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2003 | Buch

Organisation und Welterschließung

Dekonstruktionen

verfasst von: Günther Ortmann

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Organisation und Gesellschaft

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Organisation und Welterschließung

Organisation und Welterschließung
Zusammenfassung
Alfred Kieser, Herausgeber des wohl instruktivsten Lehrbuchs über Organisationstheorien, hat seinem „Weber-Kapitel“ als Motto dieses Wort Max Webers vorangestellt:
„Die Fähigkeit des Erstaunens über den Gang der Welt ist Voraussetzung der Möglichkeit des Fragens nach ihrem Sinn.“ (Zit. in Kieser 1999, 39)
Günther Ortmann

Dekonstruktion

Frontmatter
1. Kapitel. Wiedergänger der Moderne Derrida, Giddens und die Geister der Aufklärung
Zusammenfassung
Dass, wo Gefahr sei, das Rettende auch wachse, wie von Geisterhand, diese Tröstung wird uns Heutigen nicht mehr zuteil. Denjenigen unter uns, welche die „Dialektik der Aufklärung“ nicht als eine apokalyptische Verirrung der Horkheimer und Adorno gelten lassen mochten und mögen, (sondern als eine Geisterbeschwörung von bis dato unerhörter Realitätsmächtigkeit,) ist vielmehr die umgekehrte Vorstellung mindestens ebenso geläufig: dass, wo das Streben der Moderne nach dem Rettenden sei, nach Sicherheit vor den Gespenstern des Mythos, nach sicherer Beherrschung der Natur und der Menschen, jedenfalls auch die Gefahr wachse, und alle guten Geister uns lieber verlassen wie Ratten das sinkende Schiff. Die profane, professionelle, um Geister aller Art bereinigte15 Version dieses Gedankens auszuarbeiten, ist inzwischen zum Geschäft der Risikosoziologie geworden, die es denn auch mit einer gewissen Folgerichtigkeit zu dieser verrückten Paraphrase des Hölderlin-Wortes gebracht hat: „Wo aber Kontrolle ist, wächst das Risiko auch“ (Luhmann 1991, 103). Natürlich ist es nicht ohne Ironie, wie Niklas Luhmann mit dieser Formulierung das ungeliebte, ungewollte16 Erbe kritischer Theorie antritt. Wir können, mit Derrida (1996, 148) zu sprechen, nicht nicht Erben sein, die Erben dieses Geistes der Aufklärung — was immer wir aus der Aufgabe machen, die dieses Erbe uns stellt.
Günther Ortmann
2. Kapitel. Hitchcocks „Vögel“. Ein Palimpsest
Zusammenfassung
Derridas Vorliebe für Wörter, die Träger mehrerer Bedeutungen sind, schillernd, facettenreich, überdeterminiert, hat ihn — fast möchte man sagen: zwangsläufig — nach dem Wort ‚spectre‘ greifen lassen, das selbst auf Facetten verweist, (die Facetten nämlich des Farbspektrums,) das aber auch ‚Gespenst‘ bedeutet.
Günther Ortmann
3. Kapitel. Post mortem? Nachrufe auf die Postmoderne Eine Polemik
Zusammenfassung
Im Frühling 1983, während seines letzten Paris-Besuchs, es ging um Verhandlungen über die Atomrüstung in Europa angesichts des Nato-Doppelbeschlusses, fragte eine amerikanische Journalistin Leonid Breschnew zu später Stunde, am Ende einer in überraschend launiger Atmosphäre verlaufenen Pressekonferenz, was er von den neuen französischen Philosophen halte. Breschnew antwortete, einigermaßen erwartungsgemäß: “I confess that I‘m an unabashed Old Leftist who never quite understood how deconstruction was supposed to help the working class.” (The New York Tanzes Nr. 60 vom 29.2.1983, S. 12)
Günther Ortmann
4. Kapitel. Derrida, Habermas und der Strudel der Geschichte
Zusammenfassung
Fünf Kannitverstan:
„Ich bin Philosoph, und ich kann französisch, aber ich kam einmal auf dem Weg aus meinem Büro an einer Veranstaltung mit Lyotard vorbei und bin reingegangen, und, glauben Sie mir, ich habe kein Wort verstanden.“ (Mündliche Mitteilung)
„But I’m a mere physicist: If I find myself unable to make heads or tails of jouissance and differance, perhaps that reflects my own inadequacy.“ (Sokal, 1996a, 62)
„Meine erste persönliche Begegnung mit dem postmodernen Denken hatte ich im Herbst 1983 (...) in Wien. Es war ein trüber Sonntagnachmittag Ende September (...), und ich gestehe, daß ich kein Wort verstand. (...) Ich dachte, den (Jargon, G. O.) lern‘ ich auch noch, inzwischen habe ich die Sache aufgegeben. Irgendwas hatte das mit dem späten Heidegger zu tun, aber was? (...) Was sie sagten, weiß ich nicht mehr, und habe es auch damals nicht gewußt (...) Durch das Fenster fiel mein Blick auf einen Garten, das Laub war welk, (...) Bald jedoch kam ich ins Schwitzen, (...) auch, weil ich, trotz ernstestem Bemühen, nach spätestens zehn Minuten bei keinem der Referenten mehr wußte, wovon die Rede war.“ (Burger 1993, 461)
„Wie es der Zufall will, besuchte ich dieses Seminar (Derridas, G. O.) und hatte, wie die meisten Teilnehmer, mit denen ich in Kontakt kam, Schwierigkeiten zu verstehen, worauf Derrida hinauswollte.“ (Lilla 1999a, 189; vgl. auch 180)
„Da Derrida nicht zu den argumentationsfreudigen Philosophen gehört, ist es ratsam, seinen im angelsächsischen Argumentationsklima aufgewachsenen literaturkritischen Schülern zu folgen (...) J. Culler rekonstruiert sehr klar die etwas undurchsichtige Diskussion zwischen Jacques Derrida und John Searle (...)“ (Habermas 1985, 228).
Günther Ortmann
5. Kapitel. Deconstructing Tony Strukturation und Dekonstruktion
Zusammenfassung
Nein, natürlich möchte ich nicht sagen, so ein Leser sei Anthony Giddens. Aber ...
Günther Ortmann

Organisation

Frontmatter
6. Kapitel. Organisation und Dekonstruktion
Zusammenfassung
„Postmoderne“ und „Dekonstruktion“ bezeichnen Denkströmungen, die in Deutschland — und übrigens auch in England, den USA und selbst in Frankreich — auf große Reserve, wenn nicht gar Ressentiments stoßen. Dafür gibt es, wie gesehen, gute und schlechte Gründe — gute, insofern die diversen „post this, neo that“-Labels der vergangenen Jahre in der Tat von einer gewissen Beliebigkeit zeugen.
Günther Ortmann
7. Kapitel. Buridans Esel verhungert nicht Notiz zur Paradoxie des Entscheidens
Zusammenfassung
Jacques Derrida (1991), Heinz von Foerster (1992), Niklas Luhmann (2000), sie alle erblicken in jüngerer Zeit in der Entscheidung ein paradoxales Problem. Sie bieten damit nichts anderes als eine Variante des Platonischen Suchparadox — und eine dramatische Vertiefung und Verschärfung gegenüber der Entscheidungsproblematik, wie sie üblicherweise behandelt wird, nämlich als Problem unsicherer Information.
Günther Ortmann
8. Kapitel. „Für Unbefugte verboten“ Über nahezu, aber nicht vollkommen tautologische Regeln
Günther Ortmann
9. Kapitel. Rollentheorie: Eine dekonstruktive Denkbewegung
Zusammenfassung
Der Gedanke der Notwendigkeit und stillschweigenden Duldung von Regelverletzungen, den ich im 6. Kapitel skizziert habe, wirft die Frage nach der Integration, nach dem Zusammenhalt, nach der Systemeinheit von Organisationen und Gesellschaften neu auf. Wenn weder Hobbesianische Kontrakte noch Durkheim-Parsonianische Normen und Werte hinreichen, um jene Integration zu erklären, weil nämlich beide das Problem ihrer Anwendung oder Erfüllungcompliance — überspringen, dann wird ja noch unwahrscheinlicher und frag-würdiger, dass und wie soziale Systeme zusammenhalten. Die Frage habe ich zugespitzt mit den Denkmitteln der Dekonstruktion von Regel und Anwendung und mit der Figur einer Différance, die in aller Anwendung von Regeln sich Geltung verschafft. Meine Antwort operiert mit der Figur der Selbstorganisation. Die Ordnung, nach der Hobbes und Parsons gefragt haben, ist Ordnung am Rande des Chaos.
Günther Ortmann
10. Kapitel. Verträge, Standards, Private Governance Regimes Die Différance der Globalisierung und die Globalisierung der Différance
Zusammenfassung
Juristen versichern uns, dass, verkürzt gesprochen, in Zukunft dies geschehen könnte: Ein Manager wird zu Schadensersatz und außerdem zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich zu seiner Verteidigung in einer Zivil- und sodann einer Strafsache anlässlich eines betrieblichen Störfalls nicht darauf berufen kann, die Vorgaben der ISO 9000er Normungsreihe umgesetzt zu haben. Diese Normen regeln nicht etwa, wie es oft heißt, ein System des Qualitätsmanagements, sondern nur ein System der Darlegung eines Qualitätsmanagementsystems. Kunden sollen sich anhand dieser Dokumentation respektive eines erteilten Zertifikats ein Bild von der Qualitätssicherung ihrer Lieferanten machen können. Indes: Papier ist geduldig, und viele solcher ISO-9000er-Dokumentationen handeln von Potemkinschen Dörfern der Qualitätssicherung: Katzengold. Wie kann es sein, dass eine so umstrittene Normenfamilie wie diese ein ausschlaggebendes Gewicht in unserem fiktiven Gerichtsprozess erhält?
Günther Ortmann
11. Kapitel. Eine stille Produktion Über Ressourcen und ihre Veränderung im Gebrauch
Zusammenfassung
Bisher war von Regeln die Rede, von Rollen, Normen, Gesetzen, Verträgen, Standards und von der stabilisierenden und unterminierenden Wirkung ihrer Selbst-Dekonstruktion. Nun wird soziales Handeln aber nicht nur durch Regeln, sondern auch durch Ressourcen restringiert und ermöglicht, Grund genug, die Ressourcen, wie Anthony Giddens es tut, in den Begriff sozialer Struktur mit aufzunehmen.
Günther Ortmann

Evolution und Kooperation Vertrauen, Geld, Macht

Frontmatter
12. Kapitel. Die Ehre der Prizzis, oder: Vertrauen ist nicht der Anfang von allem
Über Vertrauen und Relianz
Zusammenfassung
Verdient das, was Sie einem Hochstapler entgegenbringen, der mit außerordentlich hohen Gewinnen lockt, mit einer exorbitanten Verzinsung einer Anlage, mit der Echtheit der erstaunlich günstigen Rolex-Uhr, mit der einmaligen Gelegenheit, den Namen ‚Vertrauen‘?
Günther Ortmann
13. Kapitel. „… die Natur, rot an Zähnen und Klauen“ Notiz über Evolution, Konkurrenz und Kooperation
Zusammenfassung
Heute erfreuen sich Kooperation und Vertrauen wachsender Beliebtheit: high trust organizations (Fox 1974), Vertrauensorganisation (Bleicher 1982), „kooperative Produktion“ in industriellen Distrikten (Sabel, Kern, Herrigel 1991), kooperative und vertrauensvolle Interaktionen in Unternehmungsnetzwerken (Loose, Sydow 1994), die rekursive Stabilisierung von Kooperation (Ortmann 1995a, 291 ff), „diskursive Koordination“ (Braczyk 1997).
Günther Ortmann
14. Kapitel. Spandrillen der Organisation
Zusammenfassung
Form, Funktion und Verhalten eines Organismus sei das Resultat eines absichtslosen Optimierungsprozesses, nämlich der natürlichen Auslese, bewerkstelligt durch den Kampf zwischen einzelnen Organismen, die nichts als ihren eigenen Reproduktionserfolg anstreben und es, eben dadurch, doch zu mehr bringen, nämlich zu guten „Entwürfen“ von Organismen, zum Reproduktionserfolg der Art — ist es ein Wunder, dass Organisationstheoretiker der Verführung erlegen sind, sich auf den Flügeln dieser mächtigen Idee in die Lüfte zu schwingen, indem sie Organisationen an die Stelle von Organismen setzten? Wo sie sich doch auf diese Weise über zwei ihrer hässlichsten Probleme erheben zu können glaubten, das Problem der beschränkten Rationalität und das der beschränkten Tugend der handelnden Akteure?
Günther Ortmann
15. Kapitel. „… die mysteriöse Einheit der Operation“ — Für und wider Niklas Luhmann
Zusammenfassung
Wie Niklas Luhmann ehren, wie seiner gedenken?
Günther Ortmann
16. Kapitel. „… ein neues Amalgam von Geld und Macht“ Briefwechsel mit Niklas Luhmann
Zusammenfassung
Anlaß für dieses Schreiben ist aber ein Hinweis zu Ihrem Vortrag über die Moderne183. Ich hatte den Eindruck, daß Ihr Begriff der „Transaktion“, wie Sie ihn dort mit Bezug auf’s System,Wirtschaft‘ verwendet haben, jedenfalls nicht mit dem in der Transaktionskostentheorie geläufigen Begriff übereinstimmt. Bei Ihnen hörte es sich so an, als identifizierten Sie ihn mit Zahlungen. Bei Commons, Coase und Williamson ist aber das Ausgangsproblem gerade die Tatsache, daß im Inneren der Unternehmung die Aktionen oder Entscheidungen nicht (direkt) über Geld gesteuert werden. Der Transaktionskostenbegriff zielt dort daher gerade auf Aktivitäten wie Informationsbeschaffung für und den Abschluß und die Kontrolle der Einhaltung von (Arbeits-)verträge(n), also genau auf die Tatsache, daß die konkrete Ausfüllung des Arbeitsvertrages nicht mehr via Markt, sondern via Hierarchie gesteuert wird. Diese Aktivitäten verursachen (Transaktions-) Kosten, die im ökonomischen Kalkül (der Theorie, wohl kaum eines Praktikers!) den Kosten gegenüberstellt werden, die bei einer marktförmigen Organisation von Arbeit entstehen würden, also etwa: dem Abschluß täglich neuer Werkverträge o. ä. In den Tranksaktionskostenvorteilen der Firma gegenüber dem Markt wird dann die Begründung für die Herausbildung der Unternehmung gesehen. Daran ließen sich nun gewiß allerlei spannende Probleme in Richtung Selbstreferenz und Fremdreferenz anschließen. (Ich selbst frage mich, wie diese Erklärung der Genesis der Firma anders als funktionalistisch oder, sagen wir, darwinistisch soll durchgeführt werden können, wenn wir nicht Akteure identifizieren können, die die Transaktionskosten ins eigene Kalkül aufnehmen; wenn das Konzept also eines des Systems,Wissenschaft‘, aber nicht eines des Systems,Wirtschaft‘ oder ‚Organisation’ ist.)
Günther Ortmann
17. Kapitel. Anything goes. Rien ne vas plus
Organisationswelten als Sinnprovinzen
Zusammenfassung
Wirtschaftswissenschaftler haben entschiedene Auffassungen von der Welt. Unbeirrt, fast möchte man sagen: unbeirrbar, beharren sie in ihrem Mainstream auf einer Sicht der Dinge, die ihnen vom großen „Als Ob“ der neoklassischen Ökonomik eröffnet wird (und die ihnen alle anderen Aspekte der Welt verschließt): Das beste Verständnis der Welt erschlössen wir uns durch die Theoriefiktion des homo oeconomicus, durch die kontrafaktische Unterstellung184, die Menschen handelten, als ob sie des Marginalkalküls mächtige Nutzenmaximierer seien. Der locus classicus für dieses „Als Ob“ ist, wie erwähnt, Milton Friedmans berühmter Aufsatz „The Methodology of Positive Economics“ aus dem Jahr 1953 — „the Torah of economic Method“ (McCloskey 1994, 4).
Günther Ortmann
18. Kapitel. „Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug“?
Zusammenfassung
Der heilige Gral der Organisationstheorie des hinter uns liegenden Jahrhunderts trug einen profanen Namen: one best way. Die Aston-Forscher zum Beispiel, die eingesehen hatten, dass es nicht die optimale Form der Organisation geben könne, und daher nach einem raffinierteren, reflektierteren, nämlich: situativ relativierten one best way suchten, dem one best way für jeweils genau spezifizierte Situationen, brachen der berühmten Bemerkung William Starbucks zufolge auf, „um den heiligen Gral zu finden, und kehrten heim mit einer zerbrochenen Teetasse.“ (Starbuck 1981, 193; Übers. G. O.) Zwar hatte zuvor längst Herbert Simon mit seinem Konzept begrenzter Rationalität zur Einsicht in die Grenzen der conditio humana und zu Genügsamkeit in Sachen maximizing geraten. Das aber fand in der situativen Organisationsforschung nicht immer Gehör. Und heute, da in der Betriebswirtschaftslehre der Stern Williamsons aufgegangen ist, zeigt man sich trotz anders lautender Bekenntnisse erst recht wieder unbekümmert um Simons Lehre. Wie Reinhard Selten (1990, 651) trocken bemerkte: „In the transaction cost approach (Williamson [1975] much emphasis is put an bounded rationality, but only verbally.“
Günther Ortmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Organisation und Welterschließung
verfasst von
Günther Ortmann
Copyright-Jahr
2003
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-10965-5
Print ISBN
978-3-531-13888-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-10965-5