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11.09.2015 | Baubetrieb | Interview | Online-Artikel

„So kann es nicht weitergehen“

verfasst von: Christoph Berger

5 Min. Lesedauer

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Im Februar 2015 gründeten führende Verbände und Institutionen aus der Wertschöpfungskette Bau die „planen-bauen 4.0 - Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH“. Springer für Professionals sprach mit den beiden Geschäftsführern, Dr. Ilka May und Dipl.-Ing. Helmut Bramann, über aktuelle Aktivitäten und Ziele der Gesellschaft.

Springer für Professionals: Frau Dr. May, Herr Bramann, welches sind die Ziele der Gesellschaft „planen-bauen 4.0 - Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens“?

Dipl.-Ing. Helmut Bramann: Es ist höchste Zeit, dass wir uns in Deutschland mit den Möglichkeiten moderner Techniken wie Building Information Modeling, kurz BIM, befassen. In standortgebundenen Industrien haben moderne Informations- und Kommunikationstechniken längst Einzug gehalten. Das sollten wir nutzen und auch im Bereich Planen, Bauen und Betreiben lernen, mehr in Wertschöpfungsketten zu denken und unsere Prozesse entlang dieser Ketten zu optimieren. Darin liegt für alle Beteiligten eine große Chance.

Welche konkreten Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang auf Ihre Gesellschaft zu?

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Bramann: Die Gesellschaft wurde im Februar2015 gegründet und befindet sich noch in einer Aufbauphase. Derzeit nehmen wir weiterhin interessierte Organisationen und Unternehmen auf. Wir entwickeln Arbeitsstrukturen und suchen vor allem einen Vollzeitgeschäftsführer. Unser Ziel als Interimsgeschäftsführung ist es, Marktpräsenz und Öffentlichkeitswirkung aufzubauen. Im DIN engagieren wir uns, um zunehmende europäische und internationale Normungsaktivitäten zu spiegeln. An anderer Stelle sind wir bestrebt, bislang partikulare BIM-Aktivitäten zu bündeln und die Vertretung Deutschlands in internationalen Initiativen zu gewährleisten. Weitere Aufgaben sind zum Beispiel die Begleitung von Pilot- und Referenzbauvorhaben oder die Wissensvermittlung zum Thema Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Aber auch die Mitwirkung bei der Weiterentwicklung von BIM-kompatiblen Vertragsmustern gehört zu unseren Aufgaben. Geplant ist zudem die Entwicklung von Richtlinien zur Sicherstellung der Qualität in der Bereitstellung von Software, die Zertifizierung von Produkten und Dienstleistungen sowie die Einwerbung, Vergabe und Verwaltung von Fördermitteln und Forschungsgeldern zu Projekten im Bereich des digitalen Planens, Bauens und Betreibens.

Obwohl BIM derzeit in Deutschland in aller Munde ist, scheint es große Unterschiede im Verständnis darüber zu geben. Was verstehen Sie unter BIM?

Dr. Ilka May: Building Information Modelling (BIM) ist eine gemeinschaftliche, durch digitale Technologien unterstützte Arbeitsweise, die effiziente Methoden des Planens, Bauens und Betreibens von Bauwerken ermöglicht. BIM verknüpft wichtige Produkt- oder Objektdaten in einem digitalen 3D-Modell, das dem effektiven Management von Informationen über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks dient – von den frühen Konzeptphasen bis zum Betrieb. Global beginnt bereits eine größer werdende Anzahl von Ländern, die Vorteile und Möglichkeiten durch BIM zu realisieren und in den Ausbau der eigenen Fähigkeiten zu investieren – sowohl im Hochbau wie auch im Infrastrukturbereich. Das gilt für Neubauten, für Ertüchtigungsmaßnahmen und Renovierungen.

Welche Potenziale sehen Sie in der BIM-Methode?

May: Um das volle Potenzial von BIM ausschöpfen zu können, müssen wir über die Realisierungsphase eines Bauprojekts hinausdenken. Wir müssen Wege finden, die digitale Technologie und die daran gekoppelten Prozesse zu nutzen, um mehr Kapazität und Leistungsfähigkeit unserer Bauwerke und unserer Infrastruktur zu erzielen – und das, ohne mehr investieren zu müssen und mehr Ressourcen zu verbrauchen. Die Verfügbarkeit unserer Bauten für die Nutzer muss maximiert und ihre Leistung mithilfe digitaler Daten beobachtet werden, damit wir Probleme frühzeitig erkennen. Die gewonnenen Erkenntnisse über das tatsächliche Verhalten unserer Bauwerke müssen dann wieder in die Planung der nächsten Generation von Bauwerken einfließen. Darüber hinaus sollten wir die Ziele der Wertschöpfungskette Bau mit anderen Strategien und Zielsetzungen in Deutschland verknüpfen, wie etwa der Digitalisierung der industriellen Produktion durch den Maschinenbau. Dadurch können wir noch größere Hebelwirkung im Markt erreichen, da sich die beiden Initiativen, planen-bauen 4.0 und Industrie 4.0, gleichermaßen auf Ziele der Nachhaltigkeit, wie Energie- und Ressourceneffizienz sowie Lebens- und Arbeitsqualität, stützen.

Sind mit der Nutzung digitaler Techniken auch Risiken verbunden?

Bramann: Innovationen bedeuten immer auch Marktveränderungen. Klassische Rollenverteilungen, Geschäftsmodelle und Aufgabenprofile können sich verändern, neue Jobprofile und Qualifikationen entstehen. Bei so manchem traditionell arbeitenden Architekturbüro oder Baubetrieb können da Vorbehalte entstehen: Können wir die technologische Entwicklung und den damit verbundenen Aufwand an Hardware, Software, Schulungen und Kenntnissen überhaupt aufnehmen und umsetzen? So kommt auf Planer mehr Aufwand in frühen Leistungsphasen und in der Projektvorbereitung zu, der auch bezahlt sein will. Mancher Bauausführende beklagt gegebenenfalls Überforderung bei der Vertragsprüfung und reduzierte Nachtragsmöglichkeiten. Angemessene Änderungen in der HOAI und die Entwicklung neuer fairer Vertragsmodelle sind deshalb umso wichtiger. Gebraucht werden klare Anforderungen an den Markt sowie einheitliche und offene Standards, die die Marktteilnehmer nicht überfordern oder übervorteilen. Die notwendigen Veränderungen müssen wir schrittweise vornehmen, aktiv begleiten und steuern.

Es gibt auch viele kritischen Stimmen zu BIM. Was entgegnen Sie diesen?

Bramann: Die Frage ist doch, wollen wir künftig „partnerschaftlich“ oder, wie bisher, „partikular" agieren? Wer hier Bedenken hegt, der sollte einmal intensiv darüber nachdenken, ob er wirklich an unseren heutigen Marktkonstellationen in Deutschland weiter festhalten will, die zunehmend von einem Gegeneinander der Beteiligten geprägt sind. Die Profitabilität ist in den letzten Jahrzehnten für alle Baubeteiligten gesunken, Baustreitigkeiten steigen immer weiter an, Planungs- und Baukosten explodieren, während Qualitätskriterien wie „Terminsicherheit und Budgeteinhaltung“ leiden. So kann es nicht weitergehen. Ich bin deshalb felsenfest überzeugt, dass sich BIM als wesentlicher Baustein zu einer partnerschaftlicheren Alternative auch in Deutschland durchsetzen muss und wird. Darin liegt für uns eine Chance.

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