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10.02.2014 | Bodenschutz | Interview | Online-Artikel

Mehr fruchtbare Böden als Lebensgrundlage erhalten

verfasst von: Günter Knackfuß

5:30 Min. Lesedauer

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Das Nachhaltigkeitsziel beim Flächenverbrauch wird nach aktuellen Zahlen nicht erreicht werden. Im Interview erklärt Dr. Frank Glante welche Ursachen Bodenversiegelung und –kontamination haben und wie sie bekämpft werden können.

In Deutschland werden täglich rund 70 Hektar Boden zu Bauland für Siedlungen- und Verkehrswege umgewidmet, alle drei Tage verschwindet somit die Fläche des Großen Tiergartens in Berlin. Zwar sinkt der Flächenverbrauch in Deutschland seit dem Jahr 2000 langsam, der gegenwärtige Rückgang reicht aber nicht aus, um das nationale Nachhaltigkeitsziel beim Flächenverbrauch zu erreichen.

Springer für Professionals: Für Deutschland wurden die Weinbergsböden zum Boden des Jahres 2014 gekürt. Warum ausgerechnet Flächen auf dem Wein gedeiht?

Frank Glante: Weinbergsböden sind durch Nutzung geprägte Böden, die in besonderer Weise landschaftstypisch bzw. landschaftsbildend, als anthropogene Böden durch die menschliche Nutzung verändert und damit Spiegel unserer bis zu zweitausendjähriger Kulturgeschichte in Mitteleuropa sind. Wegen ihrer Lage an den Talhängen und in den Tälern und Auen der Flüsse können die Weinbergsböden eine besondere Rolle im Wasserhaushalt und Stoffhaushalt von Landschaften spielen. Zum Beispiel beim dezentralen Wasserrückhalt und beim Hochwasserschutz sowie bei der Vermeidung stofflicher Einträge in Oberflächengewässer. Die Böden historischer Weinbergslagen sind als Archiv der Kulturgeschichte besonders schützenswert. Rebterrassen sind außerdem prägend für das Landschaftsbild und damit wichtig für den Tourismus.

Sind Weinbergsböden gefährdet?

Ja, durch folgende Faktoren:

  1. Flächen für Weinanbau in Deutschland sind in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen. Alte Rebflächen, insbesondere in Steillagen werden aufgelassen und verbuschen, Bauwerke der Terrassierung verfallen.
  2. Intensive Bodenveränderungen bei Flurbereinigungen und modernen Standortveränderungen können durch massive Erdbauarbeiten zu Veränderungen im Landschaftsmaßstab führen. Großflächige Umbauten von Hängen und Neuterrassierungen zerstören die alten Bodendecken und historische Terrassenanlagen; sie verändern das Terroir bis hin zu kleinklimatischen Veränderungen.
  3. Hanglagen, insbesondere Steillagen sind in Verbindung mit der Dauerkultur Wein in besonderer Weise gegenüber Bodenabtrag durch Wassererosion exponiert. Traditionell werden die Rebreihen in Gefällerichtung gepflanzt und bearbeitet; der Boden wird frei von anderweitigem Aufwuchs gehalten. Hier setzen sich zunehmend alternative Anbausysteme (Rebreihen parallel zum Hang, Mulchdecken, Teil- oder Gesamtbegrünung) durch.
  4. Im Weinbau wird traditionell intensiver Pflanzenschutzes und hohe Düngergaben angewendet. Das führt zum Teil zu erheblichen Fungizid- und Insektizidbelastungen der Böden. Selbst im ökologischen Weinbau werden nach wie vor auf Kupferpräparate zur Bekämpfung des Falschen Mehltaus (Plasmopara viticola) verwendet, woraus erhebliche, moderne und vielerorts bereits historische Kupferbelastungen resultieren.
  5. Nicht zuletzt bedeutet das traditionelle Rigolen selbst durch die tiefgreifende Bodenbearbeitung eine stetige Umwandlung der Bodendecken. Gleiches gilt für den Bodenauftrag, der bei der Neuanlage von Rebflächen mitunter praktiziert wird.

Ihre Kommission führt die wesentlichen Akteure des Bodenschutzes aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung übergreifend zusammen. Was steht ganz oben auf der aktuellen Agenda?

Die Kommission hat sich frühzeitig mit der Frage des Bodenschutzes beim Anbau nachwachsender Rohstoffe beschäftigt und mehrere Veranstaltungen zur Frage des Flächenverbrauchs durchgeführt. Weitere Themen sind die schleichende Anreicherung von Schadstoffen in Böden, nachhaltige Bodennutzung, Boden als Ressource für Nahrungsmittelsicherheit und ökologische Leistungen.

Wie können Bodenversiegelung und Bodenkontamination bekämpft werden?

Schädliche Bodenveränderungen durch Stoffeinträge (Bodenkontamination) sind im Bundesbodenschutzgesetz und in der dazu gehörenden Verordnung geregelt. Wenn der Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung besteht, muss gehandelt werden, wenn eine Gefahr für Mensch und Umwelt besteht greifen Sanierungs- oder Sicherungsmaßnahmen. Das Verfahren bei der Altlastensanierung ist also ausreichend geregelt. Wichtig ist, dass solche Analysen auch stattfinden. Außerdem ist bei bestehenden Anlagen wichtig, dass keine Kontamination entsteht.
Bodenversiegelung wird in erster Linie nach den Regelungen des Baugesetzbuchs geregelt. Zwar gibt es das Ziel, bis 2020 nur noch 30 ha je Tag in Siedlungs- und Verkehrsfläche umzuwandeln. Aber dies ist nicht mit Versiegelung gleichzusetzen. Wir schätzen, dass 50% der Siedlungs- und Verkehrsfläche versiegelt ist. Hier ist neben den Planungsbehörden in den Kommunen auch jeder Bauherr selbst gefragt: Ist eine vollflächige Versiegelung notwendig? Kann ich wasserdurchlässige Schichten verwenden? Wieviele meiner Flächen müssen unbedingt versiegelt werden. Im Rahmen der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sollte bei Versiegelung auch immer die Frage des Ausgleichs durch Entsiegelung im Planungsraum stehen.

Welche Risiken bestehen bei einem zu intensiven Gebrauch der Böden? 

Die Frage ist, wie man "Gebrauch formuliert. Hohe Schad- und Nährstoffeinträge beeinflussen das Leben im Boden, führen unter Umständen zu Austrägen in das Grundwasser (wie beispielsweise Stickstoff). Schadstoffe können sich in der Nahrungskette anreichern (Dioxine…). Mais-Monokultur für Biogasanlagen kann am falschen Ort (z.B. Anbau in Niedermoorgebieten) zu hohen CO2-Emissionen und zur Verringerung der Bodenfruchtbarkeit führen. Schwere Maschinen unter ungünstigen Witterungsbedingungen können zur Bodenverdichtung führen, Arbeiten auf hängigen Lagen unter Umständen zu verstärkter Erosion.

Zum Thema "Ernährung - auf dem Boden der Tatsachen" hat die Kommission Bodenschutz des Umweltbundesamtes (KBU) 2013 ein 7-Punkte-Programm fixiert. Welche Herausforderung steht dabei im Vordergrund?

Das Programm gibt es hier.
Für uns ist es notwendig, dass sowohl national, europäisch als auch global definierte Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Boden garantieren. Deshalb treten wir für ein bodenbezogenes globales Nachhaltigkeitsziel (SDG) ein. Das Umweltbundesamt hat sich auch immer positiv zur EU-Boden-Rahmenrichtlinie geäußert. Falls die EU-Kommission den Entwurf tatsächlich – wie angekündigt – zurückziehen will, ist eine wirksame Alternative für europäischen Bodenschutz notwendig. Das bedeutet aber auch, dass es Vorgaben geben muss, die verbindlich sind.

Welche Strategien gibt es, um eine nachhaltige globale Landnutzung zu sichern?

Die landwirtschaftlich genutzte Fläche hat in den letzten Jahren zugenommen-, allerdings zu Lasten der Wälder und der Feuchtgebiete. Das bedeutet, die Nutzungskonkurrenz – Teller – Trog – Tank – steigt. Aufgrund der ständig steigenden Weltbevölkerung und aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten (steigender Fleischkonsum). Die fruchtbare Bodenfläche ist endlich; im Gegenteil, wir verlieren durch Bodendegradation fruchtbares Land. Hier müssen wir uns neuen Herausforderungen stellen. Ohne nachhaltige Bodennutzung geht es nicht. 50% der Weltbevölkerung lebt inzwischen in Städten, "urban agriculture" ist hier ein neues Schlagwort. Ein Erhalt fruchtbarer Böden auch durch Nutzung bereits vorgenutzter Standorte statt Bauen auf der "grünen Wiese" ist wichtig.

Revitalisierung von Böden – gerade in Entwicklungsländern, Nutzung traditioneller Anbaumethoden, fairer Zugang zu Land und zu Märkten – das Themenfeld ist komplex und von Land zu Land liegt der Schwerpunkt woanders. Wir dürfen aber nicht abwarten, sondern müssen jetzt handeln. Das heißt auch, dass wir uns über unser Handeln Gedanken machen müssen. Zum Beispiel kostet unser hoher Fleischkonsum Ressourcen in anderen Teilen der Welt, ob nun als Weideland, Flächen für Futtermittel…

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

01.12.2013 | Bericht aus Forschung und Praxis

Auf dem Weg zu einer besseren Flächennutzungsstatistik

2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die Auflösung der Städte

Quelle:
Nachhaltige Stadt- und Verkehrsplanung