Kontingenz des Politischen – apolitische Gesellschaft? Anmerkungen zum langen „Sonderweg“ der USA

Mannheim bezeichnete die „Aktivierung (…) derjenigen Schichten und Gruppen, die früher nur passiv an dem politischen Leben teilnahmen“, als Fundamentaldemokratisierung (Mannheim 1935, S. 18).

Schmitt war Ende 1933 als Reichsgruppenwalter der Reichsgruppe Hochschullehrer des NS-‚Rechtswahrer‘-Bundes eingesetzt worden. Sein Aufsatz schloss mit einem Zitat „unseres Führers Adolf Hitler“: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“. Bereits ein Jahr davor hatte Schmitt über die antisemitischen Nürnberger Rassengesetze geschrieben: „Von ihnen aus bestimmt sich, was für uns Sittlichkeit und öffentliche Ordnung, Anstand und gute Sitten genannt werden kann (…). Alles, was wir als deutsche Juristen tun, erhält von ihnen her seinen Sinn und seine Ehre“ (Schmitt 1935, Sp. 1135). Man muss nicht zusätzlich Schmitts Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ im Anschluss an die Morde des 30. Juni/1. Juli 1934 (Schmitt 1934) einbeziehen, um Christian Graf von Krockows auf Schmitt gemünzte Charakterisierung „Zuhälter der Gewalt“ (Krockow 1986) für angemessen zu halten.

Vgl. auch Eisfeld 1972, S. 110: „Da individuelle Interessen allenfalls auf Robinsons Eiland – und das heißt: erdichtetermaßen – keinen sozialen Charakter annehmen, wird diese Gestaltbarkeit [i. e. immer weiterer individueller Lebensbereiche] (…) durchgängig zur politischen Frage (…). Damit steht aber für die politische Ordnung aller ‚Unternehmen‘ der tendenziell sich herausbildenden gesellschaftlich-staatlichen Einheit die Verwirklichung einer demokratischen Verfassung auf der Tagesordnung. Die tendenzielle Einheit schließt, anders gesagt, einen ‚genuin politischen‘ Bereich, auf dessen demokratische Konstituierung das ausschließliche Augenmerk zu richten wäre, unwiderruflich aus.“

Zu den Auswirkungen der explodierenden Kosten des Vietnamkriegs („warfare-welfare trade-off“) vgl. besonders Noble 1997, S. 95 f., S. 103 f.

Vgl. ferner die lapidare Feststellung: „The New Deal collapsed in the 1960s“ bei Rieder 1989, S. 243; zur politischen Aktivierung während des New Deal Lubell 1965, besonders Kapitel 3 „Revolt of the City“.

Bereits ein Jahrzehnt früher hatte David Halberstam geurteilt, die politischen Auswirkungen der Inflation „wögen kaum weniger schwer als die des Krieges selbst“ (vgl. Halberstam 1992, S. 609).

Laut Umfrageergebnissen des unabhängigen Pew Research Center for the People & the Press. Vgl. besonders Pew Research Center for the People & the Press 1998 und 2010.

So am 4. Juli 1982 aus Anlass der erfolgreichen Rückkehr der Space Shuttle „Columbia“ und am 28. 1. 1986, nachdem die Shuttle „Challenger“ beim Start explodiert war.

Bei der Weltraumbehörde NASA hatte man sich von Anfang an der frontier-Analogie bedient. Der 1961 ins Amt gelangte NASA-Direktor James Webb begründete das Vorhaben einer bemannten Mondlandung damit, man wolle „dem amerikanischen Volk etwas geben, auf das es ebenso stolz sein kann wie auf den heroischen Vormarsch der Pioniere, die über den Oregon Trail nach Westen zogen“ (zitiert bei van Dyke 1964, S. 148 f.). Kritisch zu der vereinfachenden Analogie: Limerick 1992, S. 249–262.

Mit der Wahrnehmung der Siedler, dass „im Alltagsleben (…) der Staat abwesend war“, kontrastierte die „tatsächliche aktive Rolle der Bundesregierung bei der Entwicklung des amerikanischen Westens“, die von den „new western historians“ betont wird (White 1991, S. 57 f.).

Vgl. dazu auch Hofstadter: „Under American conditions, the balance between traditional establishments and revivalist or enthusiastic movements drastically shifted in favor of the latter (…). The primary impulse (…) was the feeling of direct personal access to God.“ (Hofstadter 1966, S. 55 f.).

Dass die Ideologie der Pionierära, zusätzlich zum schroffen Individualismus, Einstellungen und Verhaltensweisen gefördert hat, die der Anwendung von Gewalt bis in die Gegenwart Vorschub leisten, habe ich früh betont (vgl. Eisfeld, 1972, S. 30) und mich detaillierter damit auseinandergesetzt in der Studie Wild Bill Hickok: Westernmythos und Wirklichkeit (vgl. Eisfeld 1994, besonders S. 179–191; vgl. dazu grundlegend Slotkin 1992.

Definiert als ein Gebiet, in dem mehr als zwei und weniger als sechs Menschen pro Quadratmeile lebten.

Der Roman wurde außerdem zwischen 1914 und 1946 viermal verfilmt.

Zum Begriff und zur Charakterisierung der „Stegreifversammlung“ vgl. Tocqueville 1959, S. 217, 224. Zur diesbezüglichen Debatte im Progressive Movement vgl. Mattson 1998, besonders S. 7 f., 10 ff., Milkis 1999, S. 19 ff., Mileur 1999, S. 259, 266 und Kloppenberg 1986 (Kapitel 9.​3 „Bureaucracy versus Democracy“).

Die Mitgliederliste des Tea Party Caucus kann eingesehen werden unter http://​en.​wikipedia.​org/​wiki/​Tea_​Party_​Caucus. 24.03.2012.

Vgl. ferner Pew Research Center: „The Tea Party, Religion and Social Issues“ (http://​pewresearch.​org/​pubs/​1903/​tea-party-movement-religion-social-issues-conservative-christian), 23. 2. 2011, zitiert bei Skocpol u. Williamson 2012, S. 23, 35.

Eine detaillierte Darstellung dieses „Mehrebenen“-Projekts enthält Kapitel 3: „Mobilized Grassroots and Roving Billionaires“.

Zu den Gründen für die Schwächung der politischen Parteien seit den 1960er Jahren können zum Vergleich beispielsweise Campbell (2007, S. 70 ff.) und Mileur (1999, S. 268 f.) herangezogen werden; zum Ausmaß und den Ursachen des Niedergangs der Gewerkschaften vgl., statt vieler, Lichtenstein 1989, S. 144 f. und Putnam 2000, S. 81 ff.

Christiane Lemke, die diesbezügliche theologische Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht berücksichtigt, zeigt sich in ihrer Momentaufnahme der US-Innenpolitik verwundert darüber, dass „konservativ-religiöse Gruppen (…) die aktive Staatsrolle [kritisieren] und (…) auf die Ideologie der Selbstverantwortlichkeit“ setzen – Lemke zufolge „eine paradoxe Position, wenn man bedenkt, dass sich gerade die Kirchen traditionell in einer sozialen Verantwortung sehen.“ (Lemke 2011, S. 131).

Dies ist im Sinne einer „originalistischen“ (letztendlich fundamentalistischen) Auslegung zu verstehen.

Zum „Government Activism“ vg. Skocpol (2007, S. 58 ff., 62–65), zum „bürgergesellschaftlichen Amerika“ Skocpol 2007, S. 639 ff., 642 ff., 645 ff.