Im Folgenden werden strukturelle Ursachen für Transparenzdefizite polizeilichen Handelns im Allgemeinen (3.1) und für die polizeiliche Datenverarbeitung (3.2) untersucht.
3.1 Strukturelle Ursachen von Intransparenz polizeilichen Handelns
Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass Polizeiarbeit zu Intransparenz tendiert. Datenschutz genießt bei manchen Polizist:innen einen schlechten Ruf und wird oft fälschlicherweise als „Täterschutz“ oder als Gegensatz zum „Opferschutz“ verstanden.
48 Pflichten zu Transparenz in Form von Aufklärungs- und Benachrichtigungspflichten können aus einer polizeilichen Perspektive zudem als lästig und arbeitsintensiv empfunden werden.
Dabei haben verdeckte und damit
per definitionem intransparente Eingriffsbefugnisse in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, was schon vor Jahren, was schon vor 20 Jahren zutreffend als „Vernachrichtendienstlichung“ polizeilicher Tätigkeit bezeichnet wurde.
49 Zugleich ist die Bindung der Polizeiarbeit an klare und transparent nachvollziehbare Eingriffsvoraussetzungen durch neue Befugnisse im Vorfeld von konkreten Gefahren und Straftaten schwächer geworden.
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Auch die offene Datenverarbeitung ist für die Betroffenen oft wenig transparent, was aus der Perspektive der Polizeipraxis von Vorteil sein kann. Wissen die Adressat:innen polizeilicher Maßnahmen nicht, was die Polizei über sie weiß, so können sich hieraus für die Polizei taktische Vorteile ergeben, etwa bei der Vernehmung von Beschuldigten. Jeder Wissensvorsprung ist zugleich mit Macht gegenüber den Betroffenen verbunden,
51 die situationsbedingt genutzt werden kann. Dies gilt auch, wenn sich Betroffene über ihre Rechte und den rechtmäßigen Handlungsrahmen der Polizei nicht bewusst sind und daher rechtlich zweifelhafte oder gar rechtswidrige Eingriffsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Dies kann insbesondere bei Menschen mit eingeschränktem Bildungshintergrund oder mangelnden Sprachkenntnissen der Fall sein, die erheblich in ihrer Beschwerdemacht beschränkt sind. In solchen Fällen kann Intransparenz dazu führen, dass Fehlverhalten nicht bemerkt oder ignoriert wird und daher ohne Konsequenzen bleibt.
52 Bei der Polizei kommt noch hinzu, dass sie selbst bei polizeilichem Fehlverhalten nicht nur für die disziplinarrechtlichen, sondern auch für die strafrechtlichen Ermittlungen zuständig ist. Die staatsanwaltschaftliche Verfahrensleitung funktioniert hier als Korrektiv nur unzulänglich. Externe
Accountability-Foren wie Polizeibeauftragte, die zu mehr Transparenz polizeilichen Handelns beitragen könnten, gibt es bislang nur in einigen Bundesländern.
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Kontroverse Debatten über die polizeiliche Kennzeichnungspflicht oder die Ausstellung von Nachweisen über polizeiliche Kontrollen zeigen außerdem, dass manche Polizist:innen und Vertreter:innen ihrer Gewerkschaften transparenteres polizeiliches Handeln mit der Behauptung abwehren, Polizist:innen würden durch solche Vorschläge unter einen „Generalverdacht“ gestellt.
54 Insofern bewerten einige Polizist:innen intransparente Strukturen offenbar positiv, wobei die akzeptanzfördernden und deeskalierenden Effekte von Transparenz übersehen werden.
Intransparenz muss allerdings in Einsatzsituationen nicht immer machtorientiert und intentional sein. So können etwa die handelnden Polizist:innen die Rahmenbedingungen ihres Handelns so stark verinnerlicht haben, dass sie die Intransparenz ihrer Maßnahmen für die Betroffenen gar nicht wahrnehmen, während ihr Agieren für die Adressat:innen ungewohnt, intransparent oder belastend sein kann.
3.2 Spezielle Ursachen der Intransparenz polizeilicher Datenverarbeitung – Beispiele aus den Forschungsprojekten MEDIAN und AMBOS
Bei der polizeilichen Datenverarbeitung kommen weitere Ursachen für eine verbreitete Intransparenz hinzu. Vielfach fehlt es bereits an ausreichenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine transparente Datenverarbeitung, da gesetzliche Regelungen aufgrund der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts schnell obsolet werden. Neue technische Entwicklungen ermöglichen oftmals Eingriffsmaßnahmen, die faktisch schwerer wiegen als es die Gesetzgebung bei Erlass der Eingriffsbefugnisse absehen konnte.
55 Zudem tendiert die Gesetzgebung bereits seit Beginn der Umsetzung der BVerfG-Anforderungen aus der Volkszählungsentscheidung aus dem Jahr 1983 zur Schaffung abstrakter, weitgehend unbestimmter Normen für polizeiliche Informationseingriffe.
56 Dies führt dazu, dass (potenziell) Betroffene anhand des Gesetzestextes nicht ohne Weiteres nachvollziehen können, welche Befugnisse die Polizei in der konkreten Situation hat. Dies beginnt bereits bei „einfachen“ und niedrigschwelligen Kontrollmaßnahmen.
Polizeiliche Personenkontrollen umfassen regelmäßig die Identitätsfeststellung und Befragungen. Im Rahmen des Forschungsprojekts MEDIAN zeigte sich, dass der Abgleich der Personendaten mit polizeilichen Datenbanken eine regelmäßig durchgeführte Folgemaßnahme ist. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Datenbankabgleich sind dabei sehr allgemein formuliert – in der Regel reicht die Erforderlichkeit für die polizeiliche Aufgabenerfüllung aus –, sodass die rechtlichen Zugangshürden für Polizist:innen bei dieser Maßnahme sehr niedrig sind.
57 Für Betroffene ist in der Regel nicht ersichtlich, dass und mit welchen Datenbanken ihre Daten abgeglichen werden, ob die erhobenen Daten gespeichert werden und welche langfristigen Konsequenzen dieser Abgleich für sie hat,
58 obwohl Transparenz nach der hier vertretenen Rechtsauffassung bereits aufgrund der Vorgaben des EU-Rechts und des Verfassungsrechts (s. o., Abschn.
2) geboten wäre. Auch die handelnden Polizist:innen dürften indes kaum in der Lage sein, die Abläufe in den Hintergrundsystemen beim Datenabgleich präzise zu erläutern. Zudem werden Betroffene über den Zweck und die Konsequenzen des Datenabgleichs folglich regelmäßig nicht aufgeklärt. Durch die Nutzung mobiler Geräte, wie sie im MEDIAN-Projekt für polizeiliche Kontrollen erforscht werden, könnte die Intransparenz dessen, was mit den Daten der Betroffenen geschieht, noch weiter steigen, wenn hiergegen keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden.
Auch für den gesamten Ablauf von Personenkontrollen gibt es in Deutschland weder klare gesetzliche Vorgaben noch einheitliche professionelle Standards, nicht zuletzt, weil die Maßnahme in Literatur und Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg als wenig grundrechtseingriffsintensiv eingeordnet wurde, was rechtlich und faktisch in vielen Konstellationen nicht zutreffend ist.
59 Die Aufklärung über Rechtsgrundlagen, Sinn und Zweck der Personenkontrolle und die damit verbundenen Maßnahmen bleibt somit den Polizist:innen vor Ort überlassen.
60 De facto unterbleibt diese Information oftmals. Die Betroffenen erfahren in diesen Fällen nicht, warum sie kontrolliert werden. Aufgrund der unklaren Vorgaben erfolgen Personenkontrollen in Deutschland zumeist aufgrund von Intuition, Gespür oder Erfahrungswissen der Polizist:innen,
61 wodurch das Risiko besteht, dass Vorurteile oder sogar Rassismus in die Auswahlentscheidung einfließen.
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Transparenzprobleme werden auch bei der polizeilichen Drohnenabwehr ersichtlich. Die zunehmende Nutzung von Drohnen durch Private birgt neue Gefährdungspotenziale für die öffentliche Sicherheit. Drohnen können durch unberechtigte Videoaufnahmen, die Nutzung eines hierfür gesperrten Luftraums oder unbeabsichtigte oder gezielte Abstürze einen Rechtsverstoß oder sogar eine Gefahr für Leben und Gesundheit der hiervon Betroffenen darstellen. Die im Projekt AMBOS entwickelte Technik zur Detektion von Drohnen und zur Intervention wird primär bei größeren Veranstaltungen, etwa den durch Art. 8 GG geschützten Versammlungen, bei Staatsbesuchen oder zum Schutz kritischer Infrastruktur eingesetzt werden. Damit eine solche Detektion und ggf. eine Intervention stattfinden kann, werden die hierfür notwendigen Detektionstechniken im öffentlichen Raum aufgebaut oder vorgehalten.
63 Die Detektion kann beispielsweise mittels Funk-, Akustik-, Elektro-Optik- (EO-), Infrarot- (IR) und Radarsensoren erfolgen. Als Interventionsmittel können beispielsweise Anwendungen zum Stören der Funkfernsteuerung oder Satellitennavigation
(Jamming), hochpotente elektromagnetische Wellen (HPEM-Wellen) zum Stören der Elektronik oder Netzwerfer eingesetzt werden, die eine Drohne mittels eines verschossenen Fangnetzes unschädlich machen.
Für Versammlungsteilnehmer:innen und Menschen, die an anderen Veranstaltungen teilnehmen oder zufällig in Kontakt mit solchen Detektionsmitteln kommen, ist regelmäßig nicht ohne weitere Hinweise erkennbar, wofür die von der Polizei aufgestellten Kameras, Mikrofon- und Funkantennen oder Radarsensoren genutzt werden.
64 So kann der Eindruck entstehen, dass diese Technik der Überwachung anwesender Personen dient.
65 Gerade die Ungewissheit ob, wozu und in welcher Weise die mittels der Detektionstechnik gewonnenen Informationen später verwendet werden können, kann die Betroffenen in ihrem Recht hemmen, sich frei zu entfalten oder ungehindert zu versammeln. Wer unsicher ist, ob bestimmte Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen ggf. dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.
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Zusätzlich wirken Interventionsmittel wie etwas ein Netzwerfer oder ein Gerät, das HPEM-Wellen aussendet, martialisch und einschüchternd. Diese Geräte erinnern eher an militärische Gegenstände und können leicht mit Waffen verwechselt werden. Da diese zusätzlich zu den Mitteln der Detektion vor Ort sein müssen, kann der Eindruck entstehen, dass es sich um eine Veranstaltung handelt, die im höchsten Maße dem Risiko von Angriffen ausgesetzt oder die besonders gefährlich ist, zum Beispiel mit Blick auf die Teilnehmenden.
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Funktionsweise und Nutzung neuartiger technischer Geräte zur Bild- und Tonaufzeichnung, zum Datenabgleich oder zur Gefahrendetektion für die Betroffenen weitgehend intransparent sind und den Grundrechtsgebrauch qua Einschüchterung beeinträchtigen können. Daher ist es überaus wichtig, dass das Einsatzziel solcher Technik für die Menschen im öffentlichen Raum problemlos erkennbar ist.