2008 | OriginalPaper | Buchkapitel
Von der mittelalterlichen Armenfürsorge zu den Anfängen der Sozialstaatlichkeit
verfasst von : Ernst-Ulrich Huster
Erschienen in: Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Die kommunale Armenfürsorge ist dem zentralen Sozialstaat geschichtlich und systematisch vorgelagert, zugleich tritt sie immer wieder dort in den Vordergrund, wo zentrale Sicherungssysteme in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Dieses zeigte sich nicht nur nach den beiden Weltkriegen, sondern als Folge der Massenarbeitslosigkeit auch während der Weltwirtschaftskrise und verstärkt seit Mitte der 1970er Jahre. Die
Fürsorge
unter-liegt einer widersprüchlichen Legitimation: Sie soll das bestehende System abhängiger Erwerbsarbeit teils mehr erzieherisch, teils unter Sanktionsandrohung mehr disziplinierend als vorherrschenden Rahmen der
Subsistenzsicherung
stabilisieren, so auch durch den Abstand der gewährten Leistungen von den Markteinkommen unterer Lohngruppen
(Lohnab-standsgebot).
Zugleich steht sie seit ihren Anfängen in der
christlichen Armenfürsorge
immer unter dem Gebot der Bewahrung von Menschenwürde und dem Mitfühlen mit dem in seinen Rechten verletzten Einzelnen, indem sie vorleistungsfrei einen existenzminimalen Lebensstandard absichern soll. Parallel zur Entwicklung und Ausdifferenzierung der Arbeiterpolitik seit Mitte des 19. Jahrhunderts kommt es auch zu einer arbeitsteiligen Spezialisierung in der Armenfürsorge. Dieses geschieht zunächst auf der Ebene freier Träger im 19. Jahrhundert, dem der Staat durch seine Gesetzgebung in der Weimarer Republik folgt. Die Bereiche Gesundheits-, Wohnungslosen- und Erwerbslosenfürsorge bekommen in dieser Zeit eigene institutionelle Regelungen und Zuständigkeiten. Die Fürsorge verbindet Geld-, Sach- und Dienstleistungen. Die Armenfürsorge ist auch einer der Schrittmacher beim Ausbau der
Sozialversicherung
, indem sie bestimmte soziale Risiken sichtbar macht und eine sozialversicherungsrechtliche Lösung notwendig erscheinen lässt: so bei den Folgen von Arbeitslosigkeit, beim Schwerbehindertenrecht, bei der Absicherung des Pflegerisikos.