Folgt man einer rein quantitativen Sichtweise, ist lediglich die Frage entscheidend, ob die GloBE-Regeln bei Abstandnahme von Voraussetzungen der Auslandsansässigkeit oder grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen dennoch meistens zu einer Besteuerung von deutschen Konzerneinheiten multinationaler Konzerne mit niedrig besteuerten Konzerneinheiten im Ausland führen. Dies ist nach Auffassung des Autors eindeutig der Fall. Denn in Deutschland wird die effektive Steuerquote durch Einkommensteuer, Körperschaftsteuer (inkl. Solidaritätszuschlag) und Gewerbesteuer nahezu ausschließlich oberhalb des Mindeststeuersatzes liegen. Als erster Grund hierfür ist zunächst die im internationalen Vergleich herausstechende Höhe der deutschen Unternehmensteuersätze anzuführen, die Deutschland zu einem Hochsteuerland qualifiziert.
131 Für Kapitalgesellschaften beträgt der gesetzliche Steuersatz ca. 30 % und damit das Doppelte des Mindeststeuersatzes. Eine erst vor kurzem erschienene Feldstudie zeigt zudem für Deutschland auf, dass es nur in sehr begrenztem Umfang kritische Abweichungen in den deutschen Vorschriften zur Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage von denen zur Ermittlung der GloBE-Einkünfte gibt.
132 Daraus kann geschlossenen werden, dass das Risiko, in Deutschland eine bei isolierter Betrachtung nach den GloBE-Regeln niedrig besteuerte Konzerneinheit auszuweisen, recht gering ist. Die Möglichkeit der Feststellung einer konzernbezogenen Niedrigbesteuerung in Deutschland wird darüber hinaus dadurch (erheblich) eingeschränkt, dass das Jurisdictional Blending bei der Ermittlung der effektiven Steuerquote etwaige Steuervorteile für einzelne Konzerneinheiten wieder ausgleichen kann.
133 Für Deutschland als Hochsteuerland wird somit nur sehr selten eine Niedrigbesteuerung der darin ansässigen Konzerneinheiten eines Konzerns festzustellen sein. Betrachtet man dagegen vor dem Hintergrund des Mindeststeuersatzes i. H. v. 15 % allein die gesetzlichen Körperschaftsteuersätze in den Mitgliedstaaten Bulgarien (10 %), Ungarn (10,8 %), Irland (12,5 %) und Zypern (12,5 %),
134 zeigt sich, dass eine deutsche Konzerngesellschaft, die eine Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte in einem dieser Staaten errichten möchte, ohne Anpassung der dortigen Steuervorschriften grundsätzlich Top-up Tax entrichten müsste, die damit quasi zu einer Gebühr für die Wahrnehmung der Grundfreiheiten werden würde.
135 Auch beispielsweise aufgrund von (Nexus-konformen) Patentboxen, die in vielen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen,
136 wird es dort wesentlich wahrscheinlicher zu einer Niedrigbesteuerung i. S. d. GloBE-Regeln kommen können als in Deutschland. Bei quantitativer Herangehensweise wird folglich eine versteckte Diskriminierung anzunehmen sein.
Doch kann dieses Ergebnis bei Heranziehung eines qualitativen Maßstabs bestätigt werden? Sprich: Handelt es sich bei der für Deutschland vorgefundenen Situation um eine rein zufällige, quantitative Korrelation oder entspringt die überwiegende Benachteiligung grenzüberschreitend tätiger Konzerne dem Wesen der GloBE-Regeln? Zunächst einmal kann zu dieser Frage allgemein auf den Geist der GloBE-Regeln
137 hingewiesen werden, wie er sich bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Modellregeln darstellt und hier zuvor schon erörtert wurde. Die GloBE-Regeln wurden im IF entwickelt, um auf Fälle ausländischer Niedrigbesteuerung reagieren zu können.
138 Dies entspricht dem Sinn und Zweck einer Steuer, die sich gegen Gewinnverlagerungen und einen als schädlich wahrgenommenen internationalen Steuerwettbewerb richtet. Dass etwaige Fälle inländischer Niedrigbesteuerung generell nicht in den Anwendungsbereich der inländischen IIR und UTPR geraten sollen, liegt nicht nur daran, dass den jeweiligen Staaten nicht zugetraut wird, die Top-up Tax in diesen Fällen tatsächlich auch zu erheben,
139 sondern auch an der wesentlich weniger komplexen Möglichkeit für diese Staaten, eine Mindestbesteuerung durch Anpassung ihrer allgemeinen Steuervorschriften sicherzustellen. Betrachtet man nun die Situation für Deutschland und wendet die von
Kokott aufgestellten Grundsätze zur wesensmäßigen Korrelation auf die deutschen GloBE-Regeln an, müsste die Frage lauten, ob die Höhe der länderbezogenen effektiven Steuerquote bzw. das Merkmal der Niedrigbesteuerung mit dem ausländischen Sitz eines Unternehmens bzw. einer Konzerneinheit korreliert.
140 Zur Beantwortung dieser Frage ist noch einmal auf die besondere Situation Deutschlands als Hochsteuerland hinzuweisen. Zwar gibt es auch in Deutschland einige wenige steuerliche Vorteile, die bei der Anwendung der GloBE-Regeln zur Ermittlung einer niedrigeren effektiven Steuerquote einer Konzerneinheit führen können.
141 Diese sind allerdings nicht signifikant, insbesondere vor dem Hintergrund des Jurisdictional Blending. Das derzeitige deutsche Unternehmensteuerrecht führt dazu, dass es der Voraussetzung eines Auslandsbezugs bei den deutschen GloBE-Regeln kaum bedarf, da typischerweise ausländische Niedrigbesteuerungsfälle zur Erhebung von Top-up Tax in Deutschland führen werden. Der Hinweis, dass sich dies eventuell durch ein Anheben der Besteuerung in anderen Staaten ändern könnte und der Effekt daher rein zufällig sei,
142 schlägt nach Auffassung des Autors nicht durch, da dies gerade die gewünschte Wirkung der GloBE-Regeln ist. Naturgemäß wird GloBE sich nicht grundsätzlich auf alle Beteiligungen an Konzerneinheiten im Ausland auswirken, da bei konzernbezogener Betrachtung nicht jedes andere Land als Niedrigsteuerland einzuordnen ist. Die Regeln werden aber immer dort zur Anwendung kommen, wo Konzerneinheiten in Niedrigsteuerländern tätig werden und Deutschland qualifiziert grundsätzlich nicht als ein solches. Dem Wesen des neuen Steuerregimes nach werden die GloBE-Regeln in Deutschland typischerweise nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen und daher nur dann multinationale Konzerne mit Konzerneinheiten in Deutschland zusätzlich belasten, wenn sie in anderen niedrig besteuernden Mitgliedstaaten eine Konzerneinheit halten. In diesem Rahmen soll auch auf die in der Literatur breit vertretene Auffassung zur Einordnung der Lizenzschranke in § 4j EStG als versteckte Diskriminierung hingewiesen werden.
143 Diese knüpft zwar auch nicht formal an die Ansässigkeit einer Person an, setzt aber eine von der Regelbesteuerung abweichende, niedrige Besteuerung voraus (Präferenzregelung), die in Deutschland nicht vorzufinden ist und damit lediglich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (in diesem Falle Lizenzzahlungen) die Vornahme des Abzugsverbotes nach § 4j EStG begründen kann. Insofern besteht eine gewisse Vergleichbarkeit,
144 auch wenn § 4j EStG derzeit mangels entsprechender deutscher Präferenzregelung in keinem Fall bei Inlandskonstellationen greifen kann. Ebenfalls kurz eingegangen werden soll auf die dänische Hinzurechnungsbesteuerung, die 2007 in Reaktion auf das Cadbury-Urteil des EuGH
145 in der Weise verändert wurde, dass sie nun auch Fälle mit inländischen Tochtergesellschaften erfasst.
146 Die OECD hat in ihrem Abschlussbericht zu Aktionspunkt 3 (CFC Rules) darauf hingewiesen, dass diese Regel seit ihrer Anpassung nicht vor den EuGH gebracht worden sei und daher davon ausgegangen werden könne, dass ein solches Vorgehen mit den Grundfreiheiten vereinbar sei.
147 Dazu ist einerseits anzumerken, dass diese Haltung auch in diesem konkreten Fall keineswegs unumstritten ist.
148 Zum anderen ist die dänische Hinzurechnungsbesteuerung nicht mit den GloBE-Regeln bzw. der IIR vergleichbar. Denn anders als die Mindeststeuer setzt sie tatbestandsmäßig keine Niedrigbesteuerung voraus, sondern rechnet lediglich rechtsfolgenseitig die von der Tochtergesellschaft entrichteten Steuern auf die Steuerlast der Muttergesellschaft an.
Aus den genannten Gründen besteht nach Ansicht des Autors damit auch im Falle der tatbestandlichen Ausweitung der GloBE-Regeln auf rein deutsche Sachverhalte eine (mittelbare) Diskriminierung.