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1995 | Buch

Der Pauli-Jung-Dialog und seine Bedeutung für die moderne Wissenschaft

herausgegeben von: Dr. Harald Atmanspacher, Professor Hans Primas, Eva Wertenschlag-Birkhäuser

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Der vorliegende Band enthält eine Sammlung von Beiträgen zum Problem der Wechselwirkung zwischen Geist und Materie, einem der zentralen Probleme europäischer Geistesgeschichte. Die Blickwinkel, die dabei eingenommen werden, sind vorrangig die der Physik und der Psychologie. Die Wechselwirkung dieser Gebiete wird so deutlich wie nie zuvor im Dialog zwischen zwei Forscherpersön­ lichkeiten dieses Jahrhunderts sichtbar: dem Physiker Wolfgang Pauli (1900- 1958) und dem Psychologen Carl Gustav Jung (1875-1961). In zahlreichen Brie­ fen und Manuskripten Paulis, die erst in den letzten Jahren allgemein zugänglich wurden, finden sich bemerkenswerte und wichtige Beiträge zu diesem Dialog, die das Verständnis des Zusammenhanges von Geist und Materie in einem neuen Licht erscheinen lassen. Um den durch Pauli und Jung begonnenen Dialog fortzusetzen und weiter fruchtbar zu machen, ist das interdisziplinäre Gespräch zwischen Physikern und Psychologen nötig. Diesem Zweck diente eine von der Eidgenössischen Techni­ sehen Hochschule Zürich (der Hochschule, an der Pauli tätig war) und dem C.G.Jung-Institut Zürich (das Jung gegründet hat) gemeinsam veranstaltete Tagung im Centro Stefano Franscini (Monte Verita, Ascona) vom 13. bis 18. Juni 1993. Sie stand unter dem Thema Das Irrationale in den Naturwissenschaften: Wolf gang Paulis Begegnung mit dem Geist der Materie und wurde von Pier Luigi Luisi initiiert und organisiert. Als Berater fungierten Paul Brutsehe, Hans Primas und Eva Wertenschlag-Birkhäuser. Berichte und Kommentare zu dieser Tagung wurden in Heft 4/1993 der Zeitschrift Gaia veröffentlicht.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einführung
Zusammenfassung
Was ist Geist? Was ist Materie? Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? Wie hängen beide miteinander zusammen? Fragen dieser Art sind in allen Kulturen in der einen oder anderen Form gestellt worden. Im Rahmen der europäischen Geistesgeschichte wurden sie beispielsweise im Kontext der Polaritäten von Idee und Natur, Freiheit und Schicksal, Leben und Tod, Gut und Böse diskutiert. Als philosophische Fragen im ursprünglichen Sinn tragen sie zugleich theoretische und praktische Züge. Erst im Lauf der letzten Jahrhunderte haben sich diese beiden Bereiche zunehmend auseinander entwickelt. Heute gibt es in den Naturwissenschaften wieder Theorien der Materie, die versuchen, in der Materie abstrakte Strukturen des Geistes zu erkennen. Auf der anderen Seite liegen in Erkenntnistheorie, kognitiven Wissenschaften und Tiefenpsychologie Bereiche vor, in denen es umgekehrt um den Geist und seine materielle Realisierung geht.
Harald Atmanspacher, Hans Primas, Eva Wertenschlag-Birkhäuser
Zur kategorialen Unterscheidung von «rational» und «irrational»
Zusammenfassung
Vergleicht man die geschichtlich in Erscheinung getretenen Hochkulturen im Hinblick auf die Art ihrer Geistigkeit miteinander, so scheint für den abendländischeuropäischen Bereich seit den Griechen kennzeichnend zu sein, dass das Moment des Rationalen eine besondere Rolle spielt und in unterschiedlicher Gestalt immer wieder einen Vorrang beansprucht. Heute wird unsere Zivilisation, mindestens an der Oberfläche, in stets noch wachsendem Masse durch die Mächte der rationalen Wissenschaft und der darauf basierten Technik geformt, und sie breitet sich als jene globale Kultur über den Erdball aus, die alle andern autochthonen Lebensformen zunehmend aushöhlt und unaufhaltsam zum Verschwinden bringt.
Gerhard Huber
Rationales und Irrationales im Leben Wolfgang Paulis
Zusammenfassung
Wolfgang Paulis Grossvater Jacob W. Pascheies erbte von seinem Vater Wolf einen Buchladen in Prag, den er erfolgreich weiterführte. Dies erlaubte ihm, ein Haus am alten Stadtplatz von Prag zu erwerben. Jacob Pascheies war lange Vorsteher der Kongregation der bekannten Zigeuner-Synagoge von Prag. Als solcher leitete er unter anderem die Bar-Mizwa-Feier («Konfirmation») von Franz Kafka, dessen Familie ebenfalls am alten Stadtplatz wohnte. Jacobs Sohn Wolfgang Josef, genannt Wolf, der Vater Wolfgang Paulis, wurde am 11. September 1869 geboren und studierte mit Ernst Machs Sohn Ludwig Medizin an der Karls-Universität in Prag, wo Ernst Mach Professor für Experimentalphysik war, bis er 1895 an die Universität Wien wechselte. [28] Wolfgang Pascheies kam schon 1892 nach Wien, wo er eine Assistentenstelle an der Universität erhielt und wo er sich 1898 für innere Medizin habilitierte. [29] Wien wurde seine Heimatstadt, dort liess er sich katholisch taufen, nahm den Namen Pauli an, was ihm am 28.Juli 1898 gewährt wurde, und heiratete am 2.Mai 1899 Bertha Camilla Schütz, die ihm am 25. April 1900 seinen einzigen Sohn Wolfgang gebar. Am 31. Mai 1900 wurde der Neugeborene auf die Namen Wolfgang Ernst Friedrich katholisch getauft. Taufpate war Ernst Mach.
Charles P. Enz
Die Physik und die Persönlichkeit von Wolfgang Pauli
Zusammenfassung
Als ich im Frühjahr 1968 an die Universität Wien zurückberufen wurde, war eine meiner ersten «offiziellen» Handlungen die Teilnahme an einer Feier zur Enthüllung einer Gedenktafel. Anläßlich des 50-jährigen Jubiläums des Maturajahrganges 1918 wurde am Döblinger Gymnasium eine Ehrentafel angebracht, die darauf hinweist, daß in dieser Klasse zwei künftige Nobelpreisträger gemeinsam die Schulbank drückten. Im Jahre 1939 erhielt R. Kuhn (damals Professor in Heidelberg) den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1938 „für seine Arbeiten über Carotinoide und Vitamine“; im Jahre 1945 erhielt Wolfgang Pauli (damals Professor in Zürich) den Nobelpreis für Physik „für die Entdeckung des Pauli-Prinzips“.
Herbert Pietschmann
Kinderszenen: Irrationales in der Musik
Zusammenfassung
Der große Physiker Pauli bezweifelt die Möglichkeit, „die Welt ohne das Klavier-spielen [zu] verstehen“. ([10], Ziff.23) Die Dame der Klavierstunde erklärt: „Je nachdem wie warm es ist, muß man verschieden spielen und je nachdem man spielt, ist es mehr oder weniger warm“. Später spricht Pauli von „Zahlenpatterns“, die „bis ins Tier- und Pflanzenreich hinunter [reichen], vielleicht sogar noch weiter. Sie wären eben das, was angibt, «wie warm es ist… »“. ([10], Ziff.50)
Jörg Rasche
Pauli und Jungs Antwort auf Hiob
Zusammenfassung
Meine Untersuchungen über die späteren Träume von Wolfgang Pauli führten mich zu der Idee, diese mit dem Spätwerk Antwort auf Hiob von Carl Gustav Jung in Zusammenhang zu bringen. Ich werde mich daher auf den Mythos konzentrieren, der im Unbewussten lebendig ist und von Jung in seinem Buch Antwort auf Hiob 1 mit dem biblischen Gottesbild in Verbindung gebracht worden ist. Paulis Träume und seine aktive Phantasie Die Klavierstunde [16] könnten eine Antwort des Unbewussten auf die Gespaltenheit Gottes sein, die in der christlichen Religion als Gegensatz zwischen Christus und Teufel ans Tageslicht gekommen und in der heutigen Naturwissenschaft als kartesische Spaltung zwischen Geist und Materie institutionalisiert worden ist.
Herbert van Erkelens
Die Begegnung des Menschen mit dem «Liecht der Natur»
Zusammenfassung
Um unsere Zukunft weniger einseitig zu gestalten, müssen wir nach einer neuen geistigen Einstellung suchen. Eine neue Einstellung gewinnen wir jedoch nicht allein aus bewussten Überlegungen und aus dem Austausch von Theorien. Wir brauchen noch eine andere Quelle der Weisheit dazu, eine Quelle, die aus unserem Inneren fliesst, aus unserer unbewussten Psyche. In diesem Sinne scheint es mir wichtig, nicht nur über das Nichtrationale theoretisch zu reflektieren, sondern es unmittelbar sprechen zu lassen und in unser Denken und Handeln einzubeziehen.
Eva Wertenschlag-Birkhäuser
Archetypische Träume zur Beziehung zwischen Psyche und Materie
Zusammenfassung
Der archaische Mensch kennt keine Spaltung in Innen- und Aussenwelt. Seine Phantasie- und Traumwelt ist vermischt mit dem, was wir Moderne mit Aussenwelt bezeichnen. Er lebt in einer beseelten Umwelt. Darum sprechen die Ethnologen bei diesem Zustand vom «dream-age», weil noch nicht zwischen einer Aussenwelt und einer Innenwelt unterschieden wird.1 Dieselbe Erlebnisweise können wir auch beim Kleinkind beobachten: Wenn es zum Beispiel behauptet, ein böser Wolf liege unter seinem Bett, so erkennen wir, dass es noch nicht so zwischen Innen- und Aussenwelt unterscheidet wie wir Erwachsene. Doch unsere Erwachsenkultur trennt und unterstellt: In der Aussenwelt gibt es diesen Wolf nicht. In der Innenwelt des Kindes dagegen wirkt offenbar etwas Angsterregendes, symbolisiert durch den bösen Wolf. Dabei macht dieser innere Wolf dem Kind genau so wirksam Angst wie ein Wolf in der Aussenwelt. Der «innere Wolf» ist somit ebenfalls eine Wirklichkeit, indem er eben etwas bewirkt, wirksam ist.2
Theodor Abt
Wissenschaft, Körperpolaritäten und Seele
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beleuchtet die dynamische Polarität zwischen der intellektuellen Bewusstseinsebene und dem ausserrationalen seelischen Hintergrund, welcher nicht «erzogen» werden kann. Wolfgang Pauli und Carl Gustav Jung haben die Bedeutung dieses Spannungsfeldes bezüglich wissenschaftlicher Forschung erkannt und den Dialog zwischen Physik und der Psychologie des Unbewussten wesentlich befruchtet. Ein wichtiger Aspekt der unbewussten Psyche hat mit unseren körperlichen Voraussetzungen, speziell mit der Struktur des Gehirns und der Sinnesorgane zu tun, denn der Körper ist der Ort, wo die Psyche an die Materie gefesselt ist. Zuerst werden wir verschiedene körperliche Aspekte der dynamischen Polarität unseres Wesens beleuchten. Daran anschliessend kommt die Auswirkung dieser Spannungsfelder auf das Leben und Werk einiger bedeutender Naturwissenschafter zur Sprache. Dokumente von Pauli, welche zum Teil aus seinem Briefwechsel mit Jung stammen, illustrieren, wie solche Polaritäten von ihm erfahren wurden und seine Arbeit inspiriert haben.
Rigmor Robèrt
Vom Sinn im Zufall: Überlegungen zu Wolfgang Paulis «Vorlesung an die fremden Leute»
Zusammenfassung
«Fremde Leute» spielen in den Träumen, Briefen und Imaginationen des späten Pauli eine häufig wiederkehrende Rolle. Vordergründig haben sie die Funktion einer orthodox-naturwissenschaftlich unverbildeten Zuhörerschaft für Paulis imaginäre «Vorlesungen», psychologisch hingegen sind sie eine Metapher für noch nicht assimilierte Gedanken Paulis selbst.2 In diesen imaginären Vorlesungen ringt Pauli um die Anfangsgründe einer zukünftigen Wissenschaft, in der Geist und Materie nicht länger getrennt, sondern auf bislang noch unbekannte Weise vereinigt sind.
Ulrich Müller-Herold
Schatten und Ganzheit
Zusammenfassung
Hippasos von Metaponte — ein Pythagoräer aus dem 5. Jahrhundert vor Christus — soll entdeckt haben, daß der Natur auch Zahlen eingeschrieben sind, welche keine ganzen Zahlen und auch keine Verhältnisse ganzer Zahlen sind; zum Beispiel die Länge der Diagonalen eines Quadrates. [26] Man nannte sie damals inkommensurable Zahlen; wir nennen sie heute irrationale Zahlen. Durch diese Entdeckung wurde die Lehre der Pythagoräer von den natürlichen Zahlen als dem «Maß aller Dinge» zutiefst erschüttert. Für die Pythagoräer waren die natürlichen Zahlen bekanntlich göttlicher Natur; in ihnen gründete die Harmonie und Stabilität des Kosmos. Als Strafe für die Überschreitung der für absolut gehaltenen Lehre soll Hippasos, so ist überliefert, von den Pythagoräern ins Meer geworfen worden sein; einer anderen Erzählung nach ist er als göttliche Strafe für seine frevlerische Tat im Meer ertrunken. [33]
Wilhelm Just
Über dunkle Aspekte der Naturwissenschaft
Zusammenfassung
Die dunklen Aspekte der Naturwissenschaft betreffen das, was wir Naturwissenschafter als eine Bedrohung für unser wissenschaftliches Selbstbild fürchten, und worüber wir in Festreden meist nicht sprechen. Trotzdem ist die dunkle Seite der Naturwissenschaft so wirklich wie die helle. Zum Ganzen der Naturwissenschaft gehört auch der Schrecken und „die Atombombe als Symbol unserer Kultur.“[16] Aber die dunklen Aspekte haben auch positive Qualitäten, die wir zurückgewinnen können, wenn wir das zunächst Abgelehnte oder Verleugnete in den naturwissenschaftlichen Diskurs mit einbeziehen. Nur wenn wir die Mächte der Dunkelheit auch zur Kenntnis nehmen, kann sich Naturwissenschaft weiter entfalten, ohne sich selbst zum Opfer zu fallen. Das ist eine Problematik, welche die Naturwissenschafter mit ihrer Methodik allein nicht erfolgversprechend angehen können. Dazu brauchen wir Hilfe, unter anderen von der Philosophie und der Psychologie — nicht als akademische Beschäftigung, sondern als modus vivendi.
Hans Primas
Raum, Zeit und psychische Funktionen
Zusammenfassung
Der gesamte hier vorliegende Artikel kann als eine Sammlung von Variationen zum Thema Quaternität aufgefaßt werden, einem Schlüsselthema im Dialog zwischen Jung und Pauli. Vier psychische Funktionen, die in unterschiedlichen di-chotomen Schemata darstellbar sind, werden in mehrfache und nicht immer eindeutige Zusammenhänge mit vier Begriffen von Raum und Zeit gestellt, die sich ebenfalls durch verschiedene Dichotomien erzeugen lassen. Die gestreiften Themen sind philosophischer, physikalischer und psychologischer Natur. Die Perspektive ist einesteils historisch, anderenteils aber auch im Hinblick auf zeitgenössische Tendenzen der Wissenschaft ausgerichtet.
Harald Atmanspacher
Einiges zur Symmetrie und Symbolik der Zahl Fünf
Zusammenfassung
Im Bereich der Symbolik ganzer Zahlen ist derjenigen der Drei und der Vier von Carl Gustav Jung und Marie-Louise von Franz ein wesentlicher Teil ihres Werkes gewidmet worden [9]. Im nachfolgenden Beitrag geht es mir darum, auf die Bedeutung der Zahl Fünf hinzuweisen, wie sie historisch, in der modernen Physik und auch auf Fahnen als fünfzackiger Stern erscheint.1 Betrachtet man das berühmte Shri-Yantra-Mandala aus Nepal2 (Abb.l), um dessen zentralen Punkt (Bindu) vier Dreiecke in der einen Richtung, aber fünf in der anderen angeordnet sind, so erscheint ein solcher Versuch der Erweiterung erlaubt.
K. Alex Müller
Backmatter
Metadaten
Titel
Der Pauli-Jung-Dialog und seine Bedeutung für die moderne Wissenschaft
herausgegeben von
Dr. Harald Atmanspacher
Professor Hans Primas
Eva Wertenschlag-Birkhäuser
Copyright-Jahr
1995
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-79323-3
Print ISBN
978-3-642-79324-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-79323-3