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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Plinius und Benjamin: Architektur und Lebensform. Ein Essay über ästhetische Reflexion

verfasst von : Philipp Tschochohei

Erschienen in: Architektur, Atmosphäre, Wahrnehmung

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Essay untersucht die architektonische Frage nach dem Zusammenhang zwischen Baukunst und Lebensform. Dabei liegt der Fokus auf den ästhetischen Reflexionen von Plinius der Jüngere und Walter Benjamin über private und öffentliche Räume. Dementsprechend werden als Beispiele die antike Villa und das Paris des 19. Jahrhunderts in einem dialektischen Bild betrachtet. In diesem Kontext zeigt sich die ästhetische Reflexion über Bauwerke als eine Analyse von architektonischen Atmosphären, die sich durch die Erkenntnisformen der sinnlichen Wahrnehmung, der geistigen Interpretation und der mimetischen Einfühlung vermitteln.Als Fazit ist eine Präferenz für die sinnliche Wahrnehmung und die kontemplative Erkenntnis bei Plinius festzuhalten, wohingegen Benjamin im Stereotypen des Flaneurs eine phantasmagorische Wahrnehmung feststellt und eine rauschhafte bzw. ekstatische Erkenntnisform postuliert.

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Fußnoten
1
Besonderer Dank gilt Professor Julian Roberts. Er unterstützte maßgeblich mit seiner Expertise, seinen inspirierenden Fragen und seinen hilfreichen Analysen der Entwürfe die Ausarbeitung dieses Essay.
 
2
Vgl. Benjamin (1991).
 
3
Wittgenstein diskutiert den Begriff der Lebensform unter anderem in Philosophische Untersuchungen und in den Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Im Rahmen dieses Essay verwende ich den Begriff entsprechend der obigen Arbeitsdefinition. Vgl. Wittgenstein (2003, 2014).
 
4
„Bauten werden auf doppelte Art rezipiert: durch Gebrauch und durch Wahrnehmung. Oder besser gesagt: taktil und optisch. Es gibt von solcher Rezeption keinen Begriff, wenn man sie sich nach Art der gesammelten vorstellt, wie sie z. B. Reisenden vor berühmten Bauten geläufig ist. Es besteht nämlich auf der taktilen Seite keinerlei Gegenstück zu dem, was auf der optischen die Kontemplation ist. Die taktile Rezeption erfolgt nicht sowohl auf dem Wege der Aufmerksamkeit als auf dem der Gewohnheit. Der Architektur gegenüber bestimmt diese letztere weitgehend sogar die optische Rezeption. Auch sie findet ursprünglich viel weniger in einem gespannten Aufmerken als in einem beiläufigen Bemerken statt. Diese, an der Architektur gebildete, Rezeption hat aber unter gewissen Umständen kanonischen Wert.“ (Benjamin 1977, 1, S. 465 f.).
 
5
„Das Bedürfnis des Menschen nach Unterkunft aber ist beständig. Die Baukunst hat niemals brach gelegen. Ihre Geschichte ist länger als die jeder andern Kunst und ihre Wirkung sich zu vergegenwärtigen von Bedeutung für jeden Versuch, das Verhältnis der Massen zum Kunstwerk nach seiner geschichtlichen Funktion zu erkennen.“ (Benjamin 1977, 1, S. 465).
 
6
„Zerstreuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulierung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines vollendeten Bildes erzählt. Dagegen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich; sie umspielt es mit ihrem Wellenschlag, sie umfängt es in ihrer Flut. So am sinnfälligsten die Bauten. Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgt. Die Gesetze ihrer Rezeption sind die lehrreichsten.“ (Benjamin 1977, 1, S. 465).
 
7
„Vermieden hätte ich es schon längst, allzu geschwätzig zu erscheinen, wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, alle Winkel mit dir im Brief abzuschreiten. Denn ich fürchtete nicht, dass dir bei der Lektüre lästig würde, was dir beim Betrachten nicht <lästig> geworden wäre, zumal du ja nach Belieben ausruhen, den Brief weglegen und dich sozusagen des Öfteren hinsetzen kannst. Außerdem habe ich meiner Liebhaberei gefrönt: denn ich liebe das, was ich größtenteils selbst begonnen habe oder, wenn es schon begonnen war, zu Ende geführt habe.“ (Plinius, Epist. 5,6,41). Hier und im Folgenden wird die Neuübersetzung von Sabine Vogt in diesem Band zitiert.
 
8
„Besitzen sie [die Räume der Villa] dich und teilen sie sich dich untereinander im Wechsel? Oder wirst du, wie üblich, durch die Aufmerksamkeit auf Familien- und Vermögensangelegenheiten, denen nachzugehen ist, zu häufigen Auswärtsterminen weggerufen? Wenn sie dich besitzen, bist du vom Glück gesegnet und glücklich; andernfalls ‚einer von vielen‘“ (Plinius, Epist. 1,3,1–2).
 
9
„Und damit du jede Besorgnis um mich ganz ablegst, vernimm die Mildheit des Klimas, der Gegend Lage, der Villa Lieblichkeit, – was für dich zu hören, für mich zu schildern angenehm sein wird.“ (Plinius, Epist. 5,6,3).
 
10
„Eine kleine Quelle <gibt es> in diesem <Zimmer>, in der Quelle ein Auffanggefäß; ringsum erzeugen mehrere Wasserröhrchen ein höchst angenehmes Plätschern. In der Ecke der Kolonnade läuft ein sehr geräumiges Zimmer auf ein Speisezimmer zu; durch die einen Fenster blickt es auf die Gartenterrasse herab, durch die anderen auf die Wiese, aber vorher auf den Fischteich, der den Fenstern gute Dienste leistet und unter ihnen liegt, in Geräusch und Anblick angenehm; denn das aus der Höhe herabspringende Wasser, aufgefangen in einem Marmorbecken, wird schäumend weiß. Gerade dieses Zimmer <ist> im Winter das wärmste, weil es von der meisten Sonne erfüllt wird.“ (Plinius, Epist. 5,6,23–24).
 
11
„Großes Vergnügen wirst du dir verschaffen, wenn du dieser Gegend Lage von einem Berg aus betrachtest. Denn es wird dir vorkommen, als sähest du nicht Ländereien, sondern ein Bild, bis zur äußersten Schönheit gemalt: an solchem Abwechslungsreichtum, an solcher Ordnung werden, wohin sie auch fallen, deine Augen Erfrischung finden.“ (Plinius, Epist. 5,6,13).
 
12
„An seinem Ufer <stehen> mehrere Villen von mir, aber zwei machen mir am meisten Freude und zugleich am meisten Mühe. [3] Die eine, hoch auf Felsen gelegen wie in Baiae, schaut auf den See, die andere, ebenfalls wie in Baiae, berührt den See. Deshalb pflege ich erstere ‚Tragödie‘, letztere ‚Komödie‘ zu nennen, weil erstere gewissermaßen auf Kothurnen, letztere gewissermaßen auf Sandalen steht. Jede hat ihren eigenen Reiz, und eine jede ist ihrem Besitzer gerade durch diesen Kontrast noch angenehmer.“ (Plinius, Epist. 9,7,2–3).
 
13
„Warum überträgst du nicht – jetzt ist die Zeit! – die niederen und schmutzigen Alltagssorgen auf andere und widmest dich selbst in der dortigen tiefen und behaglichen Abgeschiedenheit deinen Studien? Das soll deine Beschäftigung, das deine Muße sein; das deine Arbeit, das deine Ruhe; ihnen sollen deine wachen Stunden, ihnen auch dein Schlaf gewidmet sein! Bilde und gestalte etwas, das auf ewig dein ist. Denn der Rest deiner Habe wird nach dir einem anderen und wieder einem anderen Herrn zugeteilt werden; dies wird niemals aufhören, dir zu gehören, wenn es erst einmal damit angefangen hat. Ich weiß, welch einen Geist, welch eine Begabung ich ermahne. Du strebe nur danach, dir selbst so viel wert zu sein, wie du anderen wert erscheinen wirst, wenn du es erst dir selbst bist. Lebʼ wohl.“ (Plinius, Epist. 1,3,3–5).
 
14
„Wenn ich mich in diesen Pavillon zurückgezogen habe, fühle ich mich sogar von meinem Landhaus weit entfernt, und große Freude habe ich an ihm vor allem zur Zeit der Saturnalien, wenn der übrige Teil des Gebäudes von der Ausgelassenheit der Tage und dem festlichen Geschrei widerhallt; denn so störe weder ich die Spiele meiner Leute noch sie meine Studien.“ (Plinius, Epist. 2,17,24).
 
15
„Glaubst du nun, dass ich aus triftigen Gründen den Rückzugsort besiedle, bewohne, liebe? Du bist allzusehr ein Stadtmensch, wenn du dich nicht auch danach sehnst! Ach dass du dich doch auch danach sehntest! Damit zu so vielen so großen Gaben unserer kleinen Villa der größte Reiz hinzukommt: das Zusammensein mit dir! Lebʼ wohl!“ (Plinius, Epist. 2,17,29).
 
16
„Du hast nun die Gründe, weshalb ich meine etruskischen <Güter> den Tusculaner, Tiburtiner und Praenestiner <Gütern> vorziehe. Denn über das hinaus, was ich berichtet habe, <herrscht> dort eine tiefere und behaglichere und deshalb ungestörtere Ruhe: kein Zwang zur Toga, kein Störenfried in der Nähe, ruhig alles und still, was an sich schon zur Gesundheit der Gegend ebenso beiträgt wie der klarere Himmel, die reinere Luft. Dort geht es mir im Geist, dort auch im Körper am allerbesten. Denn mit den Studien übe ich den Geist, mit der Jagd den Körper. Auch meine Leute leben nirgends gesünder;“ (Plinius, Epist. 5,6,45–46).
 
17
„Baudelaire wußte, wie es um den Literaten in Wahrheit stand: als Flaneur begibt er sich auf den Markt; wie er meint, um ihn anzusehen, und in Wahrheit doch schon, um einen Käufer zu finden.” (Benjamin 1977, 1, S. 536).
 
18
„Der Müßiggang des Flaneurs ist eine Demonstration gegen die Arbeitsteilung.” (Benjamin 1977, 1, S. 538).
 
19
„[So] sprengt er [der historische Materialist] ein bestimmtes Leben aus der Epoche, so ein bestimmtes Werk aus dem Lebenswerk. Der Ertrag seines Verfahrens besteht darin, daß im Werk das Lebenswerk, im Lebenswerk die Epoche und in der Epoche der gesamte Geschichtsverlauf aufbewahrt ist und aufgehoben.“ (Benjamin 1977, 1, S. 703).
 
20
„Die Gemächlichkeit dieser Schildereien paßt zu dem Habitus des Flaneurs, der auf dem Asphalt botanisieren geht. Aber schon damals konnte man nicht überall in der Stadt umherschlendern. Breite Bürgersteige waren vor Haussmann selten; die schmalen boten wenig Schutz vor den Fuhrwerken. Die Flanerie hätte sich zu ihrer Bedeutung schwerlich ohne die Passagen entwickeln können. »Die Passagen, eine neuere Erfindung des industriellen Luxus«, sagt ein illustrierter Pariser Führer von 1852, »sind glasgedeckte, marmorgetäfelte Gänge durch ganze Häusermassen, deren Besitzer sich zu solchen Spekulationen vereinigt haben. Zu beiden Seiten dieser Gänge, die ihr Licht von oben erhalten, laufen die elegantesten Warenläden hin, so daß eine solche Passage eine Stadt, eine Welt im Kleinen ist.« In dieser Welt ist der Flaneur zuhause;“ (Benjamin 1977, 1, S. 538).
 
21
„Wenn die Passage die klassische Form des Interieurs ist, als das die Straße sich dem Flaneur darstellt, so ist dessen Verfallsform das Warenhaus. Das Warenhaus ist der letzte Strich des Flaneurs. War ihm anfangs die Straße zum Interieur geworden, so wurde ihm dieses Interieur nun zur Straße, und er irrte durchs Labyrinth der Ware wie vordem durch das städtische.“ (Benjamin 1977, 1, S. 557).
 
22
„Wie Spiegel den freien Raum, die Straße, in das Cafe hineinnehmen, auch das gehört zur Verschränkung der Räume – dem Schauspiel, dem der Flaneur unentrinnbar verfallen ist.“ (Benjamin 1977, 5, S. 666).
 
23
„Kategorie des illustrativen Sehens grundlegend für den Flaneur.“ (Benjamin 1977, 5, S. 528).
 
24
„Welche Bewandtnis es mit dem Neuen hat, das lehrt vielleicht der Flaneur am besten. Der Schein einer in sich bewegten, in sich beseelten Menge ist es, an dem er seinen Durst nach dem Neuen löscht. In der Tat ist dieses Kollektiv durchaus nichts als Schein. Diese »Menge«, an der der Flaneur sich weidet, ist die Hohlform, in die siebzig Jahre später die Volksgemeinschaft gegossen wurde. Der Flaneur, der sich auf seine Aufgewecktheit, auf seine Eigenbrötelei viel zu gute tut, war auch darin seinen Zeitgenossen vorangeeilt, daß er als erster einem Trugbild zum Opfer fiel, das seitdem viele Millionen geblendet hat.” (Benjamin 1977, 5, S. 436).
 
25
„Der Flaneur ist der Priester des genius loci. Dieser unscheinbare Passant mit der Priesterwürde und dem Spürsinn eines Detektivs[.]“ (Benjamin 1977, 3, S. 196).
 
26
„Landschaft – das wird sie [die Stadt Paris] in der Tat dem Flanierenden. Oder genauer: ihm tritt die Stadt in ihre dialektischen Pole auseinander. Sie eröffnet sich ihm als Landschaft, sie umschließt ihn als Stube.” (Benjamin 1977, 5, S. 525).
 
27
„Die Menge ist der Schleier, durch den hindurch dem Flaneur die gewohnte Stadt als Phantasmagorie winkt. In ihr ist sie bald Landschaft, bald Stube.“ (Benjamin 1977, 5, S. 54).
 
28
„Den Phantasmagorien des Raumes, denen der Flaneur sich ergibt, entsprechen die Phantasmagorien der Zeit, denen der Spieler nachhängt. Das Spiel verwandelt die Zeit in ein Rauschgift.“ (Benjamin 1977, 5, S. 57).
 
29
„Einfühlung ist aber die Natur des Rausches, dem der Flaneur in der Menge sich überläßt.“ (Benjamin 1977, 1, S. 558).
Und „Wie dem flaneur die Massen, so verstellen dem conspirateur seine Mitverschworenen die Wirklichkeit.“ (Benjamin 1977, 5, S. 468).
 
30
„Die Masse bei Baudelaire. Sie legt sich als Schleier vor den Flaneur: sie ist das neueste Rauschmittel des Vereinsamten. – Sie verwischt, zweitens, alle Spuren des Einzelnen: sie ist das neueste Asyl des Geächteten. – Sie ist, endlich, im Labyrinth der Stadt das neueste und unerforschlichste Labyrinth. Durch sie prägen sich bislang unbekannte chthonische Züge ins Stadtbild ein.“ (Benjamin 1977, 5, S. 558).
 
31
„Man muß sich nicht die Zeit vertreiben – muß die Zeit zu sich einladen. Sich die Zeit vertreiben (sich die Zeit austreiben, abschlagen): der Spieler. Zeit spritzt ihm aus allen Poren. – Zeit laden, wie eine Batterie Kraft lädt: der Flaneur. Endlich der Dritte: er lädt die Zeit und gibt in veränderter Gestalt – in jener der Erwartung – wieder ab: der Wartende.“ (Benjamin 1977, 5, S. 164).
 
32
„Müßig geht er [der Flaneur] als eine Persönlichkeit; so protestiert er gegen die Arbeitsteilung, die die Leute zu Spezialisten macht. Ebenso protestiert er gegen deren Betriebsamkeit. Um 1840 gehörte es vorübergehend zum guten Ton, Schildkröten in den Passagen spazieren zu führen. Der Flaneur ließ sich gern sein Tempo von ihnen vorschreiben.“ (Benjamin 1977, 1, S. 556).
 
33
„Baudelaire liebte die Einsamkeit; aber er wollte sie in der Menge.“ (Benjamin 1977, 1, S. 552).
 
34
„Das träumende Kollektiv kennt keine Geschichte. Ihm fließt der Verlauf des Geschehens als immer Nämliches und immer Neuestes dahin. Die Sensation des Neuesten, Modernsten ist nämlich ebensosehr Traumform des Geschehens wie die ewige Wiederkehr alles Gleichen. Die Raumwahrnehmung, die dieser Zeitwahrnehmung entspricht, ist die Durchdringungs- und Überdeckungstransparenz der Welt des Flaneurs.“ (Benjamin 1977, 5, S. 678 f.).
 
35
„Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschierte. Das Gehn gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt; immer geringer werden die Verführungen der Läden, der Bistros, der lächelnden Frauen, immer unwiderstehlicher der Magnetismus der nächsten Straßenecke, einer fernen Masse Laubes, eines Straßennamens. Dann kommt der Hunger. Er will nichts von den hundert Möglichkeiten, ihn zu stillen, wissen. Wie ein asketisches Tier streicht er durch unbekannte Viertel, bis er in tiefster Erschöpfung auf seinem Zimmer, das ihn befremdet, kalt zu sich einläßt, zusammensinkt.“ (Benjamin 1977, 5, S. 525).
 
36
„Die Figur des Flaneurs. Er gleicht dem Haschischesser, nimmt den Raum in sich auf wie dieser. Im Haschischrausch beginnt der Raum uns anzublinzeln: »Nun, was mag denn in mir sich alles zugetragen haben?« Und mit der gleichen Frage macht der Raum an den Flanierenden sich heran. Der kann ihr in keiner Stadt bestimmter als hier antworten. Denn über keine ist mehr geschrieben worden und über Straßenzüge weiß man hier mehr als anderswo von der Geschichte ganzer Länder.“ (Benjamin 1977, 5, S. 1009).
 
Literatur
Zurück zum Zitat Benjamin, Walter. 1977. Gesammelte Werke. Band 1–7. (Hrsg. R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Benjamin, Walter. 1977. Gesammelte Werke. Band 1–7. (Hrsg. R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Zurück zum Zitat Benjamin, Walter. 1991. Gesammelte Schriften: Band V: Das Passagen-Werk. (Hrsg. R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Benjamin, Walter. 1991. Gesammelte Schriften: Band V: Das Passagen-Werk. (Hrsg. R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Zurück zum Zitat Plinius Epistulae 2,17. 5,6. 1,3. 9,7. Übersetzung: Sabine Vogt in diesem Band. Plinius Epistulae 2,17. 5,6. 1,3. 9,7. Übersetzung: Sabine Vogt in diesem Band.
Zurück zum Zitat Wittgenstein, Ludwig. 2003. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Wittgenstein, Ludwig. 2003. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Zurück zum Zitat Wittgenstein, Ludwig. 2014. Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie. 11. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Wittgenstein, Ludwig. 2014. Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie. 11. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Metadaten
Titel
Plinius und Benjamin: Architektur und Lebensform. Ein Essay über ästhetische Reflexion
verfasst von
Philipp Tschochohei
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39896-5_7