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2004 | Buch

Länder-parlamentarismus in Deutschland

Geschichte — Struktur — Funktionen

herausgegeben von: Siegfried Mielke, Werner Reutter

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Länderparlamentarismus in Deutschland — Eine Bestandsaufnahme
Zusammenfassung
Für Jürgen Hartmann sind die Landtage der Flächenländer, die Bürgerschaften in Hamburg und Bremen und das Berliner Abgeordnetenhaus „Schmuddelkinder“ des deutschen Parlamentarismus.1 Aus diesem Grund hat wohl auch die politikwissenschaftliche Forschung in Deutschland bisher einen großen Bogen um diesen Gegenstand gemacht — unbeschadet einiger Überblicksdarstellungen und diverser Einzelstudien.2 Doch ist die einschlägige politikwissenschaftliche Diskussion in diesem Bereich zentralstaatlich und exekutivisch fixiert. Regionale parlamentarische Strukturen spielen keine Rolle, weder um demokratische Integrationsleistungen des politischen Systems auszuleuchten noch um die staatliche Steuerungsfähigkeit im deutschen und europäischen Mehrebenensystem zu analysieren.
Siegfried Mielke, Werner Reutter
Kapitel 2. Der baden-württembergische Landtag
Zusammenfassung
Der Landtag von Baden-Württemberg repräsentiert als einziges Landesparlament die Bevölkerung eines Bundeslandes, dessen Gründung durch eine Volksabstimmung legitimiert wurde und das bislang die einzig erfolgreiche Länderneugliederung durchgeführt hat. Das im November 1953 erstmals konstituierte baden-württembergische Parlament stellte bis zur Wiedervereinigung 1990 das jüngste Landesparlament in der Bundesrepublik Deutschland dar. Die „späte Geburt“ — so zeigt sich heute — zeitigte keine negativen Nachwirkungen. Baden-Württemberg und mit ihm sein Parlament wurden zu einem Erfolgsmodell im deutschen Föderalismus.
Gisela Riescher, Bernt Gebauer
Kapitel 3. Landesparlamentarismus in Bayern
Zusammenfassung
Das Königreich Bayern (1806–1918) und seine Nachfolgestaaten, der 1. und der 2. Freistaat Bayern (1918–1933; seit 1946), standen immer vor der zentralen Aufgabe, die ehemals buntscheckige Territorialwelt Frankens und Schwabens und das ehemalige Kurbayern zu einer gesamtbayerischen Einheit zu formen.1 Die obersten Prinzipien des bayerischen aufgeklärten Staatsabsolutismus lauteten Vereinheitlichung und Zentralisierung nach innen und Festigung der Souveränität nach innen und außen.2 Unter der Führung einer Beamtenelite wurde der zentralistische Verwaltungsstaat Bayern zum Instrument der Integration der überkommenen Territorialwelt.
Alf Mintzel, Barbara Wasner
Kapitel 4. Das Abgeordnetenhaus von Berlin: Ein Stadtstaatenparlament im Bundesstaat
Zusammenfassung
„Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt“, so lautet der erste Absatz des ersten Artikels der Berliner Verfassung vom 23. November 1995, die nicht nur in dieser Hinsicht an die am 1. Oktober 1950 in Kraft getretene Nachkriegsverfassung anschließt. Mit dieser Feststellung sollen sich Berlins kommunale Tradition und die nach 1949 angestrebte Einordnung in das föderalstaatliche Gefüge der Bundesrepublik Deutschland verbinden.1 Berlin2 hatte sich damit als Stadtstaat konstituiert, wobei die Vorbehaltsrechte der Siegermächte zu berücksichtigen waren. Diese Rahmenbedingungen verweisen auf parlamentarische Besonderheiten des Abgeordnetenhauses, das über weit reichende Kreationsfunktionen und Kontrollrechte verfügt sowie teilweise Aufgaben von kommunalen Vertretungskörperschaften zu erfüllen hat. Wohlgemerkt, die Besonderheiten tangieren nicht die prinzipielle Funktionsweise des Berliner politischen Systems, das sich auch durch die Vereinigung 1990 in seinen Gründzügen nicht verändert hat. Es war bereits in der Verfassung von 1950 als parlamentarisches Regierungssystem konzipiert. Doch weist die Berliner Variante der Trennung und Balancierung von exekutiver und legislativer Gewalt Eigentümlichkeiten auf, die sich nur erklären lassen, wenn diese Spezifik als Stadtstaat und die historischen Bezüge berücksichtigt werden.
Werner Reutter
Kapitel 5. Der Brandenburgische Landtag
Zusammenfassung
Wie die anderen „neuen“ Länder trat auch Brandenburg, dessen Geschichte bis ins Jahr 1157 zurückreicht, nach dem Zweiten Weltkrieg kurz als eigenständiges Land in Erscheinung.1 Die von den Siegermächten auf der Potsdamer Konferenz gefassten Beschlüsse zur Oder-Neiße-Grenze führten dazu, dass sich die Fläche der ehemals preußischen Provinz um etwa ein Drittel verkleinerte. Brandenburg trug zunächst weiterhin den Namen „Provinz Mark Brandenburg“ und wurde erst nach der endgültigen Auflösung Preußens durch den Alliierten Kontrollrat im Februar 1947 ein auch nominell vollwertiges Land. Da die preußischen Provinzen, anders als die Länder Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, vor und während des Krieges nur über eine beschränkte Selbständigkeit verfügt hatten, konnte die im Juni/Juli 1945 von der Sowjetischen Militäradministration (SMA) eingesetzte Brandenburgische Provinzialverwaltung ähnlich wie in der Provinz Sachsen (später Sachsen-Anhalt)2 nicht auf die Strukturen einer bestehenden Ministerial-verwaltung zurückgreifen. Die Provinzialverwaltung war zunächst allein von der sowjetischen Militäradministration abhängig und arbeitete ohne parlamentarische Kontrolle und Legitimation. Letzteres änderte sich durch die Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946, die noch mit konkurrierenden Listen, also unter demokratischem Vorzeichen stattfanden. Im neuen Brandenburgischen Landtag verfügten die beiden bürgerlichen Parteien Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU, 31 Mandate) und Liberal-Demokratische Partei (LDP, 20 Mandate) gegenüber der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED, 44 Mandate) und der von der SED dominierten Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB, 5 Mandate) über einen Vorsprung von zwei Sitzen.3
Malte Lübker, Suzanne S. Schüttemeyer
Kapitel 6. Bremen: Parlamentarismus im Zwei-Städte-Staat
Zusammenfassung
Die Freie Hansestadt Bremen ist neben Hamburg das einzige deutsche Bundesland, das eine ungebrochene republikanische Staats- und Verfassungstradition aufweist, die bis in vordemokratische Zeiten zurückreicht. Noch heute ist das parlamentarische Regierungssystem Bremens tief von den Spuren dieser hier angelegten „institutionellen Erbstrukturen“1 bzw. der institutionellen Pfadabhängigkeit geprägt. Im Zentrum der politischen Entwicklungsgeschichte Bremens steht dabei der Kampf um Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit, der 786 vom Status als Bischofsstadt seinen Ausgang nahm und vom Mittelalter bis in die bundesstaatliche Gegenwart reicht. Die 1186 verliehene „Barbarossa-Urkunde“ bestätigte erstmals die Bremer Stadtrechte, doch erst 1646 erfolgte mit dem „Linzer Diplom“ die formelle Anerkennung als Reichsstadt. Während dieser Zeit entwickelte sich der weitgehend von Kaufleuten dominierte und lange Zeit einer exklusiven Schicht mit städtischem Grundbesitz vorbehaltene Rat zur wichtigsten Verfassungsinstitution, die über Jahrhunderte hinweg die Geschicke der Stadt lenkte.2
Roland Lhotta, Jörn Ketelhut
Kapitel 7. Freie und Hansestadt Hamburg: Das letzte Feierabendparlament
Zusammenfassung
Die Freie und Hansestadt Hamburg blickt auf eine jahrhundertealte Tradition bürgerlicher Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zurück. Erste Anfänge der „Grundbesitzer-, Kaufmanns- und Notabein-Republik“ reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück. Die erstmalige Wahl der Bürgerschaft im Jahr 1859 und die Verfassung von 1860 markieren den Übergang von der ständisch geprägten Selbstverwaltung durch die (wenigen) Bürger hin zu einer Repräsentatiwerfassung, innerhalb derer jedoch die nunmehr als Senat bezeichnete Stadtregierung nach wie vor eine Vormachtstellung gegenüber der Bürgerschaft behielt. Auch nach der Verfassung von 1860 (Art. 6) waren Senat und Bürgerschaft gemeinsam Inhaber der höchsten Staatsgewalt, sie ging nicht wie in dem von der Verfassungsversammlung formulierten, demokratischeren Entwurf auf die Bürgerschaft allein über. Elemente des alten Ständestaates blieben im Wahlrecht erhalten, das die allgemeine Wahl nur für einen Teil der Sitze vorsah, während für den größeren Teil der Sitze das Wahlrecht auf Gruppen der städtischen Grundbesitzer und Notabein beschränkt war.Der Name „Bürgerschaft“ als ursprüngliche Bezeichnung für die Versammlung derjenigen Einwohner mit Bürgerrechten blieb für die neue Vertretungskörperschaft erhalten und verdeutlichte so die Kontinuität bürgerschaftlicher Mitbestimmung. 1959 feierte die Hamburgische Bürgerschaft ihr 100-jähriges Bestehen und setzte damit die erste Wahl im Jahr 1859 als Geburtsstunde des Parlamentes an.
Julia von Blumenthal
Kapitel 8. Der Hessische Landtag
Zusammenfassung
Das heutige Land Hessen wurde im September 1945 durch die amerikanische Besatzungsmacht als „Groß-Hessen“ neu errichtet und zwar aus der 1867 gebildeten preußischen Provinz Hessen-Nassau sowie dem früheren Volksstaat Hessen (unter Abtrennung von dessen linksrheinischem Gebiet). Frühere Entwicklungen zur Parlamentarisierung hatten sich in noch stärker aufgesplitterten staatlichen Strukturen vollzogen.1 Doch erst mit der Errichtung des „Volksstaates Hessen“ 1919 konnte ein auf allgemeinen und gleichen Wahlen basierendes demokratisches Parlament durchgesetzt werden.2 Im preußischen Teil ebenso wie im Volksstaat Hessen endeten mit dem Jahr 1933 und der NS-Diktatur jedoch schon wieder die parlamentarischen und demokratischen Verhältnisse.
Theo Schiller
Kapitel 9. Landesparlamentarismus in Mecklenburg-Vorpommern
Zusammenfassung
Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern (MV) ist ein junges Land. Es wurde auf Befehl Nr. 5 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 9. Juli 1945 im Norden der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gebildet.1 Das neue Land Mecklenburg-Vorpommern stellte ein Konglomerat aus den ehemaligen Großherzogtümern bzw. Freistaaten Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz sowie Vorpommern als Teil der ehemals preußischen Provinz Pommern dar.2 Die beiden Mecklenburg konnten vielfache Verknüpfungen und Gemeinsamkeiten aufweisen. Auf Grundlage des Potsdamer Abkommens, nach dem Deutschland föderativ gegliedert werden sollte, beschloss die SMAD daher im Juli 1945, auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone fünf Verwaltungseinheiten zu etablieren, deren nördlichste das neue Land Mecklenburg-Vorpommern war. Knapp ein Jahr später, im Juni 1946, ließ die SAAAD Kommunal- und Landtagswahlen durchführen.
Stefan Ewert, Detlef Jahn, Hubertus Buchstein
Kapitel 10. Parlamentarismus in Niedersachsen: Der Landtag im Leineschloss
Zusammenfassung
Als ihre Hymne — „Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen“ — zum ersten Male nach Gründung ihres Gemeinwesens angestimmt wurde, geschah dies keineswegs mit heute üblicher Stentorstimme und bei weitem nicht mit dem gegenwärtigen Selbstbewusstsein der Niedersachsen. Denn was staatsrechtlich gesehen überhaupt ein „Niedersachse“ zu sein habe, war erst mit Wirkung vom 1. November 1946 durch die Verordnung Nr. 55 von der britischen Militärbehörde dekretiert worden: Die einstmaligen Staaten und späteren Länder Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe sollten innerhalb der damaligen britischen Besatzungszone den neuen Gliedstaat „Niedersachen“ ausmachen. Den Demokratisierungszielen der Besatzungsmächte entsprechend bestimmte die Verordnung Nr. 55 auch, dass dieses neue Land sich eine Volksvertretung, Landtag genannt, zu geben habe.
Uwe Thaysen
Kapitel 11. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen
Zusammenfassung
Die Parlamentsgeschichte in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist Spiegelbild der Geschichte dieses nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffenen, nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft insbesondere in der Startphase der Bundesrepublik Deutschland bei weitem größten und gewichtigsten Bundeslandes. Dabei ist die Gründungsphase durch die Dominanz der alliierten Siegermächte gekennzeichnet, im Fall NRWs insbesondere der britischen Besatzungsmacht, zu deren Besatzungszone das Gebiet gehörte. Die Alliierten hatten die Zerschlagung Preußens beschlossen, dessen Dominanz — zwei Drittel der Bevölkerung und der Fläche des Deutschen Reiches von 1871 — auch die frühere föderalistische Struktur durch extreme Asymmetrie belastet hatte. Zugleich bildete die frühere preußische Provinzgliederung einen nahe liegenden Ansatzpunkt für die Neubildung von Bundesländern, allerdings gefiltert durch die Zonenaufteilung. Die britische Besatzungsmacht hat sich — ausgehend von der Grundphilosophie eines demokratischen Neuaufbaus in Deutschland von „unten“ — neben der Wiederbelebung kommunaler Strukturen anfänglich auch an den früheren preußischen Provinzstrukturen orientiert, ist aber bei der Zulassung repräsentativer demokratischer Gremien eher zögerlich vorgegangen. So hat der von den Briten im Juli 1945 zum Chef der westfälischen Provinzialregierung ernannte Rudolf Amelunxen — bis 1932 als Zentrumspolitiker Regierungspräsident in Münster — sofort nach Amtsantritt für einen „Provinzialrat“ plädiert, um eine demokratische, an den Parteien orientierte Rückbindung der Verwaltung an die Bevölkerung sicherzustellen. Die britische Besatzungsmacht hat schließlich Provinzialräten als beratenden Institutionen zugestimmt, deren personelle Besetzung auf Parteivorschlägen beruhte und deren parteipolitischer Schlüssel sich an den Wahlen von 1932 orientierte.
Uwe Andersen, Rainer Bovermann
Kapitel 12. Der Landtag von Rheinland-Pfalz: Vom Entscheidungsträger zum Politikvermittler?
Zusammenfassung
Rheinland-Pfalz gehört zu den umstrittenen Länderneugründungen der Besatzungszeit. Erst im August 1946 beendete die französische Besatzungsmacht ihre „extreme Dezentralisierungspolitik“1 und dekretierte gegen deutsche Widerstände mit der Ordonnance No. 57 die Gründung des Landes Rheinland-Pfalz mit Mainz als Regierungssitz. Gleichzeitig gab sie die Bildung provisorischer Exekutiv- und Legislativgremien, die Ausarbeitung einer Landesverfassung in Auftrag und legte die Entscheidungsverfahren dafür — einen exekutiv-parla-mentarisch-plebiszitären Verfahrensmix — fest. Das neue „Land aus der Retorte“2 bestand aus vier Regierungsbezirken, die aus historisch gewachsenen Räumen desintegriert worden waren: Koblenz und Trier (ehemals Teil der preußischen Rheinprovinz), Montabaur (vordem der preußischen Provinz Hessen-Nassau zugehörig), Rheinhessen (zuvor Hessen-Darmstadt) und der Pfalz (vormals verbunden mit Bayern). Das Land, für zeitgenössische Politiker ohne „Ewigkeitswert“3, wies erhebliche Legitimationsdefizite in der Bevölkerung und in den politischen Eliten auf. Es war durch Strukturprobleme gekennzeichnet und galt lange als „Armenhaus“ der Nation. Seine politische Entwicklung prägten und prägen ein Übergewicht des Agrarsektors mit besonderem Gewicht des Weinbaus gegenüber der in wenigen Ballungsgebieten konzentrierten Industrie, eine für die Bundesrepublik atypische ländlich-kleinstädtische Siedlungsstruktur mit wenigen Urbanen Zentren und eine Dominanz des Katholizismus in einem konfessionell gespaltenen Land.
Sigrid Koch-Baumgarten
Kapitel 13. Landesparlamentarismus — Saarland
Zusammenfassung
In historischer Perspektive bildete das heutige Saarland weder wirtschaftlich noch politisch (staatsrechtlich) ein geschlossenes Territorium. Bis 1947, als die erste Verfassung des Saarlandes entstand, konnte sich daher keine eigenständige verfassungsrechtliche Tradition entwickeln. Die territoriale Zugehörigkeit von Teilen des heutigen Saarlandes zur preußischen Rheinprovinz und zur bayerischen Rheinpfalz seit dem Wiener Kongress (1815) trug kaum dazu bei, eine Verfassungstradition zu stiften. Staatsrechtliche Bedeutung gewann das heutige Saarland mit dem Versailler Vertrag, der das „Saargebiet“ aus dem Deutschen Reich herauslöste, es erstmals zu einem geschlossenen politischen Territorium zusammenfasste und unter die Verwaltung des Völkerbundes stellte. Das am 10. Januar 1920 in Kraft getretene Saarstatut unterstellte das Saargebiet für 15 Jahre einer vom Völkerbund eingesetzten Regierungskommission, die exekutive und legislative Funktionen wahrnahm, während eine politische Mitwirkung der Bevölkerung nicht vorgesehen war. Der auf Drängen der Bevölkerung seit 1922 eingerichtete Länderrat, dem 30 gewählte Vertreter angehörten, hatte nur beratende Funktionen. In der mit dem Saarstatut von 1919 festgelegten Abstimmung über die völkerrechtliche Stellung des Saargebietes nach Ablauf von 15 Jahren sprach sich am 13. Januar 1935 die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung (90,4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen) für den „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland aus, ohne mit diesem Votum die politische Einheit des „Saarlandes“ sichern und politische Selbstbestimmung erlangen zu können.
Peter Rütters
Kapitel 14. Länderparlamentarismus in Deutschland: Sachsen
Zusammenfassung
Sachsens Parlamentarismus begann wie der aller deutschen Territorien: mit Landständen und deren Landtagen.1 Doch entsprachen weder die ständischen Landtage noch das 1833 erstmals zusammengetretene Zwei-Kammer-Parlament noch der ab 1896 auf dem Dreiklassenwahlrecht beruhende sächsische Landtag demokratischen Anforderungen. Kein Wunder, dass das sächsische Parlament in der Revolution von 1918 keinerlei Legitimitätsreserven besaß. Ebenso wenig hatten — seit dem Frühjahr 1917 verhandelt — die Verfassungsänderungen vom 1. November noch Einfluss auf den Lauf der Dinge. Nach allgemeinen Wahlen trat dann am 25. Februar 1919 eine neue, sich „Volkskammer“ nennende Volksvertretung zusammen und nahm drei Tage später das „Vorläufige Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ an, am 1. November 1920 schließlich die von ihr geschaffene Verfassung. Am 7. Dezember 1920 wurde die „Volkskammer“ durch den neu gewählten, ersten demokratischen Landtag Sachsens abgelöst.
Werner J. Patzelt
Kapitel 15. Der Landtag von Sachsen-Anhalt
Zusammenfassung
Recht froh und wohlgemut soll Sachsenherzog Heinrich am Quedlinburger Finkenherd gesessen haben, als ihm die Nachricht überbracht wurde, dass er gewählter Nachfolger des verstorbenen Königs Konrad sei. Den Königswürden, die Heinrich 919 zuteil wurden, folgte der Aufschwung. Unter Heinrich I. entwickelte sich das Kerngebiet des ersten nichtfränkischen Königs, weitgehend das Territorium des heutigen Sachsen-Anhalt, „nicht nur zum politischen, sondern auch zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Reiches“1 Sein Sohn Otto I. wurde nach Heinrichs Tod im Jahr 936 erst dessen Nachfolger, 962 auch erster deutscher Kaiser der westlichen Christenheit in Rom. Unter Otto dem Großen wurde das Mittelelbegebiet mit Magdeburg als Zentrum Ausgangspunkt für eine imperiale Politik, Eroberungen, die von seinen Nachfolgern teilweise wieder aufgegeben werden mussten. Doch prosperierte das Gebiet um Saale und Elbe über Jahrhunderte wirtschaftlich, intellektuell und kulturell, während es gleichzeitig als Austragungsort zahlreicher Konflikte um territoriale Vorherrschaft, religiöse Wahrheiten und ökonomischsoziale Bedingungen dienen musste. Gegen Treitschkes Urteil, die Provinz sei „unhistorisch“ und „künstlich“,2 verweisen daher zeitgenössische Landeshistoriker, denen ein politisch-geeinter Raum namens Sachsen-Anhalt nur für eine kurze geschichtliche Episode zwischen 1947 und 1952 zur Verfügung steht, darauf, dass dieses Stück Land gleichwohl „in seinen Kerngebieten als historischer Raum, als Geschichts- und Kulturlandschaft angesehen werden“3 kann und muss.
Petra Dobner
Kapitel 16. Landesparlamentarismus in Schleswig-Holstein: Vom disziplinierten Parlamentarismus zur Parlamentsregierung?
Zusammenfassung
Die Ausgarigsbedingungen für einen politischen Neuanfang und wirtschaftlichen Wiederaufbau in Schleswig-Holstein waren nach 1945 schwierig. Da war die politische Belastung, bereits vor 1933 eine der stärksten Bastionen des Nationalsozialismus gewesen zu sein; ferner stellten die Flüchtlingsströme — die Einwohnerzahl wuchs nach 1945 im Vergleich zu 1939 um fast 70 Prozent — das junge Land vor gewaltige Herausforderungen. Hinzu kam der Verlust zahlreicher Arbeitsplätze durch alliierte Demontagemaßnahmen (besonders in der Werftindustrie), die das industriearme Land weiter schwächten. Die Arbeitslosenzahl lag noch Anfang der 50er Jahre weit über dem Bundesdurchschnitt, die Steuerleistung pro Kopf der Bevölkerung gehörte zu den geringsten in den westlichen Besatzungszonen. Diese Faktoren und fehlende Erfahrungen mit eigenständigen parlamentarischen Gremien stellten hohe Anforderungen an die politischen Akteure, die 1945 mit dem Aufbau demokratisch-parlamentarischer Strukturen begannen. Dieser Neuanfang erfolgte unter Anleitung und Kontrolle der britischen Besatzungsmacht, die die oberste militärische und zivile Regierungsgewalt ausübte.1
Siegfried Mielke, Christian Bräuer
Kapitel 17. Der Thüringer Landtag
Zusammenfassung
Thüringen blickt auf eine vergleichsweise kurze Geschichte als eigenständiges Staatswesen zurück. Erst im Jahre 1920 schlössen sich einige der thüringischen Kleinstaaten (insgesamt sieben) zum Land Thüringen zusammen. 1945 schließlich erfolgte die Vereinigung aller, einschließlich der zu Preußen zählenden thüringischen Gebiete. Doch nur wenige Jahre nach Gründung der DDR, am 25. Juli 1952, wurde das Land Thüringen auf der Grundlage des Gesetzes „Über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe des Landes Thüringen“ wieder aufgelöst und in die drei Bezirke Suhl, Gera und Erfurt gegliedert. Das autokratische und zentralistische DDR-System vertrug sich nicht mit der Idee einer vertikalen Gewaltenteilung, in deren Rahmen Ländern eine eigene, dem Zentralstaat entzogene parlamentarische Gesetzgebungskompetenz zukommt. Im Zuge der Demokratisierung und des Beitritts der DDR zur alten Bundesrepublik erstand schließlich auf der Grundlage des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 auch das Land Thüringen wieder neu. Der Länderneugründung vorangegangen waren konsultative Bürgerentscheide über die Landeszugehörigkeit in einzelnen Kreisen. Die Kreise Schmölln und Artern entschieden sich für Thüringen; der Kreistag Altenburg votierte entgegen der Mehrheit der Abstimmenden, die dem Land Sachsen den Vorzug gaben, ebenfalls für die Zugehörigkeit zu Thüringen.1
Viktoria Kaina, Sabine Kropp
Backmatter
Metadaten
Titel
Länder-parlamentarismus in Deutschland
herausgegeben von
Siegfried Mielke
Werner Reutter
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80942-1
Print ISBN
978-3-8100-3893-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80942-1