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2018 | Buch

Lebensbedingungen in Deutschland in der Längsschnittperspektive

herausgegeben von: Prof. Dr. Marco Giesselmann, Prof. Dr. Katrin Golsch, Henning Lohmann, Dr. Alexander Schmidt-Catran

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Die vorliegende Festschrift würdigt die wissenschaftliche Karriere von Hans-Jürgen Andreß, während der er die Methodenentwicklung im Bereich längsschnittlicher Analysemethoden geprägt und einflussreiche empirische Studien zu Armut, Ungleichheit und den Folgen kritischer Lebensereignisse vorgelegt hat. Der Band vereint nun diese Aspekte und versammelt empirische Studien, welche auf Basis längsschnittlicher analytischer Designs verschiedene Formen sozialer Ungleichheit in Deutschland untersuchen. In unterschiedlichen thematischen Feldern erarbeiten die Beiträge Erklärungen für Ungleichheitspositionen und untersuchen insbesondere deren Einbettung in den Lebensverlauf. Neben ihrem konkreten empirischen Forschungsbeitrag demonstrieren die Studien damit gleichzeitig die analytischen Potentiale längsschnittlicher Designs und der vorhandenen längsschnittlichen Dateninfrastruktur in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Die Betrachtung von Lebensbedingungen in der Lӓngsschnittperspektive hat in der Soziologie eine lange Tradition. Wenn in diesem Band von Lӓngsschnittperspektive die Rede ist, ist damit die Analyse gesellschaftlicher Trends, die Betrachtung individueller Verlӓufe sowie der Interdependenz zwischen Trends und Verlӓufen gemeint. Die Lebensbedingungen, die in den Blick genommen werden, umfassen Bereiche wie Arbeit, Familie oder Wohlfahrt.
Alexander Schmidt-Catran, Marco Giesselmann, Katrin Golsch, Henning Lohmann

Längsschnittliche Forschungen zu ökonomischen Ungleichheiten

Frontmatter
Lebensstandard und Gesundheit
Ein längsschnittlicher Blick in die individuelle Wohlfahrtsproduktion vor dem Hintergrund gesundheitlicher Ungleichheit
Zusammenfassung
Der durch Peter Townsend begründete und durch Hans-Jürgen Andreß Mitte der 1990er Jahre in Deutschland eingeführte Lebensstandardansatz erfährt zunehmend Beachtung in der gesundheitswissenschaftlichen Forschung. Als Ergebnis der individuellen Ressourcenverwendung spiegelt der Lebensstandard unter anderem die lebenslaufspezifische Wohlfahrtsproduktion einer Person wider und erlaubt damit einen längsschnittlichen Blick auf die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit. Der vorliegende Artikel setzt hieran an und untersucht, 1) ob die über den Lebensstandardansatz gemessene Deprivationsarmut stärker mit Gesundheit zusammenhängt als die Einkommensarmut, 2) ob sich die entsprechenden Zusammenhänge annähern, wenn die Häufigkeit von Einkommensarmut im Zeitverlauf berücksichtigt wird und 3) ob der Zusammenhang zwischen Deprivation und Gesundheit im Lebenslauf zunimmt. Die Ergebnisse zeigen, dass Deprivationsarmut stärker mit Gesundheit zusammenhängt als Einkommensarmut und dass sich die entsprechenden Assoziationsstärken annähern, wenn die Häufigkeit von Einkommensarmut im Zeitverlauf berücksichtigt wird. Darüber hinaus sprechen die Ergebnisse für eine Zunahme des Zusammenhangs zwischen Deprivationsarmut und Gesundheit im Lebenslauf und stützen damit die These einer Akkumulation von Benachteiligungen bei bestehender Deprivationsarmut. Insgesamt bietet der Lebensstandardansatz viele Potenziale für die Analyse gesundheitlicher Ungleichheit. Er eignet sich nicht nur als ergänzendes Instrument zur Messung sozioökonomischer Unterschiede, sondern auch zur längsschnittlichen Betrachtung akkumulierter Benachteiligungen.
Timo-Kolja Pförtner, Alexander Schmidt-Catran
Armutsvermeidung im Lebenszyklus
Zusammenfassung
Seit etwa 10 Jahren befindet sich Armut in Deutschland auf einem Rekordniveau. Gleichzeitig hat sich Deutschland im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs) verpflichtet bis 2030 die Armut, gemessen auf Basis nationaler Indikatoren, zu halbieren. In dem Beitrag werden Maßnahmen diskutiert und vorgeschlagen, die geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen oder Armut in Deutschland letztlich sogar ganz zu beseitigen. Dafür ist es zunächst notwendig zu beschreiben und zu diskutieren, welche Indikatoren für Armut in Deutschland geeignet sind. Anschließend wird aus einer Lebensverlaufsperspektive dargestellt wie Armut in den einzelnen Lebensphasen, von Kinderarmut, Armut in Bildungsphasen, Armut in der Erwerbsphase bis hin zu Armut im Alter vermieden werden kann.
Wolfgang Strengmann-Kuhn
Auswirkungen des Renteneintritts auf die Hausarbeit
Erkenntnisse des SOEP
Zusammenfassung
In der Arbeitsteilungsforschung lassen sich zwei grundsätzliche Theoriestränge unterscheiden, die erklären wie Hausarbeit innerhalb von Paaren verteilt wird: Ökonomische Theorien gehen davon aus, dass – unabhängig vom Geschlecht – grundsätzlich der- oder diejenige Partner, welche am Arbeitsmarkt weniger Einkommen erwirtschaftet, mehr Hausarbeit übernehmen wird. Normbasierte Theorien weisen der Kategorie des Geschlechts eine zentralere Rolle zu, indem sie davon ausgehen, dass je nach den vorherrschenden Rollenvorstellungen innerhalb eines Paares sich an gesellschaftlich etablierten Geschlechterstereotypen orientiert wird: In traditionell orientierten Paaren übernehmen entsprechend Frauen den Löwenanteil der Haushaltsarbeit, während Paare mit modernen Rollenorientierungen die Hausarbeit egalitärer verteilen.
Die Gültigkeit der genannten Theorien wird zumeist anhand von Daten aus der mittleren Erwerbskarriere bzw. der frühen „Familienphase“ überprüft. Mit dem Eintritt eines Partners in den Ruhestand – d. h. dem Wegfall eines bzw. beider erwerbsbasierter Haushaltseinkommen, stellt sich hingegen eine neue Situation für die innerfamiliale Arbeitsteilung ein. Hier kommen die beiden Theorien zu gegensätzlichen Vorhersagen: 1) Mit dem Renteneintritt verändert sich die Verteilung der Hausarbeit nicht. 2) Diejenige Person, die in Rente geht, übernimmt einen größeren Anteil der Hausarbeit. Diese beiden Hypothesen testen wir mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Männer als auch Frauen nach der Verrentung mehr Zeit für Hausarbeit aufwenden, als dies in der Erwerbsphase der Fall ist. Allerdings ist der Anstieg der Zeit, die für Hausarbeit aufgewandt wird, in den „gendertypischen“ Hausarbeiten stärker.
Moritz Heß, David Stich, Dirk Hofäcker

Längsschnittliche Forschungenzu subjektiven Lebensbedingungen

Frontmatter
Die Vererbung sozialer Ungleichheit: ein neuer Ansatz zur Untersuchung einer klassischen soziologischen Frage
Zusammenfassung
Eine Vielzahl an empirischen Studien hat den Einfluss der Ressourcen des Elternhauses auf unterschiedliche Ungleichheitsdimensionen untersucht. Ein zentraler Befund dieser Studien ist, dass Ungleichheit vererbt wird. Allerdings haben diese Studien nur jeweils einzelne Ungleichheitsdimensionen untersucht. Zudem arbeiten diese Studien meist zeitpunktbezogen, indem sie die Ungleichheit in der Kindergeneration nur zu einem bestimmten Alter beleuchten. Diese Einschränkungen versuchen wir in dieser Studie aufzulösen, indem wir a) die Lebenszufriedenheit als zusammenfassendes Ungleichheitsmaß betrachten und b) eine Lebensverlaufsperspektive einnehmen. Wir verwenden Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) 1984-2014 und schätzen Wachstumskurvenmodelle der Lebenszufriedenheit. Die Ergebnisse zeigen, dass im jungen Erwachsenenalter nur kleine Herkunftsunterschiede in der Lebenszufriedenheit bestehen. Ab einem Alter von 30 bis zu einem Alter von 50 Lebensjahren nimmt der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Lebenszufriedenheit jedoch stetig zu. Dieses Muster der Divergenz ist konsistent mit der Vorhersage der Theorie der sozialen Produktionsfunktionen bzw. der Theorie der kumulativen Verursachung.
Fabian Kratz, Gerrit Bauer, Josef Brüderl
Jugendliche Werte und Soziodemographie aus längsschnittlicher Perspektive
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden auf Basis der Speyerer Werteforschung nach Klages die zeitliche Entwicklung der Zustimmung zu drei grundlegenden Wertedimensionen bei Jugendlichen dargestellt: die traditionellen Werte „Pflicht und Konvention“, die eher selbstfokussierten Werte „Hedonismus und Materialismus“, die Selbstentfaltungswerte „Kreativität und Engagement“. In empirischen Analysen nutzen wir Daten der seit dem Jahr 2000 in Münster, Bocholt und Duisburg durchgeführten Längsschnittstudie „Kriminalität in der modernen Stadt“, deren Ergebnisse wir vor dem Hintergrund der als Referenz dienenden Shell-Jugendstudie diskutieren. Als Ergebnis unserer Analysen zeigt sich, dass die aus der Speyerer Werteforschung bekannte dreidimensionale Struktur des Werteraums auch mit dem hier verwendeten alternativen Messinstrument bestätigt werden kann. Die Zustimmung zu traditionellen Pflicht- und Konventionswerten ist weit verbreitet und zeitlich konstant. Hedonistisch-materialistische Werte sowie Werte des öffentlichen Engagements sind deutlich weniger weit verbreitet und die Zustimmung zu diesen Werten nimmt im Laufe des Erhebungszeitraums und dem fortschreitenden Alter der Probanden spürbar ab. Der Kohortenvergleich legt nahe, dass die leichten Schwankungen im Bereich der Pflicht- und Konventionswerte eher von Zeitgeist-Effekten beeinflusst sind, im Bereich der beiden anderen Wertedimensionen hingegen eher mit altersbedingten Reifungsprozessen in Zusammenhang stehen.
Andreas Pöge, Jost Reinecke
Ein Leben im öffentlichen Dienst – Zufriedenheit gegen Einkommen?
Zusammenfassung
Der öffentliche Dienst zahlt bei gleicher Qualifikation weniger als die private Wirtschaft, aber er bringt geringere Belastungen, größere Freiräume und mehr Sicherheit mit sich. Kompensiert er geringere Einkommen mit größeren Zufriedenheitschancen? Diese Frage wird im Folgenden in einem Längsschnitt von 1301 ehemaligen Gymnasiasten untersucht, die zum ersten Mal im 16. Lebensjahrs und dann im 20., 43. und 56. Lebensjahr über ihr Arbeitsleben bis zum 56. Lebensjahr wiederbefragt wurden. Abhängige Variable sind das Monatseinkommen, Stundeneinkommen und die Lebenszufriedenheit im 30., 43. und 56 Lebensjahr, unabhängige Variable die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst oder der privaten Wirtschaft – jeweils konstant, mit einem Wechsel oder mit mehrfachem Wechsel. In der bivariaten Analyse zeigt sich: Der Wechsel in die private Wirtschaft bringt einen Vorteil fast immer des Monatseinkommens und immer des Stundeneinkommens sowie immer einen Zufriedenheitsnachteil gegenüber den konstant in den Sektoren Tätigen mit sich. In der multivariaten Analyse unter Kontrolle von Studiengang, Familienstand und Freizeitpräferenz werden diese Ergebnisse bestätigt.
Heiner Meulemann, Klaus Birkelbach
Alt gegen Jung?
Die Wahrnehmung eines Alterskonflikts in Deutschland zwischen 1978 und 2010
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird zum ersten Mal im „langen“ Längsschnitt die Wahrnehmung eines Konflikts zwischen Alt und Jung zwischen 1978 und 2010 untersucht. Die empirische Analyse eines neuen kumulierten Datensatzes von Querschnittsdaten für die alte und die neue Bundesrepublik bringt Evidenz für zwei zentrale Thesen hervor. Die Strukturspiegelthese beinhaltet, dass die demographische Struktur die Wahrnehmung eines Alterskonflikts beeinflusst. Je älter die Gesellschaft ist, desto stärker wird ein Konflikt zwischen Alt und Jung in der Tendenz wahrgenommen. Die Konstruktionsthese impliziert eine Beziehung zwischen öffentlichen Diskursen und der Wahrnehmung eines Alterskonflikts. Je salienter Altersbeziehungen in politischen Entscheidungsprozessen sind und je mehr über Rentenpolitik in den Zeitungen geschrieben wird, desto stärker ist im Schnitt die Wahrnehmung eines Alterskonflikts. Die Konfliktwahrnehmung hat somit eine dezidiert langfristige objektive demographische Ursache wie auch eine kurzfristige sozial konstruierte Ursache.
Achim Goerres
Feeling German: The impact of education on immigrants’ national identification
Zusammenfassung
In this study, we investigate the role of education in immigrants’ identification with the host society. Using data from the German Socio-Economic Panel and latent growth curve mediation models, we test the immigration paradox hypothesis (de Vroome et al. 2011), which claims that highly educated immigrants identify less with the host society, due to their higher sensitivity to discriminatory experiences. While previous research found support for this hypothesis based on cross-sectional data, our analysis based on longitudinal data casts doubt on the validity of the immigration paradox argument.
Romana Careja, Alexander Schmidt-Catran

Längsschnittliche Forschungenzur biografischen Produktion

Frontmatter
Alleinerziehende Väter und Mütter
Atypische und prekäre Beschäftigung und ihre Auswirkung auf die wirtschaftliche Unsicherheit nach Trennung oder Scheidung
Zusammenfassung
Die wirtschaftlichen Folgen einer Scheidung stellen eine gravierende Belastung für die Betroffenen dar, wie bisherige Forschungsergebnisse gezeigt haben. Eine Scheidung kann häufig einen wirtschaftlichen Abstieg verursachen, der im Extremfall sogar zu Armut führt. Gleichzeitig ist auf dem Arbeitsmarkt ein Wandel in Richtung einer zunehmenden Arbeitsmarktflexibilisierung und Atypik von Arbeitsverhältnissen zu beobachten, der neben einer objektiv, materiellen Prekarisierung zunehmend auch zu einer subjektiv, gefühlten Prekarisierung im Sinne von Abstiegsängsten vermeintlich gesicherter Erwerbstätiger führt. Wir untersuchen mit Daten des SOEPs, inwiefern sich die wirtschaftliche Lage von Alleinerziehenden infolge einer Trennung verschlechtert, im Hinblick einer objektiven Verschlechterung (Armutsrisiko) einerseits und einer subjektiv wahrgenommenen Verschlechterung (Sorgen um die wirtschaftliche Situation) andererseits. Darauf aufbauend wird betrachtet, inwiefern eine solche Entwicklung (auch) darauf zurückzuführen ist, dass die Alleinerziehenden nach der Trennung häufig atypische oder prekäre Tätigkeiten ausüben. Vergleiche zwischen Frauen und Männern mit und ohne Kindern werden für drei Zeitpunkte vor und nach der Trennung durchgeführt. Es zeigt sich, dass sowohl alleinerziehende Mütter, aber auch alleinerziehende Väter eine Risikogruppe darstellen. Besonderes bei alleinerziehenden Männern nehmen die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation zu. Die Erwerbswege von alleinerziehenden Vätern führen mit der Trennung vergleichsweise häufiger als bei alleinerziehenden Müttern in atypische Beschäftigungen, jedoch nicht parallel dazu in Beschäftigungen mit Niedriglohnerwerb. Multivariate Modelle zeigen, dass die zunehmende Armutsquote infolge einer Trennung bei Frauen auf die Ausübung atypischer und prekärer Beschäftigungen zurückzuführen ist, während dies bei Männern nicht der Fall ist. Offenbar sind die von den Männern ausgeübten atypischen Beschäftigungen nicht zwangsläufig mit ökonomischen Einbußen verbunden.
Miriam Bröckel, Anne Busch-Heizmann
Elternschaft und Renteneintritt
Eine Analyse auf Basis von SHARELIFE
Zusammenfassung
Aus Basis von retrospektiv erhobenen Daten des SHARELIFE-Projektes wird im vorliegenden Beitrag der Zusammenhang von Elternschaft und Renteneintritt in 13 kontinentaleuropäischen Ländern untersucht. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass (mehr) Kinder tendenziell zu einem späteren Renteneintritt bei Männern führen, die bis in späte Erwerbsphasen eine Versorgerrolle übernehmen. Bei Frauen zeigen sich deutlich Kohortenunterschiede: vor 1940 geborene Mütter scheiden im Vergleich zu Kinderlosen später aus dem Erwerbsleben aus, während nach 1940 Geborene früher in den Ruhestand eintreten. Diese Befunde werden als Folge wohlfahrtsstaatlicher Arrangements diskutiert, die unterschiedliche Möglichkeiten und Anreize für die Erwerbstätigkeit junger Mütter bzw. den Renteneintritt älterer Frauen setzen.
Karsten Hank, Julie M. Korbmacher
Dynamiken subjektiver Erwerbsprekarität in der späten Erwerbsphase
Zusammenfassung
Eine Vielzahl an empirischen Studien hat die zunehmende Bedeutung von prekären Beschäftigungsverhältnissen und deren Einfluss auf den individuellen Lebenslauf aufgezeigt. Ein wichtiger Befund dieser Studien ist, dass Prekarität gesellschaftliche Teilhabebedingungen und -chancen einschränkt. Jedoch wird Prekarität in quantitativen Untersuchungen bislang kaum multidimensional und im Längsschnitt betrachtet. Außerdem wird häufig das Augenmerk nur auf die erste Erwerbsphase gerichtet. Auch die Frage, ob Prekarität subjektiv so erlebt wird oder nicht, ist noch nicht ausreichend erforscht.
In dieser Studie zeigen wir auf, wie bestehende Forschung in mehrfacher Hinsicht erweitert werden kann. Dazu betrachten wir im Unterschied zu vielen anderen Studien die letzte Erwerbsphase von Männern und Frauen und analysieren auf Basis von Individual- und Paardaten des Sozioökonomischen Panels (2008-2014) inwieweit a) unterschiedliche Dimensionen und Grade von Prekarität, b) die Kumulation von Prekarität in der Beschäftigungshistorie, sowie c) die Kumulation von Prekarität in Partnerschaften die subjektive Prekaritätswahrnehmung steigern. Die Ergebnisse unserer Analysen zeigen, dass vier Prekaritätsdimensionen – Beschäftigungsprekarität, Einkommensprekarität, Prekarität der Beschäftigungsfähigkeit und sozialrechtliche Prekarität – einen signifikanten Einfluss auf die subjektive Wahrnehmung der eigenen Arbeitsplatzsicherheit haben und diese wechselseitig verstärken. Gleichzeitig steigert die Kumulation von Prekarität in der Beschäftigungshistorie sowie die Kumulation von Prekarität in der Partnerschaft die subjektive Prekaritätswahrnehmung.
Katrin Golsch, Anja-Kristin Abendroth
Erwerbsarbeit, Einkommensarmut und materielle Deprivation
Entwicklung der Trennlinien zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen
Zusammenfassung
Im vorliegenden Beitrag untersuchen wir unter Verwendung des Lebensstandardansatzes den Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Armut. Ausgangspunkt für unsere Überlegungen ist das Spannungsverhältnis der gleichzeitigen Thematisierung von Arbeitslosigkeit und bestimmten Formen der Erwerbsarbeit als Armutsursachen. Damit verbunden ist die Frage, ob Erwerbsarbeit, selbst wenn sie mit unzureichenden Einkommen einhergeht, eine eigenständige Form der sozialen Teilhabe darstellt. In unseren empirischen Analysen nutzen wir die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 2001 bis 2013. Grundsätzlich zeigt sich, dass auch bei gleichen finanziellen Ressourcen, Erwerbstätige weniger von Deprivation betroffen sind als Nicht-Erwerbstätige, was auf die mit der Erwerbstätigkeit verbundene Teilhabechancen verweist. Dies gilt aber nur ansatzweise für die Gruppe der zuvor arbeitslosen Erwerbstätigen. Ein Anwachsen dieser Gruppe wäre mit einer zunehmenden Abnahme der Unterscheide zwischen erwerbstätigen und nicht-erwerbstätigen Armen verbunden, wofür sich bislang allerdings kaum Anzeichen finden lassen.
Henning Lohmann, Olaf Groh-Samberg

Methoden derlängsschnittlichen Forschung

Frontmatter
Confounding True and Random Changes in Categorical Panel Data
Regression to the mean and Regression to the mode
Zusammenfassung
The main advantage of panel analysis is that changes can be investigated at the individual level. However, the observed individual changes result not only from underlying, true changes but also from random fluctuations. The problem is that these random fluctuations may lead to systematically looking patterns of change that seemingly beg for substantive, theoretical explanations. Notorious in this respect is the regression to the mean phenomenon that has misled investigators everywhere and in all times. This phenomenon is more aptly called regression to the mode and in this latter form also affects the observed changes in categorical panel data. Latent class models are excellently suited to find out about the regression to the mode and prevent misleading explanations of panel data.
Jacques A. Hagenaars
Kausalität und Fixed-Effekt-Regression mit Paneldaten
Zusammenfassung
Für die Anwendung von Fixed-Effekt-Panelregressionen oder neuerdings Hybrid-Panelmodellen spricht, dass sie dem Ideal des echten Experiments als „Gold-Standard“ für die Analyse kausaler Zusammenhänge am relativ nächsten zu kommen scheinen, falls ausschließlich Beobachtungsdaten zur Verfügung stehen. Das zentrale Argument ist dabei, dass mit Hilfe von Paneldaten zumindest zeitkonstante Heterogenität vollständig kontrolliert werden kann. Im unserem Beitrag wird diesem Argument nachgegangen.
Ausgangspunkt ist die Definition eines kausalen Effektes im Sinne der kontrafaktischen Kausalitätsvorstellung. An einem einfachen Beispiel wird verdeutlicht, dass Regressionsanalysen kausale Effekte schätzen können, dabei jedoch die Gefahr der Konfundierung aufgrund unbeobachteter Heterogenität besteht. Anschließend wird verdeutlicht, wie unter Verwendung von Paneldaten über Fixed-Effekt-Regressionen und Hybridmodellen zeitkonstante Heterogenität kontrolliert wird. Diese Kontrolle gilt aber nur für additive Effekte zeitkonstanter Heterogenität. An einem empirischen Beispiel mit SOEP-Daten demonstrieren wir dazu, wie nicht additiv wirkende zunächst unberücksichtigte zeitkonstante Drittvariablen die Schätzung von Effekten verzerren können. Letztlich basieren Schätzungen kausaler Effekte immer auf unvermeidbaren Annahmen, die nicht erfüllt sein müssen. Für den Anwender wird es daher vermutlich keine universellen Lösungen geben. Dies spricht nicht gegen die Untersuchung kausaler Zusammenhänge auch mit nicht-experimentellen Daten, sondern dafür, möglichst verschiedene Designs und Methoden anzuwenden und nicht ausschließlich auf Experimente oder Panelanalysen mit Fixed-Effekt-Regressionen zu setzen.
Steffen Kühnel, Anja Mays
Die Analyse von Längsschnittdaten
Ereignisanalyse und Fixed-Effects Panelregression
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beschreibt in vergleichender Perspektive die Techniken, Annahmen und Potentiale der zwei wichtigsten multivariaten längsschnittlichen Analyseverfahren: Ereignisanalyse und Fixed-Effects (FE) Panelregression. Als zentral wird dabei der Unterschied zwischen der Übergangsmodellierung der Ereignisanalyse und Zustandsmodellierung der Panelregression herausgearbeitet. Dieser spiegelt sich in der Analysetechnik, dem Datenformat und den zentralen Annahmen der Verfahren wieder. Folglich ist die Ereignisanalyse klar auf Fragestellungen zu Übergängen ausgerichtet, die Panelregression dagegen auf Fragestellungen zur Erklärung von Zuständen. Des Weiteren beleuchten wir die unterschiedlichen Potentiale der beiden Verfahren für kausale Analysen. Ausgehend vom kontrafaktischen Leitbild stellen wir zunächst Sequentialität sowie die Konstanthaltung von Heterogenität als zentrale Gütekriterien für die empirische Annäherung an Kausalität heraus. Wir zeigen, dass die Ereignisanalyse stärker die Sequentialität von kausalen Prozessen abzubilden vermag, ihre Koeffizienten daher weniger anfällig für Störmechanismen reverser Kausalität sind als die von Panelregressionen. Die Kontrolle von zeitkonstanten Drittvariablen lässt sich dagegen wesentlich leichter auf der Grundlage der FE-Panelregression umsetzten. Demensprechend unterscheiden sich zwischen den beiden Verfahren auch die Annahmen, die einer kausalen Interpretation ihrer Koeffizienten zugrunde liegen.
Marco Giesselmann, Michael Windzio
Fixed Effects Regression and Effect Heterogeneity
An Illustration Using a Causal Inference Perspective
Zusammenfassung
Fixed effects regressions are commonly used by social scientists to identify causality. However, several criticisms against the fixed effects estimator emerged in recent years. In addition to confounding factors that are associated with time variant covariates, fixed effects can lead to an improper aggregation of heterogeneous effects. In the present chapter, we discuss the problem that pertains to the fixed effect estimator and show techniques that do not suffer from this source of bias. We also illustrate the problem with empirical analysis of Chilean students for the period time from 2007 to 2013. On the basis of the theoretical framework developed in the chapter and empirical findings, we suggest some implications for research in social sciences.
Luis Maldonado, Pablo Geraldo
Surveys and Agent Based Models
A Promising Tie
Zusammenfassung
In this paper, we discuss the properties of surveys and Agent Based Models (ABMs). Both research methods are, taken by their own, well suited to address sociological research questions. However, combining both methods enhances the options of analysis for researchers. We demonstrate the combination of both methods by addressing a practical relevant question from the field of distributive justice research on earnings. Changes in the earning distribution usually go in hand with a change in the scope of inequality and with a change in the mean of the earning distribution. However, both aspects occur simultaneously, and may exert partial effects into opposite directions on non-reflexive justice evaluations, such that the overall effect of the change in earning distribution is difficult to anticipate. Therefore, we designed an ABM to measure the overall effect on non-reflexive justice evaluations. In this context, we show how data from a factorial survey on non-reflexive justice evaluations can be used to increase the determination of ABMs by empirically parametrizing the individual behavior of the agents.
Hawal Shamon
Längsschnittliche Datenstrukturen als Evaluationsinstrument der Validität retrospektiver Angaben
Erinnerungseffekte bei retrospektiven Arbeitslosigkeitsangaben
Zusammenfassung
Neben den einschlägigen Vorteilen, wie z. B. der Analyse von Veränderungen auf individueller Ebene oder der Identifizierung kausaler Zusammenhänge, eröffnen Panelstudien einzigartige Möglichkeiten zur Überprüfung der Gütekriterien Reliabilität und Validität und somit zur Erforschung von Messfehlern. Auf Basis des SOEP (1984-2014) wird im vorliegenden Beitrag der Frage nachgegangen, inwieweit befragungszeitpunktbezogene und (ein Jahr) später erhobene retrospektive Arbeitslosigkeitsangaben der Befragten übereinstimmen und worauf mögliche Inkonsistenzen zurückzuführen sind. Obgleich bei einem nicht unbeachtlichen Anteil der Befragten die Arbeitslosigkeitsangaben voneinander abweichen, treten diese Inkonsistenzen in erster Linie bei Personen auf, bei denen die Arbeitslosigkeit an spezifische Übergänge (z. B. Schule/Ausbildung/Erwerbstätigkeit, Erwerbswechsel) gekoppelt ist und die Arbeitslosigkeitsmeldung daher vermutlich in erster Linie aus versicherungstechnischen Gründen erfolgt. Weichen befragungszeitpunktbezogene und retrospektiv erhobene Daten voneinander ab, sollte dies nicht ausschließlich als Qualitätsproblem retrospektiver Erhebungen gewertet werden. Vielmehr liefern diese Inkonsistenzen einen weiteren Erkenntnisgewinn zur Einschätzung und Bewertung prospektiver Daten.
Frederike Esche, Jürgen Schupp
Backmatter
Metadaten
Titel
Lebensbedingungen in Deutschland in der Längsschnittperspektive
herausgegeben von
Prof. Dr. Marco Giesselmann
Prof. Dr. Katrin Golsch
Henning Lohmann
Dr. Alexander Schmidt-Catran
Copyright-Jahr
2018
Electronic ISBN
978-3-658-19206-8
Print ISBN
978-3-658-19205-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19206-8