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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

„Einfache“ soziale Dienstleistungen? – Komplexe Tätigkeitsanforderungen und Gesundheitsressourcen bei haushaltsnahen ambulanten Diensten

verfasst von : Stephanie Pöser, Guido Becke, Britta Busse, Cora Zenz

Erschienen in: Flexible Dienstleistungsarbeit gesundheitsförderlich gestalten

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Haushaltsnahe Dienstleistungen für hilfs- und pflegebedürftige Menschen werden oft als wenig anspruchsvolle Einfacharbeit betrachtet, weisen allerdings oft ein breites Tätigkeitsspektrum auf, das mit relativ hohen Anforderungen an die Interaktionsarbeit mit Kund*innen verwoben ist. Die Interaktionsarbeit kommt auf der einen Seite den arbeitsbezogenen Sinnansprüchen der Haushaltshilfen entgehen, stellt auf der anderen Seite aber eine psychische Belastungsquelle dar. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, welche Gesundheitsressourcen den Haushaltshilfen ermöglichen, sozio-emotionale Arbeitsanforderungen zu bewältigen. Betriebliche Gestaltungslösungen helfen hier alleine nicht weiter. Es bedarf einer symbolischen wie materiellen Aufwertung dieser systemrelevanten sozialen Dienstleistungsarbeit.

1 Einleitung

Ambulante haushaltsnahe Dienste fallen unter die sogenannte Einfacharbeit und sind bislang insbesondere hinsichtlich gesundheitlicher Ressourcen und Belastungen nur wenig erforscht. Im Projekt FlexiGesA wurde die Arbeitssituation der Hauswirtschaftskräfte bei einem sozialen Dienstleister, der ambulante Pflege und haushaltsnahe Dienste anbietet, in den Blick genommen. Hierbei wurde deutlich, dass die geleistete „Einfacharbeit“ sich bei näherer Analyse nicht als einfache – im Sinne von anspruchsloser – Arbeit zeigte, sondern durch vielfältige und komplexe wie interaktive Tätigkeitsstrukturen geprägt ist. Einfacharbeit greift daher als Konzept zu kurz, um den Charakter hauswirtschaftlicher sozialer Dienstleistungen zu erfassen.
Unter Einfacharbeit versteht man Arbeit, die keiner formalen Berufsausbildung bedarf (vgl. Abel et al. 2014; Bellmann et al. 2015). Es ist anzunehmen, dass auch Beschäftigte im Bereich mobiler haushaltsnaher Dienste – ähnlich anderer „einfacher“ Dienstleistenden, weitere, oft informelle Qualifikationen und Kompetenzen mitbringen müssen, um die Arbeit erfolgreich ausführen zu können (vgl. Panthel 2021).
Wir gehen in diesem Beitrag von folgenden Vorannahmen aus, die an Forschungsarbeiten von Bosch und Weinkopf (2011) anknüpfen:
  • Mitarbeitende mobiler haushaltsnaher Dienste bringen – wie viele Einfacharbeiter*innen anderer Branchen auch – wertvolle Erfahrungen aus vorherigen (beruflichen) Tätigkeiten, persönliche Kompetenzen bzw. Lebenserfahrung oder hohe soziale Kompetenzen mit, die sie erfolgreich ihre scheinbar ,einfache‘ Tätigkeit ausüben lassen.
  • Die Tätigkeit als Hauswirtschaftskraft ist durch Interaktionsarbeit geprägt. Neben den klassischen Tätigkeiten einer Haushaltshilfe, z. B. Reinigungsarbeiten oder Einkäufe, finden komplexe Interaktionsprozesse mit den vergleichsweise herausfordernden, hilfsbedürftigen Kund*innen statt, die aufseiten der Beschäftigten ein hohes Maß an Interaktionsarbeit erfordern.
Daraus resultierend gehen wir folgenden Forschungsfragen nach:
Inwieweit widersprechen Tätigkeitanforderungen der haushaltsnahen Dienstleistungen dem Bild von ,einfacher‘ Arbeit, die keine oder nur geringe formale Qualifikationen und Fähigkeiten erfordert?
Welche psychischen Belastungskonstellationen und Gesundheitsressourcen sind mit haushaltsnaher Dienstleistungsarbeit für pflege- und hilfsbedürftige Menschen in deren privater Häuslichkeit verbunden?
Im Beitrag werden zunächst die ambulanten hauswirtschaftlichen Dienstleistungen in Zusammenhang mit dem Konzept der Einfacharbeit betrachtet. Dabei werden bereits grundlegende Divergenzen zwischen dem Tätigkeitsspektrum der Hauswirtschaftskräfte und dem Begriff der Einfacharbeit aufgezeigt (Abschn. 2). Im Anschluss wird das methodische Vorgehen des Projekts vorgestellt sowie die für diesen Beitrag relevante Fallstudie (Abschn. 3). Abschn. 4 widmet sich den Überlegungen zur Personalauswahl im Fallbetrieb, wodurch verdeutlicht wird, welche Voraussetzungen Hauswirtschaftskräfte für ihre Arbeitstätigkeit mitbringen müssen und inwieweit der Betrieb sie dabei unterstützen kann. Der fünfte Abschnitt liefert einen Einblick in die tägliche Arbeit und damit auch in die Belastungen der Hauswirtschaftskräfte. Danach werden gesundheitliche Ressourcen und betriebliche Möglichkeiten, diese zu stärken, betrachtet (Abschn. 6). Der Beitrag schließt mit einem Fazit und Ausblick.

2 Einordnung ambulanter hauswirtschaftlicher Dienstleistungen

Hauswirtschaftliche Dienstleistungen werden der sogenannten Basis- oder Einfacharbeit zugezählt. In Deutschland lag der Anteil von abhängig Beschäftigten im Jahre 2018 in Basis- oder Einfacharbeit bei 16,5 % (BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018, S. 12). Darunter fällt u. a. die traditionelle, industrielle Einfacharbeit, bei der es in erster Linie auf Muskelkraft bzw. einfache körperliche Tätigkeiten ankommt (z. B. Fließbandarbeit). Daneben gibt es ,einfache‘ (soziale) Dienstleistungen, wie z. B. Liefer- und hauswirtschaftliche Dienste.
Zu Veränderungen in der industriellen Einfacharbeit schreiben Hassler et al. (2019, S. 149): „In Bezug auf die Belastungen war Einfacharbeit im Industriesektor in der Vergangenheit jedoch kaum je einfach, zunehmend ist sie es auch hinsichtlich der Komplexität der Aufgaben nicht mehr.“ Aber auch die einfachen sozialen Dienstleistungen sind „zunehmend technikgestützt und vernetzt“, und beinhalten „zudem häufig Interaktion mit Kund/innen und stellt damit hohe Anforderungen nicht nur an das äußere Auftreten und die Erscheinung, sondern auch an die Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit der Beschäftigten, die natürlich mit einem steigenden Bildungsniveau der Kund/innen auch zunehmen“ (Bosch und Weinkopf 2011, S. 175). Nicht selten geht sogenannte Einfacharbeit auch mit einer hohen Verantwortung einher, beispielsweise für die Sicherheit von Fahrgästen oder eine gute hauswirtschaftliche Versorgung und Unterstützung pflege- und hilfsbedürftiger Menschen. Diese Verantwortung kann psychisch belastend wirken, wenn z. B. hierfür Kompetenzen fehlen oder nur unzureichende Handlungsspielräume in der Arbeit bestehen (vgl. Karasek 1979).
Haushaltsnahe Dienstleistungen beziehen sich in unserem Fall primär auf Menschen, die allein (vorübergehend/kurzzeitig) nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag allein zuhause zu bewältigen. Die Finanzierung der haushaltsnahen Dienstleistungen ist im SGB XI geregelt. Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist mindestens Pflegegrad 1. Dann steht dem/der Hilfebedürftigen ein sogenannter Entlastungsbetrag in Höhe von 125 €/Monat zu. Ab Pflegegrad 2 steigen die möglichen Leistungsbeträge auf maximal 40 % des nach § 36 SGB IX für den jeweiligen Pflegegrad vorgesehenen Höchstleistungsbetrags. Bei den Kund*innen der ambulanten haushaltsnahen Dienste handelt es sich also um pflege- und hilfsbedürftige Menschen, die in ihrer Häuslichkeit unterstützt werden. Diese mobilen haushaltsnahen Dienstleistungen sind daher den sozialen Dienstleistungen zuzuordnen. Sie unterscheiden sich von hauswirtschaftlichen Erwerbstätigen, die für Menschen ohne besonderen Unterstützungsbedarf zur Alltagsbewältigung erbracht werden, wie z. B. Berufstätigen, die sich eine Haushaltshilfe leisten.
Hauswirtschaftskräfte arbeiten meist alleine in den Privathaushalten der Hilfsbedürftigen. Diese Form der Arbeit ist laut Geissler (2006) der am weitesten gehende Eingriff in das Privatleben bei Haushaltsdienstleistungen: „Hier ist – je nach Art der Arbeit – der Personenbezug mehr oder weniger eng; die Nähe zur Eigenarbeit der Arbeitgeber/innen ist offensichtlich und die Arbeit wird im privaten Raum und im Hinblick auf Bedürfnisse geleistet, die explizit als privat definiert werden“ (Geissler 2006, S. 202).
Im Vergleich zur ambulanten Pflege sind die Zeitspannen, die Hauswirtschaftskräfte bei und mit den Hilfsbedürftigen verbringen, deutlich länger; sie umfassen z. T. mehrere Stunden pro Arbeitseinsatz. Insgesamt weist die Interaktion mit den Hilfsbedürftigen auch eine höhere Intensität auf, da sie ihre Tätigkeit oft im Beisein der Kund*innen erbringen. Zudem hat die Arbeit von Pflegekräften primär die Pflege/Gesundheit im Fokus, während Hauswirtschaftskräfte eher den Alltag der Hilfebedürftigen organisieren und begleiten.
Die ambulante hauswirtschaftliche Versorgung wird in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegend auf die Versorgung der Kund*innen mit Lebensmitteln und das Reinigen der Wohnung reduziert. Neben diesen instrumentellen Tätigkeiten leisten Hauswirtschaftskräfte aber auch Interaktionsarbeit mit den pflege- und hilfsbedürftigen Kund*innen, wodurch die Arbeit deutlich herausforderungsreicher einzuschätzen ist als rein monologische Arbeitstätigkeiten (vgl. Hacker 2009). Häufig sind instrumentelle und interaktive Tätigkeitsanforderungen auch miteinander verwoben, etwa wenn die Haushaltshilfen während ihrer Tätigkeiten auf die emotionalen Befindlichkeiten der Kund*innen eingehen müssen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können.

3 Methodisches Vorgehen und Fallstudienbetrieb

Grundlage für diesen Artikel ist eine qualitative Erhebung in einem mittelgroßen Unternehmen, das ambulante Pflege und haushaltsnahe Dienste sowie Tagespflege anbietet. Der ambulante haushaltsnahe Dienst beschäftigt ca. 130 Mitarbeitende, davon acht Führungskräfte (Koordinator*innen), die jeweils in Zweierteams als Ansprechpartner*innen für die Hauswirtschaftskräfte sowie als Brücke zwischen den Mitarbeiter*innen und der Geschäftsleitung fungieren. Die Koordinator*innen sind überdies für Kund*innen und deren Angehörige bei der Vertragsgestaltung und bei Problemen in der Dienstleistungsbeziehung als Ansprechpersonen tätig.
Im Rahmen der Evaluation wurden folgende Gespräche geführt, protokolliert und qualitativ ausgewertet:
  • Drei Gruppendiskussionen (im Januar/Februar 2021 mit insgesamt 22 Teilnehmer*innen), in denen die Beschäftigten nach ihrem Selbstbild als Hauswirtschaftskräfte, ihren damit verbundenen Arbeitsaufgaben sowie Belastungen und Ressourcen befragt wurden.
  • Ein Interview mit der Geschäftsführung und der projektverantwortlichen Koordinatorin der hauswirtschaftlichen Dienste (im Februar 2021) und eine Gruppendiskussion mit den Koordinator*innen der hauswirtschaftlichen Dienste (im Februar 2021 mit sechs Teilnehmenden). Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Interviews war dabei die Sichtweise der Führungskräfte/Geschäftsführung auf die Hauswirtschaftskräfte und ihre Tätigkeit.
  • Ein Telefoninterview im Juli 2021, u. a. zum Thema „Auswahl von neuen Mitarbeitenden“ mit einer/einem weiteren Personalverantwortlichen des im Projekt beteiligten Unternehmens.
Außerdem wurde im Juni 2021 ein schriftlicher Kurzfragebogen zum Thema „Auswahl von neuen Mitarbeitenden“ von einer/einem Personalverantwortlichen des im Projekt beteiligten Unternehmens beantwortet.

4 Personalauswahl: Praktiken und Kriterien

Für eine Beurteilung von erforderlichen Kompetenzanforderungen der Haushaltshilfen – und damit der Einschätzung, ob die Tätigkeit als ,einfach‘ oder doch deutlich komplexer zu bewerten ist – erweisen sich bereits die (formellen und informellen) Einstellungsvoraussetzungen als aussagekräftig.
Eine formale hauswirtschaftliche Fachausbildung bildet im Fallstudienbetrieb keine Einstellungsvoraussetzung. Die befragten Personalverantwortlichen/Koordinator*innen des ambulanten haushaltsnahen Dienstleisters gaben an, frei bei der Einstellung neuer Mitarbeitender entscheiden zu können. Im Rahmen der qualitativen Erhebung beschreiben sie dann sehr verschiedenartige „Typen“, die aus ihrer Warte für die Arbeit als Hauswirtschaftskraft infrage kommen: So haben in diesem Unternehmen ca. 50 % der Hauswirtschaftskräfte eine abgeschlossene Berufsausbildung. Nur etwa 5 % der Beschäftigten weisen eine hauswirtschaftliche Ausbildung auf. „Typische“ Bewerber*innen sind u. a. Studierende, Mütter in Elternzeit, „klassische“ Hausfrauen, aber auch ehemalige Krankenpflegekräfte, die einen Arbeitsalltag mit höherer Arbeitsautonomie hinsichtlich Zeit und Aufgaben suchen. Zudem werden Förderprogramme der Arbeitsagentur in Anspruch genommen. Der hohe Anteil von Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung verweist darauf, dass die Koordinator*innen eine Berufsausbildung offenbar als einstellungsrelevantes Qualitätskriterium der Bewerber*innen werten. So sind der Abschluss einer Berufsausbildung und die berufliche Tätigkeitsausübung mit zugeschriebenen Eigenschaften, wie Zuverlässigkeit, Verantwortungsübernahme für die Arbeitsaufgaben sowie Durchhaltevermögen und Belastbarkeit konnotiert.
Obwohl gewiss ein Tätigkeitsschwerpunkt der Hauswirtschaftskräfte auf Hausarbeit und Reinigungstätigkeiten liegt, sind die Koordinator*innen des befragten Unternehmens bereits dazu übergegangen, die Beschäftigten als „Alltagsbegleiter*innen“ zu bezeichnen, weil diese Bezeichnung in ihren Augen eher die vielfältigen Inhalte der Arbeit abbildet:
„Ich finde dieser Begriff zeigt es ganz gut. Klar üben sie hauswirtschaftliche Tätigkeiten aus, aber sie machen auch ganz, ganz viel mehr, vor allem in Zeiten von Corona wird das halt unglaublich deutlich. Also, die alten Leute beispielsweise, also die Kunden, die alleine zuhause sind und die Person kommt dann. Der Mitarbeiter ist zwei Stunden oder so vor Ort. Klar reinigt er das Badezimmer oder die Küche. Aber er macht auch parallel ganz, ganz viel mit dem Kunden, unterhält sich, führt Gespräche irgendwie, geht auch auf die Bedürfnisse des Kunden ein oder auch die Sorgen in mancher Hinsicht irgendwie, gibt uns dann eine Rückmeldung. Also, das ist nicht einfach nur die Putzfrau, wenn ich das jetzt einfach mal ganz überspitze. Die leisten da schon wirklich irgendwie eine emotionale Arbeit.“
(Quelle: Gruppendiskussion mit den Koordinator*innen)
Aufgrund der vielfältigen Tätigkeitsanforderungen legen die befragten Führungskräfte bei der Auswahl neuer Mitarbeitender Wert auf allgemeine lebenspraktische Fähigkeiten: Hat die/der zukünftige Mitarbeitende Erfahrung im Umgang mit Menschen und kann einen Haushalt führen?
Zudem legt das Unternehmen Profile der Mitarbeitenden an. Hierfür finden vor Beginn der Tätigkeit Gespräche mit den Mitarbeitenden statt, in denen geklärt wird, welche Tätigkeiten oder welche Art von Kund*innen sie sich vorstellen können und wo sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen können. Das können z. B. Sprachkenntnisse sein, um eine gute Verständigung in Haushalten mit Kund*innen aus anderen kulturellen und sprachlichen Kontexten sicherzustellen. Darüber hinaus wird auch von Kompetenzen berichtet, die erst auf den zweiten Blick wertvoll für das Unternehmen sind: So beschäftigt das Unternehmen eine/n ehemalige/n Obdachlose*n und frühere Drogenabhängige*n, der/die einen anderen Zugang zu Kund*innen mit ähnlichen Erfahrungen findet und dort sehr gut einsetzbar ist, wo anderen Mitarbeitende keine Zugänge hätten.

5 Tätigkeitsanforderungen haushaltsnaher Dienstleistungen

In den Erhebungen wurden die Hauswirtschaftskräfte gebeten, ihre konkreten Arbeitstätigkeiten hinsichtlich Aufgabenvielfalt, Komplexität und Interaktionsanforderungen zu beschreiben. Es soll daran anschließend eine Bewertung vorgenommen werden, ob diese eine ,einfache‘ Arbeit kennzeichnen.
Kernaufgaben sind dabei typisch hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die insbesondere auch das Reinigen der Wohnung beinhalten.
„Das Putzen ist fast immer mit dabei und steht auch oft im Vordergrund, das muss man sagen, das muss klar sein. Aber trotzdem glaube ich, dass wir so viele Aufträge haben, wo die Leute schon so dement sind. Und das ist Verantwortung, wir müssen dahin gehen und nicht nur einen Tag einkaufen und den Einkaufszettel nehmen, sondern man muss auch bei ganz vielen in den Kühlschrank gucken, (…) ob sie jetzt noch ausreichend Sachen haben.“
(Quelle: Gruppendiskussion mit den Koordinator*innen)
Ambulante soziale Dienstleistungen werden in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals lediglich auf das Reinigen der Haushalte und die Versorgung der Hilfebedürftigen mit Lebensmitteln reduziert. Neben diesen Tätigkeiten leisten Hauswirtschaftskräfte jedoch weitere, wertvolle Arbeit, die sich über die Merkmale der Interaktionsarbeit (vgl. Böhle 2011; Böhle und Glaser 2006; Böhle und Weihrich 2020), wie in Abb. 1 dargestellt, beschreiben lassen:
Es findet Kooperationsarbeit (die Herstellung oder Aufrechterhaltung einer Kooperationsbeziehung) statt, indem die Beschäftigten eine Beziehung zu den Hilfsbedürftigen herstellen bzw. fortsetzen, die sie dabei unterstützt, die hauswirtschaftliche Arbeit im Sinne der Kund*innen auszuüben. So gilt es, eine Balance zwischen den eigenen Ansprüchen an die Arbeit sowie den Wünschen und Bedürfnissen der Kund*innen zu finden. Eine solche Balance herzustellen, erfolgt oft in Aushandlungsprozessen zwischen beiden Seiten, die sich auf die konkret zu leistende Arbeitstätigkeit oder aber deren Ausführungsmodalitäten beziehen kann. Der zeitlich längere Kooperationshorizont begünstigt die Herausbildung einer sozio-emotionalen Bindung zwischen beiden Seiten.
Gefühlsarbeit (die aufgabenbezogene Beeinflussung der Gefühle anderer): Die Hauswirtschaftskräfte berichten davon, dass sie ihre Arbeitstätigkeit mitunter erst aufnehmen oder fortsetzen können, wenn sie sich auf die aktuelle Situation bzw. die Befindlichkeiten der zu unterstützenden Personen einlassen, z. B. indem sie diesen Trost spenden, sie bei Ärgernissen beruhigen oder bei Traurigkeit auf andere Gedanken bringen. Die Gefühlsarbeit hat aus Sicht der Hauswirtschaftskräfte während der Coronakrise an Bedeutung gewonnen, da sie bei ihrer Arbeitstätigkeit auch verstärkt mit größeren Ängsten (z. B. vor Infektionen) und höherer Depressivität aufgrund zunehmender sozialer Isolation der Hilfs- und Pflegebedürftigen umgehen mussten.
Emotionsarbeit (Umgang mit den eigenen Emotionen) wird den Hauswirtschaftskräften vor allem abverlangt, wenn sie bei ihrer Arbeit eigene negative Emotionen verbergen, wie Ärger, Traurigkeit, Ekel. Das kann z. B. der Ekel vor besonders verunreinigten Räumlichkeiten sein, aber auch das Bewahren der Haltung, wenn Kund*innen beleidigend werden.
Subjektivierendes Arbeitshandeln (Umgang mit Unwägbarkeiten und Grenzen der Planung): findet sich in der Vielfältigkeit der Tätigkeit und der oft dynamischen Krankheitsverläufe der Kund*innen, auf die sich die Hauswirtschaftskräfte einstellen müssen. Das können z. B. auch psychische Erkrankungen der Hilfsbedürftigen sein, die deren Verhalten zum Teil unberechenbar macht.
Insgesamt zeigten die Gespräche mit den Hauswirtschaftskräften sowie den Führungskräften, dass eine Tätigkeit in ambulanten haushaltsnahen Diensten viele Aufgaben mit sich bringt, die weit über das Putzen und Haushaltführen hinausgehen. Die Hauswirtschaftskräfte berichten in den Gruppendiskussionen, dass ein wesentlicher Sinnbezug ihrer Arbeit in der Erfüllung sozialer Unterstützungs- und Kontaktbedürfnisse sowie in der Beziehungsgestaltung liegt:
„Also eine reine Putzfrau bin ich nicht, dann hätte ich mir auch irgendwo, weiß ich nicht, in irgendeiner Firma mich irgendwann einer Putzkolonne anschließen können und sagen können: Okay, da arbeite ich jetzt von acht bis 16 Uhr und lass dann die Sachen fallen. Und das wollte ich auch nicht. Also es ist gerade eben halt dieses, dass man halt zwischenmenschlichen Kontakt hat zu dem Kunden und ich auch die Zeit habe dafür.“
(Quelle: Gruppendiskussion Hauswirtschaftskräfte)
So berichteten die Befragten auch davon, dass sie die Hilfsbedürftigen in der Zeit, in der sie vor Ort sind, unterhalten. Dies bedarf in einzelnen Fällen auch zunächst der Herstellung eines Vertrauensverhältnisses. Dieser Wunsch spiegelt auch die Einstellung der Beschäftigten, dass die Arbeit nicht nur das Versorgen eines Haushalts beinhaltet, sondern auch die Beziehungspflege zu den Versorgten. Hierbei leisten die Hauswirtschaftskräfte z. T. Biografiearbeit in Bezug auf die hilfs- und pflegebedürftigen Menschen:
„Das war ein Mann, der nicht spricht, nie gesprochen hat. Mittlerweile weiß ich seine ganze Lebensgeschichte, ich habe seinen Knackpunkt gekriegt, sein Hobby Motorrad. Ich selber fahre auch Motorrad. Ich sage, ich fahre auch Motorrad und schon hatte ich ihn geknackt. Und schon hatten wir ein Gesprächsthema. Und jetzt, wenn ich komm, auch: Schön, dass du da bist.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Die Beziehungspflege und Unterhaltung der Kund*innen wird dabei von vielen Hauswirtschaftskräften als durchaus anforderungsreich beschrieben. Sei es aufgrund mangelhafter emotionaler Impulskontrolle der Kund*innen, aber auch aufgrund fortschreitender dementieller Erkrankungen:
„Und mit einer habe ich letztens Kniffel gespielt und das mache ich nie wieder. Und einen Würfel an den Kopf kriegen tut ganz schön weh, wenn sie verliert. Ja, da ist sie richtig wütend geworden und hat den geworfen und ich habe den aus Versehen abgekriegt. Alles klar, wir spielen jetzt etwas ohne Würfel.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Neben der Beziehungspflege und Unterhaltung der hilfsbedürftigen Kund*innen beschreiben die befragten Hauswirtschaftskräfte, dass sie oftmals Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltags leisten, z. B. indem sie ihre/n Kund*innen helfen sich gegen aggressive Verkaufsangebote zu wehren bzw., dass sie die Hilfsbedürftigen vor Dritten schützen und sie z. T. dadurch auch in ihrer Handlungsfähigkeit stärken:
„Und jetzt hatte ich mal neulich, das war, glaub’ ich, vorletzte Woche, da war auch wieder so vom Energieversorger, angeblich Strom und so weiter. Da hat sie das geschafft, trotz weil die Schlaganfallpatientin ist und Sachen vergisst. Und sie konnte das umsetzen, was ich gesagt habe. Ich habe sie mal alleine machen lassen. ‚Ja gut, nee, bin ich nicht daran interessiert.‘ Das hat mich in dem Moment gefreut. Ob das dann immer so ist, weiß ich nicht. Das sind so Lernprozesse für unsere Patienten.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Die Hauswirtschaftskräfte beschreiben in den Gesprächen sowohl dementiell erkrankte Kund*innen, als auch andere psychische Erkrankungen, mit denen sie sich in der Interaktionsarbeit mit Kund*innen auseinandersetzen müssen. Eine besondere Herausforderung stellen sogenannte „Messie-Haushalte“ für die Befragten dar. Mehrere Hauswirtschaftskräfte berichteten auch, dass sie es als ihre Aufgabe sahen, die Kund*innen zum Aufräumen zu bewegen bzw. sich gegen das Sammeln und Horten der Kund*innen durchzusetzen. Dies führt zu Diskussionen und Konflikten zwischen Hauswirtschaftskräften und Kund*innen.
„Ich hatte es auch schon, dass ich mit einem Messer bedroht wurde. (…) Die hat sich über eine Kleinigkeit so echauffiert, dass ich gedacht habe: Gleich hast du die, die erwürgt dich gleich irgendwie, springt jetzt gleich auf dich zu und würgt dich. Die war so außer sich wegen einer Kleinigkeit. (…) also das war auch so ein Messi-Fall. Und da lagen wirklich in der Küche die Maden rum und so weiter und so fort. Und da hat die sich so drüber aufgeregt und ich war wirklich das erste oder zweite Mal bei ihr, dass ich dann anschließend gesagt habe: ‚Es tut mir leid. Also wenn ich immer, (…) so eine Gratwanderung machen muss, was darf ich ihr sagen? Und was nicht? Wobei flippt die aus? Und da habe ich gesagt gehabt: Entschuldigung, das kann ich nicht. Also bei der möchte ich nicht noch einmal wieder hingehen.‘“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Insbesondere in der Corona-Pandemie wurde jedoch auch deutlich, wie wichtig der Kontakt zu den Hauswirtschaftskräfte für viele Kund*innen ist. Zum Selbstschutz waren die älteren und vorerkrankten Menschen in der Coronapandemie besonders aufgefordert, soziale Kontakte und Unternehmungen in der Öffentlichkeit zu reduzieren, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Die befragten Hauswirtschaftskräfte berichteten hier von starker Einsamkeit bis hin zu Selbstmordgedanken der betreuten Personen und davon, oftmals die wichtigsten bzw. einzigen Bezugspersonen für die Kund*innen zu sein. Die Ängste und Einsamkeit der Kund*innen versuchten die Hauswirtschaftskräfte im Rahmen ihrer Möglichkeiten aufzufangen. Sie leisten dabei einen wichtigen Beitrag zur psycho-sozialen Stabilisierung der Kund*innen – und zwar auf Basis von Interaktionsarbeit. Insgesamt wird eine gewisse Ambivalenz erkennbar: Interaktionsarbeit wird als eine Quelle der Sinnstiftung in der Arbeit, aber auch als Belastung erlebt.
„Das ist ja schon fast Vereinsamung. Wenn wir nicht da wären… Wie das Highlight der Woche. Ich sage ganz ehrlich, manche Menschen wären vielleicht schon gar nicht mehr da. Die können wir nur auffangen, wenn wir da sind. Und das ist jetzt aber durch Corona noch viel schneller.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
In den Befragungen wurde deutlich, dass die Hauswirtschaftskräfte die Belastungen ihrer Arbeit weniger in der Arbeitstätigkeit an sich (Reinigen, Putzen, Einkaufen) sehen, sondern vielmehr in der Interaktion mit den Kund*innen. Hierbei wurden wiederkehrend psychische Störungen der Kund*innen als Quelle großer Belastung genannt. Hier wird der Bedarf nach professioneller Hilfe bei Kund*innen erkannt, begleitet von der Einsicht, dass die eigenen Kompetenzen an dieser Stelle nicht ausreichend sind, um den Kund*innen angemessen zu begegnen. Insbesondere die Arbeit in Messie-Haushalten, aber auch allgemein „schwierige“ Kund*innen erschweren den Hauswirtschaftskräften die Arbeit. Hier übernehmen die Hauswirtschaftskräfte teilweise Verantwortung für Tätigkeiten, die weit außerhalb ihrer Möglichkeiten und Kompetenzen liegen.
„Dann habe ich auch schon mal eine Kundin, die war psychisch krank. Die sollte ich animieren (…). Zum Beispiel das war ein Messie-Haushalt. Also sowas kann auch passieren, die mit einbeziehen, ihr das wieder beibringen, dass man eben Ordnung hält. (…) Ist jetzt nicht so oft, weil das ist sehr, sehr, sehr, sehr anstrengend. Oder eine Frau, die hat alles gesammelt. Aber supersauber und superordentlich (…). Der Herd war zugedeckt, mit diesen ganzen Tüten von Brötchen. Der war mittlerweile dann so hoch, aber alles super sauber und ordentlich. Und da sollte ich denn ihr helfen, sich von so was zu trennen. Also das war mega, mega anstrengend. Das ging nicht, das war zu viel, also da muss eine andere, psychologische Betreuung her. Das war eine Nummer zu hoch, sag ich jetzt mal ganz ehrlich.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Aber auch gesundheitliche Beeinträchtigung der Kund*innen wurden als Belastung benannt, insbesondere wenn Kinder/jüngere Menschen aufgrund von schwerer Krankheit auf Hilfe angewiesen sind. Gleiches gilt auch, wenn die Hauswirtschaftskräfte merken, dass ihre Kund*innen z. B. Schmerzen haben oder sich der Gesundheitszustand verschlechtert. Hauswirtschaftskräfte bauen eine besondere Beziehung zu langjährigen Kund*innen auf, u. a. durch ihre sehr engen Arbeitszusammenhänge mit dem privaten Leben der Kund*innen. Dabei kann es mitunter eine Belastung darstellen, wenn „Kund*innen“ nach jahrelanger Beziehungsarbeit versterben oder sich ihre gesundheitliche Situation derart verschlechtert, dass sie die ambulante Dienstleistung nicht weiter in Anspruch nehmen. Der Umgang mit diesen existentiellen Fragen von Leid und Tod erfordert oftmals Emotionsarbeit von den Mitarbeitenden und kann die Hauswirtschaftskräfte auch psychisch belasten.
„Ja, wenn man liebe Leute hat. Sind ja auch Leute dabei, wo man dann anfängt, wenn man jetzt so lange da ist, wo eben halt die Betreuung schon zwei Jahre ist, ist das schon fast wie Familie, kann man sagen, ne? Man ist, wie gesagt, mitten drinnen. Und man verbringt manchmal mehr Zeit als die eigenen Kinder mit den Leuten. Und da hängt dann schon ‘ne Last drin.“
(Quellen: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Eben dieses persönliche Verhältnis kann aber auch die Gefahr entgrenzter Erwartungen an die Dienstleistungsarbeit bergen, wenn Kund*innen und deren Angehörige versuchen, die Hauswirtschaftskräfte auch zu Arbeiten zu bewegen, die vertraglich nicht vereinbart wurden und damit nicht in ihr Aufgabengebiet fallen. Hier berichten die Hauswirtschaftskräfte, dass es insbesondere bei einem guten persönlichen Verhältnis schwerfällt, zusätzliche Arbeiten abzulehnen:
„Ich finde es auch wichtig sich abzugrenzen. Umso länger man die Person kennt umso mehr versuchen die einen auch auszunutzen. (…) Manchmal fällt mir das auch schwer, wo ich denn Zuhause überleg: „Ich bin doch hier jetzt eigentlich auch keine Bedienung oder so.“ Oder Packesel auch manchmal beim Einkaufen oder so. Das ist schon nicht immer einfach: Wo fängt das Ausnutzen an?“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)

6 Gesundheitsressourcen der Hauswirtschaftskräfte

Die größten Belastungen der Hauswirtschaftskräfte resultieren aus „schwierigen“ bzw. psychisch erkrankten Kund*innen und Abgrenzungsproblematiken zwischen ihrer Arbeitsrolle und ihrer ethischen Wertehaltung gegenüber den Hilfsbedürftigen. Gleichzeitig werden die Kontakte und Interaktionen mit den Kund*innen aber auch als Gesundheitsressourcen der Hauswirtschaftskräfte erlebt.
Beschrieben wird das hier am Beispiel der großen Dankbarkeit, die den Hauswirtschaftskräften von vielen ihrer Kund*innen entgegengebracht wird:
„Ich finde, man kriegt ja auch ganz viel zurück, Dankbarkeit. Das ist auch wichtig. Ich habe auch in [einem höheren sozioökonomischem Stadtteil] gearbeitet. Tja, was soll ich sagen, ne? Das Gegenteil. Da ist sogar ein Glas Wasser verboten. Das ist so bei denen. Die nichts haben, die geben trotzdem. Diese Menschen, die sind so dankbar, die geben so viel zurück, das ist unbezahlbar.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Die Befragten berichten, dass sie bei ihrer Arbeit als Hauswirtschaftskräfte Zeit für die Kund*innen haben und sich mit den Menschen auseinandersetzen können. Schön sei es, wenn sie von den Kund*innen bereits freudig erwartet werden. Eine Teilnehmerin einer Gruppendiskussion zeigt den Kontrast zu ihrer vorherigen Beschäftigung in der Pflege auf. Die Dominanz vorgegebener Zeiten für Verrichtungen und fehlender Zeit für persönliche Zuwendung in der Pflege störte sie bei ihrer Arbeit. Außerdem wird die Abwechslung im Arbeitsalltag geschätzt: „Jeder Kunde tickt anders“. Eine andere Hauswirtschaftskraft hat festgestellt, dass es zwar anstrengend sei, bei Menschen mit leichter Demenz zu arbeiten, es aber auch Freude bringe, wenn diese sich in manchen Phasen wieder erinnern könnten.
„Eine andere Dame, die wird jetzt 88, die erzählt mir immer: ‚Ey ich war heute 10 Minuten auf mein Trittfahrrad.‘ Ich so: ‚Super, ich muss noch Staubwischen und Sie gehen in die Küche.‘ – Alles klar. Und dann kommt sie rein: ‚Frau (Name der Hauswirtschaftskraft), weißt du eigentlich, dass ich sechs Kinder habe?‘ – Sie hat vier. ‚Und geht’s denen gut?‘ – „Ja, super.“ Und verschwindet wieder mit dem Staubwedel und dann kommt sie wieder: ‚Frau (Name der Hauswirtschaftskraft), weißt du eigentlich, dass ich heute 20 Minuten auf dem Fahrrad war?‘ Ich so: ‚Echt? Bist du noch gar nicht kaputt? Aber wir müssen jetzt sauber machen.‘ Und dann kommt sie doch: ‚Du weißt, dass ich acht Kinder habe? Und dass zwei davon gestorben sind?‘ Ich so: ‚Was? Oh Gott, das tut mir wahnsinnig leid.‘ Und dann geht sie wieder raus. ‚Du weißt schon, dass ich vier Kinder habe?‘ Ich sag: ‚Ja, zwei Jungs, zwei Mädchen richtig?‘ – ‚Und dass ich zwei Männer hatte.‘ – ‚Ja und dass du früh Witwe geworden bist.‘ – ‚Nee, der ist erst vor Kurzem gestorben.‘ – Sie war 33 Jahre, als er gestorben ist. Also ich finde herrlich, wie sich die Geschichten dann, durch die Demenz auch, dann vergessen die auch immer wieder. Und ich finde es immer spannend, also in der Zeit, wenn ich da bin, stört es überhaupt nicht. Nur wenn ich jetzt rauskomme und vor der Tür stehe, denke ich so: ‚Mir raucht der Kopf.‘ Und das ist dann manchmal so.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Ähnlich wie bei dem beschriebenen Fall der Hilfestellung gegen Betrugsversuche wird hier deutlich, dass die geglückte Förderung der Entwicklung von Kund*innen für die Hauswirtschaftskräfte eine wertvolle Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist und damit auch eine personale Gesundheitsressource.
In unserer Fallstudie werden auch die betrieblichen Bedingungen, unter denen die Arbeit der Hauswirtschaftskräfte stattfindet, als Ressourcen wahrgenommen. Hierbei werden insbesondere die Koordinator*innen als Unterstützungsressourcen genannt. Bei Konflikten/Schwierigkeiten mit den Kund*innen berichten die Hauswirtschaftskräfte durchgängig von Unterstützung durch die Koordinator*innen sowie von Rückendeckung gegenüber Kund*innen. Wenn eine Hauswirtschaftskraft und ein/e „Kund*in“ nicht zueinander finden, werden die Kund*innen auch getauscht.
„Die gehen noch auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter ein. Da sind die Bedürfnisse der Kunden, aber man achtet eben halt auch darauf, dass es mir gut geht.“
(Quelle: Gruppendiskussionen der Hauswirtschaftskräfte)
Eine besondere Ressource besteht in der Möglichkeit, Kund*innen ablehnen zu dürfen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Kommt es zu Vorfällen, bei denen Hauswirtschaftskräfte sich angegriffen fühlen, können sie sich des Rückhalts der Koordinator*innen sicher sein. Grenzüberschreitungen müssen sie sich nicht gefallen lassen und sie dürfen Aufgaben ablehnen oder auch Kund*innen in ihre Grenzen verweisen. Die Gewissheit, die Koordinator*innen auch in solchen Situationen als zuverlässige Stütze im Hintergrund zu haben, vermittelt den Haushaltshilfen psychologische Sicherheit (vgl. Edmondson 2020) innerhalb ihres autonomen Alleinarbeitsfelds und erhöht zugleich ihre Arbeitszufriedenheit, wenn neue Kund*innen entsprechend ihrer Vorlieben und Abneigungen ausgewählt werden und sie sich ungerechte Behandlungen nicht gefallen lassen müssen.
„‚So, hier ist Frau (Name der Kundin), so und so tickt die, kannst du dir das vorstellen? Willst du dir das angucken?‘ Also echt, das wird man hier gefragt, wenn man da die Leute kriegt.“
(Quelle: Gruppendiskussion der Hauswirtschaftskräfte)
Die befragten Hauswirtschaftskräfte berichteten, dass sie Kund*innen ablehnen konnten, die eine zu große emotionale Belastung für sie darstellen, wie z. B. Haushalte mit schwerkranken Kindern oder Krankheitsbilder, die an die Krankengeschichte des eigenen, verstorbenen Lebenspartners erinnerten. Die befragten Führungskräfte berichteten von Hauswirtschaftskräften, die besonders gut bei bestimmten Krankheitsbildern der Kund*innen einsetzbar waren, weil sie z. B. gut mit dementen oder psychisch erkrankten Kund*innen umgehen konnten.
Positiv wird auch das hohe Maß an Arbeitsautonomie und Eigenverantwortung bei der Arbeit bewertet. Zeitliche Autonomie ermöglicht es den Hauswirtschaftskräften, Beruf und Privatleben gut zu vereinbaren, wenn sie nicht immer an feste Dienstpläne gebunden sind, sondern auch private Termine wahrnehmen können. Hier berichten die Befragten sowohl von Unternehmens- als auch von Kund*innenseite, dass Arbeitseinsätze bei Bedarf auch zeitlich flexibel verändert werden können.
Augenfällig kann auch die Alleinarbeit der Hauswirtschaftskräfte sowohl als Ressource als auch als Belastung betrachtet werden. Positiv bewerteten die Hauswirtschaftskräfte, dass sie vergleichsweise frei in der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit sind. Sie verfügen also neben der zeitlichen auch über sachliche Autonomie. Gleichzeitig geht mit Alleinarbeit aber auch die Übernahme von Verantwortung einher, wenn z. B. schnell Entscheidungen getroffen werden müssen oder die angemessene Reaktion auf ein Verhalten der Kund*innen erfolgen muss. Zu nennen wären hier eintretende medizinische Notfälle oder übergriffiges Kund*innenverhalten.
Dennoch kommt es für die Hauswirtschaftskräfte immer wieder zu stark emotional belastenden Situationen, z. B. wenn Kund*innen versterben. Hier stellt kollegiale Unterstützung eine zentrale Bewältigungsressource dar, die in unserem Betriebsfall gezielt durch regelmäßige Dienstbesprechungen gefördert wird, in denen den Haushaltshilfen auch Raum für kollegialen Austausch über ihre Arbeitssituation geboten wird. In den Dienstbesprechungen treffen sich alle Hauswirtschaftskräfte eines Bezirks mit ihren Koordinator*innen, um sich miteinander auszutauschen. Dabei wird das Zugehörigkeitsgefühl zum Betrieb und den Kolleg*innen, das ansonsten bei Alleinarbeit schwer herzustellen ist, gefördert.

7 Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass von „Einfacharbeit“ im Sinne von anspruchsloser Tätigkeit bei den untersuchten haushaltsnahen Dienstleistungen nicht die Rede sein kann. Vielmehr zeigte sich, dass neben der zu verrichtenden Hausarbeit zum Teil komplexe dialogisch-interaktive Erwerbsarbeit geleistet wird, die ein hohes Maß an zwischenmenschlicher Kompetenz erfordert. Die Belastungen und Ressourcen liegen weniger in den instrumentellen Arbeitstätigkeiten als in der Interaktionsarbeit mit den Kund*innen.
Die Thesen aus der Einleitung sehen wir bestätigt: Formale Qualifikationen sind bei der Auswahl der Hauswirtschaftskräfte in unserem Fallbeispiel nicht zentral, wenngleich eine Berufsausbildung durchaus ein einstellungsrelevantes Qualitätskriterium der Bewerber*innen ist. Es spielen aber insbesondere Lebenserfahrung, Kompetenzen im Umgang mit Menschen und in schwierigen sozialen Situationen eine entscheidende Rolle, die Arbeit erfolgreich durchzuführen. Interaktionsarbeit prägt die Tätigkeit der Hauswirtschaftskräfte. Zwar ist das Reinigen der Wohnung eine zentrale Aufgabe der Hauswirtschaftskräfte, doch spielen sich neben dieser Tätigkeit außergewöhnlich viele und intensive Interaktionsprozesse mit den Kund*innen ab, die für die Ausführung ihrer Primäraufgabe wesentlich sind. Für die Bewältigung der sozio-emotionalen Anforderungen der Interaktionsarbeit sind Ressourcen auf der betrieblichen Ebene wichtig: Neben der sozialen Unterstützung durch die direkten Führungskräfte und den neu geschaffenen Möglichkeiten des kollegialen Austausches ist vor allem der gewährte Interaktionsspielraum der Beschäftigten im Umgang mit Kund*innen bedeutsam, z. B. ,schwierige Kund*innen‘ auch ablehnen zu können, ohne Nachteile befürchten zu müssen (vgl. Dormann et al. 2002).
Zukünftig ist weiteres Wachstum in diesem Bereich zu erwarten. Dies wird mittelfristig zu der Notwendigkeit in den Unternehmen – zumeist aus der Pflege – führen, diesen Bereich stärker zu professionalisieren. Das im Rahmen des FlexiGesA-Projektes beobachtete Unternehmen weist bereits ein hohes Maß an Professionalisierung der ambulanten Hauswirtschaft auf. Mit steigenden Mitarbeitenden- und Kund*innenzahlen kann die Arbeit nur dann im Sinne aller Beteiligten durchgeführt werden, wenn die Arbeitsbedingungen der Haushaltshilfen gesundheitsgerecht gestaltet sind und mit Maßnahmen der Kompetenzentwicklung verbunden werden. Das FlexiGesA-Projekt hat hierzu innovative Ansätze entwickelt und erprobt (z. B. Arbeitssituationsanalysen für mobile Alleinarbeitende), die auch für andere Unternehmen dieser Teilbranche sozialer Dienste Ansatzpunkte für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung bieten (siehe den Beitrag von Garbers in diesem Band).
Hauswirtschaftskräfte leisten einen wichtigen gesellschaftlicher Beitrag zur Ambulantisierung im Gesundheitswesen und helfen somit, kranke und hilfebedürftige Menschen (länger) in ihrer gewohnten Umgebung zu belassen. Das hat sowohl finanzielle Vorteile für das Sozialsystem als auch persönliche Vorteile für die pflege- und hilfsbedürftigen Menschen, indem ihnen ein größtmöglicher Autonomiespielraum bei der Lebensgestaltung durch den Verbleib in den eigenen vier Wänden erhalten bleibt.
Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene erscheint eine symbolische wie materielle Aufwertung dieser Erwerbsgruppe vonnöten. Dazu gehört, dass aufgezeigt wird, wie wichtig und systemrelevant ,einfache‘ soziale Dienstleistungen für das Funktionieren einer Gesellschaft sind. Dazu ist auch eine monetäre Aufwertung der Tätigkeit nötig, die die gesellschaftliche Wichtig- und Wertigkeit dieser Dienstleistungsarbeit demonstriert.
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Literatur
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Metadaten
Titel
„Einfache“ soziale Dienstleistungen? – Komplexe Tätigkeitsanforderungen und Gesundheitsressourcen bei haushaltsnahen ambulanten Diensten
verfasst von
Stephanie Pöser
Guido Becke
Britta Busse
Cora Zenz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37055-8_4

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