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18.12.2013 | Krisenkommunikation | Interview | Online-Artikel

"Heute ist Krisenkommunikation wie Jazz"

verfasst von: Andrea Amerland

3:30 Min. Lesedauer

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Ein Satz, der in den Ohren von PR-Managern ketzerisch klingt: PR-Abteilungen werden an Bedeutung verlieren, so Autor Ansgar Thießen im Interview.

Springer für Professionals: Unternehmen stehen unter Beobachtung - durch Medien, Verbraucher, NGOs oder Bürgerinitiativen. Welche Konsequenzen hat das für das Krisenmanagement, insbesondere für die Krisenkommunikation?

Ansgar Thießen: Die Vorstellung, Anspruchsgruppen beobachten nur und man macht ein bisschen PR und Issues Management greift heute zu kurz. Im Gegenteil: Stakeholder machen ihre Ansprüche geltend. Und das häufiger, professioneller und tiefer in der Wertschöpfungskette denn je. Es sind längst nicht mehr die großen NGOs die jahrelange Erfahrung mit Campaigning haben. Es sind Bürgerinitiativen, es sind Splittergruppen im Middle Management, es sind Wettbewerber. Schauen Sie sich Stuttgart 21 an.

Einige Anspruchsgruppen stehen sogar in keinerlei Interaktion mit dem Unternehmen. Bei Shitstorms auf Facebook äußern Hunderttausende ihren Anspruch, obwohl sie noch nie ein Produkt gekauft, noch nie einen Fuß in einen Laden gesetzt haben. Sicher geht es in einem ersten Schritt darum, Ansprüche sichtbar zu machen, zu beobachten und offenzulegen, wenn Sie so wollen. Aber das ist nur ein erster, analytischer Schritt. Stakeholder Management ist Führungsaufgabe – Sie können nicht gute Krisen-PR machen ohne Policies, ohne Guidelines, ohne Procurement Rules oder Managementsysteme wie ISO 14001. Dass Krisenkommunikation zerrüttete Beziehungen zu kritischen Anspruchsgruppen flickt, ist ein Trugschluss. Meinungen entstehen viel früher. Ein integriertes Management von Ansprüchen ist notwendig. Und das bedeutet den schwereren Weg: gemeinsam mit Kritikern inhaltlich zu arbeiten.

Genau dies ist im Übrigen die Perspektive des "Handbuchs Krisenmanagement". Es zeichnet das Bild einer Ära des post-modernen Krisenmanagements: weg von PR und Kommunikation, hin zum Management von Ansprüchen.

Können die Notfallpläne für den Krisenfall, die gut organisierte PR-Abteilungen in der Schublade haben, bei den besonders dynamischen Prozessen im Social Web noch greifen bzw. wie müssen sie ggf. angepasst werden?

Die Unternehmensberatung Bain & Company hat in einer Studie mit mehreren hundert Unternehmen gezeigt, dass rund ein Zehntel unternehmerischer Entscheidungen immer noch 80 Prozent des Business Impact erreichen. Es geht also nicht darum, Prozesse und Abläufe genau festzulegen. Es geht vielmehr darum, Entscheidungskompetenz so zu organisieren, dass sie situativ anpassbar ist und immer noch einen hohen Impact hat. Ein bisschen wie in der Musik: Früher war Krisenkommunikation ein Werk Johann Sebastian Bachs - die Brillanz liegt im Detail und in der guten Interpretation der Partitur. Heute ist sie wie Jazz - die Brillanz liegt in der Kompetenz der Musiker und der situativen Stimmung.

Im Social Web gibt es immer noch Unternehmen, die reagieren auf Shitstorms mit Zensur und Medienmitteilungen. Gute Reaktionen sind anders. So hat EA Sports auf ein kritisches YouTube-Video über einen Fehler in einem ihrer Computerspiele mit einem eigenen YouTube-Video geantwortet. Früher war Krisenkommunikation sprecherzentriert, heute ist sie ein Teilnehmen in den relevanten Netzwerken. Und dort müssen Sie zuhören, verstehen, erklären, argumentieren - auch mal einstecken und zugeben: Wir sind noch nicht so weit.

Krisenmanagement bedeutet aber nicht, dass Sie Ihr Geschäftsmodell über den Haufen werfen müssen – wenn Sie nach Öl bohren, dann ist das Ihr Geschäft. Sie müssen aber die Argumente der vielen Anspruchsträger verstehen und von Beginn an in Ihre Entscheidungen einbeziehen. Stakeholder Management unterstützt also Geschäftsführung, sie ist keine Logistikaufgabe im Sinne von "Wir verbreiten unsere Botschaften noch schnell bei allen Anspruchsgruppen". Stakeholder Management kann in der Konsequenz auch bedeuten, dass Sie erkennen niemals zusammenzufinden. Und damit müssen Sie dann aktiv umgehen.

Kann Krisenkommunikation getrost der PR-Abteilung überlassen werden? Welche Rolle spielt das Management in der Krisenkommunikation?

Die PR-Abteilungen in Unternehmen werden mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Schon heute gibt es Konzerne, die vollständig integrierte Abteilungen im Sinne eines Managements von Ansprüchen haben. Diese Abteilungen sind in die Geschäftsprozesse integriert, in ihnen sitzen Experten für Stakeholder Management, Geschäftsentwicklung, teilweise die Geschäftsleitung und eben auch Kommunikation, Marketing, sogar Branding. Dies ist in Zukunft der einzig richtige Weg: nicht mehr unternehmerische Vorhaben zu entscheiden und dann darüber zu kommunizieren, sondern Ansprüche in unternehmerische Vorhaben von Beginn an zu integrieren. Und diese Rolle kann PR nicht leisten.

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

Krisenmanagement

Quelle:
Handbuch Krisenmanagement