Skip to main content

1992 | Buch

Sichtweisen der Informatik

herausgegeben von: Wolfgang Coy, Frieder Nake, Jörg-Martin Pflüger, Arno Rolf, Jürgen Seetzen, Dirk Siefkes, Reinhard Stransfeld

Verlag: Vieweg+Teubner Verlag

Buchreihe : Theorie der Informatik

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Informatik — Eine Disziplin im Umbruch?
Zusammenfassung
Ein gemeinsames Verständnis der technischen Disziplin Informatik hat sich im deutschsprachigen Raum erst während der siebziger und achtziger Jahre heraus-gebildet. Die allgemeine Auffassung geht dahin, Informatik einerseits von den um-fassenden naturphilosophischen Visionen der Kybernetik oder der Systemtheorie abzusetzen, sie aber andererseits nicht auf eine bloße Erweiterung der Nachrichtentechnik, Ökonomie oder Mathematik im Sinne einer primär auf den Rechner bezogenen Computer Science zu reduzieren. Mit der Sprachschöpfung »Informatik« und dem folgenden Aufbau wissenschaftlicher Studiengänge, Fachbereiche und Forschungsabteilungen hat sich die Informatik schnell, teuer und auf den ersten Blick erfolgreich mit einer Vielzahl von Teilgebieten vom Betriebssystembau bis zur Kunstlichen Intelligenz etabliert.
Wolfgang Coy

Grundlagen einer Theorie der Informatik

Frontmatter
Wozu Grundlagen?
Zusammenfassung
Der Krieg ist vorbei, die Kriege gehen weiter. Bei der Perfektionierung der Waffensysteme stehen Informatiker an der vordersten Front. Aber auch eine friedliche Welt ist ohne Computer nicht mehr denkbar. Wie sonst sollte man die Einhaltung von Verträgen überwachen? Die Menschen ernähren, medizinisch versorgen, transportieren? Wie sollte man Wissenschaft und Technik weiterbringen? Nur der Computer kann die Menschheit retten, sagen die einen. Der Computer stürzt uns ins Verderben, die anderen. Dagegen setzen die dritten: Der Computer kann weder stürzen noch retten, er ist neutral, eine Sache; es hängt von uns ab, ob wir ihn zum Guten oder Bösen verwenden. Wie naiv, lächeln die vierten: Der Computer symbolisiert — und realisiert gleichzeitig — die Flucht der modernen Menschen ins Formale, in eine irreale Gegenwirklichkeit. Eins ist sicher: Aktiv und passiv, bewußt oder unbewußt — wir Informatiker sind dabei, die Welt in höchster Eile grundlegend zu verändern; und wir haben keine Ahnung, was dabei herauskommen könnte. Wir folgen technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Notwendigkeiten, wissenschaftsinternen Zwängen und politischem Druck; aber wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Können wir das verantworten?
Arno Rolf, Dirk Siefkes
Für eine Theorie der Informatik!
Zusammenfassung
Informatik hat sich als technische Wissenschaft herausgebildet, ohne deshalb eine reine Ingenieurswissenschaft zu werden. Noch deutlicher als andere technische Wissenschaften ist sie in sehr kurzer Zeit durch ihre dauerhaften und unmittelbaren, technisch wie ökonomisch motivierten Eingriffe in die Arbeitsorganisation und in viele andere gesellschaftliche Bereiche eine sozial wirksame Wissenschaft geworden. Sie teilt diese Eigenschaft mit anderer Technik, da technische Wissenschaft von ihrer Bestimmung her immer als sozial wirksam gedacht werden muß. Dennoch unterliegt die Informatik sozialen Bezügen stärker als die klassischen Ingenieurswissenschaften, da sie gesellschaftliche Prozesse, wie etwa die Gestaltung der Arbeit, zum unmittelbaren Objekt ihrer Forschung und Anwendung macht. Ihre Herkunft aus Mathematik und Rechentechnik, ihre engen Verbindungen zur Nachrichtentechnik und zur Halbleitertechnik und ihre Anwendungen und Rückwirkungen in Betrieb und Produktion haben in der Informatik Besonderheiten herausgebildet, wegen derer sie als eigenständige Wissenschaft interpretiert werden kann. Eine theoretische Begründung hat die Informatik bisher fast ausschließlich aus der mathematischen Theorie der Berechenbarkeit und, in geringerem Maße, aus der Formalen Logik erfahren. Einzelne methodische Ansätze einer Entwurfstheorie als Software Engineering oder zum Hardware-Entwurf sind unzusammenhängend und partikulär geblieben. Die Software-Krise, die in ihren Grundzügen nicht aufgelöst ist, beruht wahrscheinlich weniger auf mathematisch-logischen oder programmtechnischen Mängeln der bislang verwendeten Methoden des Software-Entwurfs, sondern vielmehr auf der unzureichenden Reflexion des Wechselspiels von technischer Gestaltung und sozialer Wirkung informationstechnischer Systeme. Ähnliches gilt für die Methoden des Hardware-Entwurfs, wo sich zunehmende Schwierigkeiten aus der unzureichenden begrifflichen Trennung von Gerätetechnik, Informationssystem und Anwenderebene ergeben.
Wolfgang Coy
Sichtwechsel
Informatik als Gestaltungswissenschaft
Zusammenfassung
Die Informatik versteht sich als Nutzenforschung, die Verfügungswissen, d. h. über kurz oder lang praxisrelevantes Fachwissen, bereitstellen will. Forschungen, die Orientierungswissen erarbeiten, um festzustellen, was man machen soll und nicht nur, was man machen kann, sind nicht Teil dieser Sichtweise. Sie haben im traditionellen Verständnis ihren Platz in den Geistes- und Sozialwissenschaften.
Arno Rolf
»Wissen« und »Information« bei einer Sichtweise der Informatik als Wissenstechnik
Zusammenfassung
In dem Buch »Informatik als Technik-Wissenschaft« ging es mir um die Erarbeitung eines Gesamtrahmens für die Informatik, der ein besseres Verständnis und Detailstudium der Informatik als Technikwissenschaft ermöglichen soil — mit dem Ziel der Gewinnung einer besseren Theorie für die Praxis der Informatik [Luft 1988, S.5]. Informatik ist danach weder eine (deskriptive) »Computerwissenschaft« noch eine »Wissenschaft von der Maschinisierung der Kopfarbeit«,4 sondern eine von den Menschen und ihren Anforderungen ausgehende Technikwissenschaft, in der es »um die Repräsentation von Wissen in Form von Daten und um die Reduktion geistiger Tatigkeiten auf Algorithmen und maschinell simulierbare Prozesse« [Luft 1988, S.14]geht.
Alfred Lothar Luft
Theorie der Informatik im Spannungsfeld Zwischen Formalem Modell und Nichtformaler Welt
Zusammenfassung
Die Theorie der Informatik steht und entwickelt sich im Spannungsfeld zwischen formalem Modell und nichtformaler Wirklichkeit [Zemanek 1989]. Das Verständnis und die bewußte menschengerechte Gestaltung des Verhältnisses von technischem Automaten und schöpferisch tätigem Menschen, von formalem Modell und der nichtformalen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt wird gegenwärtig immer deutlicher als das philosophische, theoretische und methodologische Grundproblem der Informatik erkannt. Das kritiklose Akzeptieren der Welt des technischen Automaten als Modell für die gesamte Wirklichkeit erweist sich zunehmend als gefährlicher Irrtum. Der Mensch hat den Unterschied zwischen formalem Modell (programmierter Struktur) und der tatsächlichen Dynamik und Mannigfaltigkeit des natürlichen und gesellschaftlichen Lebens zu überwinden.
Klaus Fuchs-Kittowski
Information, Kommunikation, Organisation Anmerkungen zur »Theorie der Informatik«
Zusammenfassung
Die Frage nach der Theorie der Informatik führt zunächst zu zwei weiteren Fragen. Erstens, was verstehen wir unter Theorie und zweitens, was bedeutet der automatische Umgang mit Information? Demnach, was verstehen wir unter Information in der uns erscheinenden und praktisch erlebten Wirklichkeit?
Jürgen Seetzen
Sinn im Formalen?
Wie wir mit Maschinen und Formalismen umgehen
Zusammenfassung
Gregory Bateson hat die These aufgestellt, daß individuelle Entwicklung und natürliche Evolution denselben Gesetzen unterliegen; er setzt daher Lernen und Evolution gleich. Ich buchstabiere die Gleichsetzung fürs menschliche Lernen aus, wobei Begriffe die Rolle der Gene erhalten: Wir entwickeln unsere Gedanken begrifflich durch Selektion, so wie sich Lebewesen genetisch entwickeln. Daraus ergeben sich Folgerungen fürs Lernen und Lehren; viele von ihnen sind bekannt, erscheinen so aber in neuem Licht. Eine Schwierigkeit ergibt sich: Maschinen und Formalismen entwickeln sich nicht. Maschinen handeln nicht, Formalismen denken nicht; Vernunft allein reicht daher nicht im Umgang mit ihnen. Zum Ausgleich haben die Menschen einen sechsten Sinn, für Qualität, entwickelt. So wie Tiere einst das Denken »entdeckt« haben, um sich freie Entscheidungen zu »ermöglichen«, haben die Menschen gelernt, Sinn von Unsinn zu trennen; sonst könnten sie es in selbst hergestellten Umgebungen nicht aushalten. Anders als die Tiere müssen sie ihre Systeme selber »klein« halten, gut zwischen »maßlos« und »unterbemessen« balancieren. Da stecken die Informatiker in der Klemme: Ihre Aufgabe ist, so scheint es, jede Art von Kommunikation auf Elektronik zu reduzieren; wie können bei solchem Größenwahnsinn ihre Systeme »klein« sein? Sie müssen rechnergestützte Systeme »gestalten«, heißt es heute, auf menschliche Weise machen, balancierend zwischen »interpretieren« und »konstruieren«. Das können sie nicht ohne Andersgesinnte: Philosophen, Pädagogen, Psychologen, Soziologen. Wird Informatik solcherart zu einer Utopie?
Dirk Siefkes

Computer und Arbeit

Frontmatter
Der Anteil der Arbeit an der Theoriebildung der Informatik
Zusammenfassung
Es kann keinen ernstzunehmenden Zweifel daran geben, daß die Arbeit ein zentraler Anlaß und wesentlicher Zielpunkt der Software-Entwicklung und des Einsatzes von Computern ist. Auch wird kaum jemand an der zentralen Bedeutung der Arbeit für das Herauswachsen des Menschen aus dem Zustand des Tieres zweifeln.56 Und mindestens für manche Aspekte der menschlichen Situation bleibt die Arbeit zentral: »Keine andere Technik der Lebensführung bindet den einzelnen so fest an die Realität als die Betonung der Arbeit,« sagt Freud [Freud 1972, S.78].
Frieder Nake
Ein Kulturhistorischer Blick auf Rechnergestützte Arbeit
Zusammenfassung
Seit der SDRC-Konferenz 198861, die meines Wissens der erste größere Versuch von bundesdeutschen Informatikern war, sich explizit mit philosophischen Grundlagen der Informatik auseinanderzusetzen, ist die »neue Grundlegung des Entwerfens« von Terry Winograd und Fernando Flores [Winograd & Flores 1986] auch auf Deutsch erschienen. Einige Kommentatoren fanden es erstaunlich, daß auf diesem Weg die Philosophie von Martin Heidegger (gefiltert durch die Schriften von Hubert Dreyfus) und die Theorie des kommunikativen Handelns von ürgen Habermas (verkürzt auf die Sprechakttheorie) zu uns zurückkommen. Abgesehen von Kritik an Einzelheiten, z. B. der Vergröberung der Quellen — bei einer solchen wegweisenden Skizze wohl unvermeidlich —, war die Aufnahme der zentralen Thesen von Winograd und Flores überwiegend positiv. Das Paradigma der informationsverarbeitenden Maschinen, die nach rein funktionalen, ingenieursmäßigen Erwägungen konstruiert werden müssen, hat Konkurrenz bekommen — das radikal gegensätzliche Paradigma des rechnerunterstützten Aushandelns von Verpflichtungen zwischen arbeitenden Personen, nach dem die (virtuellen) Maschinen als soziales Medium gestaltet werden müssen.
Arne Raeithel
Umgang mit Software oder Software als Werkzeug und Material
Zusammenfassung
Dies ist kein Beitrag zur Theorie der Informatik in Gänze, sondern eine Betrachtung jenes Teils der Informatik, der sich mit Software beschäftigt. Was ist der Gegenstand der Betrachtung? Die traditionelle Informatik befaßt sich mit der Konstruktion von Software im Sinne von Spezifikation und Programmierung. Dieser Beitrag sieht Software als Gegenstand und im Prozeß ihrer Entstehung und ihres Einsatzes. Dies will sagen, daß Software nicht nur als isoliertes formales Konstrukt betrachtet werden kann, sondern gesehen werden soll als das Ergebnis der Tätigkeit von Software-Entwicklern und unter Berücksichtigung der Anwendungssituation, die zu ihrer Entwicklung geführt hat und zu deren Veränderung sie eingesetzt wird.67
Heinz Züllighoven
Arbeit in der Organisation
Zur Rolle der Kommunikation als Arbeit in der Arbeit und als Gegenstand technischer Gestaltung
Zusammenfassung
Während uns die Informationstechnik bisher vor allem zu Überlegungen über die Aufteilung der Arbeit zwischen Mensch und Maschine sowie über die technische Gestaltung isolierter Arbeitsabläufe angeregt hat, veranlassen uns die Möglichkeiten der Kommunikationstechnik eher dazu, über die Verknüpfung arbeitsteiliger Tätigkeiten zu einem organisatorischen Verbund und über die technische Unterstützung gemeinschaftlicher Arbeit nachzudenken.
Margrit Falck
Erhalten und Gestalten
Von der notwendigen Zähmung des Gestaltungsdrangs
Zusammenfassung
Der Ingenieursstand definiert sich ganz wesentlich dadurch, daß er neue technische Produkte herstellt bzw. konstruierend und anleitend am Prozeß dieser Herstellung beteiligt ist. Dies verbindet sich in der Regel mit der Auffassung, man trage durch dieses Tun ganz erheblich zum Wohle der Menschheit bei. Die Überzeugung von den positiven Wirkungen des eigenen Tuns gerät dann in eine Krise, wenn negative Folgen der technischen Artefakte deutlich werden, die man entwickelt hat: Gefährdungen und Risiken, sei es aufgrund der Fehler und Unzuverlässigkeiten des Geschaffenen oder gar aufgrund des Umstandes, daß dieses ganz genau sein Ziel erfüllt, aber unbeabsichtigte und unbedachte weitere Folgen hat. Mit dieser Krise des Selbstverständnisses, aber auch der gesellschaftlichen Legitimation kann man nun in verschiedener Weise umgehen. Man kann die Gefährdungen auszublenden versuchen: sie einfach verleugnen, sie auf ein angeblich erträgliches Risiko herunterrechnen oder die Verantwortung dafür anderen geben, die im einzelnen nicht namhaft zu machen sind. So verhalten sich besonders jene Großforschungs-Einrichtungen, in denen heute Wissenschaften zu Machenschaften herabgewürdigt werden und die Risiken einer »organisierten Verantwortungslosigkeit« überlassen bleiben (vgl. [Beck 1988]).
Walter Volpert
Informatik und die Maschinisierung von Kopfarbeit
Zusammenfassung
In diesem Beitrag108 vertrete ich die Behauptung, es gehe in der Informatik ganz wesentlich um die Maschinisierung von Kopfarbeit oder, anders ausgedrückt, um die Übertragung geistiger Momente der Arbeit109 auf Computer. Diese Behauptung scheint nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit zu sein. Niemand wird leugnen, daß wir es beim Computer und bei seiner Programmierung mit Technik zu tun haben. Daß Technik stets Objektivation oder Vergegenständlichung von Arbeit (und wem das lieber ist: vom tätigen Leben des Menschen) bedeutet, kann ebenso als Allgemeingut (zumindest der philosophischen Diskussion) unterstellt werden.110 Daß schließlich Computer zu den Maschinen und Maschinen zur Technik zählen, ist trivial. All das zusammengenommen bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger, als daß die Informatik — als eine wissenschaftliche Disziplin, die es auf technische Hervorbringungen, nämlich Computer und Programme, abgesehen hat — Arbeit in Maschinen objektiviert. Es fragt sich lediglich, welche besonderen Momente von Arbeit sie sich vornimmt — oder, anders, für welche besonderen Bestandteile von Arbeit die Methoden und Verfahren der Informatik (und damit auch die Informatik selbst) entwickelt werden.
Frieder Nake

Kultur Anthropologie Computer

Frontmatter
Computer und Kultur
Zusammenfassung
Es ist viel von einer Computerkultur die Rede, ohne daß recht klar würde, was damit gemeint ist. Angesprochen werden Phänomene wie die durchdringende Ausbreitung der Datenverarbeitung in immer mehr öffentlichen Bereichen; die ‚Computerisierung ‘der Lebenswelt; eine Subkultur von Hackern und Computer-Kids oder auch Computergestützte Kommunikationsformen und Medien. Die meisten der anvisierten Phänomene breiten sich zudem vor dem allgemeineren Hintergrund einer ‚Informationskultur ‘aus. So ist nicht einfach auszumachen, ob Video-Spiele vorrangig ein Produkt der Computer- oder der Informationstechnologie sind. Im Laufe ihrer Geschichte fällt eine Unterscheidung immer schwerer. Wollen wir nicht nur in die verbreiteten Lobpreisungen oder Warnrufe einstimmen, die eine Informationsgesellschaft ausmalen, so gilt es, die spezifische Kulturleistung der Informatik herauszuarbeiten.
Jörg Pflüger
Fröhlich und Blues
Ein Briefwechsel
Jörg-Martin Pflüger, Dirk Slefkes
Magischer Realismus und die Produktion von Komplexität
Zur Logik, Ethik und Ästhetik der computergestützten Modellierung
Zusammenfassung
Das Verhältnis zwischen Mathematik und Informatik war in den letzten Jahrzehnten nicht immer ganz problemlos: Weltweit wurde schon seit den 60er und verstärkt in den 70er und 80er Jahren von tüchtigen Informatikern, deren ältere Generation — mit wenigen berühmten Ausnahmen, wie dem Kopenhagener Astronomen Peter Naur — ja selbst aus Mathematikern und Elektrotechnikern besteht, die Eigenständigkeit der Informatik gegenüber der Mathematik auf unterschiedliche Weise mit der Schaffung eigener Studiengänge, eigener Berufsvereinigungen und eigener Zeitschriften und Schriftenserien betont.
Bernhelm Booss-Bavnbek, Glen Pate
Informatik und Weibliche Kultur
Zusammenfassung
Um die Entwicklung der Informatik und ihre Entstehungsbedingungen zu verstehen, muß man die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik miteinbeziehen.
Britta Schinzel
Informatik vor dem Gesetz
Zusammenfassung
Anscheinend erfüllt die Computertechnologie ein grundlegendes Bedürfnis oder verspricht solches zumindest. Sie ist angesiedelt im Herzen der postindustriellen oder postmodernen Gesellschaft — wie immer man das nennen mag. Diesen Ort gilt es genauer zu umreißen. In seinem Buch »Turing’s Man« bezeichnet J. D. Bolter die Computertechnologie als »defining technology«unserer Epoche [Bolter 1984]. Damit ist gesagt, daß sie Modelle und Metaphern für unsere Kultur bereitstellt, welche die heterogenen Entwürfe von Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Alltagspraxis verbinden. Eine defining technology erlaubt es, scheinbar disparate Vorstellungen wie durch ein Brennglas gebündelt zu sehen. Aus dieser Perspektive skizziert Bolter einen neuen Menschentyp: den »Turingmenschen«. Dieser löse den faustischen Sucher ab, der alles wollte und nach den Sternen griff. Der Turingmensch dagegen orientiert sich in spezifischer Weise am Machbaren: Er will nur das Nächste und überzieht in dieser Bewegung das Ganze. Auch wenn es Bolter meiner Ansicht nach nicht gelungen ist, sein ambitioniertes Programm einzulösen, halte ich dennoch seine Idee für gerechtfertigt und will versuchen, die ‚Definitionsmacht ‘der Informatik zu deuten.
Jörg Pflüger

Informatik Ethik Verantwortung

Frontmatter
Ethik und Informatik
Zusammenfassung
»Was sollen wir tun?« Seit jeher aufgeworfen in der praktischen Ethik als Appell an den handelnden Menschen, verweist diese Frage darauf, daß wir nicht alles tun sollten, was wir können. Aus der Vielfalt der Optionen menschlichen Handelns sei vielmehr unter ethischen Kriterien auszuwählen. Und seit jeher befinden sich Ethik und Technik, also sittliche Einsicht und praktisches Können, in latenter Spannung zueinander. Denn sind erst, so ist nun einmal der Gang der Technik, den Zwecken die Mittel zugeordnet, ist über die »Zweckmäßigkeit« befunden, dann ist die Freiheit der Wahl im Dienste ethischer Gebote eingebüßt.
Reinhard Stransfeld
Informatik und Verantwortung
Positionspapier des Fachbereichs »Informatik und Gesellschaft« der Gesellschaft für Informatik
Zusammenfassung
Chancen und Risiken der Informationstechnik erfordern verantwortliche Gestaltung nach technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen und Kriterien. Dabei kann es zu Konflikten kommen, die Verantwortungsprobleme schaffen.
Wolfgang Coy, Frieder Nake, Jörg-Martin Pflüger, Arno Rolf, Jürgen Seetzen, Dirk Siefkes, Reinhard Stransfeld
Theorie oder Aufklärung?
Zum Problem einer ethischen Fundierung informatischen Handelns
Zusammenfassung
Christiane Floyd [Floyd 1985] hat angeregt, »so etwas wie einen hippokratischen Eid für Informatiker« zu entwickeln, um verantwortliches Handeln zu stützen. In Anlehnung an ähnliche Unternehmen von Ingenieursvereinigungen hat Whitby [Whitby 1988] einen Verhaltenskodex in Form von 10 Richtlinien für den professionellen Wissenstechniker vorgeschlagen. Läßt sich der Inhalt solcher ‚Gebote ‘überhaupt verläßlich ermitteln und hat er eine Chance, handlungsleitend zu wirken?
Peter Schefe
Symbolische Maschinen, Computer und der Verlust des Ethischen im Geistigen Tun
Sieben Thesen
Zusammenfassung
Der Entwicklungsstand einer Zivilisation zeigt sich an den ihr zur Verfügung stehenden Strategien der Entlastung. Die Technisierung ist eine der erfolgreichsten und folgenreichsten Entlastungsstrategien. Wir können diese mit Gehlen thematisieren als »Organentlastung, Organausschaltung und schließlich ... (als) Arbeitsersparnis« [Gehlen 1967, S.8] Oder wir können sie mit Luhmann definieren als »Entlastung (von) sinnverarbeitenden Prozessen des Erlebens und Handelns« [Luhmann 1975, S.71]. Doch nicht nur die Minderung von körperlicher Arbeit und des beständigen Zwangs zur Konstitution von Sinn leistet die Technik. Sie vermittelt auch eine Entlastung der »dritten Art«: Das ist die Entlastung von der Verantwortung.
Sybille Krämer
Die Herausforderung der Informatik für die Praktische Philosophie
Zusammenfassung
Wissenschaften lassen sich nicht ein für allemal bezüglich ihrer Gegenstände und ihrer Methoden bestimmen, sondern sie sind einem Prozeß unterworfen, der nach Thomas S. Kuhn als eine »Struktur« von »normalen« und »revolutionären« Perioden aufgefaßt werden kann [Kuhn 1967].
Rafael Capurro
Zur Verantwortung in der Informationstechnik
Zusammenfassung
1. Zur Informatik als Wissenschaft gehört es, die technischen, methodischen und begrifflichen Grundlagen der Informationstechnik zu erforschen und die Entwicklungen und Wirkungen der Informationstechnik zu analysieren und zu bewerten. Da die Informationstechnik einen eminenten Einfluß auf die kulturellen und sozialen Verhältnisse hat, verbindet sich mit ihr Verantwortung, die fachbezogen und allgemein ist und die individuell und kollektiv getragen werden muß. Verantwortung ist damit auch der Informatik angelastet, und es zeigt sich, daß sie mit den grundlegenden Überzeugungen dieser Wissenschaft verknüpft ist. Verständlich wird das Fachbezogene dieser Verantwortung aber erst bei einer Klärung der erkenntnistheoretischen Grundlagen. Um die Frage zu beantworten, worin denn die spezifische Verantwortung des Informatikers bestehe, braucht man jedoch mehr an Einsicht als das Verständnis der disziplinären Gliederung des Fachs, der artifiziellen Reduzierbarkeit auf den Informationsbegriff oder das Verständnis des Bildes vom informationsverarbeitenden Prozeß. Analogien, der Rückgriff auf Vergleichbares, helfen zur Beantwortung der Frage ebenso wenig weiter. So liefern zum Beispiel die Architektur oder der Maschinenbau in puncto Verantwortung wieder nur Allgemeines, das sich zudem nicht über die Verbindlichkeit der Beziehung zum eigenen Fach, sondern nur über die Vorstellung des als analog eingeschätzten Bereichs verständlich macht — abgesehen von der Abstraktion der spezifischen Merkmale, die Informatik vom Maschinenbau und von der Architektur unterscheiden. Um die Frage zu beantworten, worin denn die spezifische Verantwortung des Informatikers bestehe, müssen wir wissen, von welcher Natur die Erkenntnisse sind, die diese Wissenschaft hervorbringt, und von welcher Art die Urteile sind, die den Entwicklungen in der Informationstechnik zugrunde liegen.
Bernd Mahr
Verantwortungslosigkeit
Zusammenfassung
Mittels Begriffen bestimmen und unterscheiden wir sprachlich Objekte, Zustände, Geschehnisse, Abstraktionen usf. In Begriffsgegensätzen tritt deren Sinngehalt noch deutlicher hervor: heiß versus kalt, satt versus hungrig, Leben versus Tod — die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Die griechische Ethik hatte diesen Dualismus bereits entfaltet. So scheidet Aristoteles in der Nikomachischen Ethik die sittlichen Tüchtigkeiten der »Aufrichtigkeit«, »Gerechtigkeit« und »Besonnenheit« von den minderwertigen Charaktereigenschaften wie »Unbeherrschtheit« und »tierisches Wesen« [Aristoteles 1960]. Auch die christliche Ethik unterscheidet nach guten und bösen Taten. Himmel oder Hölle verheißen oder drohen dem, dessen Handeln sich der einen oder anderen Seite verschreibt.
Reinhard Stransfeld
Ethik in der Informatik— Vom Appell zum Handeln
Zusammenfassung
Mit dem erfolgreichen Vordringen der Informationstechnik in Wirtschaft und Gesellschaft wurde schon vor längerer Zeit die Frage nach einer spezifischen, auf Verwendung und Reichweite dieser Techniken gerichteten Verantwortung aufgeworfen. Angesichts deren potentieller Mächtigkeit hatte Joseph Weizenbaum sich bereits in den siebziger Jahren zur Auffassung bekannt, daß Computer nicht alles tun sollten, was sie könnten [Weizenbaum 1972]. Er nimmt damit eine Position ein, wie Günther Anders sie zwei Jahrzehnte zuvor für das Verhältnis von Mensch und Technik im ganzen bestimmt hatte [Anders 1956, S.17] Wenn nun ein spezieller technologischer Bereich, die Informatik, betrachtet wird, müssen die Informatiker, als Akteure ihrer Schöpfung, sich in besonderer Weise angesprochen fühlen.
Bernd Lutterbeck, Reinhard Stransfeld
Backmatter
Metadaten
Titel
Sichtweisen der Informatik
herausgegeben von
Wolfgang Coy
Frieder Nake
Jörg-Martin Pflüger
Arno Rolf
Jürgen Seetzen
Dirk Siefkes
Reinhard Stransfeld
Copyright-Jahr
1992
Verlag
Vieweg+Teubner Verlag
Electronic ISBN
978-3-322-84926-7
Print ISBN
978-3-528-05263-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-84926-7