2020 | OriginalPaper | Buchkapitel
Umstrittene Legitimität. Das Internationale Straftribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) als „Stimme der Menschheit“ und als „politisches Gericht“
verfasst von : Anna Geis, Katarina Ristić
Erschienen in: Visualität und Weltpolitik
Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden
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Internationale Straftribunale agieren in einem globalen Kontext einer zunehmenden Politisierung von internationalen Organisationen. Daraus folgt, dass sie – ähnlich wie andere internationale Organisationen – durch eigene Anstrengungen permanent um die Legitimation durch verschiedene Adressatengruppen werben müssen. Auch Gerichtshöfe, die durch Verträge von Staaten oder durch UN-Resolutionen entstanden sind und eigentlich vor allem durch ihre Gerichtsurteile – idealerweise die Implementation der universell geteilten Norm eines Endes der Straflosigkeit – für sich sprechen möchten, sehen sich inzwischen gezwungen, ihrerseits Legitimitätspolitik zu betreiben.Der vorliegende Beitrag untersucht am Beispiel des Internationalen Straftribunals für Ex-Jugoslawien (ICTY), wie der Gerichtshof seine Legitimation durch unterschiedliche globale und lokale Adressaten mit visuell-sprachlichen Selbstdarstellungen zu fördern versucht (Selbstlegitimation/Outreach), und inwieweit diese normativen Selbstbeschreibungen in der lokalen Medienberichterstattung über Strafprozesse bestätigt, verhandelt oder abgelehnt werden. Der ICTY inszeniert sich als überparteiliche „Stimme der Menschheit“, die den Opfern der Jugoslawien-Kriegen zu ihrem Recht verhelfen möchte, hochrangige Täter bestraft und historische Wahrheiten etabliert. Wie wird dieses Legitimationsnarrativ des justice being done von unterschiedlichen Adressatenkreisen aufgenommen? Diese Frage wird exemplarisch anhand des im März 2016 verkündeten Urteils über einen der prominentesten Angeklagten des ICTY, den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, untersucht. Das untersuchte Material umfasst selbst produzierte Dokumentarfilme des ICTY und Abendnachrichten bosnischer und serbischer TV-Sender. Scharfe Kritik am ICTY stellt diesen als illegitimes „politisches“ Tribunal dar, das vor allem Serben anprangere und unfaire Urteile verhänge.Der Beitrag schließt konzeptionell an Arbeiten an, die sich der empirischen Erforschung von „Legitimationsgeschehen“ im Kontext internationaler Institutionen widmen. Die Legitimität einer Ordnung oder einer Institution ist nicht einfach gegeben, sondern muss durch diskursive Prozesse permanent hergestellt werden. Solche Legitimationsdiskurse sind multimodal, d. h. sie rekurrieren u. a. auf sprachliche und visuelle Modi. Institutionen der internationalen Strafjustiz greifen in besonderem Maße auf Bildmaterial zurück, um ihre Arbeit zu legitimieren: im Gerichtssaal, um visuelle Beweise von Verbrechen zu zeigen; außerhalb des Gerichtssaals, um die Kernbotschaft des justice being done zu untermauern, auch unter Rückgriff auf Pathos und fragwürdige Stereotypisierungen von Opferbildern. Anhand von zwei ausgewählten ikonischen Bildern aus dem Bosnien-Krieg (welche die Opfer Ramo Osmanović und Fikret Alić zeigen), die sowohl in ICTY-Dokumentarfilmen als auch bosnischen Medien wiederholt verwendet wurden, wird exemplarisch aufgezeigt, wie Bedeutung im Kontext von Kriegsverbrechen hergestellt wird.