÄufige und dabei vieldeutige Begriffsverwendung hat Tradition. Das Konzept ‚Unterhaltung‘ dürfte zu den Ältesten wissenschaftlichen Konstrukten unseres Faches zÄhlen. (1993) identifiziert „Unterhaltungstheoreme“ bereits in den zentralen Werken von Platon und Aristoteles. Vor über 300 Jahren setzte sich Tobias Peucer in seiner Dissertationsschrift „über Zeitungsberichte“ an der UniversitÄt Leipzig mit „Nutzen und Unterhaltung“ als zwei disjunkten Funktionen von „Zeitungsberichten und NeuigkeitserzÄhlungen“ auseinander (Peucer 1690).
Werner Früh, Carsten Wünsch
Nie fand ich einen geselligeren Gesellschafter als die Unterhaltung
Eine Rekonstruktion der Bestimmungsversuche von Unterhaltung
Auszug
Die Unterhaltungsforschung ist die Antwort. Was aber war die Frage? Wollen wir uns über Unterhaltung unterhalten oder Unterhaltung analysieren? Ist es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir die vielfÄltigen Unterhaltungen in Form von Bestimmungsversuchen beschreiben können?
Christian Wiesner

Theoretische Anwendungen

Frontmatter
Unterhaltung als Journalismus — Journalismus als Unterhaltung
Theoretische überlegungen zur überwindung einer unangemessenen Dichotomie
Auszug
Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder prÄsentiert sich am Wahlabend nicht nur als Elefant im sprichwörtlichen Porzellanladen, sondern bietet mit seinem „Krawallauftritt“ in der Elefanten-Runde auch einen Unterhaltungswert, der die zahlreichen, bemüht ausgewogenen GesprÄchsrunden des Wahlkampfs grau, zÄh und langweilig aussehen lÄsst. Entgleiste Eigen-PR offenbart den Charakter eines Mannes schonungslos und lÄsst uns als Publikum teilhaben an dem unterhaltsamen Regieverlust von Journalismus.
Margreth Lünenborg
Argwöhnisch beÄugt
Interrelationen zwischen Journalismus und Unterhaltung
Auszug
Journalismus unterhaltsam und Unterhaltung informativ zu finden, dürfte in jedem Fall einfacher sein, als diese Beobachtungen in eine konsistente und trennscharfe theoretische Modellierung zu überführen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Unterhaltungserleben in einem sehr weiten Sinne als Kulturtechnik (vgl. Schmidt 2003: 326; Früh 2002; Früh/ Wünsch/Klopp 2004: 515) verstanden wird und man gleichzeitig nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass jede Kommunikation auch journalistisch sein kann. Ausgehend vom Journalismus hÄtte eine solche Perspektivierung nÄmlich nicht nur Unterhaltung von Kommunikation abzusetzen, sondern auch aufzuzeigen, wie sich unterhaltsame von weniger unterhaltsamerer journalistischer Kommunikation unterscheiden lie\e (vgl. Klaus 1996; Renger 1999: 296) und wie sich obendrein die Unterhaltsamkeit journalistischer Angebote von derjenigen politischer, wissenschaftlicher oder gar wirtschaftlicher Kommunikationsofferten abgrenzen lÄsst. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Zuhilfenahme technischer Verbreitungsmedien als Grenzkriterium für soziale, physische oder psychische PhÄnomene (qua Exklusion nicht-medial vermittelter Kommunikation) — etwa durch die Modellierung einer Unterhaltungstheorie für TV-oder Printmedien — als nicht zwingend angesehen werden kann (vgl. hierzu Görke/Kohring 1997; Früh 2002; Kohring 2004: 192ff).
Alexander Görke
Genial daneben
Warum Journalismus nicht (Gegen-)Teil von Unterhaltung ist
Auszug
Der (deutschsprachigen) Journalismusforschung wird seit einiger Zeit vorgeworfen, sie sei nicht nur geschlechterblind, sondern auch unterhaltungsblind — wobei offenbar ein direkter Zusammenhang zwischen beidem gesehen wird. Aus diesem Vorwurf wird der Aufruf zu einem Paradigmenwechsel abgeleitet und dabei die Aufgabe der systemtheoretischen zu Gunsten einer kulturtheoretischen Perspektive angeregt (vgl. Klaus 1996; Klaus/Lünenborg 2000; Lünenborg 2005). Dies scheint angesichts der aktuellen, Wirklichkeit des Journalismus’ insofern plausibel zu sein, als Entgrenzungsprozesse ablaufen, welche die seit Ende des 19. Jahrhunderts beschreibbare IdentitÄt der Aussagenentstehung von Massenmedien zur Disposition stellen. Journalistische Nachrichten tauchen inzwischen immer hÄufiger an Orten und insbesondere in (TV-)Programmen auf, wo man sie nicht erwartet, und verschwinden dort, wo man mit ihnen rechnet (vgl. Zelizer 2004: 203).
Siegfried Weischenberg
Differenzierung und Distinktion
Journalismus, unterhaltender Journalismus, Unterhaltungsproduktion
Auszug
Eine „bürgerliche Niveauideologie“ haben — schon 1974 — (1974: 15) den Kritikern des Unterhaltungsjournalismus aufgrund ihrer abwertenden Qualifizierungen attestiert. Sie haben sich dann jedoch weniger mit diesem BeziehungsverhÄltnis beschÄftigt, sondern die bislang einzige Untersuchung zu Unterhaltungsjournalisten in Deutschland vorgelegt — zehn Jahre vor dem Urknall, der 1984 die privat-kommerziellen Sender in die Wohnstuben brachte, deren Programme wiederum gut zwanzig Jahre spÄter zu einer Inflation von Niveau- und Ideologiediskussionen über den Wert der Unterhaltung beitragen.
Klaus-Dieter Altmeppen
Das Hofnarren-Komplott
Deskriptiv-theoretische Herleitung von Entgrenzung und Selbstthematisierung im Journalismus
Auszug
Für die Tatsache, dass der Journalismus seit jeher unterhaltende Elemente und Motive enthÄlt, hat die historische Journalismusforschung zahlreiche Belege geliefert. GemÄ\ dem Horazschen „Prodesse et delectare“ ist eine gewisse Unterhaltungsorientierung zu allen Zeiten ein konstitutiver Bestandteil des Journalismus gewesen. Und dies nicht nur, weil seit jeher Fiktionalisierungen in allen journalistischen Darstellungsformen prÄsent sind, um zur Pointierung von Fakten beizutragen (vgl. Reus 2002: 83). Unterhaltende Elemente wurden auch schon für Themen, Inhalte und Funktionen der Moralischen Wochenschriften nachgewiesen (vgl. Maar 1995). Neben diesen Gesellschaftszeitschriften zÄhlten die Literarischen Zeitschriften zu den Grundlagen des heutigen Zeitschriftenwesens, ebenso wie eine direkte Traditionslinie hergestellt werden kann zwischen den Abenteuer- und Entdeckungsgeschichten, die Ende des 18. Jahrhunderts im Sprechsaaltyp veröffentlicht wurden, und den Fortsetzungsromanen, die heute in fast allen Tageszeitungen gedruckt werden.
Stefan Weinacht, Ralf Hohlfeld

Empirische Umsetzungen

Frontmatter
„Unterhaltungspublizistik“
Journalistische Gratwanderungen zwischen Fernsehinformation und Fernsehunterhaltung
Auszug
Im Folgenden werden überlegungen zur Abgrenzung von Information und Unterhaltung in deutschen Fernsehprogrammen angestellt. Im Mittelpunkt des Beitrages wird dabei weder die mutma\lich unterhaltende oder informierende Intention des Journalisten noch die Funktion des Medieninhalts für den Rezipienten stehen. Im Mittelpunkt des Beitrags steht vielmehr der Medieninhalt selbst, und zwar aus einer normativanalytischen Leistungsperspektive.
Joachim Trebbe, Torsten Maurer
Politik zum Lachen
‚Feel Good’-Faktoren in der Politikberichterstattung österreichischer Tageszeitungen
Auszug
Im MÄrz 2006 sicherte eine Entscheidung der britischen Kulturministerin Tessa Jowell, die jÄhrliche Lizenzgebühr für alle fernsehwilligen Haushalte zumindest für weitere zehn Jahre zu erhalten, mittelfristig das finanzielle Wohl der traditionsreichen öffentlich-rechtlichen BBC. Im Gegenzug lie\ die Politikerin jedoch den Fernsehchefs ausrichten: „Die BBC sollte den Spa\ weiterhin ernst nehmen, all ihre Dienste mit Unterhaltsamem aufpeppen.“ (zit. n. Hermann 2006: 29) Kritiker und Insider vermuteten hinter diesem Ratschlag aber weniger Jowells Lust am Vergnüglichen, sondern ein Zurecht-Stutzen von (womöglich regierungskritischer) Information, wenn nicht gar ein „dumbing down“ (Hermann 2006: 29) — einen Persilschein für die Produktion von immer blödsinnigeren TV-Inhalten.
Rudi Renger, Christian Wiesner
Prominenz als Medieninhalt
Eine Untersuchung zur kommunikativen und ökonomischen Bedeutung der Prominenzberichterstattung.
Auszug
In Zeiten steigenden medialen Wettbewerbs gilt zunehmend „content is king“. Inhalte sollen möglichst wenig Kosten verursachen und müssen attraktiv sein. Im folgenden Beitrag, der einen Werkstattbericht im Zusammenhang einer grö\eren Studie zum Thema Medienprominenz darstellt, soll sowohl die kommunikative als auch die ökonomische Bedeutung von Prominenz als Medieninhalt skizziert und erste Untersuchungsergebnisse einer LÄngsschnittstudie zur VerÄnderung von Prominenzberichterstattung vorgestellt werden.
Thomas Schierl
Backmatter
Metadaten
Titel
Journalismus und Unterhaltung
herausgegeben von
Armin Scholl
Rudi Renger
Bernd Blöbaum
Copyright-Jahr
2007
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90724-6
Print ISBN
978-3-531-15291-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90724-6