2010 | OriginalPaper | Buchkapitel
Der Sozialstaat als rhetorische Figur. Eine Art Begriffsgeschichte
verfasst von : Heidrun Abromeit
Erschienen in: Systemanalyse als politische Reformstrategie
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Hat es wirklich eine Zeit gegeben, in der Sozialstaatlichkeit zur kaum bestrittenen Selbstbeschreibung der Bundesrepublik gehörte? Der Begriff verfügte in der Tat über die besten Voraussetzungen, zum nationalen Mythos zu werden. Er zählte ja nicht nur zu den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes (was, wie gleich zu sehen sein wird, die Zunft der Verfassungsinterpreten nicht sonderlich beeindruckte), sondern schien die ideale Ergänzung zur ‚Sozialen Marktwirtschaft‘, dem anderen Leitbegriff bundesrepublikanischer Frühgeschichte, - nicht zuletzt deshalb, weil er sich vortrefflich vom ‚Wohlfahrtsstaat‘ abgrenzen ließ, dem Wirtschaftspolitiker und Ordoliberale einen unseligen Hang zur Zwangswirtschaft nachsagten. Der größte Vorteil des Begriffs war aber seine Inhaltslosigkeit: Es konnte sich jeder mit ihm identifizieren, weil jeder etwas anderes in ihn hineinlesen konnte. In den Zeiten von Globalisierung und Hartz IV hat indessen seine enorme Interpretationsfähigkeit ihre Grenze erreicht; drum ist der Begriff mittlerweile aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Lange Zeit – so die vorweg aufzustellende These – war der ‚Sozialstaat‘ nichts anderes als das, was ist; doch mit dem, was jetzt ist, ist beim besten Willen kein (sozialer) Staat mehr zu machen.