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2009 | Buch

Politik – Wissenschaft – Medien

herausgegeben von: Hanna Kaspar, Harald Schoen, Siegfried Schumann, Jürgen R. Winkler

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

“Wer wählt rechts?”(Falter 1994) oder: Rechtsextremismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit

Frontmatter
Arbeiter, Arbeitslose, Asylbewerber: Die Wahl der Extremen Rechten heute im Lichte der Ergebnisse historischer Wahlforschung

Eines der vergleichsweise unstrittigen Ziele der Pariser Friedenskonferenz von 1919 war die Durchsetzung des demokratischen Nationalstaates als politischer Normalfall in Europa, wie sie vom amerikanischen Präsidenten Wilson ein Jahr zuvor eingefordert worden war (vgl. die Punkte VI-XIII in Wilsons berühmter Deklaration vom 8. Januar 1918). Tatsächlich wurden in den frühen 1920er Jahren der überwältigenden Mehrheit der europäischen Staaten von Albanien (1920) bis zur Türkei (1922) die autokratischen Strukturen der Vorkriegszeit durch liberaldemokratische Institutionen ersetzt. Diese erwiesen sich jedoch in den folgenden Jahren als außerordentlich instabil. Mussolinis "Marsch auf Rom" und die anschließende Machtübernahme der Faschisten im Oktober 1922 stehen stellvertretend für die permanente Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit, die häufig zur Machtübernahme durch rechtsgerichtete Bewegungen oder das Militär führte.

Kai Arzheimer
An Interest-Based Examination of the Social Origins of Interwar Fascism

For nearly 30 years my scholarship in the field of political sociology has highlighted the rational basis of political extremism and, in particular, has employed an interest-based model of political behavior to account for the social origins of interwar fascism. In the following paper I hope to demonstrate how an interest-based account helps to explain many of the interesting questions pertaining to societal variation in interwar agrarian fascism in Belgium, Italy, and Germany.

William I. Brustein
Die Bedeutung von Item-Nonresponse für die Messung von rechtsextremen Einstellungen

Die Validität von Forschungsergebnissen ist umso stärker gefährdet, “je mehr Befragte zu Nonresponse neigen und je stärker diese Neigung mit für das Analyseziel relevanten Befragungsmerkmalen korreliert ist” (Stocké/Stark 2005: 3f.). Wenn es zutrifft – und dafür liegt hinreichend empirische Evidenz vor –, dass (unter anderem) Personen mit niedriger Bildung und einfacher beruflicher Stellung in Repräsentativbefragungen unterrepräsentiert sind (Koch 1998: 72), dann besteht die Gefahr, dass rechtsextreme Einstellungspotenziale in Survey-Studien unterschätzt werden. Denn rechtsextreme Einstellungen wachsen bekanntlich mit abnehmender Bildung und sinkendem sozialem Status (Stöss et al. 2004: Kap. D; vgl. Tabelle 5A im Anhang). Weiterhin ist zu vermuten, dass Merkmale, die die Ausbreitung von Rechtsextremismus begünstigen, zugleich bewirken, dass gerade auch Fragen zum Rechtsextremismus besonders häufig unbeantwortet bleiben.

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Folgt man der Ausfalltheorie von Shoemaker et al. (2002), dann hat Item-Nonresponse zwei Ursachen:

Richard Stöss
Fremdenfeindlichkeit durch Zuwanderung?1 Eine empirische Analyse für die Bundesrepublik

Fremdenfeindlichkeit ist ein ernstzunehmendes Hindernis für die Integration von Zuwanderern und deren Nachfahren in die bundesdeutsche Gesellschaft. Die Serie gewalttätiger Übergriffe auf Ausländer und Asylbewerber zu Beginn der neunziger Jahre heizte die öffentliche Diskussion um Zuwanderung und Fremdenfeindlichkeit an. In der politischen Diskussion wurde und werden fremdenfeindliche Einstellungen und Übergriffe häufig mit einer "Überfremdung" und damit einer als zu hoch eingeschätzten Zuwanderung in Verbindung gebracht. Der Asylkompromiss 1993 folgte dieser Logik. Durch die drastische Reduktion der Zuwanderung von Asylsuchenden sollte fremdenfeindlichen Übergriffen die Basis entzogen werden. Auch in wissenschaftlichen Analysen wurde ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Zuwanderung und dem Ausmaß fremdenfeindlicher Einstellungen begründet. Je höher die Zuwanderung, um so stärker die Abwehrreaktionen der autochthonen Bevölkerung, die – so eine These – ihre dominante Position in Gefahr sehe (

Gruppenbedrohungsthese

). Vernachlässigt wird bei dieser Argumentation jedoch, dass mit der Höhe der Zuwanderung auch Kontakte zwischen Autochthonen und Zuwanderern zunehmen und Kontakte Vorurteile im Allgemeinen abbauen und nicht verstärken. Vorurteile sollten mit zunehmender Größe der Minderheit daher verringert und nicht erhöht werden (

Kontakthypothese

).

Cornelia Weins
Antisemitismus und Nationalsozialismus. Friedrich Nietzsches Einstellungen zu Juden und dem politischen Antisemitismus

Nach der Machtergreifung Hitlers wurde Friedrich Nietzsche nicht nur von Propagandisten des Dritten Reiches als wichtiger Vordenker des Nationalsozialismus in Anspruch genommen. Nicht wenige Nationalsozialisten und nicht wenige ihrer Gegner stimmten sogar darin überein, in Nietzsche den die NS-Bewegung am stärksten prägenden Denker zu sehen (Aschheim 1998). Es wundert daher nicht, dass zahlreiche Journalisten und Wissenschaftler nach 1945 Nietzsche als einen geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus anklagten. Nietzsche habe einen großen Einfluss auf die Weltanschauung des Nationalsozialismus im Allgemeinen und auf die Vernichtung der Juden im Besonderen ausgeübt. Er habe die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen sowohl der Aktivisten der NSDAP als auch der Massen stark beeinflusst.

Jürgen R. Winkler
Keine Freiheit den Feinden der Freiheit? Verfassungsprobleme im Umgang mit dem Rechtsextremismus

Die Analyse des Rechtsextremismus durchzieht wie ein roter Faden das wissenschaftliche Werk Jürgen Falters. Akribisch hat er die Wählerbewegungen schon der Weimarer Zeit und die Zusammensetzung der Wählerschaft der Nationalsozialisten untersucht (Falter 1979, 1984). Immer wieder ist er den Ursachen, Auswirkungen und Hintergründen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland nachgegangen (Falter 1994, 2000; Falter et al. 1996). Für die Politik und die Medien ist er ein gefragter Gutachter und Berater, wenn es um den Umgang mit diesem Phänomen – insbesondere den Schutz Jugendlicher vor den rechten Rattenfängern geht (Falter 1998, 2005). Vereinfachungen und plakative Zuweisungen sind ihm dabei ein Gräuel. Für differenzierende Betrachtungen bietet er Begriffe und Ordnungskategorien.

Friedhelm Hufen

“Faktoren der Wahlentscheidung” (Falter 1973) oder: Ausgewählte Fragen der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung

Frontmatter
Interest Groups and Voters’Choice: Evidence of Representation and Hostility Effects in Germany, Spain and the United States

Parties and party systems do not exist independently of their surroundings. Both V.O. Key (1942) and Schattschneider (1960) argued persuasively that the political party could not be understood apart from its relations with constellations of non-party groups. Lipset and Rokkan (1967) demonstrated that in the genesis of parties and party systems and in the nature of the social conflicts (cleavages) they express, interest groups – labor unions and churches in particular – play an important role. It is peculiar, however, that research on electoral behavior has not placed much emphasis on the nature of these linkages, and in particular on the impact of constellations of non-party groups on electoral behavior. Whereas location in the social structure as an explanatory factor of voters’choice gained much attention in order to provide evidence for macro theoretical considerations at the micro level, organizational affiliations have largely been regarded as mere by-products of social structural locations and as amplifiers of the effects of individual social characteristics.

Bernhard Weβels, Hans-Dieter Klingemann
Wie es euch gefällt: Politische Akteure in den USA und ihr Publikum

Der Wahlakt mag geheim stattfinden, aber nicht im Dunkeln. Bei der Stimmabgabe spiegelt sich im Bewusstsein der Wähler auf vielfältige Weise die politische Welt. Es gehört zu den Verdiensten des Klassikers The American Voter, subjektive Wahrnehmungen dieser Welt zum Thema der Wahlforschung gemacht zu haben (Campbell et al. 1960).2 Um die Entscheidungen am Wahltag verstehen zu können, so die Prämisse, sei es notwendig, die Eindrücke von Parteien und Kandidaten in den Köpfen der Wähler zu erforschen. Campbell und Kollegen gelang die Erkundung der subjektiven Welt amerikanischer Wähler mithilfe eines neuartigen Forschungsinstrumentes. Sie bedienten sich offener Fragen zu den wichtigsten politischen Akteuren. Die Antworten entfielen in der Hauptsache auf drei Kategorien: Politische Themen, persönliche Eigenschaften der Präsidentschaftskandidaten und soziale Gruppen. Diese Angaben erwiesen sich für die Analyse des Wahlentscheids als sehr nützlich. Denn je nach dem, wie ein Wähler diese Faktoren einschätzte, entschied er sich bei der Wahl. Die Antworten auf die offenen Fragen erlaubten es (zumindest bei den Wahlen der Fünfziger Jahre) also, die Wahlentscheidung zu erklären.

Helmut Norpoth
You must remember this …Eine Analyse zur Wahlrückerinnerungsfrage

Fragen nach in der Vergangenheit liegendem Wahlverhalten sind aus dem Werkzeugkasten der empirischen Wahlforschung nicht wegzudenken. Das wohl bekannteste Anwendungsgebiet der Rückerinnerungsfrage sind die sogenannten Wählerwanderungstabellen kommerzieller Wahlforschungsinstitute, die Auskunft darüber geben sollen, wie viele Wahlberechtigte von einer Partei zur anderen oder auch zwischen Wahl und Nichtwahl wechselten (Hilmer/Kunert 2005). Darüber hinaus dient die Rückerinnerungsfrage als Grundlage der sogenannten Recallgewichtung, mit der Ergebnisse von Umfragen nachjustiert werden, um etwa Antwortfehler und selektive Ausfälle zu kompensieren (Noelle-Neumann/Petersen 2005: 293ff.; Roth 2008: 90f.; Schneider-Haase in diesem Band). In der stärker akademisch orientierten Wahlforschung wird dieses Instrument vor allem verwendet, um Veränderungen im Wahlverhalten und deren Ursachen zu erforschen (Kaase 1965; Zelle 1994, 1995; Stöss 1997; Erhardt 1998). Aber auch in Analysen zu anderen politikwissenschaftlichen Fragen kommen Informationen zum Einsatz, die mit der Rückerinnerungsfrage gewonnen wurden (Anderson/Mendes 2005).

Harald Schoen, Hanna Kaspar
Die unpolitische Frau – Ein Methodenartefakt der Umfrageforschung?

“Die unpolitische Frau" – dieses Diktum kennzeichnet über Jahrzehnte hinweg in vielen westlichen Demokratien einen zusammenhängenden Komplex von Befunden: Frauen äußern in Umfragen weniger Interesse an Politik sowie ein geringeres politisches Kompetenzbewusstsein und beteiligen sich weniger an Politik als Männer (Almond/Verba 1963; Barnes/Kaase et al. 1979; Jennings 1983; Cristy 1987; van Deth 1990). Neuere Arbeiten zeigen zwar eine Annäherung der Geschlechter im Niveau der Wahlbeteiligung und anderer konventioneller Formen der Partizipation sowie gelegentlich eine überproportionale Beteiligung von Frauen an unkonventioneller Einflussnahme (Falter/Schumann 1990; Molitor/ Neu 1999; Westle 2000, 2001a; Kaspar/Falter 2007), jedoch weisen Frauen nach wie vor geringeres Interesse an Politik und geringeres politisches Kompetenzgefühl auf (Bennett/ Bennett 1989; Rusciano 1992; Jelen/Wilcox 1994; Verba et al. 1997; Westle 2001b; Norris/Inglehart 2003). Dieser Befund wird meist als valide interpretiert – es gibt nichts daran zu rütteln: Frauen sind unpolitischer als Männer.

Bettina Westle
Strukturierte Einstellungen – Einstellungsstrukturen: Überlegungen am Beispiel der Parteisympathie

“Einstellungen” zählen zu den zentralen Konzepten der Sozialwissenschaften (Eagly/Chaiken 1993: V; Fazio/Petty 2008: XV; Haddock/Maio 2007: 188). Insbesondere in den theoretischen Ansätzen der Politikwissenschaft spielen sie eine herausragende Rolle – sei es im Rahmen der empirischen Wahlforschung (incl. der Dauerbeobachtung von Politikern und Parteien anhand von Skalometerfragen), von Forschungen zur Stabilität demokratischer Systeme oder der Extremismus-Forschung, um nur drei wichtige Bereiche zu nennen. Innerhalb dieser Ansätze dienen sie meist als unabhängige (“Einfluss-”) Variablen und weisen in aller Regel eine beachtliche statistische Erklärungsleistung auf. Erklärt werden soll dabei letztlich in der Regel politisches Verhalten (Stahlberg/Frey 1996: 219f.). Ohne ihr Potenzial zur Verhaltenserklärung wäre die Einstellungsforschung aus politikwissenschaftlicher Sicht kaum von Interesse (Schiefele 1990: 1).

Siegfried Schumann
Politische Partizipation Jugendlicher und junger Erwachsener: Altes und Neues

Das Thema Jugend und politische Partizipation oder Jugend und Politik hat immer wieder Aktualität, oft vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen. Gegensinnige Thesen sind dabei nicht ungewöhnlich. In einigen Artikeln der Wochenzeitschrift DIE ZEIT Ende August und Anfang September 2008 wurde den Jugendlichen einerseits das Attribut “traurige Streber” zuerkannt, bei ihnen grundlegende Partizipationsabstinenz und politisches Desinteresse zugunsten rein privater Interessensverfolgungen konstatiert. Dagegen wurde gehalten, dass man mit veralteten Partizipationsvorstellungen und vergangenheitsorientierten Idealvorstellungen aus der Bewegungszeit der 68er den heutigen Jugendlichen nicht gerecht werde, deren Eigenart vielfältiger, weniger zeitkonstanter oder auch weniger ideenfixierter politischer Engagementformen damit nicht begriffen werden könne.

Johann de Rijke

“Wählerwille, Wahlprognose und Wahlergebnis:Drei unterschiedliche Paar Schuhe?” (Falter 2007) oder: Wahlforschung in der Praxis

Frontmatter
Demoskopie und Politik. Zum Verhältnis und den Missverständnissen zwischen zwei stark kritisierten Professionen

Über das Verhältnis von Demoskopie und Politik lassen sich viele interessante Geschichten erzählen, die meistens mit Personen zu tun haben, z.B. über die intensive Zusammenarbeit von Elisabeth Noelle-Neumann (Allensbach und Universität Mainz) mit Helmut Kohl, oder die konfliktreiche Beziehung von Klaus Liepelt (Infas) zur Bonner SPD-Zentrale. In der Öffentlichkeit kursieren aber noch viel mehr Vor- und Vorausurteile zu diesem Verhältnis, die sich auf den immer begleitenden Manipulationsverdacht stützen, der mit der Erhebung und der Veröffentlichung demoskopischer Daten einhergeht.

Dieter Roth
Exit Polls – genauer geht’s nicht

Als am 24. Februar 2008 gegen Mitternacht das vorläufige amtliche Wahlergebnis zur 18. Hamburger Bürgerschaftswahl vorlag und ein direkter Vergleich zwischen Wahlergebnis und den von ARD und ZDF um 18:00 Uhr vorgelegten Prognosen möglich war, stand es fest: Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen lieferten die beste Wahlprognose ab, die es jemals im deutschen Fernsehen gab. Die kumulierte Abweichung gegenüber dem Endergebnis betrug bei der Forschungsgruppe Wahlen 0,9 Punkte und bei Infratest dimap sogar nur 0,6 Punkte (siehe Tabelle 1). Den Ausschlag gab die Prognose für die CDU, die bei der Forschungsgruppe um 0,4 Punkte vom Endergebnis abwich, bei Infratest dimap sogar nur um ganze 0,1 Punkte. Um im Wettbewerb der Institute diesmal die Nase vorne zu haben, musste Infratest dimap nicht nur die beste jemals ausgestrahlte Prognose abliefern, sondern auch die bestmögliche Prognose. Denn wie gewohnt veröffentlichten beide Institute nur ganz bzw. maximal halbzahlige Prognosewerte.

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Richard Hilmer
“Was messen wir da eigentlich?” – Anmerkungen zur Sonntagsfrage

18. September 2005: 18:00 Uhr. Die Wahllokale zur Bundestagswahl haben geschlossen. In ARD und ZDF flimmern die Ergebnisse der Exit-Polls vom Wahltag über den Bildschirm. Es ist anders gekommen als von vielen – auch von den Meinungsforschungsinstituten – noch am Tage zuvor erwartet worden war: Alle Meinungsforschungsinstitute hatten in ihren Umfragen, die bis wenige Tage vor dem Wahltermin zum 16. Deutschen Bundestag erhoben worden waren, die Union zwischen 41 und 42 Prozent taxiert. Legt man die im Vorfeld in den Medien publizierten Ergebnisse der Sonntagsfrage zu Grunde, war eine Koalition aus Union und FDP eine wahrscheinliche Regierungsbildung. Die Wähleranteile für die Union am Wahltag lagen merklich anders als die wenige Tage zuvor publizierten Umfragewerte. Die weitere Dramaturgie ist bekannt: die Union erreichte 35,2 Prozent der Stimmen, zusammen mit der FDP waren das “nur” 45 Prozent. Es kam also anders, es kam zur großen Koalition.

Thorsten Schneider-Haase

“Politik als Inszenierung” (Falter 2002) oder: Politische Kommunikation in der Mediendemokratie

Frontmatter
“Hindenburg wählen, Hitler schlagen!”1 Wahlkampfkommunikation bei den Reichspräsidentenwahlen in der Weimarer Republik

Wahlkämpfe und welche Rolle die Massenmedien dabei spielen –das ist seit langem ein gewichtiges Thema der Kommunikationsforschung. Den "Startschuss" dazu lieferte die klassische Erie-County-Studie zum amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1940 (Lazarsfeld et al. 1944). Der darin gemachte Befund geringer Medienwirkungen lähmte zwar für einige Zeit das wissenschaftliche Interesse an dem Thema. Je mehr jedoch die “minimal effects”-Hypothese dann seit den 1960er Jahren in Frage gestellt, modifiziert, ja widerlegt wurde, umso mehr beschäftigte man sich auch wieder mit dem Einfluss der Medien auf die Wahlkampagnen und das Wahlverhalten, zumal dafür durch das Fernsehen ein neuer, mächtiger Akteur aufgetreten war. Inzwischen sind die kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen Legion und kaum noch zu überschauen (Dahlem 2001). Mit jeder neuen Wahl vermehren sie sich geradezu exponentiell. Das gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für Deutschland.

Jürgen Wilke, Christian Sprott
Rivalen um Macht und Moral: Bundestagsabgeordnete und Hauptstadtjournalisten

Politiker und Journalisten sind als Quellen und Vermittler von Informationen und Meinungen aufeinander angewiesen. Zugleich bestehen zwischen ihnen zahlreiche Spannungen. In diesem Spannungsfeld bewegen sich–mehr oder weniger elegant – Experten und Zeitzeugen, über die hier, obwohl der Anlass dieses Beitrags das geradezu gebietet, nichts weiter gesagt werden soll. Die Spannungen zwischen Politikern und Journalisten resultieren aus ihrem Anspruch auf Unabhängigkeit von den Anderen sowie dem Verlangen nach Einfluss auf sie. Ihren Ursprung haben sie in unterschiedlichen Vorstellungen davon, welche Verhaltensweisen im eigenen und jeweils anderen Bereich notwendig und akzeptabel sind (Kepplinger 2009b), sowie in Konflikten um die Deutungshoheit über das aktuelle Geschehen und um die praktischen Folgerungen daraus. Dies belegen Äußerungen von führenden Politikern über ihre Erfahrungen im Umgang mit Journalisten und Medien (Zipfel 2005; Beck 2008) und Darstellungen des Verhaltens von Politikern aus Sicht angesehener Journalisten (Riehl-Heyse 1989; Leinemann 2004). Hierbei handelt es sich um erfahrungsgesättigte Berichte herausragender Akteure, die auch einen Einblick in ihr Innenleben erlauben. Allerdings sind sie wegen der besonderen Rolle der Berichterstatter und der ungewöhnlichen Ereignisse, die sie schildern, nicht verallgemeinerbar. Diesem Anspruch werden systematische Befragungen von Politikern über ihre Erfahrungen mit Journalisten (Kepplinger/ Fritsch 1981; Linsky 1986; Kepplinger 2007; Marx 2008) und von Journalisten über ihre Erfahrungen mit Politikern eher gerecht (Kepplinger/Maurer 2008). Sie besitzen jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Hoffmann-Lange/Schönbach 1979; Hoffmann 2003; Kepplinger 2009b), den Nachteil, dass sie nur die Sichtweise einer Seite darstellen – der Politiker oder der Journalisten.

Hans Mathias Kepplinger
Wie “amerikanisch” sind europäische Fernsehwahlkämpfe?

Alle vier Jahre wendet sich die Aufmerksamkeit europäischer Wahlkampf- und Kommunikationsexperten dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zu, der als “role model” und Inspirationsquelle innovativer Kampagnen- und Kommunikationspraktiken angesehen wird. Für zahlreiche transatlantische Beobachter ist dies auch ein Blick in die Zukunft nationaler europäischer Wahlkämpfe, gehen sie doch davon aus, dass sich mit zeitlicher Verzögerung die neuesten Trends amerikanischer Wahlkämpfe in deutschen, österreichischen, französischen oder italienischen Wahlkämpfen abzeichnen werden. “Wie amerikanisch kann es werden?” lautete konsequenterweise die Fragestellung eines von Jürgen W. Falter gemeinsam mit Andrea Römmele verfassten Aufsatzes, der im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 2002 erschienen ist (Falter/Römmele 2002). Die Beantwortung der Frage nach der Amerikanisierung deutscher Wahlkämpfe fiel erwartungsgemäß differenziert aus. Nach Falter und Römmele beschreibe das Schlagwort von der “Amerikanisierung” zwar eine richtig erkannte Tendenz, dennoch führt es gegenwärtig wohl eher in die Irre, charakterisieren die Termini “Modernisierung” und “Professionalisierung” den hierzulande dominierenden Typus moderner Wahlkämpfe adäquater als der häufig mit einem kulturkritischen Unterton versehene Begriff der “Amerikanisierung” (Falter/Römmele 2002: 62f.).

Fritz Plasser, Günther Lengauer
Der Markt für Politikberatung – Boom oder Baisse?

Mit dem Umzug von Bundestag und Bundesregierung von Bonn nach Berlin boomt– so scheint es –der “Neue Markt” für Politikberatung. In der “Berliner Republik” tummeln sich neben den bekannten Beratungshäusern, Stiftungen und Think Tanks auch junge Agenturen, die den Schwerpunkt ihres Angebots auf Politikberatung, Public Affairs und/oder Lobbying legen. Angebote zur Politikberatung gibt es bereits seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland (Böhret 1995), allerdings scheint es sich hier um qualitativ unterschiedliche Beratungsangebote und auch um andere Anbieter, kurz: um einen anderen Markt zu handeln.

Andrea Römmele
Geist oder Glotze?

Wir sagen es am besten gleich: Das hier wird keine wissenschaftliche Arbeit, sondern eine journalistische. Wir steigen also nicht damit ein, dass wir zunächst sagen, was wir auf den folgenden hundert Seiten zu sagen gedenken und wie wir das zu Sagende gegliedert haben. Und wir fahren dann nicht fort mit der Benennung der Methoden, die uns legitimieren, hier überhaupt etwas zu sagen, um dann endlich das zu Sagende zu sagen, am Ende jedes Gliederungspunktes zusammenzufassen und ganz zum Schluss noch einmal zu sagen, was zu sagen eigentlich versucht worden war, sondern wir steigen journalistisch ein, fahren journalistisch fort und enden journalistisch, denn dieser Beitrag ist nicht dem Wissenschaftler, sondern dem Journalisten Jürgen Falter gewidmet.

Petra Gerster, Christian Nürnberger

“Gestaltungsmacht und Geltung der Parteien” (Falter 2000) oder: Diagnosen und Thesen zu Parteien und parlamentarischer Praxis

Hybride Gebilde? Zum Wandel der Parteien in der Mediengesellschaft

Kommunikation und Politik sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Zwar erschöpft sich Politik nicht in Kommunikation. Doch ohne das Kommunikative ist das Wesen des Politischen nicht zu denken. Von “der Tatsache der Pluralität” ausgehend schafft Politik den Raum für Kommunikation und eröffnet umgekehrt Kommunikation den Raum für Politik. In den Worten von Hannah Arendt: Erst Kommunikation ermöglicht das “Zusammen- und Miteinandersein der Verschiedenen” (Ludz 1993: 9).

Ulrich Sarcinelli
Parteienkrise durch Parteieliten? Anmerkungen zur Diskussion über den Niedergang der deutschen Parteien1

Die deutschen Parteien haben im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte in der öffentlichpublizistischen Wahrnehmung, aber auch aus dem Blickwinkel zahlreicher Studien der politikwissenschaftlichen Parteienforschung eine bemerkenswerte Veränderung durchlaufen. Bis in die 80er Jahre hinein galten die Parteien, die sich unmittelbar nach dem Kriegsende neu formiert hatten, mehrheitlich als wesentliche Ursachen und Garanten für den weitgehend reibungslosen Aufbau und die Stabilisierung der Demokratie in der Bundesrepublik. Die beiden großen Parteien und das jeweils um diese beiden Pole gruppierte Parteiensystem mit den Liberalen und später den Grünen als Mehrheitsbeschaffern zwischen CDU/CSU und SPD übten die zentralen Funktionen, die Parteien in der modernen Wettbewerbsdemokratie zufallen, nach den krisenhaften Erfahrungen mit den Parteien der Weimarer Republik überraschend erfolgreich aus. Demgegenüber ist seit der deutschen Vereinigung die vormals überwiegend positive Beurteilung der Parteien einer eher skeptischen “Niedergangsdiskussion” (Wiesendahl 2006) gewichen. Nicht nur im Urteil der Bürgerinnen und Bürger rangieren die Parteien weit abgeschlagen in allen Popularitätsskalen, auch die Forschungsdisziplinen der Politikwissenschaft, die sich mit den Parteien und ihrem gesellschaftlichen Umfeld befassen, haben in ihren Untersuchungen ein breites Spektrum von Krisenbefunden zusammengetragen. Dabei überwiegt eine Sichtweise, die vor allem in langfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen wie einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung in der Wählerschaft, aber auch in Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen wie etwa dem rasch angestiegenen Medieneinfluss die Hauptursachen für die Parteienkrise in der Bundesrepublik erblickt.

Gerd Mielke
Die Entwicklung der grünen Wählerschaft im Laufe dreier Jahrzehnte – eine empirische APK-Analyse

Am 4. Juni 1978 kandidierten grüne Listen zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte bei Landtagswahlen. Die “Grüne Liste Umweltschutz” trat sowohl bei den Landtagswahlen in Niedersachsen als auch bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg an, die beide an diesem Tag stattfanden. In Hamburg kandidierte darüber hinaus auch noch eine “Bunte Liste”, die ebenfalls dem grün-alternativen Spektrum zuzuordnen war (Kleinert 1992; Raschke 1993). Die grüne Partei mit ihren Vorläuferorganisationen kann im Jahr 2008 folglich auf eine dreißigjährige “Wahltradition” zurückblicken. Die vorliegende Abhandlung möchte dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, sich mit der Entwicklung der Wählerschaft der Grünen seit ihrer Entstehung auseinander zu setzen.

Markus Klein
Vom Hörsaal in den Plenarsaal? Lektionen aus dem Studium für den Bundestag

Wer Politikwissenschaften studiert, sieht sich unausweichlich mit bestimmten Klischees konfrontiert. Eines der beliebtesten ist die von Freunden und Verwandten häufig gestellte Frage, ob man mit seinem Abschluss denn später Abgeordneter, Minister oder gar Bundeskanzler werden wolle. Ich habe dies – wie eigentlich alle meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen am Institut für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz – von Beginn an ganz entschieden verneint. Ganz persönlich glaube ich, dass die wenigsten Frager ein “ja” als Antwort in Betracht gezogen hätten.

Martin Gerster

“Der wissenschaftliche und der philosophische Umgang mit Politik” (Falter 1985) oder: Theoretische Positionen und ideengeschichtl. Perspektiven

Frontmatter
Zukunft oder Erosion der Demokratie?

Von jeher wollen die Menschen ihre Lage in der Welt begreifen. Dazu beobachten sie sie und sich selbst, und diese Beobachtungen resultieren in Erfahrungswissen. Aber die Menschen wollen nicht nur wissen, was der Fall ist, sondern auch, was kommt – und darüber denken sie nach oder spekulieren, denn die Zukunft kann nicht bereits Gegenstand von Beobachtungen und Erfahrungen sein.

Michael Th. Greven
Die Revolution des Bürgers Caritat: Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Wahlforschung

Jean-Jacques Rousseau und seine Ideen über den Gesellschaftsvertrag, über die Entstehung der Ungleichheit unter der Menschen oder über die rechte Erziehung von Jungen und Mädchen sind Politologen wohlbekannt. Wer dagegen Rousseaus Zeit- und Sprachgenossen, den Bürger Caritat, auf Anhieb identifiziert, weist sich damit als Spezialist oder zumindest als weit überdurchschnittlich bewanderter Bildungsbürger aus. Weitaus besser bekannt ist der Adelstitel des Herrn – obwohl der Bürger Caritat selbst angeblich nie viel darauf gegeben hat, dass er der Marquis de Condorcet war. Doch selbst Lesern, denen zumindest dieser zweite Name nicht unbekannt ist, dürfte es in der Regel schwerfallen, analog zu den drei bestens bekannten Grundthemen Rousseaus aus dem Stand auch drei Grundthemen oderideen Condorcets aufzulisten.

Ruth Zimmerling
Welche Vorstellung von Wählerrationalität, wozu?

Rational handelt eine Person, die weiß, was sie will, und die denjenigen Handlungskurs wählt, der nach ihrem Urteil am ehesten geeignet ist, zu erreichen, was sie will. Nicht rational ist dementsprechend einerseits erratisches und andererseits strikt gewohnheitsmäßiges Handeln: In diesen beiden Fällen würden wir die Frage nach Zielen und Mitteln nicht für angebracht halten.

Reinhard Zintl
Ein Volk “gibt sich eine Verfassung” – was kann das heißen?

Wenn in unserer Zeit ein neuer Staat gegründet wird oder ein Volk sich von despotischer Unterdrückung befreit hat, stehen viele Modelle geschriebener Verfassung zur Wahl; auch mit der Möglichkeit, Elemente verschiedener Verfassungen zu kombinieren. Doch das ist einem späten Zustand der Entwicklung der politischen Zivilisation zu verdanken. Wie aber entsteht ursprünglich-tatsächlich die politische Verfasstheit eines Gemeinwesens? Wir können das an der Frühzeit der Res Publica Romana studieren: Sie war “nicht nach einem ausgedachten Plan entworfen worden […] sondern sie lebte nur im täglichen Gebrauch” (Gelzer 1948: 13) und “das Volk setzte in der Frühzeit keine Normen, sondern traf politische Entscheidungen für den aktuellen Fall” (Bleicken 1978: 143). Der Ordnungsrahmen “bestand zum geringsten Teil aus Rechtssätzen, sondern weitgehend aus unreflektierter Gewohnheit” (Bleicken 1995: 149).

Hans Buchheim
Das Wichtigste aber ist der Mut Nicht deskriptiv verwaltend sei die Politik, sondern normativ gestaltend!

Welche Aufgabe hat politisches Handeln, und woran misst sich entsprechend die Frage nach seiner Qualität, seinem Erfolg und Gelingen – oder den Versäumnissen, Mängeln, Versagen? Folgt man öffentlichen Debatten über die Qualität von Politik und Politikern, fällt eine eigentümliche anspruchslose Begrenzung des Blicks auf.

Julia Klöckner
Die Geschichte von der Rettung der Welt oder nur noch der politologische Superman kann’s richten

Die Krise ist da! Seit Jahren von Exoten prognostiziert und vom Mainstream verdrängt, ist sie jetzt im Oktober 2008 wirklich da – die weltweite Krise. Ausgelöst durch das spezielle amerikanische Modell immobiler Vermögensbildung, bei dem trotz gänzlich fehlender Eigenmittel das eigene Heim ermöglicht wurde, indem man großzügig ungesicherte Kredite vergab, deren Zins und Tilgung wiederum vielfach kredit-gestützt bedient wurden. Dieses finanztechnische Perpetuum mobile wurde in seinen Risiken geschickt verpackt und weltweit weitergereicht, ein Geschäftsmodell “ohne Rücksicht auf Verluste”.

Gundula Gause, Peter Schmitz

Frag’ nach bei Falter

Frontmatter
Interview mit Jürgen W. Falter

Was war bislang der Höhepunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

a)

Die gemeinsame Arbeit mit Hans Rattinger an der Übertragung des Normal-Vote- Konzeptes auf die Bundesrepublik.

b)

Die Freude an den Forschungen zu Hitlers Wähler.

c)

Die Aufnahme in die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur.

Thomas Leif
Backmatter
Metadaten
Titel
Politik – Wissenschaft – Medien
herausgegeben von
Hanna Kaspar
Harald Schoen
Siegfried Schumann
Jürgen R. Winkler
Copyright-Jahr
2009
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91219-6
Print ISBN
978-3-531-16621-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91219-6