Die Motivation für dieses Buch entstand vor dem Hintergrund der Entwicklung, Durchführung und Veränderung sozialräumlicher Analyse- und Beteiligungsmethoden in vielen Praxisprojekten in den letzten Jahren. Zunächst waren diese sehr stark auf den Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit konzentriert und weiteten sich dann allmählich auf andere Bereiche der Sozialen Arbeit aus. Ziel des Buches ist deshalb die Darstellung unterschiedlicher Methoden in verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit.
Rekonstruktion des Sozialraums „Schule“ und mitagierende Erforschung „unsichtbarer Bewältigungskarten“ als methodische Felder von Sozialraumforschung
Auszug
Soziale Arbeit ist räumlich geworden! — oder etwas moderater formuliert: Die durchgängige Aufnahme der Raummetapher wird in unterschiedlichsten Feldern Sozialer Arbeit als Möglichkeit der Modernisierung von Organisationen und Methoden (sowohl auf der Steuerungsebene von Verwaltungen wie auch auf der professionellen Handlungsebene) gesehen. Eine sozialraumorientierte Soziale Arbeit scheint anpassungsfähiger, modern(er) und deshalb „besser“ zu sein! Ausdruck davon ist die seit Ende der 1990er-Jahre dominierende „Rede von der Sozialraumorientierung“ als eine weit verbreitete, sozialpolitische, sozialpädagogische, schulorganisatorische und sozialplanerische Auseinandersetzung um die „Neuordnung des Räumlichen“ (Kessl/Reutlinger 2007a; b).
In der aktuellen Fachdiskussion wird die Sozialraumorientierung immer wieder als eine Handlungsmethode der Sozialen Arbeit betrachtet; auch die neueste Auflage des Standardwerkes „Methoden der Sozialen Arbeit“ (vgl. Galuske 2007, 276–292) stellt die Sozialraumorientierung als eine der Handlungsmethoden vor. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass diese Einschätzung nur eingeschränkt haltbar ist.
Sozialräumliche Haltungen und Arbeitsprinzipien werden im Folgenden auf der Grundlage zahlreicher Projekte im Bereich der Konzeptentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit formuliert. Insbesondere die Anwendung und Entwicklung von Methoden einer Sozialraum- und Lebensweltanalyse (vgl. Deinet/Krisch 2005) führte zur Beschreibung eines „sozialräumlichen Blicks der Kinder- und Jugendarbeit“: Dieser stark auf kindliches und jugendliches Aneignungsverhalten und Aneignungsräume orientierte „Blick“ kann auch als die Einnahme einer sozialräumlichen Haltung bzw. die Anwendung von bestimmten Arbeitsprinzipien verstanden werden: „In der Beschreibung dieser Form der sozialräumlichen Konzeptentwicklung … wird plastisch eine grundsätzliche Haltung dargestellt, die als charakteristisch für eine so genannte sozialräumliche Kinderoder Jugendarbeit zu benennen ist. Sie geht immer von den Aneignungsformen von Kindern und Jugendlichen und den Chancen und Barrieren für sie in ihren sozialräumlichen Zusammenhängen, die sich zumeist auf Sozialräume im Stadtteil beziehen, aus“ (Krisch 2008, S. 169).
Die folgende Beschreibung von Methoden einer sozialräumlichen Lebensweltanalyse beruhen im Wesentlichen auf gemeinsamen Projekten und Veröffentlichungen von Richard Krisch und Ulrich Deinet1. Besondere Anregungen bekamen wir von Norbert Ortmann, der zum ersten Mal Methoden wie die „Nadelmethode“ Anfang der 1990er Jahre beschrieb. Die von uns im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit entwickelten Methoden können zum Teil direkt in andere Bereiche der Sozialen Arbeit übertragen werden.
Interviews sind besonders gut geeignet, um eine sozialräumliche Erkundung vorzunehmen, da auf diese Weise der soziale Aspekt der Raumaneignung hervorgekehrt wird. Es ist ja gerade die Bedeutungszuweisung durch die Menschen im Sozialraum, die diesen erst zu einem solchen machen (Deinet/Kirsch 2006). In einem Gespräch mit denjenigen, die diesem Sozialraum seine Bedeutung verleihen, kann man viel über die Bedingungen des Ortes erfahren.
Im Folgenden geht es um einen Vorschlag, wie im Kontext einer Soziakaumanalyse die räumlichen Qualitäten der Institutionen auf einer Mikroebene genauer erfasst werden. Die These ist, dass die dualen Modelle wie die Beziehung zwischen Klientel und pädagogischer Fachkraft oder die Aneignungschancen der institutionellen Räume für das jeweilige Klientel unzureichend für qualitative Aussagen sind. Denn die Nutzungspraxen von Kindern, Jugendlichen, aber auch pädagogischem Fachpersonal entstehen weder im luftleeren Raum, noch präreflexiv und spontan, sondern sind als raumbezogene Handlungen zu deuten. Dies heißt, dass die Beteiligten in ihren Handlungen Bezug auf den architektonischen Raum und dem zur Verfügung stehenden Materialien nehmen, da diese Nutzungsvorschläge machen. Als ‚Methode’ ist der Vorschlag insofern anwendungsbezogen, indem er einerseits zeigt, wie diese Nutzungsvorschläge entdeckt und interpretiert werden können. Andererseits schafft er damit auch neue Perspektiven auf die eigene Analysepraxis des Sozialraums, indem dieser an empirischem Material konkretisiert wird. Dies stelle ich exemplarisch am Arbeitsfeld Offene Kinder- und Jugendarbeit und insbesondere am so genannten Offenen Bereich dar, wobei die Analysevorschläge modifiziert auf andere Felder der Sozialen Arbeit übertragbar sind.
Jugendarbeit ist, wie viele andere soziale Bereiche auch, einem großen Veränderungsprozess ausgesetzt. Gesellschaftliche Veränderungen der Werte und Traditionen, sich verändernde Lebensentwürfe führen zu einem Bedeutungsverlust von Rollen, Normen und Institutionen. Jugendliche beginnen sich hierdurch, laut Böhnisch und Münchmeier, mehr in den sozialen Raum hineinzuorientieren.1
Es ist unbestritten, dass die lebensweltlich-sozialräumlichen Bezüge der Schülerinnen und Schüler in ihren Zusammenhängen stärker in die Schul- und Unterrichtsentwicklung einbezogen werden müssen (s. Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, BMFSFJ 2005/Hauptschul-offensive, MSW 2007/8). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine UNESCO-Studie, die schon 1972 feststellte, dass 70 Prozent der Bildungsprozesse informell — z.B. auf Schulhöfen, in Jugendzentren, Vereinen, Treffs etc. — ablaufen, d.h. außerhalb von formalen Bildungsprozessen schulischen Unterrichts; eine kanadische Studie kommt hier sogar auf 90 Prozent. Methoden qualitativer Lebensweltanalysen, von erfahrenen Praktiker/innen der Jugendhilfe entwickelt, können u.a. dazu beitragen, einige wichtige informell erworbene Kompetenzen (Fähigkeiten, Stärken) junger Menschen gemeinsam mit ihnen aktiv zu erforschen, zu ergründen und auf vielfältigste Art und Weise -je nach Methodein den Unterricht einzubringen. „Die Chancen, solche Kompetenzen zu entwickeln, werden wesentlich geprägt durch die Strukturen der Lebenswelten und durch die Fähigkeiten des Individuums, sich seine Lebenswelt anzueignen“ (Deinet/Krisch, 2006, S. 37). Die intentionalen Bildungsprozesse — so Deinet — werden maßgeblich auch durch informelle Lernprozesse mit geprägt, die in den jeweiligen lebensweltlichen Bereichen der Kinder und Jugendlichen stattfinden, insbesondere auch in öffentlichen Räumen. Weil die Lebenswelten sehr fassettenreich strukturiert sind, können die einzelnen Methoden auch mögliche Gefährdungen für die Kinder und Jugendlichen ans Licht bringen, denen nachgegangen werden muss.
Wie können die Methoden der qualitativen Sozialraumanalyse aus der Kinder- und Jugendarbeit auch für die Arbeit mit Menschen in der nachberuflichen Phase wirksam werden? Welche Zugänge bietet zum Beispiel die Nadelmethode für die Erweiterung von Handlungsräumen Älterer in ihrem Wohnquartier? Wo müssen diese Methoden umgearbeitet oder angepasst werden? Diesen Fragen wurden in einer Veröffentlichung im Sozialmagazin 11/2006 ausführlich nachgegangen (Knopp/Deinet 2006). In dem hier vorliegenden Beitrag stehen erste Erfahrungen bei der Umsetzung solcher sozialraumbezogenen Methoden in der Arbeit mit Älteren im Mittelpunkt. Einleitend wird die Aktualität dieser Themenstellung im Kontext der demografischen Entwicklung und der Biografisierung der Lebensalter dargestellt.
Erfahrungen aus der gemeinsamen Qualifizierung öffentlicher und freier Träger der Jugendhilfe zur sozialräumlichen Wahrnehmung und Handlungsorientierung
Auszug
In Berlin wurde 2003 die politische Entscheidung zur Einführung der Soziakaumorientierung in der Jugendhilfe getroffen. „Optimierung der Entscheidungsprozesse, der Organisation und der Finanzierung der Berliner Jugendhilfe“ waren die mit der Einführung verbundenen Ziele. Sie wurden durch ein Programm von Unterstützungs-und Qualifizierungsmodulen flankiert.
Wenn man die Grandlagentexte sowie die Hand-und Lehrbücher zur Sozialraumorientierang in der Sozialen Arbeit unter methodischen Aspekten betrachtet1, dann fallt einmal auf (und das zeigen auch die Beiträge in diesem Band), dass es eine Vielzahl von Handlungsbzw. pragmatisch ausgerichteten Forschungsmethoden gibt (z.B. Expertinneninterview, Institutionsbefragung, Stadtteilbegehung mit dort Wohnenden [ggf. in einer Form, die durch die Professionellen strukturiert ist], subjektive Landkarten bzw. Bewältigungslandkarten, Nadelmethode, Zeitbudgetanalyse, Cliquenraster, Fremdbilderkundung); dass bildanalytische (besonders fotografische) Verfahrensweisen dabei eine randständige Bedeutung haben; dass die meisten der Verfahren eher unverbundenen nebeneinander existieren; und dass nicht zuletzt — trotz der Ansätze einer historischen Spurensuche aus den 1970er Jahren — die Aneignung historischer Sozialräume relativ selten dargestellt wird. Vor diesem Hintergrand versteht sich die Sozialreportage als das Bemühen einerseits verbale und ikonische (besonders fotografische) Aneignungsweisen aufeinander zu beziehen2 und andererseits die Vielzahl der methodischen Verfahren in einem integrativen Ansatz zusammenzufassen. Dazu werden zunächst Gegenstand (Kap.l) und Methode (Kap.2) der Sozialreportage skizziert und dann — in ausdrücklich historisch-bildender Absicht — exemplarisch die unterschiedlichen Darstellungsweisen der Berliner Wohnverhältnisse um 1900 analysiert (Kap.3); abschließend werden daraus einige Schlussfolgerangen gezogen für die kommunikative Aneignung aktueller Sozialräume (Kap.4)3.
Strukturen, Modelle und Projekte der Kinder- und Jugendarbeit (z.B. zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule) werden im jeweiligen Umfeld und nicht im luftleeren Raum platziert. Wenn sie wirksam sein sollen, müssen sie angepasst werden an die realen lokalen Bedingungen. Einerseits muss vor und während der Implementation von Strukturen, Modellen und Projekten eine sorgfältige Analyse ihrer Rahmenbedingungen vorgenommen werden (Situations- und Umfeldanalyse). Dieser Blick nach außen ist wichtig, weil die internen Prozesse natürlich ständig durch die externen Bedingungen und Vorgänge beeinflusst werden.
Unsere Vorstellungen von Kindheit sind meist geprägt von idealtypischen Vorstellungen. Bewusst oder unbewusst denken wir an ein Biotop bei dem Wohnen, Arbeiten und Lebensalltag noch weitgehend miteinander verbunden sind. Die kindliche Entwicklung wird meist zwar als diskontinuierliche, aber gleichwohl systematische Aneignung von Wirklichkeit verstanden.
Der Kiezatlas ist ein geografisches Content-Management-System. Ein Content Management System <CMS> ist eine Software, die hilft, ohne besondere Programmierkenntnisse, Webseiten zu erstellen, zu verwalten und im WWW zu publizieren. Auf den Webseiten des Kiezatlas lassen sich somit relativ einfach beliebige Karten, die mit adressbezogenen Informationen verknüpft sind werden, veröffentlichen.
Der erneute Boom an sozialräumlichen Ansätzen in der Jugendarbeit der letzten Jahre hat leider vergessen, dass es bereits in den 1970er und vor allem in den 1980er Jahren eine „Hoch-Zeit“ sozialräumlicher Erkundungen für den Dorfraum in der ländlichen Jugendarbeit gab. Der folgende Beitrag zeichnet die drei wichtigsten Modelle dieser Dorfraumaneignung-Konzepte durch Jugendliche nach: Die „Politische Kundschaft“, die „Spurensicherung“ und die „Dorfanalyse“, als sehr detailliert ausgearbeitete Methoden der ländlichen Jugendbildungsarbeit mit ihren Inhalten, Zielen und in ihrer Umsetzungspraxis konzeptionell vorgestellt. Der in ihnen gespeicherte breite Fundus an praktischen Umsetzungs-Erfahrungen wird systematisch aufgearbeitet und die in ihnen schlummernden „Schätze“, werden sowohl im historischen Kontext, als auch für eine aktuelle Wiederanwendung bewertet.
Stadtspiele, Schnitzeljagden, Ralleys sind so alt wie die Jugendarbeit und die Jugendbewegungen selbst. Was macht diese Arbeitsform für Jugendliche so interessant? Es geht um Bewegung, Entdecken, Aufspüren, Verwandeln, Verdrehen, Verdichten, es geht um Geschichte, Fantasie und Realität. Kurz und gut, es geht um Aneignung in einer spielerischen Form. Diese Arbeitsform bleibt gleich, muss sich aber den gegebenen räumlichen und zeitlichen Dimensionen angleichen. Die hier beschriebene Form — das Regionenspiel — muss sich dem demographischen Wandel in strukturschwachen Regionen anpassen.