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2004 | Buch

Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland

Eine Einführung

verfasst von: Steffen Kailitz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Am Ende des letzten Jahrhunderts, nachdem die kommunistischen Diktaturen wie Dominosteine gefallen waren, prophezeite uns der amerikanische Wissenschaftler Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ (1992) in Form eines weltweiten Siegs der liberalen Demokratie. Die Voreiligkeit dieser Prognose verdeutlichten spätestens die opferreichen Terroranschläge durch islamistische Extremisten am 11. September 2001. Dem „heißen“ Krieg der Demokratien gegen Nationalsozialismus und verbündete rechtsextremistische Diktaturen und dem „Kalten Krieg“ gegen die kommunistischen Diktaturen unter der Führung der Sowjetunion folgt nun im 21. Jahrhundert ein vom amerikanischen Präsidenten ausgerufener „Krieg gegen den Terrorismus“.
Steffen Kailitz
2. Was ist politischer Extremismus?
Zusammenfassung
Wer von Extremismus spricht, muss sich über eines im Klaren sein: Ebenso wie sich kaum ein Diktator von Adolf Hitler bis hin zu Saddam Hussein als solcher bezeichnete, nennt sich kein politischer Extremist selbst so. Während sich fast jede politische Strömung gern mit den Wörtern „Demokratie“ und „demokratisch“ schmückt, bezeichnen aus liberaldemokratischer Sicht „Diktatur“ und „politischer Extremismus“ den Gegenpol der eigenen Wertvorstellungen. Die grundlegende Unterscheidung der Staatsformenlehre zwischen Demokratien und Diktaturen und jene zwischen demokratischen und extremistischen Bestrebungen gehören zusammen wie das Kücken zur Henne. Demokratisch sind all jene Bestrebungen, die auf die Bewahrung oder Errichtung einer demokratischen Herrschaftsordnung zielen. Extremistisch sind dagegen all jene Bestrebungen, denen eine Identitätstheorie der Demokratie eigen ist und die auf die Bewahrung oder Errichtung einer autoritären oder totalitären Diktatur zielen. Die Unterteilung in Demokratien und Diktaturen wie in demokratisch und extremistisch erklärt die Unterscheidung zwischen politisch links und politisch rechts ausgerichteten politischen Systemen für nachrangig. Faschistische und kommunistische Systeme fallen gleichermaßen unter den Diktaturbegriff, die entsprechenden Parteien unter den Extremismusbegriff. Statt dieser positiven Begriffsbestimmung lässt sich Extremismus auch negativ definieren.
Steffen Kailitz
3. Rechtsextreme Parteien
Zusammenfassung
In der Zeit zwischen Kriegsende und Gründung der Bundesrepublik konnten einige rechtsextreme Vereinigungen beachtliche Erfolge erzielen. Die „Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung“(WAV) erlangte 1946 5,1 Prozent der Stimmen und acht Mandate für die bayerische verfassunggebende Landesversammlung. Bei den bayerischen Landtagswahlen 1948 kam sie auf 7,4 Prozent. Die Partei sprach sich gegen die Einführung einer parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik aus, vielmehr sollte der „wirkliche Volkswille direkt und unverfälscht ununterbrochen zum Ausdruck kommen“. Sie wollte „völlig neue Wege“ jenseits von Sozialismus und Kapitalismus einschlagen. Ein starker Staat sollte über den Parteiinteressen thronen (WAV-Programm von 1945). Ausgerechnet der Parteigründer und Vorsitzende der WAV, Alfred Loritz, wurde im Bayern der ersten Nachkriegsjahre der für die Entnazifizierung zuständige Sonderminister, der Bock somit zum Gärtner gemacht.
Steffen Kailitz
4. Linksextreme Parteien
Zusammenfassung
Auf dem gemeinsamen Parteitag vom 30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 schlossen sich der „Spartakusbund“und die Bremer Linksradikalen zusammen. Die Novemberrevolution sollte nach Meinung der Kommunisten weitergeführt werden. Ihr Ziel war eben nicht die bereits erreichte parlamentarische Demokratie, sondern eine Räterepublik nach dem Vorbild der Sowjetunion. 1920 formierte sich im Ruhrgebiet eine „Rote Armee“, die Teile des industriellen Kerngebiets der Weimarer Republik zeitweilig unter ihre Gewalt brachte und sich erbitterte Gefechte mit den von der Regierung entsandten Truppen der Reichswehr lieferte. Die Aufstände wurden niedergeschlagen. Ab Ende 1920 erhielten die kommunistischen Parteireihen Verstärkung durch den ehemals linken Flügel der SPD, der „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“(USPD). In den folgenden Jahren vergrößerte sich die Abhängigkeit der deutschen Kommunisten von der sowjetischen „Bruderpartei“. Die dominante Gestalt der KPD in der Weimarer Republik war Ernst Thälmann, der 1925 und 1932 für das Amt des Reichspräsidenten kandidierte.
Steffen Kailitz
5. Intellektuelle Ausprägungen der politischen Extreme
Zusammenfassung
Die „Neue Rechte“kam in Deutschland in den 60er Jahren auf. Wenn auch bereits in den 50er Jahren in rechtsextremen Zirkeln Ideen eines „neuen Nationalismus“kreisten, so war die Gründung der Zeitschrift „Junges Forum“doch ein wichtiger intellektueller Impuls für die Szene. Ab 1967 begann in diesen Kreisen analog zum Etikett „Neue Linke“die Selbstbezeichnung „Neue Rechte“zu kursieren. Eine Art verspäteter Gründungsaufruf stammte von Wolfgang Günther (Pseudonym: Gert Waldmann): „Wir müssen von der Neuen Linken lernen. Lernen etwa, dass die Gesellschaft revolutioniert werden muss, dass in der Gesellschaft keine Tradition heilig ist, dass Staat niemals von vornherein gut ist, dass das Establishment auch unser Gegner ist. Lernen auch, dass Unruhe die erste Bürgerpflicht ist, dass nur Aktionen Erfolg bringen“(Waldmann 1969: S. 23 f). Die „Neue Rechte“kam aber über die Bildung intellektueller Zirkel nicht hinaus. Zeitgleich entwickelte sich in Frankreich eine erfolgreichere „Neue Rechte“um Alain de Benoist. Sie ist der geistige Nachfahre der „Konservativen Revolution“, die in der „Weimarer Republik“um Anhängerschaft buhlte.
Steffen Kailitz
6. Gewalttätige Ausprägungen der politischen Extreme
Zusammenfassung
Politisch motivierte Straftaten von Rechtsextremisten gibt es seit der Geburtsstunde der Bundesrepublik. Ende der 50er Jahre erregte eine Vielzahl von antisemitischen Schmierereien die Öffentlichkeit. So wurde von zwei Mitgliedern der DRP am Heiligabend 1959 die Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und der Parole „Juden raus“besudelt. Die Tat führte zu einer erneuten Verbotsdiskussion um die DRP. Die polizeilichen Untersuchungen ergaben jedoch, dass die Urheber der meisten Schmierereien jugendliche Einzeltäter waren. Ein Teil der Straftaten war außerdem, wie sich nach der Öffnung der Akten des MfS der DDR zeigte, von der DDR inszeniert worden, um die Bundesrepublik in Misskredit zu bringen.
Steffen Kailitz
7. Politischer Extremismus in anderen westlichen Demokratien
Zusammenfassung
Der 1920 gegründete „Parti Communiste Français“ (PCF) ist die älteste der französischen Parteien. Wie in den meisten anderen Ländern entstand er aus der Spaltung der Arbeiterbewegung in einen revolutionären und einen reformistischen Flügel. Nach gewichtigen Anlaufschwierigkeiten brachten die Wahlen im April und Mai 1936 den Durchbruch für die kommunistische Partei. Die Streiks und Demonstrationen ab Juni 1936 gaben den Kommunisten, die nun zu einer starken Partei geworden waren, noch weiteren Auftrieb. Der PCF hat im Parteiensystem Frankreichs eine bedeutende Position inne. Den kommunistischen Anteil an der französischen Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus und am Wiederaufbau Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg werteten große Teilen der Bevölkerung positiv. Über Jahrzehnte hinweg konnte er bei den Wahlen zur Nationalversammlung zwischen einem Fünftel und mehr als einem Viertel aller Wähler für sich begeistern (1946: 26,2 Prozent; 1951: 25,9 Prozent; 1956: 25,6 Prozent; 1958: 18,9 Prozent; 1962: 21,9 Prozent; 1967; 22,5 Prozent; 1968: 20,0 Prozent; 1973: 21,3 Prozent; 1978: 20,6 Prozent). In der Vierten Republik (1945–1958) war der PCF zunächst die mit Abstand stärkste Parlamentspartei. Zogen die Sozialisten 1946 mit 91 Abgeordneten ins Parlament ein, so verfugten die Kommunisten über 165 Sitze. Bei den letzten Wahlen der Vierten Republik waren es 146.
Steffen Kailitz
8. Islamischer Fundamentalismus — eine religiöse Variante des politischen Extremismus
Zusammenfassung
Der Ausdruck „Fundamentalismus“ trat erstmals im Zusammenhang mit einer von protestantischen Christen zwischen 1910 und 1915 in den USA herausgegebenen Schriftenreihe auf. Eine unverrückbare „Grundwahrheit“ (englisch: fundamental) dieser Bewegung war die Überzeugung, dass die moderne Trennung von Kirche und Staat immer dann zugunsten einer religiösen Bestimmung des Politischen aufgehoben werden muss, wenn politische Regelungen mit fundamentalen religiösen Überzeugungen kollidieren. In dieser Tradition sollten solche Bewegungen als fundamentalistisch bezeichnet werden, die ihre — antidemokratischen — religiösen Überzeugungen zu Leitlinien des Staatshandelns machen wollen. Von orthodoxen Strömungen in den Weltreligionen unterscheiden sich fundamentalistische erstens durch ihre aggressiv kämpferische Ausrichtung und zweitens dadurch, dass sie zwar auf der Ebene der Werte einen „Aufstand gegen die Moderne“ (Meyer 1989) ausfechten, aber keinerlei Berührungsängste mit modernen Technologien haben. Fundamentalistische Strömungen gibt es in allen Weltreligionen (Kienzier 1996; Marty/Appleby 1996). So treten die protestantischen Fundamentalisten in den USA immer wieder mit spektakulären Aktionen gegen Schwangerschaftsabbruch sowie Kampagnen gegen Homosexualität und schulische Sexualerziehung an die Öffentlichkeit.
Steffen Kailitz
9. Extremistische Einstellungen in der (deutschen) Bevölkerung
Zusammenfassung
Den innersten Kreis des Extremismus bildet die „Elite“, die Prominenz der rechts- und linksextremistischen Spielarten. Sie hat die Führungsfunktionen inne und ist somit verantwortlich für die Organisation, die Ideologie und die Strategie von größeren oder kleineren Teilen des links- oder rechtsextremistischen Spektrums. Die Leitungsfunktionen in Parteien wie DKP oder NPD üben meist hauptamtliche Mitarbeiter aus. Zum innersten Kreis gehören auch „Meinungsmacher“, die — in der Regel (zumindest halbwegs) professionell — in extremistischen Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und Internetseiten mitwirken. Um diesen innersten Kreis herum gruppieren sich die extremistischen Aktivisten, die zwar nicht zur „Elite“ gehören, aber im Sinne ihrer extremistischen Anschauungen inner- oder außerhalb extremistischer Vereinigungen politisch aktiv sind. Zum diesem Kreis gehören auch organisatorisch ungebundene extremistische Gewalttäter der extremen Rechten (fremdenfeindliche Straftäter) wie der extremen Linken (Autonome), die nicht zur „Elite“ der Szene gehören. Nur eine recht kleine Minderheit der Deutschen ist in extremistischen Organisationen aktiv.
Steffen Kailitz
10. Erklärung extremistischer Einstellungen und Verhaltensweisen
Zusammenfassung
Der französische Soziologe Emile Durkheim, Emile (1858–1917) legte den Grundstein vieler aktueller Ansätze zur Erklärung extremistischer Einstellungen: Die moderne Industriegesellschaft führt demnach wegen des ihr zugrunde liegenden wirtschaftlichen Prinzips der Arbeitsteilung zu einer „Anomie“, einer sozialen Desintegration. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse erschwerten enge Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern und damit auch die Einigung auf ein für alle geltendes Wertesystem. Im Kern beschrieb Durkheim bereits damals, was Ulrich Beck fast 100 Jahre später die „Risikogesellschaft“(1986) nennen sollte.
Steffen Kailitz
11. Streitbarer Demokratieschutz
Zusammenfassung
Zur Bezeichnung des bundesdeutschen Demokratieschutzkonzepts hat sich die Wendung „streitbare Demokratie“durchgesetzt. Sie findet sich erstmals in der Begründung des KPD-Verbots 1956. Das Konzept verkörpert den „Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung“(Bundesverfassungsgericht, Bd. 5: S. 139). Das Schutzobjekt der streitbaren Demokratie ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik. Diese wurde erstmals 1952 im Prozess des Verbots der SRP durch das Bundesverfassungsgericht definiert: „Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung; die Volkssouveränität; die Verantwortung der Regierung gegenüber der Volksvertretung; die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; die Unabhängigkeit der Gerichte; das Mehrparteienprinzip; die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausbildung einer Opposition“(Bundesverfassungsgericht, Bd. 2: S. 12 f).
Steffen Kailitz
12. Schlussbetrachtung
Zusammenfassung
Keine extremistische Organisation in Deutschland und den anderen westlichen Demokratien hatte nach dem Zweiten Weltkrieg den Hauch einer Chance, die demokratische Herrschaftsordnung umzustürzen oder nachhaltig auszuhöhlen. Darüber können im Falle Deutschlands die Wahlerfolge der KPD und der SRP in den Anfangsjahren der Republik, der NPD in den 60er Jahren, der REP und der DVU in den 80er und 90er Jahren sowie jene der PDS nach der Vereinigung nicht hinwegtäuschen. Die deutsche RAF konnte zwar eine Weile die Bürger und die Sicherheitsbehörden in Aufregung versetzen, aber schon aufgrund ihrer geringen Mitgliederstärke keine revolutionäre Situation schaffen.
Steffen Kailitz
13. Kommentierte Literaturauswahl
Steffen Kailitz
14. Kommentierte Internetadressen
Steffen Kailitz
15. Literaturverzeichnis
Steffen Kailitz
Backmatter
Metadaten
Titel
Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland
verfasst von
Steffen Kailitz
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80547-8
Print ISBN
978-3-531-14193-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80547-8