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2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

Repräsentation sozialer Strukturen im Wissen

Dokumentarische Methode und Habitusrekonstruktion

verfasst von : Michael Meuser

Erschienen in: Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Zusammenfassung

Die für das Alltagswissen typische Haltung, sich die Welt in Gestalt binärer Oppositionen zu erklären, ist auch in der Soziologie nicht unbekannt. Hier begegnet man einem solchen Denken z.B. in der Gegenüberstellung von Mikro- und Makrosoziologie oder von qualitativen und quantitativen Methoden. Im Sinne klarer Zuständigkeiten werden die qualitativen Verfahren vielfach der Mikro- und die quantitativen der Makrosoziologie zugeschlagen.

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Fußnoten
1
Die Fokussierung der Verstehensleistungen der Akteure scheint in den jüngeren Arbeiten ein stärkeres Gewicht als in den älteren zu haben, wie etwa der Vergleich von „Das Elend der Welt“ (Bourdieu et al. 1997) und „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1982) zeigt. Da es nicht meine Absicht ist, eine werkskritische Rekonstruktion der Entwicklung der Bourdieuschen Soziologie vorzunehmen, werde ich solche Verschiebungen des Fokus nicht zum Gegenstand einer systematischen Betrachtung machen.
 
2
Auch Mannheim (1964a, 122 f., 128) bezieht sich auf Panofsky und verdeutlicht anhand von dessen Begriff des „Kunstwollens“ sein Konzept des dokumentarischen Sinngehalts. Umgekehrt greift Panofsky das Konzept des Dokumentsinns bei Mannheim auf (vgl. dazu auch den Beitrag von Bohnsack zur Bildinterpretation i. d. Band.).
 
3
„Ein Bewusstsein durch den Körper, das ein praktisches Begreifen der Welt ermöglicht, das sich völlig unterscheidet von dem intentionalen Akt des bewussten Entzifferns, das man gewöhnlich mit dem Begriff des Begreifens verbindet.“
 
4
Mit dieser Bestimmung unterscheidet sich Bourdieus Verständnis von Sinnverstehen deutlich von dem Schütz‘schen, demzufolge Sinn erst in expliziten Auslegungsvorgängen erzeugt wird, welche sich rückblickend der gerade abgelaufenen Handlung zuwenden (vgl. Schütz 1974, 93 ff.). Zur Differenz der Sinnbegriffe vgl. Meuser 2006.
 
5
Bourdieu knüpft hier an Merleau-Pontys Versuch einer Überwindung des cartesianischen Dualismus von Geist und Körper an (s. u.).
 
6
In eine ähnliche Richtung zielt der Einwand von Reckwitz (2000, 309), Bourdieus Versuch, Habitusschemata über eine soziale Kapitalstruktur zu erklären, sei problematisch, „da Bourdieu es durchgängig versäumt, ‚sinnadäquat‘ verstehbare Mechanismen anzugeben, auf deren Weg sich bestimmte Kapitalausstattungen in die Genese bestimmter Habitus ‚umsetzen‘ sollen“.
 
7
Bourdieu plädiert für eine soziale Nähe des Interviewers zu den Interviewten, die er – im „Elend der Welt“ – dadurch zu erreichen versuchte, dass er den Interviewern die Möglichkeit gab, „ihre Interviewpartner unter ihren Bekannten oder Leuten, denen sie durch Bekannte vorgestellt werden konnten, auszuwählen“ (Bourdieu 1997c, 783). Dadurch werde u. a. „sichergestellt, daß ein unmittelbares und ständig neu hergestelltes Einverständnis hinsichtlich der Vorverständnisse zu den Inhalten und Formen der Kommunikation besteht“. Die für die Forschungskommunikation charakteristische Spannung von Fremdheit und Vertrautheit – wobei je nach sozialer Nähe oder Ferne von Forscher und Untersuchungsperson der eine oder der andere Pol überwiegt – wird in Richtung Vertrautheit aufzulösen versucht. Auf diese Weise wird die Differenz zwischen (intuitivem) Verstehen, das nur auf der Basis sozialer Nähe gelingen kann, und (methodisch kontrollierter) Interpretation eingeebnet, die der Einklammerung von Vorverständnissen, mithin der Distanz bedarf.
 
8
Die rekursive Suchbewegung beschreibt Garfinkel (1973, 199) folgendermaßen: „Nicht nur wird einerseits das zugrundeliegende Muster von seinen individuellen dokumentarischen Belegen abgeleitet, sondern umgekehrt auch werden die individuellen dokumentarischen Zeugnisse auf der Grundlage dessen interpretiert, ‚was bekannt ist‘ über das zugrundeliegende Muster. Jede der beiden Seiten wird benutzt, um die je andere auszuarbeiten.“
 
9
Auch Garfinkel würde nicht bestreiten, dass die dokumentarische Interpretation im Alltagshandeln überwiegend Teil des Routinehandelns ist – Garfinkel hat die „Krisenexperimente“ ja gerade deswegen durchgeführt, um anhand der Normalisierungsbemühungen, mit denen die Handelnden auf eine Störung üblicher Ereignisabläufe reagieren, die ansonsten verborgenen Mechanismen der Herstellung von Ordnung entschlüsseln zu können -, seine Beschreibung der interpretatorischen Leistungen der Akteure verwendet jedoch eine kognitivistische Begrifflichkeit, die deutlich anzeigt, dass ein Bezugsrahmen der Ethnomethodologie die Schütz‘sche Protosoziologie ist.
 
10
Eine konsequente Umsetzung dieser Forschungsintention ist die ethnomethodologische Konversationsanalyse (vgl. Eberle 1997).
 
11
Diese Feststellung schließt nicht aus, dass die empirischen Studien zum „doing gender“ vielfältige und aufschlussreiche Beschreibungen geschlechtstypischer Unterschiede enthalten. Wie auch die kriminologischen Untersuchungen der Ethmomethodologie deutliche Hinweise darauf enthalten, in welcher Weise Milieudifferenzen im „doing justice“ bedeutsam werden.
 
12
Die Ethnomethodologie bleibt damit gewissermaßen dem Regelverständnis verhaftet, das diejenigen soziologischen Theorien kennzeichnet, gegen die sich die Ethnomethodologie als Antipode positioniert hat. Das – gegen das sog. „normative Paradigma“ gerichtete – Insistieren, Aufgabe der Soziologie sei es, den Regelgebrauch („norm in use“; Churchill 1971, 184) zu untersuchen, statt eine verhaltensdeterminierende Kraft sozialer Regeln anzunehmen, ist auf inhaltliche, für ein bestimmtes soziales Feld gültige Regeln gerichtet. Cicourel (1973) hat mit seiner Unterscheidung von Basisregeln und normativen Regeln einen darüber hinausgehenden Vorschlag gemacht, der allerdings keinen nachhaltigen Einfluss auf die Ethnomethodologie hat ausüben können.
 
13
Siehe dazu den Beitrag von Nohl i. d. Band.
 
14
Hier sind auch Differenzen zu einer anderen wissenssoziologisch orientierten rekonstruktiven Methodologie gegeben, zu der in der Tradition der Schütz‘schen Protosoziologie stehenden „hermeneutischen Wissenssoziologie“. Diese Differenzen habe ich an anderer Stelle ausführlich erörtert (vgl. Meuser 1999).
 
15
Auch das lässt sich mit der phänomenologischen Leibphilosophie Merleau-Pontys begründen. Wie Coenen (1979, 246) darlegt, versteht Merleau-Ponty die „Leiblichkeit als die verbindende Stelle“ zwischen ego und alter. In der Leiblichkeit gründet die „gemeinsame Zugehörigkeit zur Welt“ (ebd., 247). Im Anschluss an Merleau-Ponty und auch an George Herbert Mead begreift Coenen den „Funktionszusammenhang von leiblichen Bewegungen“ als den „Zusammenhang, von dem her wir einander und uns selbst verstehen“ (ebd., 255).
 
16
Eine Soziologie der Bewegung verschiebt, so Klein (2004: 138) „die Perspektive von der Intentionalität der Handlung als einen gedanklichen Vorgang zu der Materialität des Handelns als einen Bewegungsakt“. Studien, die mit der dokumentarischen Videoanalyse arbeiten, um habitualisierte Handlungs- und Körperpraktiken zu rekonstruieren, wurden inzwischen von Wagner-Willi (2005) und Nentwig-Gesemann (2006) vorgelegt (vgl. auch Nentwig-Gesemann/Wagner-Willi 2006).
 
Metadaten
Titel
Repräsentation sozialer Strukturen im Wissen
verfasst von
Michael Meuser
Copyright-Jahr
2013
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-19895-8_10

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