Skip to main content

2007 | Buch

Politisches Kommunikationsmanagement

Grundlagen und Professionalisierung moderner Politikvermittlung

verfasst von: Klaus Kamps

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Auszug
Das Ende näherte sich im Stil der Gerd-Show: „Glückshormone — oder doch Kalkül?“, fragte die Süddeutsche Zeitung am Tag nach der Bundestagswahl 2005 angesichts einer Elefantenrunde — „interessanter als Sabine Christiansens Streichelzoo“1 —, nach der selbst des Kanzlers Gattin des Gatten Auftritt „krawallig“ fand; Gerhard Schröders Benehmen in der Berliner Runde des Wahlabends verwirrte bis amüsierte nicht nur die anwesenden politischen Freunde oder Kontrahenten2: ein „Medienkanzler a. D.“3 polterte gegen die moderierenden Chefredakteure von ARD und ZDF, die ihre Branche stellvertretend Schelte bezogen: mit „Kampagnen“ hätten sie ihn, den Kanzler, aus dem Amt reden wollen — vergebens, wie Schröder an jenem Abend noch glaubte, respektive glauben machen wollte. Dass er dann noch seiner Opponentin, Angela Merkel, begegnete, „als sä\e er auf dem Thron und sie auf dem Fu\boden“ passte in den Gesamteindruck: „Einen solchen Auftritt von Grö\enwahn hat es in der bundesdeutschen Politik selten gegeben“4. Selten auch kumulierte in der politischen Kommunikationskultur der Bundesrepublik die Gemengelage aktueller Machtpolitik derart dicht in einer Fernsehsendung. Der „Medienkanzler“, wie Schroder lange Jahre apostrophiert wurde, fand — immerhin dies — ein bemerkenswertes, fast schon historisches Entree für seinen (vorläufig) letzten Auftritt auf der politischen Bühne: die Koalitionsverhandlungen einer Regierung, der er schlie\lich nicht mehr angehören würde.
Klaus Kamps
2. Das Umfeld: Politik und Medien
Auszug
Im 18. Jahrhundert erkennt die Aufklärung das Individuum als Rechtssubjekt an und integriert es in den politischen Prozess. Zugleich wachst das Interesse an Verfassungsentwürfen, die einem Leitbild bürgerlicher Öffentlichkeit folgen. Im neuzeitlichen demokratischen Staatsdenken koppelt sich dann die Legitimation politischer Macht an den Willen der Beherrschten — und damit an eine kommunikative Leistung: „[...] Zustimmung und Begründung finden ihre Realisierung [...] im Rahmen politischer Kommunikation“ (Sardnelli 1998c: 253, 1998f: 551). So nimmt anfangs des demokratischen Zeitalters eine Pressefreiheit2 Konturen an — eine „grandiose Idee“ (Schulz 1994: 136), die einem allgemein zugänglichen Diskurs den Weg bahnt, in dem Entscheidungen und Vorhaben öffentlich erörtert werden. Herrschaft rechtfertigt sich nunmehr vor einer Öffentlichkeit — das Substantiv wird während der französischen Revolution popular (Gerhards 1998: 268) —, in der Programme begründet und Alternativen aufzeigt werden.
Klaus Kamps
3. Das Skript: Öffentlichkeitsarbeit, Marketing
Auszug
Folgt man einem Einvernehmen in der Literatur, dann war Ivy Ledbetter Lee einer der ersten Public-Relations-Manager überhaupt, auch wenn ihn seine Zeitgenossen noch nicht so bezeichneten2 (vgl. u. a. Oeckel 1994a). Der Industriemagnat John D. Rockefeller sr. engagierte zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts den Journalisten Lee, um einer allzu industriekritischen Presse offensiv zu begegnen — in einer Zeit, in der sich auch US-Präsident Theodore Roosevelt ständig über respektlose Redakteure und ihr „Muckraking“, ihr „im-Dreck-Wühlen“ beklagte. Lee entwarf 1906 eine Declaration of Principles, die er an Verleger und Redaktionen schickte: „In brief our plan is frankly and openly, on behalf of the business concerns and public institutions, to supply to the press and public of the United States prompt and accurate information concerning subjects which is of value and interest to the public to know about [...]“ (zit. n. Kunczik 1993: 107). Ziel war es also, einen Konzern oder eine Institution in der Presse in ein positiveres Licht zu rücken, als es ohne solch „akkurate“, „prompte“ Information der Fall wäre. Heute würde man wohl sagen, ein „Image“ sollte „aufpoliert“ werden; oder etwas abstrakter: einer journalistischen „Fremdbeobachtung“ setzte man eine „Eigenbeobachtung“ entgegen. Lee gab seinerzeit Rockefeller einen nachhaltig programmatischen Rat: Stiftungen zu gründen, über die geschrieben und geredet werden könnte (vgl. Rolke 1998). „Tue Gutes und siehe zu, dass es bekannt wird“ — so liest sich diese „Leitvorstellung großbürgerlicher Philanthropie“ (Kocks 2001: 94) noch immer in zahllosen „How-to-do“-Büchern der Branche.
Klaus Kamps
4. Der Normalfall: Inszenierungsalltag Politik
Auszug
Sicher: Theater, allein legitimes Theater habe man gespielt, erklärte der Saarländische Ministerpräsident Peter Müller im März 2002 einen Tag nach einer Bundesratssitzung, die ob ihres tumultartigen Verlaufs in die Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik eingehen dürfte. Freilich schlug das Bekenntnis des Ministerpräsidenten zur Theatralisierung der Abstimmungsniederlage der „B-Länder“ ähnlich hohe Wellen: Müller hatte offenherzig bei einem Vortrag im Saarbrücker Staatstheater — „Politik und Theater: Darstellungskunst auf der politischen Bühne“ — Regie, Skript, Dramaturgie, Textprobe und Rollenaufteilung, kurz: die Inszenierung1 der lautstarken Empörung der Unionsvertreter unter ihrem Wortführer, Hessens Ministerpräsident Roland Koch, zum Stimmprozedere beim Zuwanderungsgesetz dargelegt. Damit verlängerte Müller das Stück um (s)einen (persönlichen) Akt; er nannte Spielregeln politischen Handelns in der Mediendemokratie — wobei er „Inszenierung“ beim Publikum als gängige Vokabel wohl voraussetzen durfte. Legitim, das sollte erwähnt werden, empfand Müller die vorabendliche Absprache, weil der Union bekannt war, dass Bundesratspräsident Wowereit versuchen würde, eine geteilte Stimmabgabe der großen Koalition Brandenburgs als einheitliches Votum auszulegen. Ein „Showdown“ der politischen Lager im Bundesrat: Politik einzig als Schein ohne realweltliche Relevanz? Man könnte zumindest den Eindruck gewinnen, als häuften sich die Fälle von Issueless Politics: Inszenierungen, „denen die öffentlich proklamierte Policy-Dimension in Wahrheit fehlt“ (Meyer 2001: 30; Herv. i. O.), Herrschaftsschauspiel mit reichlich überdehntem Konnex zu konkreten Problemen und zur Erzeugung allgemein verbindlicher Entscheidungen.
Klaus Kamps
5. Der Ernstfall: Wahlkampf
Auszug
Nach Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt „vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Absatz 1 des Artikels 38 präzisiert dann: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. [...]“. Ahnliche Formeln (repräsentativer) Volkssouveränität finden sich in den Verfassungen der Länder des Bundes oder anderer Demokratien, so schon in der Virgina Declaration of Rights von 1776 (Section 2): „That all power is vested in, and consequently derived from, the people; [...]“; und Article 3 der französischen Verfassung lautet: „La souveraineté nationale appartient au peuple qui l’exerce par ses représentants et par la voie du référendum“.
Klaus Kamps
6. Der Einzelfall: Kampagnenkommunikation
Auszug
Im Herbst 2004 flackerte für einige Tage eine manche Seite irritierende Idee des Bundeskanzleramtes durch die Presse der Republik: „1. FC Deutschland 06“ — rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft 2006 bat Gerhard Schröder die deutsche Wirtschaft zu einer „konzertierten Aktion“, um im Stile einer Optimismus-Offensive etwas „für das Image des Landes zu bewegen“1, das Deutschlandbild im Ausland zu restaurieren und den von Abstiegsängsten gepeinigten Deutschen“ ein neues „Wir-Gefühl“ zu vermitteln2. „Das Wunder von Berlin“ nannte das Der Spiegel (hatte man doch Regisseur Sönke Wortmann gewonnen): „Gelänge es, die sportbegeisterten Deutschen in eine nationale Hochstimmung zu versetzen, würden zumindest einen Sommer lang Rekordschulden, Massenarbeitslosigkeit und Zukunftsangst aus den Köpfen verdrängt“3. Rund zehn Millionen Euro wollte die Regierung für eine Kampagne in die Hand nehmen — und erwartete einen ähnlichen, wünschenswert höheren Beitrag aus den Reihen der Wirtschaft. Eine, neudeutsch gewendet, Private Public Partnership sollte es also werden. Freilich ließen sich einige Spitzenvertreter der deutschen Industrie für die Berliner Diner-Runde entschuldigen, bei der Bundeskanzler Schröder erste Ideen vorstellte; so alarmierte die Nähe, damals, des Wahltermins die oppositionelle CDU — und die mahnte in diskreten Gesprächen gegenüber den Unternehmensverbänden an, ein Standortmarketing, ein aus Steuermitteln und Industriespenden runderneuertes Deutschlandbild würde allein dem Kanzler nutzen.
Klaus Kamps
7. Der Sündenfall: Skandalkommunikation
Auszug
„Seit Jahren hat die ‚Times ‘die demoralisierenden Machenschaften der selbstsüchtigen Politiker entlarvt, und ihr jüngster Kampf gegen die Demokraten von Tammany Hall ist allgemein mit Beifall aufgenommen worden ... Der Sieg, den wir errungen haben, ist unbezahlbar, nicht nur des momentanen Erfolges wegen, sondern weil er den Glauben jedes einzelnen an den letztendlichen Triumph von Wahrheit und Gerechtigkeit wieder aufleben läßt — weil er den ränkeschmiedenden Politikern eine Lektion erteilt, daß des Volkes Stimme über ihnen steht.“ — So feierte 1870 die New York Times2 sich und den Rücktritt des einflussreichen Politikers William Tweed, nachdem sie ihn in einem „echten Stück Kampagnenjournalismus“ seiner „Machenschaften“ überführt hatte (Boventer 1994: 215) — wohlgemerkt, mittels Interna, die ihr von einem Parteirivalen Tweeds zugeschanzt worden waren: „Das Muster, daß Journalisten sich für parteiliche Machenschaften instrumentalisieren lassen, sich selbst aber die Toga des uneigennützigen Kämpfers überwerfen, war schon damals üblich“ (ebd.: 215 f.).
Klaus Kamps
8. Das Potenzial? Internet und Politik
Auszug
Zum 21. Jahrhundert, zum Millennium mit seinem letztlich bedeutungslosen, doch bezeichnend intensiv deklinierten „Y2K“-Problem, haben die modernen Informations- und Kommunikationsmedien (IuK-Medien) Modus, Umfang, Qualität und Effekt kultureller, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Kommunikation fundamental verändert. Hatten vor wenigen Jahren noch Internet-Auktionshäuser die Anmutung exotischer Blumen, wurden Überlegungen zum drahtlosen Netzzugang, zum voll-vernetzten Eigenheim (oder Kühlschrank), zur Internet-Telefonie oder Telematik einer fernen, in den Entwicklungsabteilungen verhafteten Zukunft überlassen, wurde der Einsatz von Netztechnologien in gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Positionspapieren im Stil von Visionen gehalten, so ist das Internet mit seinem wichtigsten Browser, dem World Wide Web (WWW), inzwischen ein gesamtgesellschaftliches, breit akzeptiertes und in den Alltag integriertes Phänomen von ausnehmender Vielfalt. Täglich nimmt die Zahl der Anbieter von Online-Dienstleistungen zu, von Datenbanken, Content-Providern usf.; täglich „gehen“ mehr und mehr Menschen „ins Netz“, um sich zu informieren, zu amüsieren, um zu kommunizieren, zu handeln und mehr. Bei allen Phasen, die die Entwicklung der IuK-Medien durchlaufen hat: man sollte wohl von einer „Parallelwelt“ sprechen, von einem „E-Everyihing“ in der E-Society; kein Teil der Gesellschaft, wie es scheint, kommt ohne das Präfix aus: E-Commerce, E-Learning, E-Journalism, E-Logistics, E-Government usf. — nahezu jeder Bereich unserer Lebenswelt diesseits des Bildschirms findet seine Entsprechung im Netz: Ausbildung, Beruf, Freizeit, Unterhaltung, Familie, Werbung, Politik, wirtschaftliche Transaktionen, Staatliche und nicht-staatliche Dienstleistungen, Kriminalität, Extremismus und mehr.
Klaus Kamps
9. Kommunikation und politische Strategie
Auszug
Im Herbst 2001 verknüpfte Gerhard Schröder im Bundestag die Entscheidung über die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Einsatz in Afghanistan mit einer Vertrauensfrage nach Art. 68 des Grundgesetzes. Die Zulässigkeit dieser Koppelung einer Sachfrage an die Vertrauensfrage (der vierten in der Geschichte der Bundesrepublik) wurde kurze Zeit kontrovers diskutiert; manchen Kommentatoren galt der Vorgang allein als Macht- und Mehrheitsmanagement, als Disziplinierung der Regierungsfraktionen — weit vom „Geist“ des Verfassungsverfahrens entfernt. Immerhin schließt das parlamentarische Prinzip Policy/-Durchsetzung mittels quasi-autoritärer Anordnung eigentlich aus, weshalb der (sachliche) Fraktionszwang über die hohe Hürde der (personellen) Kanzlerfrage in den Geruch dirigistischen Handelns geriet.
Klaus Kamps
10. Resümee
Auszug
Wie kein anderer politischer Denker wird der Florentiner Niccolò Machiavelli mit einer negativ konnotierten, utilaristischen politischen Maxime identifiziert. Sein spektakulärer „Il Principe“ gilt als paradigmatisches Plädoyer einer jeder Moral fernen Herrschaft, „Machiavellismus“ als kühl kalkulierendes Politikmanagement, eine „radikal betriebene Zuspitzung auf das Prinzip der Macht“, eine „Utilität der politischen Mittel bis hin zu systematischem Lug und Trug, Mord und Totschlag“ (Nitschke 1997: 299). Im „Fürsten“ typologisierte Machiavelli ein regulatives System der Politik, darin virtù, prudenzia, occasione und fortuna auch im Szenario einer Volksherrschaft: „Um zu dieser Herrschaft zu gelangen, ist nicht bloß Tüchtigkeit oder Glück erforderlich, sondern vielmehr eine erfolgreiche Schlauheit und ein Buhlen um die Gunst des Volkes oder der Großen. [...] Ein Fürst muß sich daher wohl hüten, je ein Wort auszusprechen, das nicht voll der [...] Tugenden ist. Alles, was man von ihm sieht und hört, muß Mitleid, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit und Frömmigkeit ausstrahlen“1.
Klaus Kamps
Epilog: Die Politik und ihre Bedingungen am 11. März 1999, am 14. Dezember 2003, am 8. August 2004 und am 22. Mai 2005
Auszug
Am 11. Marz 1999 trat, fur einige Kommentatoren noch uberraschend, Oskar Lafontaine, der damalige SPD-Parteivorsitzende und Bundesfinanzminister im Kabinett Schroder, von seinen politischen Amtern zuriick. Vorausgegangen war dieser „Implosion, einmalig in der deutschen Geschichte“1, ein Richtungsstreit um die wirtschafts- und finanzpolitische Richtung der Rot-Grunen Koalition — ein „Duell unter Freunden“2, wie es Der Spiegel3 schließlich begriff, das sich um die inkompatiblen wirtschaftspolitischen Vorstellungen Schroders und Lafontaines rankte.
Klaus Kamps
Backmatter
Metadaten
Titel
Politisches Kommunikationsmanagement
verfasst von
Klaus Kamps
Copyright-Jahr
2007
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90251-7
Print ISBN
978-3-531-13280-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90251-7