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18.02.2015 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Carsharing soll ÖPNV kannibalisieren

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

5 Min. Lesedauer

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Carsharing ist ein wichtiger Trend in der Automobilindustrie. Hier schlummert noch großes Marktpotenzial. Doch das Wachstum im Bereich Carsharing soll zu Lasten der öffentlichen Verkehrsmittel gehen. Nutzt das der Umwelt und den Menschen?

Täglich verursacht der private und motorisierte Individualverkehr Staus, Emissionen und Parkraumnot. Daher mieten viele Menschen lieber bei Bedarf ein Auto und teilen es mit anderen, statt ein eigenes zu besitzen. Weniger Fahrzeuge sollen mehr Mobilität erzeugen und so die Umwelt, Städte und Einwohner gleichermaßen entlasten.

Marktpotenzial wird aktuell kaum ausgeschöpft

Die gemeinsame Nutzung von Leihwagen, das Carsharing, boomt seit geraumer Zeit. Über 60 Prozent der Führerscheininhaber kennen mindestens einen Anbieter und circa 1 Million Nutzer sind bereits registriert, geht aus einer Studie von Berylls Strategy Advisors und mm Customer Strategy zur Situation von Carsharing aus Kundensicht hervor. Doch trotz hoher Bekanntheit steht Carsharing in Deutschland mit gerade 1,7 Prozent Marktpenetration aber noch am Anfang. Allerdings: Das Marktpotenzial ist enorm. Gelänge es, 10 Prozent des motorisierten Individualverkehrs auf Carsharing zu verlagern, entspräche dies Schätzungen der Analysten zufolge einem Erlöspotenzial von über 35 Milliarden Euro in Deutschland.

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Dabei ist Carsharing ist nicht gleich Carsharing. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass der Markterfolg zum großen Teil aus dem starken Wachstum der sogenannten Freefloater wie DriveNow (BMW / Mini/Sixt) und Car2go (Daimler / Europcar) resultiert. Hier gibt es keine festen Mietstationen wie bei stationären Angeboten. Die Fahrzeuge werden auf öffentlichen Parkplätzen in einer bestimmten Region abgeholt und wieder abgestellt. Um 347.000 (+189 Prozent) ist die Zahl der Free-Floating-Nutzer (5900 Fahrzeuge) von Januar 2013 bis Juli 2014 auf 530.000 gewachsen, geht aus einer Gemeinschaftsstudie von TÜV Rheinland, FSP und BBE Automotive hervor. Lediglich um 200.000 (+74 Prozent) habe sich im selben Zeitraum die Zahl der Nutzer von stationsbasierten Angeboten (rund 9000 Autos) erhöht.

Wachstum zu Lasten anderer Verkehrsträger

Allerdings: Carsharing soll sein Wachstum zu Lasten von anderen Verkehrsträgern erzielen. Zwar geben 7 Prozent der befragten Carsharer an, den öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) intensiver zu nutzen - dem stehen jedoch 22 Prozent gegenüber, die den ÖPNV aufgrund von Carsharing weniger oder gar nicht mehr nutzen, geht aus der Berylls-Studie hervor. Auf besonders starke Einschnitte müssten sich vor allem die Taxiunternehmen und Autovermieter einstellen. Dies berge Sprengstoff für die Diskussion auf kommunaler Ebene, ob eine Stärkung des motorisierten Individualverkehrs wünschenswert sei, sagt Dr. Matthias Kempf, Partner bei Berylls Strategy Advisors.

Zwischen stationären und Free-Floating-Angeboten gibt es deutliche Unterschiede: Während erstere vornehmlich öffentliche Verkehrsmittel im Regional- und Fernverkehr ersetzen, so werden letztere anstelle von Taxi und Mietwagen genutzt, geben die Berylls-Analysten an. Auch die Nutzergruppen unterscheiden sich: Während historisch vor allem ökologisch motivierte Menschen von (stationärem, vereinsbasiertem) Carsharing angesprochen wurden, wachse mit den neuen Konzepten eine Gruppe von anspruchsvollen und gut motorisierten Nutzern hinzu. Am höchsten ist mittlerweile die Carsharing-Durchdringung bei Nutzern, die selbst ein Fahrzeug der oberen Mittel- oder Oberklasse besitzen.

Nutzungsmotiv "Umweltschutz" weniger wichtig

Ist dann Carsharing wirklich umweltfreundlicher, wenn es zulasten des ÖPNV geht? Immerhin ist der "Umweltschutz" nach den Nutzungsgründen "Bequemlichkeit" und "Kostenreduktion" nur noch das drittwichtigste Nutzungsmotiv für Carsharing. Und könnten batterieelektrische Pkw ihre Vorteile im Carsharing-Betrieb gegenüber herkömmlichen Autos ausspielen? Gerade im Stadtverkehr und bei Carsharing wäre der Einsatz von Elektroautos ideal. Um Fahrzeugflotten aber elektrisch zu betreiben, müssen aber Ladezeiten verkürzt und Buchungsvorgänge vereinfacht werden.

Die Kritik am flexiblen Carsharing ist nicht neu: So befürchtete auch der Bundesverband Carsharing in der Vergangenheit, dass das flexible Autokonzept den ÖPNV kannibalisieren könnte. Und auch Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe äußerte diesbezüglich Bedenken. Gerade zu flexiblen Carsharing-Systemen gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Daher befassen sich aktuell mehrere Projekte mit Thema, um mehr über Free Floating zu erfahren: Zum Beispiel die Projekte "WiMobil Wirkung von E-Carsharing Systemen auf Mobilität und Umwelt in urbanen Räumen“ (2012-2015), "EVA-CS - Evaluation der neuen flexiblen Carsharing-Angebote in München" (2012-2014) und "Share - Wissenschaftliche Begleitforschung von car2go mit batterieelektrischen und konventionellen Fahrzeugen" (2012-2016).

Sehr deutlich wurde Carsharing jüngst in einer Studie von Civity kritisiert. Das Beratungsunternehmen für öffentliche Dienstleistungen vertritt die These, dass Free-Floating-Carsharing nicht zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungsräumen beitrage. Diese Carsharing-Variante verdränge zudem umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel wie das Fahrrad. Free-Floating-Carsharing sei "motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich". Allerdings: Die Studie hat lediglich das Buchungsverhalten der Nutzer auf den Internetseiten der Carsharing-Anbieter getrackt. Ob sich damit Rückschlüsse auf das Fahrverhalten der Nutzer schließen lassen, ist fraglich.

Privilegien für Carsharing-Autos geplant

So sieht sich das Thema Carsharing einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, gerade zu einer Zeit, in der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt neue Privilegien für Carsharing-Autos planen soll, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete. Wer Carsharing-Angebote nutzt, soll dieselben Vorteile erhalten wie Besitzer von Elektroautos, etwa Sonderparkplätze für Carsharing-Fahrzeuge.

Damit alleine ist es aber nicht getan. Vielmehr sollte die Frage gestellt werden, wie sich die urbane Mobilität insgesamt für Menschen und Umwelt verbessern lässt. Einzellösungen, isolierte Geschäftsmodelle und fragmentierte Angebote sind nicht zielführend. Sinnvoller sind die Förderung eines multimodalen Verkehrsverhaltes und die Verschmelzung aller Mobilitätsangebote an Knotenpunkten. Zum Beispiel müssten Carsharing-Angebote sinnvoll mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft, aber auch in Konzepte für den Fahrrad- und Fußverkehr eingebettet werden. Viele Carsharing-Nutzer wünschen sich die nahtlose Kombination mit dem ÖPNV.

"Die aktuellen Carsharing-Angebote sind fragmentiert und nicht flächendeckend. So kann der Kunde sich nicht uneingeschränkt darauf verlassen und nutzt Carsharing nur sporadisch", sagt Markus Müller- Martini, Mitautor der Berylls-Studie. Die vielfältigen Angebote müssten verschmelzen, um den Kunden ein durchgängiges, intuitiv nutzbares, breit verfügbares und damit im Alltag verlässliches Mobilitätsangebot zu präsentieren.

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