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2000 | Buch

Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht

Zur Entwicklung einer neuen Europäischen Verwaltungsstruktur

verfasst von: Dr. jur. Hans Christian Röhl

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Im Herzstück des europäischen Vereinigungsprozesses, der Warenverkehrsfreiheit, hat die EU auf der Basis der "Neuen Konzeption" und des "Globalen Konzepts" mit dem System der Akkreditierung und Zertifizierung eine europäische Verwaltungsstruktur geschaffen. Deren tragendes Element bilden Private, die als Benannte Stellen im Wege der Zertifizierung über die Marktzulassung von Produkten entscheiden. Die mitgliedsstaatlichen Verwaltungen bilden nur noch einen rechtsstaatlichen Ankerpunkt. Akkreditierung und Zertifizierung werden als neue Institute des europäischen Verwaltungsrechts in der deutschen Rechtsordnung beschrieben und anhand verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Grundsätze analysiert. Das neue europäische Produktzulassungsrecht liefert damit einen weiteren Baustein für ein europäisches Verwaltungsrecht.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Verwaltung in der Europäischen Union bedeutet nach wie vor vorrangig Verwaltung durch mitgliedstaatliche Administrationen mit ihren unterschiedlichen, durch Recht, Organisation und Kultur geprägten Strukturen. Eigene Verwaltungskompetenzen der EG-Organe („Eigenverwaltung“) bleiben nicht zuletzt aus Gründen der Subsidiarität die Ausnahme. Für die Durchsetzung europäischen Rechts stellt dies ein ernsthaftes Problem dar, weil der Vollzug die Verwirklichung des Normzwecks wesentlich determiniert und die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Verwaltungsstrukturen aus rechtlichen und politischen Gründen noch in weiter Ferne steht. Angesichts dessen erstaunt es nicht, daß die EU im Herzstück des europäischen Vereinigungsprozesses, der Warenverkehrsfreiheit, eine genuin europäische Verwaltungsstruktur geschaffen hat. Deren tragendes Element bilden Private, die als „Benannte Stellen“ über die Marktzulassung von Produkten abschließend und bindend entscheiden. Die staatlichen Verwaltungen bilden für diese Benannten Stellen nur noch einen Ankerpunkt, der ihre Gemeinwohlausrichtung garantiert. Die Identifikation einer solchen europäischen Verwaltungsstruktur fordert die Dogmatik des öffentlichen Rechts heraus; dieses Phänomen verweigert sich vor allem einer Skala, die allein zwischen den Polen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung aufgespannt ist, weil bzw. soweit diese die europäische Dimension nicht berücksichtigt. Verläßt man jedoch eine solche dualistische Sichtweise, dann läßt sich die europäische Produktzulassung anhand grundgesetzlicher und europarechtlicher Grundaussagen analysieren.
Hans Christian Röhl
A. Das Produktsicherheitsrecht nach Neuer Konzeption und Globalem Konzept
Zusammenfassung
Das in diesem Abschnitt vorgestellte System des Produktsicherheitsrechts auf der Grundlage der „Neuen Konzeption“1 und des „Globalen Konzepts“2 dient als Harmonisierungsmaßnahme zur Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 [30 a.F.] EGV, indem es Herstellern ermöglicht wird, ihre Produkte europaweit zu vertreiben. Ohne eine solche Harmonisierung fänden die eigenen Produktsicherheitsnormen der Mitgliedstaaten Anwendung. Jeder Mitgliedstaat könnte dann aus Gründen des öffentlichen Interesses i.S.d. Art. 30 [36 a.F.] EGV bzw. zwingenden Erfordernissen i.S.d. Cassis-Rechtsprechung das Schutzniveau der Produktsicherheit selbst festlegen und über die Verwaltungsstruktur zu dessen Durchsetzung selbst bestimmen3, so daß u.U. ein Hersteller für sein Produkt in jedem Mitgliedstaat besondere Anforderungen beachten und ein erneutes Zulassungsverfahren durchlaufen müßte. Die primärrechtliche Grundlage des Art. 28 [30 a.F.] EGV verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich dazu, ausländische Normen und Verwaltungsstrukturen dort als gleichwertig anzusehen4, wo eine solche Gleichwertigkeit tatsächlich vorliegt5. Weil Maßnahmen der Mitgliedstaaten anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips kontrolliert werden, kann diese Verpflichtung im Einzelfall zu einer Annäherung an gemeinschaftsweite Entscheidungen fuhren, wenn hieraus praktisch ein Zwang zur Anerkennung von Einzelakten folgt6. Insgesamt und in der Regel gestattet diese Rechtslage aber dem einzelnen Mitgliedstaat unter Berufung auf Art. 30 EGV die Festlegung des Schutzniveaus sowohl mittels Normen wie durch Verwaltungsstrukturen; mitgliedstaatliche Genehmigungserfordernisse können daher bestehen bleiben.
Hans Christian Röhl
B. Die Benannten Stellen als Elemente einer Europäischen Verwaltungsstruktur
Zusammenfassung
Die Benannten Stellen bilden das Kernstück des hier vorgestellten europäischen Produktzulassungsrechts. Als eigene europäische Verwaltungsstruktur stellen sie ein Novum dar und erfordern daher eine Zuordnung zu den verschiedenen Kategorien des öffentlichen Rechts. In einem ersten Schritt ist zu überlegen, ob sie als Adressaten nationalen öffentlichen Rechts in Frage kommen. Eine solche Qualifikation, mit der sich eine große Zahl von Rechtsfragen einfach beantworten ließe, hat der deutsche Gesetzgeber jedoch angesichts ihrer europaweiten Tätigkeit und Entscheidungsbefugnisse nicht getroffen (unter I). Die Analyse der Benannten Stellen muß bei ihrer europaweiten Tätigkeit, ihrem wichtigsten Merkmal, ansetzen: Ausländische Benannte Stellen erteilen in Deutschland Zertifikate und führen Inspektionen durch, umgekehrt üben deutsche Benannte Stellen ihre Tätigkeit im EG-Ausland aus. Es handelt sich um europaweite Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen. Gleichermaßen europaweite Wirkung entfalten die mitgliedstaatlichen Akkreditierungen und sonstigen Zulassungen Benannter Stellen. Den richtigen Ansatzpunkt für eine Analyse der Tätigkeit der Benannten Stellen wie der Mitgliedstaaten bei deren Zulassung bilden daher Art. 23 bzw. 24 GG (unter II und III).
Hans Christian Röhl
C. Akkreditierung: Anerkennung und Überwachung der Benannten Stellen
Zusammenfassung
Die Benannten Stellen bilden das strukturelle Kernstück des Globalen Konzepts1. Sie nehmen EG-weit Administrativfunktionen gegenüber Dritten wahr und lassen sich so als eine neuartige Form genuin europäischer Verwaltung verstehen. Die Aufgabenübertragung an die einzelnen Benannten Stellen geschieht durch mitgliedstaatliche Behörden, die die Stellen aus dem eigenen Staatsgebiet in eigener Verantwortung2 auswählen und diese dann der Kommission benennen3. Um die Gemeinwohlausrichtung der Aufgabenwahrnehmung zu gewährleisten, bestehen für die Benannten Stellen Vorgaben im Hinblick auf Organisation, Verfahren und materielle Maßgaben, die sich allerdings erst aus dem Zusammenwirken mehrerer Normschichten ergeben. Diese Vorgaben werden nach der deutschen Umsetzung der Richtlinien durch staatliche Behörden in einem Auswahlverfahren überprüft, das der Aufgabenübertragung durch Benennung vorausgeht. Anschließend werden die Vorgaben durch laufende Überwachung sichergestellt.
Hans Christian Röhl
D. Zertifizierung: Struktur und Aufgaben der Benannten Stellen
Zusammenfassung
Als Elemente einer europäischen Verwaltungsstruktur müssen die Benannten Stellen eine gemeinwohlkonforme Aufgabenerfüllung sicherstellen und gleichzeitig die Rechtspositionen der Hersteller beachten, während sie ihrem Auftrag nachkommen, Produktsicherheit durch Konformitätsbewertung zu gewährleisten. Auch das Recht der Zertifizierung ist daher an den Maßstäben des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips auszurichten (unten I). Seine Rechtsgrundlagen stellen-sich wie zuvor als unübersichtliches Geflecht von EG-Recht, nationalem Recht und anderen Normen dar (II). Diese Rechtsgrundlagen enthalten zum einen Vorgaben für die — vor allem am Maßstab des Demokratieprinzips zu messende — Struktur der Benannten Stellen (III), zum anderen — vor allem rechtsstaatlichen Grundsätzen folgende — Maßgaben für das Verhältnis zum Hersteller (IV).
Hans Christian Röhl
E. Ausblick
Zusammenfassung
Es ist kaum überraschend, daß das EG-Recht neue Anstöße für das öffentliche Recht gerade in einer seiner Kernmaterien, der Warenverkehrsfreiheit, liefert. Dem soll am Ende dieser Abhandlung für das Europarecht und für die Perspektiven des öffentlichen Rechts nachgegangen werden.
Hans Christian Röhl
Backmatter
Metadaten
Titel
Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht
verfasst von
Dr. jur. Hans Christian Röhl
Copyright-Jahr
2000
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-58330-8
Print ISBN
978-3-540-67329-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-58330-8