2006 | OriginalPaper | Buchkapitel
Normative Staatslehre in pluralismustheoretischer Absicht: Hans Kelsens Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft
Erschienen in: Politik und Verfassung
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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In einer „globalisierten“ Welt von „Zuwanderungsgesellschaften“ wird die gesellschaftliche Vielheit zunehmend bewusster wahrgenommen. Auf der anderen Seite wird zugleich der Ruf nach dem „Staat“ in eben dieser „globalisierten“ Welt lauter — sei es als Fixpunkt „souveräner“ politischer „Steuerung“ oder gar als „homogene Gemeinschaft“. In politikwissenschaftlicher Hinsicht geht mit der Frage nach dem Dualismus von gesellschaftlicher Vielheit und Einheit eine neuerliche Rezeption der Pluralismustheorie einher. Ernst Fraenkel gilt allgemein als „Vater“ der deutschen Pluralismustheorie, die dann schon in Abkehr von radikaleren Konzepten der 20er Jahre von ihm als „Neo-Pluralismus“ formuliert worden ist
1
. Demgegenüber ist festzuhalten, dass
der
„Staatstheoretiker“ der Moderne - oder besser: „Anti-Staatstheoretiker“ - Hans Kelsen, Begründer der sog. „Wiener Schule“ des Rechts, zu dieser Zeit längst eine bahnbrechende und - im Unterschied zu Fraenkel - theoretisch voll ausformulierte Demokratietheorie in pluralismustheoretischer Absicht vorgelegt hat
2
. Schon in seiner Arbeit „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre“ führt Kelsen gegen das tradierte Verständnis vom Gemeinwohl, das sich im Staat verkörpern soll, aus:
„Es gibt eben überhaupt kein ‚Gesamtinteresse‘, sondern immer nur Gruppeninteressen, die auf irgendeine Weise die staatliche Macht, den Staatswillen für sich gewinnen... und erst die Resultante all dieser zusammenwirkenden Kräfte findet im Staatswillen ihren Ausdruck“3. Daher:
„Die Vorstellung eines einheitlichen Staatswillens oder einheitlichen Staatsperson ist nur Ausdruck für die Einheitlichkeit der Organisation, für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung... Das ist das Wesen des Staatswillens: Eine zum Zwecke der Zurechnung vollzogene normative Konstruktion — nichts was mit einem sozialpsychologischen Gesamtwillen auch nur das geringste zu tun hätte“4.