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Open Access 05.01.2024 | Angewandte Geographie

Partizipation im innerstädtischen Transformationsprozess: Das Beispiel der „Zukunftswerkstatt Innenstadt“ in Peine

verfasst von: Amelie Förster, BSc, Sabine Panzer-Krause

Erschienen in: Standort

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Zusammenfassung

Mit dem Sofortprogramm „Perspektive Innenstadt“, das von 2021–2023 lief, wurden Kommunen in Niedersachsen bei der Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie in den Innenstädten unterstützt. Gleichzeitig fördert auch das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ bis 2025 die Umsetzung innovativer Konzepte und Handlungsstrategien zur Stärkung der Resilienz der Innenstädte. Im Rahmen eines Beteiligungsprozesses haben sich die städtischen Akteure im niedersächsischen Mittelzentrum Peine über Maßnahmen für beide Programme verständigt. Diese Studie untersucht den partizipativen Prozess mit Blick auf die beteiligten Akteure, um Erfolgsfaktoren und Hindernisse städtischer Beteiligungsprozesse zu identifizieren. Dazu wurden eine nichtteilnehmende Beobachtung sowie Expert*inneninterviews durchgeführt. Die Untersuchung zeigt, dass sich neben der Innenstadt und dem Einzelhandel auch Peines Akteursgefüge der Stadtentwicklung in einer Transformationsphase befindet, welche vor allem durch die Etablierung eines integrierten Stadtmarketings Potenzial für eine erfolgreiche Neupositionierung der Innenstadt bietet. Zudem wird aber auch deutlich, dass sich Politik und Verwaltung noch stärker neuen Beteiligungsformen gegenüber öffnen und den Ausbau einer engen und langfristigen Kooperation aller städtischen, Akteure weiter vorantreiben müssen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Seit Jahrzehnten bereits nagt der Strukturwandel im Einzelhandel insbesondere durch Standortverlagerungen auf die „grüne Wiese“, aber zunehmend auch durch den Online-Handel an der Leitfunktion des innerstädtischen Handels und provoziert Funktionsverluste in den Stadtzentren (BMI 2020; BBSR 2017; Neiberger et al. 2020). Die COVID-19-Pandemie beschleunigte diese strukturellen Entwicklungen und verdeutlichte durch die damit einhergehende Zunahme von Leerständen in den Stadtzentren, welche Gefahr eine monofunktionale Ausrichtung der Innenstädte mit sich bringt. Sie deckte damit dringende Handlungsbedarfe auf. Städte und Gemeinden sind gefragt, ihre Zentren zukunftsfähig umzugestalten (Appel und Hardaker 2022; ARL 2021; BBSR 2021).
Auch im niedersächsischen Mittelzentrum Peine sind die Auswirkungen des Strukturwandels im innerstädtischen Einzelhandel deutlich erkennbar. Im Rahmen des Sofortprogramms „Perspektive Innenstadt“, das von 2021–2023 lief, wurden Kommunen in Niedersachsen bei der Bewältigung der Pandemiefolgen in den Innenstädten unterstützt. Gleichzeitig fördert auch das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ bis 2025 die Umsetzung innovativer Konzepte und Handlungsstrategien zur Stärkung der Resilienz der Innenstädte. Von Oktober 2021 bis Februar 2022 wurde daher mit städtischen Akteuren in Peine ein Beteiligungsprozess „Zukunftswerkstatt Innenstadt“ durchgeführt, in dessen Rahmen Maßnahmen zur zukunftsfähigen Gestaltung der Peiner Innenstadt erarbeitet wurden. Diese Studie untersucht den partizipativen Prozess mit Blick auf die beteiligten Akteure mittels einer qualitativen Beobachtung und Expert*inneninterviews, um Erfolgsfaktoren und Hindernisse städtischer Beteiligungsprozesse zu identifizieren.
Zunächst werden die Notwendigkeit einer integrierten Stadtentwicklung und die Rolle partizipativer Elemente dabei herausgestellt. Das darauffolgende Kapitel erläutert die Methodik der empirischen Studie. Daraufhin wird auf das städtische Akteursgefüge in Peine eingegangen, um anschließend den Ablauf des Beteiligungsprozesses, die Zusammenarbeit der Akteure und die verabschiedeten Maßnahmen zu analysieren. Das letzte Kapitel fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Integrierte Stadtentwicklung und Partizipation

Städte und Gemeinden werden von vielschichtigen endogenen und exogenen Veränderungsprozessen tangiert, die zu unterschiedlichsten Herausforderungen führen – der Strukturwandel im Einzelhandel ist nur eine davon. Kommunen versuchen mithilfe des Instruments der Stadtentwicklung diese herausfordernden Veränderungsprozesse zu analysieren und in die jeweils angestrebte Entwicklungsrichtung zu lenken. Strategien und Konzepte der Stadtentwicklung geben also den Rahmen für die zukünftige räumlich-strukturelle Gesamtentwicklung der Stadt unter Berücksichtigung der aktuellen Herausforderungen vor. Ziel ist die Sicherung der mannigfaltigen Funktionen der deutschen Städte und insbesondere ihrer Eigenschaft als Träger der Daseinsvorsorge (Hollbach-Grömig und Zur Nedden 2018; Deutscher Städtetag 2015).
In der integrierten Stadtentwicklung wird der Weg zur Bewältigung der Herausforderungen am Leitbild der kompakten, nutzungsgemischten, sozial und kulturell integrierenden europäischen Stadt gesehen (Deutscher Städtetag 2015; BMI 2020). Bereits im Rahmen der Agenda 21 und später durch die Leipzig-Charta wurde gefordert, das Instrument der integrierten Stadtentwicklungsplanung voranzubringen, denn die Fülle und Komplexität der Herausforderungen, denen sich Kommunen im 21. Jahrhundert gegenübersehen, erfordert einen ganzheitlichen Ansatz (BMI 2020). Dieser bietet auf inhaltlicher Ebene Gewähr, dass alle wesentlichen Felder der Stadtentwicklung in die Betrachtung einbezogen, Zielkonflikte herauskristallisiert und sachgerecht abgewogen, Prioritäten nachvollziehbar gesetzt und Maßnahmenkonzepte fundiert erarbeitet werden können (BBSR 2017). Nach Hollbach-Grömig und Zur Nedden (2018) impliziert integriert auf der Akteursebene zudem die Beteiligung aller für die Stadtentwicklung relevanten Akteure im Planungs- sowie im Umsetzungsprozess (z. B. Öffentliche Verwaltung, Politik, Bürger*innen, Einzelhandel). Das macht auch der Deutsche Städtetag (2013, S. 5) deutlich:
„Mitgestaltung durch Bürgerbeteiligung ist ein konstitutives Element einer lebendigen repräsentativen Demokratie und wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige, integrierte Stadtentwicklung. Sie legitimiert Mehrheitsentscheidungen des Stadtrates als Ausdruck des Gemeinwohls und verbessert die Qualität und Akzeptanz von Planungen“.
Dabei ist u. a. auf Verfahrensklarheit und Verfahrensgerechtigkeit zu achten (Heinig 2022). Integrierte Stadtentwicklungskonzepte sind kein statisches Instrument, sondern haben prozessualen Charakter und bedürfen der kontinuierlichen Weiterentwicklung (BBSR 2017).

Methodik

Die empirische Studie ist qualitativ ausgerichtet. So wurde am 3. Februar 2022 die abschließende, eineinhalbstündige Sitzung der Lenkungsgruppe des Peiner Beteiligungsprozesses „Zukunftswerkstatt Innenstadt“, die als Online-Sitzung stattfand, nichtteilnehmend beobachtet. Die Ergebnisse der Beobachtung wurden in einem Beobachtungsprotokoll zusammengetragen. Darüber hinaus fanden im Zeitraum vom 16. Februar bis zum 21. März 2022 fünf leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit Teilnehmenden der Lenkungsgruppe, welche zentrale Akteursgruppen abbilden, statt. Aufgrund der Coronapandemie wurden alle Interviews in Form von Videogesprächen geführt. Die Expert*innen wurden im Sinne eines möglichst diversen Perspektivenspektrums ausgewählt (Tab. 1). Die Auswertung der Interviews erfolgte anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016), dessen Arbeiten u. a. an die Arbeiten zur qualitativen Inhaltsanalyse von Philipp Mayring anknüpfen.
Tab. 1
Merkmale der interviewten Expert*innen
 
IP1
IP2
IP3
IP4
IP5
Erfahrungszusammenhang
Leitung des Dezernats II – Dezernat für Bauen, Umwelt, Stadtentwicklung;
Erster Stadtrat
Geschäftsführung Peine Marketing GmbH; Gesellschafterin einer Agentur im Standort‑, Stadt- und Tourismusmarketing
Leitung Peiner Bankdirektion;
Vorstand Kaufmannsgilde zu Peine;
Vorstandsvorsitz Industrie- und Wirtschaftsverein für Peine und Umgebung
Aufsichtsrat-Mitglied Peine Marketing GmbH (PMG);
Mitglied des Stadtrats;
Beruflich in Kulturbranche
Kunsthand-werk-Laden in der Innenstadt; Kontaktstelle im Kunstbereich für Landkreis Peine; Mitglied diverser Kunstvereine
Blickwinkel
Verwaltungsspitze
Stadtmarketing
Wirtschaft
Aufsichtsrat PMG; Politik; Kultur
Kunst und Kultur
Rolle in der Zukunftswerkstatt
Teilnahme an Lenkungsgruppe als Verwaltungsspitze
Organisation, Leitung, Moderation der Zukunftswerkstatt
Als Sprecher einer AG in der Lenkungsgruppe, Teilnahme an zwei AGs
Teilnahme an Lenkungsgruppe als Aufsichtsrat-Mitglied der PMG
Als Sprecherin einer Arbeitsgruppe (AG) in der Lenkungsgruppe, Teilnahme an drei AGs
IP Interviewpartner*in

Peines städtisches Akteursgefüge

Die übergeordnete, rechtsverbindliche Planungsebene der Peiner kommunalen Stadtentwicklung setzt sich aus dem Rat der Stadt und dem Teil der Stadtverwaltung zusammen, welcher für Stadtplanungsangelegenheiten zuständig ist. Auf der Verwaltungsebene befasst sich in Peine insbesondere das Dezernat II als Dezernat für Bauen, Umwelt und Stadtentwicklung mit Städtebau- und Stadtentwicklungsthemen. Auf politischer Ebene bildet der Rat der Stadt das oberste Entscheidungsorgan der Stadt Peine. Dieser entscheidet über alle wichtigen Angelegenheiten der Selbstverwaltung, wozu auch die Stadtentwicklung zählt (Stadt Peine 2021, IP1).
Die verbindliche und demokratisch legitimierte Planungsebene aus Politik und öffentlicher Verwaltung wird in Peine durch das informelle Planungsinstrument des Stadtmarketings ergänzt. Die 2003 gegründete Peine Marketing GmbH (PMG) ist eine 100-prozentige Tochter der Stadt Peine. Sie wird durch öffentliche Zuschüsse der Stadt, finanzielle Förderung von Peiner Unternehmen sowie durch Eigenmittel aus Leistungen für Dritte, touristischen Angeboten und Events finanziert. Zusätzlich gibt es zahlreiche weitere privatwirtschaftliche Unternehmen, Interessenverbände und Vereine, welche ebenfalls stadtentwicklungspolitische Interessen verfolgen, bislang aber kaum die Möglichkeit hatten, sich aktiv in die Gestaltung einzubringen.
Das Akteursgefüge der Peiner Stadtentwicklung befindet sich in einem Transformationsprozess. Die Stadtmarketinggesellschaft, die sich zuvor in einer finanziellen Schieflage befand, erfährt seit 2020 eine Neuausrichtung hinsichtlich ihres Aufgabenbereichs und der personellen Aufstellung (Mull 2019; IP1; IP2; IP3; IP4). Die Stadt Peine beauftragte 2019 die CIMA Beratung + Management GmbH (CIMA) mit der Evaluation der Gesellschaft. Diese erstellte Handlungsempfehlungen für die zukünftige Aufstellung der PMG, welche für einen klaren Wandel von der bis dahin nahezu ausschließlichen Event- und Veranstaltungsfokussierung auf eine ganzheitliche, integrierte Stadtentwicklung abzielen (CIMA 2020). Auf der Grundlage des neuen Anforderungsprofils wurde zudem eine neue Geschäftsführung eingestellt, die zum einen das City- bzw. Zentrenmanagement als eine wichtige Säule der Arbeit der PMG begreift, um „Schnittstelle zu allen Akteuren der Innenstadt zu sein, aber auch zur Verwaltung und zur Wirtschaftsförderung“ (IP2), und die zum anderen das Standortmarketing als einen essenziellen Aufgabenbereich übertragen bekommen hat, um „einen ganzheitlichen Blick auf die Stadt zu werfen und nach außen und nach innen zu kommunizieren“ (IP2).
Für die Erfüllung des nun stark erweiterten Aufgabenbereichs wird es darauf ankommen, dass es einen Grundkonsens und ein gegenseitiges Stützen zwischen den innerstädtischen Akteuren gibt, um eine Überforderung der PMG zu vermeiden (IP1). Dazu gehört auch die Integration von Akteuren, die bislang kaum direkt gestalterisch mitwirken konnten. Die der Zukunftswerkstatt vorangestellte Neuaufstellung des Stadtmarketings stellt jedenfalls die Weichen für eine neue Art der Stadtentwicklung in Peine.

Beteiligungsprozess „Zukunftswerkstatt Innenstadt“

Ziel des Beteiligungsprozesses „Zukunftswerkstatt Innenstadt“ war die Bestimmung kurz-, mittel- und langfristiger Maßnahmen, die die Peiner Innenstadt zukunftsfester und attraktiver machen sollen (PMG 2022; IP2). Der Beteiligungsprozess und die aus ihm resultierenden kurzfristigen Maßnahmen wurden durch das Sofortprogramm „Perspektive Innenstadt“ des Landes Niedersachsen gefördert – diese Maßnahmen sollten bereits bis März 2023 umgesetzt sein (MB Niedersachsen 2021). Die mittel- und langfristigen Maßnahmen werden hingegen über das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ unterstützt und müssen bis August 2025 realisiert sein (BBSR 2021). Peine erhielt rund 1,1 Mio. € aus dem Landesprogramm, und eine weitere Million Euro stehen aus dem Bundesprogramm zur Verfügung – bei einer Förderquote von 90 % (PMG 2022).
Initiiert wurde der Beteiligungsprozess von der PMG und der städtischen Wirtschaftsförderung, moderiert wurde er durch die Geschäftsführung der PMG und einen CIMA-Vertreter (IP1; IP2). Der gesamte Prozess – bestehend aus Umfrage, Arbeitsgruppen-Workshops und Lenkungsgruppen-Sitzungen – wurde zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 digital durchgeführt (Abb. 1). So wurde im November 2021 von der CIMA eine Online-Bürger*innen-Umfrage zur Peiner Innenstadt realisiert, an der sich etwa 1250 Personen beteiligten. Zeitgleich fanden Workshops in sechs Arbeitsgruppen zu den Themenfeldern Stadtmobilität, -aktionen, -strategie, -profil, -management und -quartier mit mehr als 70 Bürger*innen und Expert*innen aus der Peiner Wirtschaft, Politik, Kultur, Bildung und Verwaltung sowie aus den Bereichen Handel und Soziales statt, zu deren Beteiligung öffentlich aufgerufen worden war. Einige Personen wurden auch persönlich eingeladen (PMG 2022; IP2; IP3).
In den Arbeitsgruppen entstanden rund 20 Projektideen, welche im Anschluss zusammen mit den Ergebnissen der Online-Befragung in die Lenkungsgruppe eingebracht wurden. An drei Terminen im Januar und Februar 2022 traf sich die Lenkungsgruppe zur finalen Priorisierung der Projektideen und zur Festlegung des Maßnahmenkataloges. Die Lenkungsgruppe bestand aus rund 20 Personen, darunter Vertreter*innen des Stadtrats, des Aufsichtsrats der PMG, der Verwaltungsspitze, der Wirtschaftsförderung, des Stadtmarketings und den Sprecher*innen der Arbeitsgruppen. Der Maßnahmenkatalog wurde Mitte Februar 2022 veröffentlicht, nachdem der PMG-Aufsichtsrat dem Katalog grünes Licht gegeben hatte. Ende Februar stimmte auch der Stadtrat den Zukunftswerkstatt-Maßnahmen zu (PMG 2022; IP1; IP4).
Alle interviewten Expert*innen fanden die Zusammenarbeit in der Zukunftswerkstatt gut (IP1; IP2; IP3; IP4; IP5). Dies bestätigte sich durch die Beobachtung der letzten Lenkungsgruppensitzung. Es war ein sachlicher Austausch festzustellen, bei dem sich die Mehrzahl der Anwesenden aktiv einbrachte. Ein Arbeitsgruppensprecher und die Verwaltungsspitze dominierten in Bezug auf die Länge und Häufigkeit der Wortbeiträge, sodass eine geschickte Moderation notwendig war, um dem Kriterium der Verfahrensgerechtigkeit nachzukommen.
Ein Defizit der Zukunftswerkstatt im Hinblick auf die Verfahrensgerechtigkeit bestand in der Nichtteilnahme zweier wichtiger Akteursgruppen: der Gastronomie/Hotellerie und der Jugend. Wenngleich aus diesen Gruppen Vertreter*innen fehlten, waren sie dennoch durch die Geschäftsleitung der PMG zum Beteiligungsprozess eingeladen worden (IP2). Hinsichtlich der Transparenz im Sinne der Verfahrensklarheit ist festzustellen, dass der gesamte Beteiligungsprozess mit allen Beteiligten, Ablaufschritten und Ergebnissen umfangreich auf der Homepage des Stadtmarketings dargestellt und kontinuierlich aktualisiert wurde (PMG 2022). Die Mehrzahl der interviewten Expert*innen bewertete den Beteiligungsprozess bezüglich der Vielfalt und Intensität der Partizipationsmöglichkeiten als neuartig in der Peiner Stadtentwicklung (IP2; IP3; IP4; IP5). Die Entscheidungskette im Rahmen der kommunalen Genehmigung gestaltete sich jedoch konfliktär: „Da die Fördergelder 90 % sind und zehn Prozent aus dem städtischen Haushalt dazu gegeben werden müssen, als Eigenanteil, sind auch wieder Steuergelder mit drin. Und der Stadtrat ist wieder involviert. Und deshalb ist das alles so kompliziert“ (IP2). Die vielen Entscheidungshürden nehmen zwar Flexibilität, liegen aber im demokratischen System begründet: „Eins ist klar: eine solche Gruppe [Zukunftswerkstatt] kann Ideen entwickeln, kann Ideen empfehlen, … aber wir sind eine Demokratie. Und in einer Demokratie ist der vom Volk gewählte Rat legitimiert, die endgültige Entscheidung zu treffen“ (IP3). Hier zeigt sich der schwierige Balanceakt, der in der Verknüpfung der umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung mit der repräsentativen Demokratie und der Verwaltung im kommunalen Alltag liegt (Heinig 2022).
Einige Ratsmitglieder waren gegenüber der partizipativen Zukunftswerkstatt kritisch eingestellt: „Die [Ratsmitglieder] fühlen sich da so ein bisschen auf den Schlips getreten … Dass da jemand anderes einfach mal priorisiert und sie dann einfach nur noch abnicken sollen, das wollen die gar nicht, die wollen entscheiden“ (IP5). IP2 äußerte, dass „[g]enerell das Thema Beteiligung, Partizipation ein Prozess [ist], eine Transformation. Weil natürlich nicht jeder Beteiligung mag. Denn in der Verwaltung möchten sie natürlich … selbst entscheiden, was wann wie gemacht wird. Und warum sollen die [anderen] da alle mitreden?“ Anhand dieser Bemerkungen wird deutlich, dass auf Politik- und Verwaltungsebene ein Rollen- und Selbstverständniswandel in Richtung eines stabileren kooperativen Miteinanders erfolgen sollte.
Hinsichtlich der beschlossenen Maßnahmen ist festzustellen, dass sich viele der Stärkung der innerstädtischen Nutzungsmischung widmen: Kultur und Veranstaltungen („open stage“, Bespielung des Burgparks), Steigerung der Aufenthaltsqualität (Möblierung) sowie Verbesserung der Mobilität (Fahrradabstellmöglichkeiten) (Tab. 2). Die konzeptionelle und ganzheitliche Betrachtung von Innenstadt soll in der Einstellung eines Citymanagements Beachtung finden, welches zunächst über das Sofortprogramm und später als Zentrenmanagement über das Bundesprogramm finanziert werden soll. Das City- bzw. Zentrenmanagement richtet sich an alle Themenbereiche der Innenstadt, wie z. B. die Unterstützung des dortigen Einzelhandels, die Vernetzung der Innenstadt-Akteure und insbesondere das Leerstandsmanagement (PMG 2022). Damit zielt diese Maßnahme in direkter Weise auf den Umgang mit den Auswirkungen des Strukturwandels im innerstädtischen Einzelhandel. Der Aufbau eines City- bzw. Zentrenmanagements als ein zentraler Bestandteil des Maßnahmenpakets der Zukunftswerkstatt bedeutet einen weiteren Baustein in der Neuaufstellung des Stadtmarketings und damit einen nächsten Schritt in Richtung einer integrierten Stadtentwicklungsplanung in Peine.
Tab. 2
Finale Maßnahmen der „Zukunftswerkstatt Innenstadt“ (eigene Darstellung nach PMG 2022)
Maßnahmen Landesprogramm
Maßnahmen Bundesprogramm
Citymanager*in
Konzept Peine App
Stadtoase mit „open stage“
Beleuchtung (Fassaden)
Innenstadt/Marktplatz
Ambiente + Lichtspiele Marktplatz
Projektschmiede für Jugendliche zur Innenstadt
(digitale) Leerstandsbörse
Bespielung Burgpark (Konzept und erste Umsetzung)
Zentrenmanagement
Sichere Abstellmöglichkeiten für hochwertige Räder & E‑Bikes
Kampagnen/Öffentlichkeitsarbeit zur Innenstadt (inkl. Sauberkeit, Mobilität)
Möblierung, Bestuhlung Fußgängerzone (zeitgemäß, einheitlich)
Als weitere Maßnahmen sollen eine (digitale) Leerstandsbörse ins Leben gerufen und das Innenstadtmarketing durch Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit gestärkt werden. Die geplante Projektschmiede für Jugendliche, welche bereits angelaufen ist, geht in Richtung einer zusätzlichen Bürger*innenbeteiligung und strebt u. a. die Stärkung der Innenstadt als Identifikationsort an. Die Digitalisierung der Innenstadt soll insbesondere durch die Planung einer Peine-App sowie im Rahmen der Jugendschmiede aufgegriffen werden. Zudem soll ein Beleuchtungskonzept am Marktplatz erstellt und umgesetzt werden (PMG 2022).
Es wird deutlich, dass das Gros der Maßnahmen nicht mehr auf die direkte Stärkung des Einzelhandels fokussiert. „Innenstadt ist eben mehr als Handel“ (IP1). Diese Meinung bildet sich auch bei IP3 ab: „Es wird ganz wesentlich darauf ankommen, dass Innenstädte nicht nur als Platz zum Einkaufen gesehen werden, sondern als eine Mischung aus Einkaufen, Genießen, Leben, Wohnen. Dafür müssen sie vorbereitet werden mit verschiedenen Maßnahmen. Wenn das gelingt, kann ich auch wieder viele Menschen in die Innenstädte locken“. Die in der Zukunftswerkstatt entstandenen Maßnahmen entsprechen daher den aktuellen Empfehlungen der Innenstadtstrategie des BMI (2020) sowie denen des Positionspapiers des Deutschen Städtetags (2021) (Abb. 2, 3, 4 und 5).

Fazit

Anhand des Beispiels der Stadt Peine untersuchte diese Studie Erfolgsfaktoren und Hemmnisse bei Partizipationsprozessen, welche darauf ausgerichtet sind, die Transformation von Innenstädten voranzutreiben. Peine ergreift vielfältige Maßnahmen zur Handhabung der Auswirkungen des Strukturwandels im innerstädtischen Einzelhandel, die auf einen Nutzungsmix abzielen. Die grundlegende Neustrukturierung des Peiner Stadtmarketings von einer Event- und Veranstaltungsorganisation hin zu einem ganzheitlichen, integrierten Stadtmarketing inklusive eines City- bzw. Zentrenmanagements ist als eine solche Maßnahme zu erachten. Der Peiner Beteiligungsprozess „Zukunftswerkstatt Innenstadt“, der durch eine neue Vielfalt und Intensität der Partizipationsmöglichkeiten gekennzeichnet war, bestärkte diese Hoffnung. Integriertes Stadtmarketing kann daher als ein elementarer Beitrag zur Zukunftsbefähigung von Städten identifiziert werden und sollte als Handlungskonzept für erfolgreiche Beteiligungsprozesse auch in anderen Städten aufgegriffen werden. Insbesondere Politik und Verwaltung müssen jedoch mehr Verständnis für das wachsende Mitsprachebedürfnis der Bürger*innen aufbringen. Fehlt dieses, kann es zu Hemmnissen bei innerstädtischen Transformationsprozessen kommen. Aus der Untersuchung des Beteiligungsprozesses ergibt sich letztlich die Frage, wie die intensivierte Bürger*innenpartizipation optimal gesteuert und wie Konflikte zwischen den demokratisch legitimierten Stadträten und zusätzlich im Stadtentwicklungsprozess involvierten Akteuren aufgelöst werden können.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
Zurück zum Zitat Akademie für Raumentwicklung und Landesplanung (2021) Onlinehandel und Raumentwicklung: Neue Urbanität für alte Zentren! Positionspapier aus der ARL 127. ARL, Hannover Akademie für Raumentwicklung und Landesplanung (2021) Onlinehandel und Raumentwicklung: Neue Urbanität für alte Zentren! Positionspapier aus der ARL 127. ARL, Hannover
Zurück zum Zitat Appel A, Hardaker S (2022) Innenstädte, Einzelhandel und Corona – Krise und Chance. In: Appel A, Hardaker S (Hrsg) Innenstädte, Einzelhandel und Corona in Deutschland. Geographische Handelsforschung 31. Würzburg University Press, Würzburg, S 1–11 Appel A, Hardaker S (2022) Innenstädte, Einzelhandel und Corona – Krise und Chance. In: Appel A, Hardaker S (Hrsg) Innenstädte, Einzelhandel und Corona in Deutschland. Geographische Handelsforschung 31. Würzburg University Press, Würzburg, S 1–11
Zurück zum Zitat Heinig S (2022) Integrierte Stadtentwicklungsplanung: Konzepte – Methoden – Beispiele. transcript, Bielefeld Heinig S (2022) Integrierte Stadtentwicklungsplanung: Konzepte – Methoden – Beispiele. transcript, Bielefeld
Zurück zum Zitat Hollbach-Grömig B, Zur Nedden M (2018) Integrierte Stadtentwicklung. In: Meffert H, Spinnen B, Block J (Hrsg) Praxishandbuch City- und Stadtmarketing. SpringerLink, Wiesbaden, S 29–37 Hollbach-Grömig B, Zur Nedden M (2018) Integrierte Stadtentwicklung. In: Meffert H, Spinnen B, Block J (Hrsg) Praxishandbuch City- und Stadtmarketing. SpringerLink, Wiesbaden, S 29–37
Zurück zum Zitat Kuckartz U (2016) Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Grundlagentexte Methoden, 3. Aufl. Beltz, Weinheim Kuckartz U (2016) Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Grundlagentexte Methoden, 3. Aufl. Beltz, Weinheim
Zurück zum Zitat Mull T (2019) Finanzkrise bei Peine Marketing: Jetzt soll ein Gutachter helfen (Peiner Allgemeine Zeitung (PAZ) (06. November 2019)) Mull T (2019) Finanzkrise bei Peine Marketing: Jetzt soll ein Gutachter helfen (Peiner Allgemeine Zeitung (PAZ) (06. November 2019))
Zurück zum Zitat Neiberger C, Mensing M, Kubon J (2020) Geographische Handelsforschung im Zeitalter der Digitalisierung: Eine Bestandsaufnahme. Z Wirtschgeogr 64(4):197–210 Neiberger C, Mensing M, Kubon J (2020) Geographische Handelsforschung im Zeitalter der Digitalisierung: Eine Bestandsaufnahme. Z Wirtschgeogr 64(4):197–210
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Titel
Partizipation im innerstädtischen Transformationsprozess: Das Beispiel der „Zukunftswerkstatt Innenstadt“ in Peine
verfasst von
Amelie Förster, BSc
Sabine Panzer-Krause
Publikationsdatum
05.01.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Standort
Print ISSN: 0174-3635
Elektronische ISSN: 1432-220X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00548-023-00901-x