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11.05.2016 | Karosserie | Nachricht | Online-Artikel

Karosseriebautage 2016: Strukturen von der Natur inspiriert

verfasst von: Angelina Hofacker

4 Min. Lesedauer

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Innovative Fertigungsverfahren aber auch Bäume und Knochen können Lösungsansätze für eine zukunftstaugliche Fahrzeugkarosserie liefern. Das zeigen Experten bei den Karosseriebautagen in Hamburg.

"Biologische Wachstumsträger wie Bäume und Knochen stellen mechanisch gesehen nichts anderes als ein Bauteil dar. Sie sind Lasten ausgesetzt, welche zu Dehnungen und Spannungen in der Struktur führen", stellte Professor Dr. Lothar Harzheim von Opel in seinem Eröffnungsvortrag auf der ATZlive-Fachtagung am gestrigen Dienstag, 11. Mai, in Hamburg fest. Evolutionsbedingt seien die biologischen Bauteile versagenssicher und besäßen ein festigkeitsoptimiertes Leichtbaudesign. Harzheim bezog sich hierbei auf Grundlagenuntersuchungen am Forschungszentrum Karlsruhe, die zeigen, dass biologische Kraftträger immer versuchen in eine Form zu wachsen, bei der die Oberflächenspannung für die relevanten Lastfälle homogen ist. Die optimierte Form wird demnach durch eine adaptive Wachstumsregel erreicht.

Auch globale Optimierungsverfahren sind aus der Natur ableitbar

Wie Harzheim berichtete, lässt sich dieses Wachstumsregel-Prinzip auch für technische Anwendungen (bei Festigkeitsproblemen) nutzen. Zur Formoptimierung können Ingenieure auf die Computer-Aided-Optimiziation(CAO)-Methode und zur Topologieoptimierung auf die Soft-Skill-Option(SKO)-Methode zurückgreifen. Als Beispiel nannte Harzheim unter anderem ein CAO-optimiertes Karosserie-Blechbauteil aus dem Hinterwagenbereich, bei dem die Spannung um 36 Prozent reduziert werden konnte, indem Material weggenommen wurde. Hier zeige sich sehr schön, dass eine Spannungsreduktion nicht zwangsläufig mit einer Gewichtszunahme einhergehe.

Aber nicht nur bei Festigkeitsproblemen können Vorbilder aus der Natur nützlich sein, so lassen sich Harzheim zufolge für allgemeine Optimierungsprobleme beispielsweise evolutionäre Algorithmen oder Teilchenschwärme (Particle Swarm Optimization, kurz PSO) nutzen. Beide Methoden seien zum Auffinden eines globalen Optimums geeignet. Die Schwarmoptimierung bedinge jedoch einen großen Rechenaufwand und sei derzeit für faktische Probleme nur bedingt einsetzbar.

Variantenintensive Kleinserien leichter und hochflexibel konzipieren und fertigen

Dass eine lastgerechte und bionische Bauteilgestaltung bei geringsten Wandstärken und herausragenden Materialeigenschaften auch verfahrenstechnisch möglich ist, zeigten Dr. Martin Hillebrecht von Edag und Professor Dr.-Ing. Claus Emmelmann vom Laser Zentrum Nord (LZN) in einem Fachvortrag über die Potenziale der additiven Fertigung - in Verbindung mit Verfahren im Sinne einer Industrie 4.0. Denn die Anforderungen an Fahrzeugkarosserien und deren Entwicklung sind vielfältig: so leicht wie nur möglich, aerodynamisch feinoptimiert, kosteneffizient produzierbar, selbstverständlich sicher im Crashfall, raumsparend (Exterieur) und gleichzeitig großzügig (Interieur) sollen sie sein. Aber auch die zunehmende Vielfalt von Antriebskonzepten und Energiespeichersystemen wirkt sich auch auf die Entwicklung von Karosserien aus. Um diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Produktionsprozesse so optimiert werden, dass Karosserie-Kleinserien hochflexibel in vielfältigen Varianten konzipiert und produziert werden können, gab Hillebrecht zu bedenken. Das Ziel und die Vision der Ingenieure von Edag sei deshalb eine werkzeuglose Fertigung komplexer Strukturen für kleine Serien direkt aus Datensätzen heraus. Die additive Fertigung eröffne dafür vielversprechende Möglichkeiten und biete die nötige Flexibilität - damit könne auf schwankende Stückzahlbedarfe reagiert, aber auch eine Anpassung von Strukturbauteilen während eines Produktlebenszyklus ermöglicht werden.

Das Potenzial des Verfahrens demonstrierte Hillebrecht anhand des Konzeptfahrzeugs Edag Light Cocoon mit bionisch gestalteter, lastpfadoptimierter Space-Frame-Struktur. Der Demonstrator wurde mit weiteren Projektpartnern unter Einsatz des Laser-Cusing-Verfahrens gefertigt und erstmals auf dem Genfer Automobilsalon 2015 vorgestellt . Die technischen Details beschreiben die Edag-Ingenieure im Artikel Funktionsintegrierte, bionisch optimierte Fahrzeugleichtbaustruktur in flexibler Fertigung aus der ATZ 10-2015.

Leichtbau 2.0

Hillebrecht und Emmelmann zeigten sich in ihrem Vortrag überzeugt, dass das Ausrollen der 3-D-Drucktechnik auf industrielle Standards, die die großmaßstäbliche Umsetzung generativer Fertigungsverfahren ermöglichen soll, klassische Fertigungsverfahren um eine neue Dimension erweitern und den Weg in den Leichtbau 2.0 prägen werde. "Es ist ein Fehler, sich nicht mit diesem Thema zu beschäftigen", sagte Hillebrecht, auch wenn bislang noch langsame Prozessgeschwindigkeiten, die relativ geringen Bauräume und eine eingeschränkte Materialauswahl eine Anwendung in der Serienproduktion limitierten. Weitere F&E- Aktivitäten seien erforderlich. Wer jedoch zu diesem Zeitpunkt in die Verfahrenstechnik einsteige, könne sich entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern, zeigte sich auch Emmelmann überzeugt.

Wie "Leichtbau 2.0" aktuell schon in der Serienproduktion umgesetzt werden kann, zeigte unter anderem Michael Ahlers von BMW am Beispiel der neuen BMW-7er-Karosserie, die mit einem innovativen Mischbau aus CFK, Stahl und Aluminium aufwartetet, den BMW als "Carbon Core" bezeichnet. Für die Fertigung hat der Automobilhersteller ein Produktionsverfahren entwickelt, bei dem eine Carbon-Mischbau-Karosserie erstmals durch den Lackierprozess geht. Die Carbonteile werden hierbei nicht nachträglich montiert, sondern sind von Anfang an fest in der Rohbaustruktur integriert und durchlaufen im Gesamtverbund die kathodische Tauchlackierung (KTL) und Lackieranlage, berichtete Ahlers.

Neben der Vorstellung aktueller Komponentenlösungen und innovativer Werkstoffe runden Vorträge zu aktuellen Leichtbaulösungen und Entwicklungsmethoden am heutigen Mittwoch die 14. Karosseriebautage im Terminal Tango am Hamburger Flughafen ab.

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