2005 | OriginalPaper | Buchkapitel
Selbstinterpretation als Selbstermächtigung — oder: Sechs Milliarden Personen suchen einen Autor
verfasst von : Peter Gross
Erschienen in: Gegenwärtige Zukünfte
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Luigi Pirandello (1988a), der sizilianische Nobelpreisträger, hat mit dem Titel seines 1921 geschriebenen Theaterstückes „Sechs Personen suchen einen Autor“ auch den Titel des modernen Welttheaters gefunden. Nur sind es nicht mehr nur sechs, sondern sechs Milliarden Personen. Pirandellos Hoffnung, dass die Figuren im besagten Stück ihre eigene Realität erlangen müssen und sich deshalb vom Wollen des Autors zu lösen haben, ja eine Art Gegenwelt darstellen sollen, aus der heraus sie sich wenn nötig sogar gegen die Absichten des Autors zu wehren haben, ist ein Grundimperativ der Moderne. Herausgesprengt aus den herkunftsbezogenen Vorgaben muss der Jetztmensch sein Leben als Aufgabe wahrnehmen. Und getreu der soziologischen Rollentheorie hat der Homo sociologicus nicht mehr einfach eine vorgegebene Rolle zu lesen und zu spielen, sondern diese zu variieren und im Endeffekt selber zu erfinden und zu optimieren. Der Mensch hat zum Autor seiner selbst oder, wie es neuerdings heißt, zum Ich-Unternehmer und zur Ich-AG zu werden. Er sieht sich nicht mehr als gemacht, sondern muss etwas aus sich machen. Er erhält bei der Geburt kein Skript mehr in die Hand gedrückt, das er auf der Weltbühne vorzutragen hat, sondern muss dieses nun selber schreiben und selber spielen.