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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Was ist Grounded Theory?

verfasst von : Jörg Strübing

Erschienen in: Grounded Theory

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Über epistemologische und methodologische Hintergründe der Grounded Theory lässt sich nicht gut reden, solange nicht auch die Begriffsbedeutung und die Grundzüge des Verfahrens noch einmal kurz rekapituliert werden. Dies geschieht im zweiten Kapitel, das Grundsätze, Prozesslogik und Verfahrensschritte der Grounded Theory unter Bezugnahme auf die einschlägigen Standardwerke kurz vorstellt. Auf die Darstellung in diesem Kapitel nimmt die Diskussion in den folgenden Kapiteln immer wieder Bezug. Das Kapitel verdeutlicht, was tatsächlich gemeint ist, wenn in der Grounded Theory etwa von „Kodieren“, „theoretischem Sampling“ oder „Konzepten“ die Rede ist. Missverständnisse wie etwa jenes, dass Kodieren in der Grounded Theory so etwas wie ein Bezeichnen von Textstellen mit einem Begriff sei, werden hier ausgeräumt. Allerdings kann dieses Kapitel nicht die Leistung einer systematischen Einführung in das ‚how to do‘ Grounded Theory orientierten Forschens übernehmen. Dies bleibt den von Strauss bzw. Strauss und Corbin vorgelegten Einführungen vorbehalten.

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Fußnoten
1
Lamnek (1988, S. 106) kondensiert diesen Zusammenhang auf „datenbasierte Theorie“ und kommt damit zumindest sprachlich dem Original am nächsten.
 
2
Eventuelle Hervorhebungen in Zitaten in diesem Band stammen soweit nicht anders vermerkt von den jeweiligen Autorinnen. Um die Lesbarkeit des Buches als Lehrtext zu verbessern, sind – soweit nicht inhaltliche oder stilistische Gründe dagegen sprachen – alle englischsprachigen Zitate von mir ins Deutsche übertragen worden.
 
3
An diesem Punkt zeigt sich, dass die wissenschaftssoziologische Position des Pragmatismus und die methodologischen Postulate der Grounded Theory die gleiche Sprache sprechen.
 
4
Dilthey spricht zwar von der „persönlichen genialen Virtuosität des Philologen“ bei der Auslegung von Schriften, sein zentrales Argument für die Hermeneutik ist aber gerade das der Methodisierung: Gerade weil persönliche Genialität für das wissenschaftliche Verständnis von Texten mangels intersubjektiver Nachvollziehbarkeit von geringem Nutzen ist, gelte es, die darin liegende Verstehensleistung in einem rationalen Prozess Anderen zugänglich zu machen. Allerdings verfahre „jede Kunst nach Regeln“, mit denen sich „Schwierigkeiten überwinden“ lassen. Diese Regeln bildeten dann die „Kunstlehre“ der Hermeneutik, mit der sich auf wissenschaftlich-systematische Weise das leisten lasse, was andernfalls eine kreative Einzelleistung bliebe (Dilthey, 2004, S. 23 f.).
 
5
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dies gälte auch für andere Methoden, allerdings bleibt festzuhalten, dass im Fall der Grounded Theory die Ablehnung einer selbstlegitimierenden Funktion der ‚Befolgung‘ der Regeln des Verfahrens sehr explizit und zentral argumentiert wird.
 
6
In dem Studienbrief der FernUniversität Hagen, in dem Strauss seine Version von Grounded Theory erstmals als Alleinautor ausgearbeitet hat (Strauss, 1984), taucht der zweite Kodiermodus, das axiale Kodieren, noch nicht auf. Erst in der 1987 erschienen Fassung von Qualitative Analysis for Social Scientists das Entwickeln von Zusammenhängen zwischen Konzepten als axiales Kodieren vom offenen Kodieren abgehoben.
 
7
Glaser wie auch Strauss sprechen in der Regel von „Analyse“ und von „Kodieren“, den Begriff der Interpretation verwenden sie hingegen kaum und auf jeden Fall nicht systematisch. Das hat mitunter zu dem Missverständnis geführt, der Begriff der Interpretation sei für eine tiefergehende, die subjektiven Perspektiven der Handelnden im Feld erst richtig zur Geltung bringende Erschließung des empirischen Materials reserviert (Hitzler, 2016). Das ist allerdings eine unfruchtbare Abgrenzung, denn selbstredend ist die Kodierarbeit der Grounded Theory immer auch ein Interpretationsprozess, in dem unterschiedliche (nicht ausschließlich subjektive) Sinndimensionen erschlossen werden (Strübing, 2017).
 
8
In der klassischen medizinsoziologischen Studie Awareness of Dying über den Umgang mit Sterbenden im Krankenhaus war der „awareness context“ eine solche „Kernkategorie“ (Glaser & Strauss, 1974).
 
9
Die Zeile-für-Zeile-Analyse der Grounded Theory weist hier einige Ähnlichkeit zu sequenzanalytischen Verfahren insbesondere der Objektiven Hermeneutik oder auch der Konversationsanalyse auf.
 
10
Der anscheinend synonyme Gebrauch der Begriffe ‚Konzept‘ und ‚Kategorie‘ in vielen Texten zur Grounded Theory gibt mitunter Anlass zu Missverständnissen. Corbin und Strauss haben dabei eine dezidierte Differenz im Sinn: „Konzepte die sich als dem gleichen Phänomen zugehörig erweisen, werden so gruppiert, dass sie Kategorien bilden. Nicht alle Konzepte werden Kategorien. Letztere sind hochrangigere, abstraktere Konzepte als die, die sie repräsentieren“ (Corbin & Strauss, 1990, S. 420). Man kann das aber ebenso gut als ein Verhältnis von Konzept und Sub-Konzepten auffassen: Es geht um eine hierarchische Relationierung von Speziellen zum Allgemeineren.
 
11
Selektives Kodieren definieren Strauss und Corbin als „Prozeß des Auswählens der Kernkategorie, des systematischen In-Beziehung-Setzens der Kernkategorie mit anderen Kategorien, der Validierung dieser Beziehungen und des Auffüllens von Kategorien, die einer weiteren Verfeinerung und Entwicklung bedürfen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 94).
 
12
Kritische Stimmen, etwa von Kathy Charmaz oder Adele Clarke machen allerdings darauf aufmerksam, dass die auf die Erarbeitung einer Kernkategorien zielende Analyseorientierung der Grounded Theory vor allem eine kausal-erklärende und damit komplexitätsreduzierende ist während neuere Entwicklungen alternativ dazu die Erarbeitung der Multiperspektivität komplexer Situationen und ihrer Praktiken in den Mittelpunkt rücken (vgl. Kap. 7).
 
13
Der zunächst abwegig erscheinende Vergleich erbringt neben offenkundigen Unterschieden in der Tat einige erstaunliche Parallelen: Beide erbringen eine öffentliche Dienstleistung, für beide ist Verschwiegenheit ein zentraler Bestandteil ihres Berufsethos und in beider Praxis sind Formen seelsorgerischer Gespräche mit ihren Klienten zentral.
 
14
Dimensionale Analyse im Sinne der Grounded Theory sollte jedoch nicht mit der von Kromrey et al. (2016, S. 119 ff.) detailliert dargelegten dimensionalen Analyse im Rahmen von Nominaldefinitionen bei der Operationalisierung von Forschungsfragen in hypothetiko-deduktiv orientierter Forschung verwechselt werden.
 
15
In der amerikanischen Wissenschaftssprache ist man mit dem Paradigma-Begriff mitunter etwas schnell bei der Hand; was Schatzman hier meint würden wir wohl eher etwas vorsichtiger als „Erklärungsansatz“ bezeichnen.
 
16
Die recht klare Unterscheidung in einen „offenes Kodieren“ genannten und auf die Maximierung von Perspektiven gerichteten Analysemodus einerseits und einen auf ursächliches Erklären und auf die Rekonstruktion von Zusammenhängen gerichteten „axialen“ Modus hat sich in der Grounded Theory erst sukzessive etabliert (s.a. Fn 6). Strauss führt zwar in seinem Lehrbuch ab 1987 das „Kodierparadigma“ ein (Strauss, 1991b, S. 56 ff.), lässt allerdings noch weitgehend offen, in welcher Kodierphase es Verwendung finden soll. Erst in der sehr didaktischen und mitunter etwas schematisch wirkenden Lehrbuchversion von Strauss und Corbin (1996, S. 75 ff.) wird das Kodierparadigma eindeutig dem axialen Kodiermodus zugeordnet.
 
17
Die Fassung des Kodierparadigma bei Strauss & Corbin unterscheidet sich leicht von der originären Fassung im Lehrbuch von Strauss. Spricht letzterer zunächst nur von „den Bedingungen, der Interaktion zwischen den Akteuren, den Strategien und Taktiken, den Konsequenzen“ (1991, S. 57), so präzisieren Strauss und Corbin wenige Jahre später die Liste und sprechen von „ursächlichen Bedingungen“, „Phänomen“, „Intervenierenden Bedingungen“, „Handlungs- und interaktionale(n) Strategien“ sowie „Konsequenzen“ (1996, S. 78). Erste Vorläufer eines Kodierparadigmas finden sich im Übrigen bereits im Discovery-Buch von Glaser und Strauss (1967, S. 104), wo von „Bedingungen, Konsequenzen, Dimensionen, Typen, Prozessen“ die Rede ist, die analytisch herausgearbeitet werden sollen.
 
18
Im Rahmen der in Kap. 7 vorgestellten Weiterentwicklung der Grounded Theory zur „Situationsanalyse“ wird die analytische Trennung der Situation vom Kontext bzw. von intervenierenden Bedingungen nachdrücklich als unangemessen kritisiert und argumentiert, dass sowohl Kontext als auch intervenierende Bedingungen für die analytische Erfassung von Situationen nur relevant sein können, wenn sie in der Situation handelnd adressiert werden. Sie seien insofern – pragmatistisch argumentiert –Teil der Situation und nicht Instanzen außerhalb der Situation.
 
19
Hier zeigt sich eine Parallele zur „analytischen Induktion“, wie sie Florian Zaniecki schon in den 1930er Jahren geprägt hat. Auch er hatte bereits auf den Vorrang der Abstraktion vor der Generalisierung hingewiesen. In seinem Bemühen, die analytische Induktion von der enumerativen oder statistischen Induktion positiv abzusetzen, diskreditiert er allerdings die heuristische Leistung des Fallvergleichs ganz unnötig (Znaniecki, 2004, S. 254 f.). Diesen methodenhistorischen Irrtum korrigieren Glaser und Strauss mit der Grounded Theory.
 
20
Interessanterweise äußern sich Strauss und Corbin nicht zur Frage des Verfassens vollständiger und in sich verständlicher Memotexte, obwohl diese gerade unter dem Aspekt der Unterstützung von Teamarbeit (deren Wichtigkeit Strauss selbst betont, vgl. Strauss, 1991b) von zentraler Bedeutung sind.
 
Metadaten
Titel
Was ist Grounded Theory?
verfasst von
Jörg Strübing
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-24425-5_2

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.