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2009 | Buch

Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht

verfasst von: Raphael Vergho

Verlag: Centaurus Verlag & Media

Buchreihe : Studien zum Wirtschaftsstrafrecht

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

§ 1. Einleitung
Zusammenfassung
Wie verstehen Verbraucher den Werbeaufdruck auf Eiskremriegeln „+10%“, wenn die Größe des Aufdrucks im Verhältnis zum Riegel deutlich mehr als 10% beträgt?1 Verbindet der Verbraucher mit der Bezeichnung „Lifting“ für eine Creme Assoziationen zu einem operativen Lifting?2 Ruft der Vertrieb eines Kosmetikums unter der Bezeichnung „Clinique“ bei den Verbrauchern eine klinische Konnotation vor?3 Wo bei derartigen Aussagen die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Produktvermarktung liegt, hängt entscheidend davon ab, auf welchen Verbrauchertyp man abstellt, da Verbraucher als Individuen Werbeangaben höchst unterschiedlich interpretieren. Unverständige Verbraucher werden produktbezogene Aussagen eher falsch verstehen als verständige und informierte Verbraucherschichten. Interessant ist hierbei, dass sich insoweit jahrelang die Verbraucherleitbilder des BGH und des EuGH diametral gegenüberstanden. Während die deutsche Rechtsprechung traditionell als Maßstab der Verbrauchererwartung das Verbraucherleitbild eines „flüchtigen Verbrauchers“ zugrunde legte, folgte der EuGH dem eines „verständigen Verbrauchers“.
Raphael Vergho

Abstrakte Betrachtung des Maßstabs der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht

§ 2. Das Verbraucherschutzstrafrecht
Zusammenfassung
Der Begriff „Verbraucherschutzstrafrecht“ findet sich — soweit ersichtlich — nur bei Tiedemann.1 Dieser sieht das Strafrecht zum Schutze der Verbraucher zentral im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (seit dem 07.09.2005 abgelöst durch das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch) geregelt, das bereits im Vorfeld gegen Täuschung und Irreführung einerseits und Gesundheitsgefährdung andererseits schütze. Diese Materie werde durch das Weingesetz ergänzt und durchgehend vom EG-Recht überlagert.2 Unter dem Stichwort „Verbraucherschutz“ wird außerdem in der strafrechtlichen Literatur regelmäßig auf bestimmte Gesetze des Nebenstrafrechts verwiesen. Dem strafrechtlichen Verbraucherschutz zugerechnet wird insofern üblicherweise das UWG3 sowie das Arzneimittelgesetz4 und das Heilmittelwerbegesetz.5 Neben diesen „Spezialgesetzen“ im Nebenstrafrecht werden aber auch allgemeine Straftatbestände wie die Körperverletzung und der Betrug sowie die speziellen Tatbestände des Kapitalanlagebetruges bei der betrügerischen Einwerbung von Kapital (§ 264 a StGB), der Kurs- und Marktmanipulation, der Insiderhandel und die Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften im Börsen- und im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) als Straftatbestände angesehen, die dem Verbraucherschutz dienen.6 Zugeordnet werden die Delikte gegen Verbraucher üblicherweise dem Wirtschaftsstrafrecht und kriminologisch der Wirtschaftskriminalität.7 Fraglich ist, ob das Verbraucherschutzstrafrecht nicht unabhängig von dem bloßen Verweis auf einzelne Straftatbestände abstrahiert und dadurch definiert werden kann.
Raphael Vergho
§ 3. Die Verbrauchererwartung
Zusammenfassung
Einer der zentralen Begriffe des Verbraucherschutzstrafrechts ist die Verbrauchererwartung. Insbesondere im Bereich der Irreführungstatbestände kommt dieser eine entscheidende Bedeutung für die Rechtsanwendung zu.1
Raphael Vergho
§ 4. Das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers als Maßstab der Verbrauchererwartung
Zusammenfassung
Nachdem oben herausgearbeitet wurde, dass es für die Beurteilung der Verbrauchererwartung eines Maßstabs bedarf, da die Verbrauchererwartung der einzelnen Verbraucher höchst unterschiedlich ausfallen kann, ist nachfolgend zu untersuchen, welcher Maßstab der Bestimmung der Verbrauchererwartung zugrunde zu legen ist.
Raphael Vergho
§ 5. Die europarechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung des Leitbildes eines verständigen Durchschnittsverbrauchers im Strafrecht
Zusammenfassung
Wie oben gezeigt, hat das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers einen gemeinschaftsrechtlichen Ursprung.1 Im Hinblick auf die Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht stellt sich deswegen die Frage, inwieweit das Europarecht das nationale Strafrecht zur Berücksichtigung des Leitbildes eines verständigen Durchschnittsverbrauchers zwingt.
Raphael Vergho
§ 6. Die Geeignetheit des Leitbildes eines verständigen Durchschnittsverbrauchers als strafrechtlicher Maßstab?
Zusammenfassung
Die Entscheidungen des EuGH und BGH zum Leitbild des durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers betrafen nicht das Strafrecht, sondern ergingen zu wettbewerbs- oder verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Ob und inwieweit dieses Leitbild sich auch als strafrechtlicher Maßstab eignet, ist deswegen fraglich. Es ist nämlich nicht ohne weiteres möglich, einen Maßstab, der im Privat- und Verwaltungsrecht entwickelt wurde, unbesehen auf das Strafrecht zu übertragen, da hierbei die Gefahr besteht, dass wesentliche Unterschiede in der Zwecksetzung der zivil- bzw. verwaltungsrechtlichen und der strafrechtlichen Normensysteme unberücksichtigt bleiben. Die zivilrechtliche Anspruchslegung beispielsweise dient dem privatwirtschaftlichen Interessenausgleich fir Fälle, in denen private Interessen verletzt werden. Anknüpfungspunkt für die rechtliche Entscheidung im Wettbewerbsrecht ist etwa die Interessenlage der am Wettbewerbsmarkt Teilnehmenden. So wird über das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers ein Ausgleich zwischen den Interessen der Werbenden auf der einen Seite und der Interessen der angesprochenen Verbraucher auf der anderen Seite gesucht.1 Bei strafrechtlichen Sanktionen geht es demgegenüber nicht um einen Interessenausgleich, sondern um den Schutz von Rechtsgütern. Soweit dies auch zum Schutz von privaten Interessenbereichen führt, ist dies eine mittelbare Folge.2 Im Gegensatz zum Privatrecht pflegt Strafrecht im Übrigen auch nicht als Richterrecht aus Generalklauseln hervorzuwachsen.3 Das Verwaltungsrecht ist schließlich in die Zukunft gerichtet, während das Strafrecht zwar auch präventiv, jedoch (an die Vergangenheit anknüpfend) mit den Mitteln der Repression eingreift.4 Es ist somit notwendig, das dem Wettbewerbs- und Verwaltungsrecht entstammende Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers auf dessen strafrechtliche Eignung hin zu überprüfen.
Raphael Vergho

Konkrete Betrachtung des Maßstabs der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht

§ 7. Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Wettbewerbsstrafrecht
Zusammenfassung
Da das Leitbild eines verständigen Durchschnittsverbrauchers dem zivilrechtlichen Wettbewerbsrecht entstammt,1 bietet es sich an, die konkrete Betrachtung des Maßstabs der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht beim „Wettbewerbsstrafrecht“ zu beginnen. Unter Wettbewerbsstrafrecht ist in diesem Zusammenhang dasjenige Strafrecht zu verstehen, das dem Wettbewerbsrecht zugeordnet wird, ohne dass hiermit eine Aussage über das geschützte Rechtsgut getroffen wird. Die strafbare Werbung nach § 16 Abs. 1 UWG sowie der strafrechtliche Schutz geographischer Herkunftsangaben nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG sind hierbei diejenigen Tatbestände, bei denen das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers im Wettbewerbsstrafrecht Auswirkungen haben kann, weil die Irreführungseignung einer Angabe bei beiden Delikten Tatbestandsmerkmal ist.
Raphael Vergho
§ 8. Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Lebensmittelstrafrecht
Zusammenfassung
Das Lebensmittelstrafrecht ist zentrales Verbraucherschutzstrafrecht.1 Insbesondere der Schutz der Verbraucher vor Täuschungen beim Verkehr mit Lebensmittel spielt hierbei eine große Rolle.2 Es stellt sich deswegen in besonderem Maße im Lebensmittelstrafrecht die Frage, inwieweit sich das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers auf die Irrefiihrungstatbestände strafrechtlich auswirkt.
Raphael Vergho
§ 9. Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Heilmittelwerbestrafrecht
Zusammenfassung
Durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) sollen die angesprochenen Verbraucher vor unrichtiger und unsachlicher Beeinflussung im Bereich der Heilmittelwerbung bewahrt werden.1 Dies gilt auch für den heilmittelwerberechtlichen Irrefiihrungstatbestand. Inwieweit sich das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers hierbei auswirkt, ist insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit dieses Leitbildes mit dem bei Heil- und Arzneimittelwerbung vertretenen „Strengeprinzip“ ungeklärt.
Raphael Vergho
§ 10. Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Arzneimittelstrafrecht
Zusammenfassung
Das Arzneimittelrecht ist systematisch als Nebenstrafrecht konzipiert.1 Im Arzneimittelgesetz werden nämlich sämtliche Ge- und Verbote nahezu flächendeckend strafrechtlich sanktioniert. Dies gilt auch für das Verbot Arzneimittel unter irreführender Bezeichnung in den Verkehr zu bringen.
Raphael Vergho
§ 11. Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Betrugsstrafrecht
Zusammenfassung
Der Betrugstatbestand ist ein Irreführungstatbestand, der zur Tatbestandsverwirklichung neben weiteren Voraussetzungen eine Täuschung durch den Täter und einen Irrtum beim Opfer erfordert. Er ist Kommunikationsdelikt und grenzt als eine der zentralen Vorschriften des Strafgesetzbuches erlaubte von verbotener Geschicklichkeit bei der Erlangung von materiellen Vorteilen ab. Wo im Einzelfall die Grenze des strafbaren Verhaltens liegt, ist jedoch sowohl rechtspolitisch als auch dogmatisch umstritten.1 Fraglich ist, ob nicht über das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers die Grenze präzisiert werden kann.
Raphael Vergho
§ 12. Schlussbetrachtung
Zusammenfassung
Aufgrund einer Europäisierung und Vermehrung der Produktangebote steigen die Anforderungen an den Verbraucher, sich im geschäftlichen Verkehr zu Recht zu finden, stetig. Der Verbraucher kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Vielmehr geht mit ihr die Verpflichtung einher, sich an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Anders wäre die Öffnung der Märkte für ausländische Produkte nicht durchsetzbar, die dem Verbraucher durch mehr Wettbewerb und günstigere Preise auch viele Vorteile bietet. Durch das Abstellen auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers wird dieser Entwicklung in rechtlicher Hinsicht Rechnung getragen, da aufgrund dessen normativer Ausgestaltung die geänderten Verhältnisse Berücksichtigung finden und ins nationale Recht transformiert werden können. Dass bestimmte Verbraucherschichten diesem Leitbild nicht entsprechen, ist nicht zu vermeiden. Das Informationsbedürfnis der Verbraucher geht insoweit der Schutzwürdigkeit unverständiger Verbraucher vor.
Raphael Vergho
Backmatter
Metadaten
Titel
Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht
verfasst von
Raphael Vergho
Copyright-Jahr
2009
Verlag
Centaurus Verlag & Media
Electronic ISBN
978-3-86226-335-6
Print ISBN
978-3-8255-0731-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-86226-335-6

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