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Open Access 2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

Woher nehmen und nicht stehlen?

Der Journalismus und sein Finanzierungsproblem

verfasst von : Franco Zotta

Erschienen in: Wissenschaft und Gesellschaft: Ein vertrauensvoller Dialog

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Das Geschäftsmodell des Journalismus steckt weltweit in einer bedrohlichen Krise. Das bleibt nicht folgenlos für den Wissenschaftsjournalismus und damit für die Frage, wie sich eine Wissensgesellschaft künftig unabhängig und kritisch über Entwicklungen in der Wissenschaft und ihre Konsequenzen für die Gesellschaft informieren kann. Viele Journalisten suchen nach neuen Wegen der Finanzierung. Der Beitrag von Franco Zotta zeigt, mit welchen Schwierigkeiten diese Suchbewegungen konfrontiert sind – und begründet, warum es vor diesem Hintergrund segensreich wäre, eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus ins Leben zu rufen.
Hinweise
In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen.
(Walter Benjamin 1978, S. 695)
Die Liste der Preisträger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus1 liest sich wie ein Who is Who der deutschsprachigen wissenschaftsjournalistischen Szene – kein Wunder, gilt dieser Preis doch seit seiner Gründung 1995 als eine der renommiertesten Auszeichnungen für Wissenschaftsjournalisten hierzulande. In der Preisjury sitzen journalistische Kollegen wie der frühere „Quarks“-Moderator Ranga Yogeshwar, der Wissenschaftsressortleiter Andreas Sentker von der ZEIT oder der scheidende Spektrum-Chefredakteur Carsten Könneker.
In der Jury sitzen aber auch Nicht-Journalisten wie der DFG-Präsident Peter Strohschneider, wie der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner, oder der Präsident des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, Andreas Barner, Mitglied des Gesellschafterausschusses beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Kann man aus dieser Jurykonstellation den Verdacht ableiten, dass Journalisten, die diesen mit 5000 Euro dotierten Preis annehmen, nicht mehr unbefangen berichten können über die DFG, die Leibniz-Gemeinschaft oder das Unternehmen Boehringer Ingelheim?
Würde man diese Frage an den bekannten australischen Medizinjournalisten Ray Moynihan richten, würde er das rundweg bejahen. Auf der wissenschaftsjournalistischen Fachkonferenz WissensWerte plädierte Moynihan 2008 dafür, dass Journalisten gar keine Preise annehmen dürften. Sie würden schließlich über ihr Honorar oder das Gehalt bereits für ihre Arbeit entlohnt. Wer Preise annehme, so Moynihan damals, der fröne persönlichen Eitelkeiten, begebe sich mindestens emotional in Abhängigkeit zu einem Gönner und helfe letztlich nur, die Preisstifter als Förderer mit positivem Image aufzuladen. Und im Gegenzug beschädige der ausgezeichnete Journalist dadurch den Nimbus der absoluten Unabhängigkeit des eigenen Berufsstands, weil er Geld von Dritten akzeptiere.
Diese strikte Haltung ist absolut integer. Bedeutet es aber im Umkehrschluss, dass Journalisten, die nicht so strikt wie Moynihan argumentieren, ihre persönliche Integrität beschädigen? Korrumpiert es den Journalismus im Kern, wenn er Geld von Dritten annimmt?
Man könnte diesen grundsätzlichen Fragen mit diversen Relativierungen begegnen. Bezogen auf den oben genannten Preis klänge das dann in etwa so: Es sind doch nur einmalig 5000 Euro, eine solche Summe könne die journalistische Integrität gar nicht tangieren. In der Jury sitzen mehrheitlich Journalisten, insofern sei doch garantiert, dass die Juryentscheidung auf journalistischen Maßstäben basiere und keine anderen Motive die Auswahl dominierten. Man habe weit mehr Zeit in die Recherche der prämierten Arbeit investiert, als dass das gezahlte Honorar diese Arbeit angemessen honoriere; insofern sei das Preisgeld eine nachträgliche Anerkennung dieser herausragenden Bemühungen und allenfalls Motivationshilfe für ähnlich aufwendige Arbeiten in der Zukunft. Und schließlich gebe es auch andere angesehene Berufsgruppen wie Schauspieler, Wissenschaftler oder Politiker, die für besondere Leistungen mit Preisen ausgezeichnet werden, ohne dass man daraus den Vorwurf ableite, die ausgezeichneten Personen verlören dadurch ihre Unabhängigkeit.
Das Problem derartiger Relativierungen ist ein doppeltes: Gegenüber Moynihans gesinnungsethisch rigoroser Position haftet ihnen immer ein gewisser Makel an. Sie klingen wie trotzige Rechtfertigungsversuche eines ertappten Sünders, der von der unangreifbaren Berufsmoral eines renommierten Kollegen beschämt wird und nun nach Hilfsargumenten suchen muss, um die eigene Inkonsequenz zu kaschieren. Und: Gegen jede Relativierung lassen sich aus der Warte desjenigen, der jede Geldannahme kategorisch ablehnt, wiederum sehr gute Gründe ins Feld führen:
1.
Unabhängig von der Summe erzeuge die Annahme von Geld immer Abhängigkeiten, denen man sich nur entziehen könne, wenn man es eben erst gar nicht annehme.
 
2.
Eine Jury, in der Wissenschaftler sitzen, die ihrerseits die Arbeit von Wissenschaftsjournalisten und damit von Menschen begutachten, die über sie selbst berichten, sei ein Widerspruch in sich. Und sei es denn ein bloßer Zufall, dass einige Holtzbrinck-Preisträger für Medien arbeiten, die zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehören und deren leitenden Redakteure selbst in der Jury sitzen?
 
3.
Zu glauben, die eigene Integrität und Psyche sei völlig immun gegen Schmeicheleien von Institutionen, denen man einen Preis verdanke, sei magisches Denken.
 
Wie man es auch dreht und wendet: Man steht argumentativ mindestens auf sumpfigem Grund, wenn man versucht, tragfähige Argumente gegen Moynihans gesinnungsethischem Rigorismus zu suchen.

Journalistische Geschäftsmodelle

Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick jedoch entdeckt man auch an Moynihans schneeweißer Weste manchen bemerkenswerten Fleck.2
Zunächst: Journalismus nimmt immer Geld. Das spricht nicht für die Annahme von Journalistenpreisen, aber sehr wohl gegen die Haltung, Unabhängigkeit könne es nur geben, wenn man von niemandem Geld akzeptiere. Alle journalistischen Geschäftsmodelle basieren darauf, dass die journalistische Arbeit ganz maßgeblich von Dritten finanziert wird, seien es Abonnenten, Anzeigenkunden, Gebührenzahler, Stiftungen oder Genossen. All diese Konstruktionen sind mit Blick auf ihre Implikationen für die Unabhängigkeit des journalistischen Mediums vielfach kritisiert worden. Wer wie der Autor dieses Beitrags bei der genossenschaftlich organisierten taz gearbeitet hat, kann abendfüllende Vorträge halten über erboste Genossen und Abonnenten, denen beim Anblick ihrer Zeitung speiübel wurde, weil sie dort grässliche Anzeigen von Autokonzernen oder Energieunternehmen entdeckten und infolgedessen die taz auf dem Weg zum willfährigen Büttel des allmächtigen Großkapitals sahen.
Die Abhängigkeit vieler Regionalzeitungen von wenigen Großanzeigenkunden ist ebenso häufig Gegenstand publizistischer Forschung gewesen wie der Umstand, dass es Auto- oder Reiseteile in vielen Medien allein deshalb gibt, weil das lukrative Anzeigen nach sich zieht. Man muss auch nicht das Mindsetting eines Populisten haben (vgl. Schlamp 2018), um den Umstand zu problematisieren, dass sich führende Medienkonzerne im Besitz von wenigen Milliardären mit starkem politisch-ökonomischen Eigeninteressen befinden (vgl. Herrmann 28. November 2017). Ist es Ausdruck der Unabhängigkeit eines Mediums, dass die New York Times und der britische Guardian Artikelpatenschaften durch Stiftungen und Mäzene zulassen, die mithilfe der jeweiligen Redaktion massenmediales Agendasetting für Themen betreiben können, die den Geldgebern ein Anliegen sind (vgl. Beisel 5. September 2017)? Und wie alt sind die Vorwürfe gegen die öffentlich-rechtlichen Medien3 und ihre finanzielle wie inhaltliche Abhängigkeit vom parteipolitischen System?
Kein Journalist, auch Ray Moynihan nicht, kann seinem Beruf nachgehen jenseits dieser Strukturen. Und kein Journalist sollte so naiv sein zu glauben, die eigene Unabhängigkeit sei nicht vielfach verwoben mit und tangiert von eben jenen Strukturen, aus denen sich journalistische Arbeit speist. Was folgt daraus?
Für Populisten ist die Antwort wie immer einfach: Systempresse, rufen sie, weg damit! Kann man brüllen, hilft aber nicht. Denn der Witz einer unabhängigen Medienlandschaft ist ja gerade, dass sie dazu verdammt ist, ewig an der Quadratur des Kreises arbeiten zu müssen: Ohne Geld gibt es keinen Qualitätsjournalismus. Mit Geld gibt es ihn. Aber bis zum Beweis des Gegenteils muss er jeden Tag und für alle überprüfbar belegen, dass dieses Geld ihn nicht korrumpiert, dass er trotz diverser Geldströme unabhängig berichtet.
Dieses chronische Dilemma setzt journalistische Akteure permanent einer zuweilen zermürbenden Hermeneutik des Verdachts aus. Aber paradoxerweise erarbeitet sich guter Journalismus so auch jenen Glaubwürdigkeitskredit beim Publikum, von dem seine gesellschaftliche Akzeptanz letztlich abhängt. Der im vergangenen Jahr veröffentlichte Spielberg-Film „Die Verlegerin“ zeigt diese existenzielle Gemengelage wie durch ein Brennglas: Die Washington Post-Verlegerin Katharine Graham und ihr Chefredakteur Ben Bradlee veröffentlichen nach langem Ringen geheime Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg, wissend, dass das den Ruin der Zeitung zur Folge haben könnte, und obwohl Graham und Bradlee enge freundschaftliche Beziehungen zu ranghohen Politikern pflegen, denen die Veröffentlichung das Amt kostet. Warum? Weil sie Journalisten sind und das nun mal ihre professionelle Pflicht ist, lautet die lapidare Antwort des Films.

Das Ende des Anzeigenmodells

Aktuell hat Journalismus aber ein weit größeres Problem als die Abhängigkeit von Geldgebern. Es ist die zunehmende Abwesenheit von Geld, die ihm nun das Genick zu brechen droht (vgl. Zotta 2018). Ein aktueller Bericht über den Niedergang der Schweizer Medienlandschaft (fög 2018) demonstriert das im Detail: Das anzeigenbasierte Geschäftsmodell ist kaputt. Die Online-Erlöse kompensieren die Anzeigenverluste bei Weitem nicht. Die Folgen: eine zunehmende Medienkonzentration inklusive des Verlusts publizistischer Vielfalt, hohe Arbeitsplatzverluste – und keine Hoffnung darauf, dass ein Licht am Ende dieses dunklen Tunnels den Ausweg weisen könnte.
Es wäre (und ist) ein Leichtes, diesen Schweizreport für die Medienstandorte in Deutschland, UK4, Kanada5, USA6 usw. mit gleichem Tenor zu verfassen. Dem Journalismus droht, man muss es in aller Deutlichkeit sagen, der Tod auf Raten.
Diese existenzbedrohende Situation hat zu vielen Suchbewegungen im Journalismus geführt, in deren Zentrum alternative Finanzierungsmodelle stehen. Es gibt Projekte, die maßgeblich von Stiftungen getragen werden (z. B. piqd, Science Media Center, CORRECTIV, ProPublica)7. Andere setzen auf genossenschaftliche Finanzierungskonzepte (z. B. The Correspondent, Republik)8. Wiederum andere gründen ihre ökonomische Basis auf Communitybuilding (z. B. MedWatch)9 oder kombinieren ebendas zusätzlich mit Micropaymentverfahren (z. B. RiffReporter)10. Und manche Projekte haben sehr wohlhabende Einzelpersonen für sich gewinnen können, sie maßgeblich zu finanzieren (z. B. The Intercept, enorm, The Marshall Project)11.
All diese Projekte sind wunderbare, innovative Beispiele dafür, wie Journalismus dem Strukturwandel des Mediensystems aktiv zu begegnen sucht. Aber auch keines dieser neuen Projekte entkommt dem zuvor beschriebenen Dilemma, dass der Geldfluss, woher auch immer er in der Hauptsache kommt, Abhängigkeiten erzeugt. Auch diese Projekte begegnen diesem Dilemma so, wie es honoriger Journalismus immer schon getan hat: Sie etablieren Governance-Strukturen, um die Unabhängigkeit der in den Redaktionen arbeitenden Journalisten zu sichern. Sie machen ihre Finanzierungssituation transparent und geben dem Publikum so die Möglichkeit, selbst zu prüfen, ob die Geldgeberstruktur die Themenselektion und die Inhalte der Beiträge beeinflusst und wie viel Vertrauensvorschuss man infolgedessen dem Medium entgegenbringen kann.
Ein zweites Problem aber löst auch Transparenz nicht: Qualitätsjournalismus kann nur dann seiner Aufgabe gerecht werden, wenn er auf lange Sicht auskömmlich finanziert ist. Denn am Rande des noch vergleichsweise kurzen Weges in eine neue journalistische Zukunft findet sich bereits so manche schwindsüchtige Existenz: lokale Nachrichtenblogs, die ihren laufenden Betrieb nicht refinanzieren konnten (z. B. Heddesheimblog; s. Hirschler 2014) oder am Rande des Existenzminimums agieren (z. B. Prenzlauer Berg Nachrichten; s. Eber 2015), groß gestartete, thematisch breit angelegte Online-Magazine, die nun zum Nischenprodukt mit eher winzigen Abonnentenzahlen mutiert sind (z. B. Krautreporter; Niemeier 2016) oder als Special-Interest-Angebot eine Daseinsform fristen, in der weder Autoren noch Redaktion ernsthaft bezahlt werden für das, was sie tun (z. B. CARTA),12 mit der Gefahr, dass sie früher oder später wieder verschwinden (z. B. Substanz)13.
All das ist kein Anlass zu Häme und Besserwisserei – im Gegenteil zeigen diese und viele andere Beispiele nur, dass der Journalismus nach dem Zusammenbruch des anzeigenbasierten Geschäftsmodells und trotz jahrelanger Anstrengungen weltweit keine stabile neue Basis gefunden hat, die ihn in der Breite und nachhaltig tragen kann. Man kann die Versuche schon nicht mehr zählen, wo Verlage mithilfe von mal hoch-, mal hinuntergelassenen Paywalls versucht haben, ihre journalistischen Produkte im Netz zu refinanzieren. Am Ende all dieser Monetarisierungsstrategien steht die ernüchternde Einsicht, dass die ökonomische Basis, die in Zukunft massenmedialen Qualitätsjournalismus tragen wird, schrumpft wie die Gletscher in den Alpen im Angesicht des Klimawandels.
Das ist, wie schon erwähnt, kein deutsches, sondern ein globales Problem, ausgelöst durch viele Faktoren, von denen der maßgeblichste die digitale Revolution mit ihren neuen sozialen Kommunikationsplattformen ist, in denen Qualitätsjournalismus als Kostenfaktor offensichtlich keine Überlebenschance hat. Das Erstaunliche ist, dass die Medienkrise eher früher als später auch zu einer Bedrohung für die Demokratie wird, wir aber hierzulande nicht einmal im Ansatz eine öffentliche Debatte darüber führen, wie wir diesem absehbaren Risiko begegnen können. Wir überlassen es stattdessen den großen Zeitungsverlagen, Lobbyarbeit zu betreiben für ihren eher von Verzweiflung getriebenen Versuch, mit fadenscheinigen Argumenten irgendwie neue Geldquellen für ihr sterbendes Geschäft zu mobilisieren (vgl. Eisenring 11. September 2018). Das ist keine Strategie, das ist ein eher mehr als wenig aussichtsloser Überlebenskampf.
Qualitätsjournalismus, das wird nach langen Jahren des weltweiten Suchens nach neuen Finanzierungskonzepten im digitalen Zeitalter deutlich, hat kein stabiles Finanzierungskonzept mehr. Das bedeutet nicht, dass allen Medien der Ruin droht. Aber es bedeutet sehr wohl, dass das Biotop, das bislang die Grundlage darstellt für das gesamte Medienökosystem, trocken fällt. Insbesondere große Pflanzen in diesem System werden diesen Klimawandel nicht überleben – und das bleibt nicht folgenlos für das massenmediale Medienökosystem und die von ihr abhängige Demokratie.

Die Folgen für die Demokratie

Studien zeigen bereits, dass sich Bürger in Regionen, in denen keine Tageszeitung mehr erscheint, messbar weniger zivilgesellschaftlich, ehrenamtlich oder politisch engagieren (Reichel 2018). Ein aktueller Bericht der BBC, der untersucht hat, wie sich Fake News und Desinformation in Ländern verbreiten, in den die mobile Kommunikation ohne journalistische Intermediäre primär über Plattformen wie WhatsApp abläuft, liefert deutliche Belege dafür, dass dort der öffentliche Raum dysfunktional wird (BBC 12. November 2018). Das heißt: Meinungsbildungsprozesse auf Grundlage geprüfter Informationen werden schwierig bis unmöglich, zum Schaden der Bürger und der Demokratie, aber zum Nutzen ihrer Feinde (Owen 2018).
Ein Beispiel zeigt besonders deutlich, welche Gefahren die beschriebenen medienökonomischen Zersetzungsprozesse gerade für entwickelte Demokratien mit sich bringen: Tageszeitungen sind noch immer das Rückgrat der allermeisten Mediensysteme weltweit. An ihnen hängt zumeist die gesamte Regionalberichterstattung. Ohne sie gäbe es keine Nachrichtenagenturen wie dpa, die ein flächendeckendes, zum Teil weltweites Korrespondentennetz vorhalten. Tageszeitungen beschäftigen die meisten Journalisten, bilden die größten und damit recherchestärksten Redaktionen, sind also das Mediensegment, das die elaborierteste Struktur zur kontinuierlichen Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse ausgebildet hat. Kurzum, „newspapers“, wie es die Kommunikationswissenschaftler Nisbet, Kristiansen und Bajak (2018) für die USA unlängst feststellten, „remained at the core of the country’s information ecology, serving as the major source for original reporting on problems, corruption, and policy debates, with this coverage shaping broader discussion, from television news to social media to interpersonal conversations.“
Tageszeitungen sind aber zugleich auch die größten Verlierer der Disruption des anzeigenbasierten Geschäftsmodells (vgl. Pew Research Center 2018). Sie verlieren seit Jahren Einnahmen und infolgedessen Mitarbeiter (vgl. Grieco 2018), haben zusätzlich mit Auflagenschwund zu kämpfen (vgl. Schröder 2018), auf den sie wiederum mit Substanz und publizistische Vielfalt bedrohenden Sparkonzepten reagieren.
Ganz unabhängig von der Frage, ob man nun ein Anhänger der als gestrig geschmähten Holzmedien ist oder nicht: Die in diesen Entwicklungen schlummernde Gefahr ist nicht, dass womöglich bald schon kein Zeitungspapier mehr bedruckt wird. Vielmehr droht der weitgehend ersatzlose Zusammenbruch einer bislang tragenden Säule des Mediensystems mit zahlreichen Kollateralschäden für das Mediensystem insgesamt und damit letzten Endes auch für das demokratische Gemeinwesen, das ohne ein leistungsfähiges Mediensystem dysfunktional wird (vgl. Pöttker 2018; Freedom House 2018).
Denn wenn man den Einschätzungen kundiger Medienbeobachter folgt, dann kompensiert der neu entstandene Online-Journalismus diesen Verlust nicht (Lobigs und Neuberger 2018). Im Gegenteil, wie der Medienökonom Frank Lobigs unlängst in einer Expertise für die Schweizer Medienkommission gerade mit Blick auf die unübersehbare Binnendynamik der neuen, digitalen Online-Medienwelt festgehalten hat:
Gleichwohl erhebt die Expertise den Anspruch, jene Neu- und De-Institutionalisierungsprozesse, die die publizistischen Auswirkungen des Übergangs in ein neues Paradigma der Ökonomie digitaler Medieninhalte massgeblich prägen, plausibel nachvollziehbar – und hoffentlich unter Evozierung des einen oder anderen ‚Aha-Erlebnisses‘ – zu beschreiben. Die gänzlich unromantische Grundthese besteht hierbei darin, dass der Paradigmenwechsel zu einem Prozess der De-Institutionalisierung eines gesellschaftlich-relevanten Onlinejournalismus führen wird, der durch einen Neu-Institutionalisierungsprozess pseudo-journalistischer Angebote parallel begleitet wird. (Lobigs 2016/2017, S. 5 f.).14
Was in Lobigs Grundthese unübersehbar mitschwingt, ist die mit Händen zu greifende Sorge im Angesicht eines hochdynamischen, kaum steuerbaren Prozesses, an dessen Ende nicht weniger als das gesamte Qualitätsmediensystem, wie wir es bis dato kennen, in Trümmern liegt – mit dem untrennbaren Effekt, „that a crisis in civic culture, tied to a loss of news capacity, is unfolding, one requiring a mass mobilization of organizational resources and professional expertise that remain in short supply“ (Nisbet et al. 2018).
Anders als hierzulande hat diese offensichtliche Gefahr in den USA bereits seit Längerem zu einer regen medienpolitischen Debatte geführt. Es zeichnen sich dort, sehr grob zusammengefasst, zwei Tendenzen ab:
1.
Sehr reiche Menschen kaufen sich Zeitungen oder ganze Zeitungsimperien zusammen (vgl. Henkel 18. Juni 2018; Leonhard 13. November 2018), – nicht deshalb, weil sie besser als die kriselnden Verlage wüssten, wie man mit Zeitungen Geld verdienen kann, sondern weil sie so reich sind, dass sie mit den Zeitungen im Grunde gar kein Geld verdienen müssen. Stattdessen motiviert sie im besten Fall, zum Erhalt eines Kulturgutes beizutragen (vgl. Dye 28. November 2018; Lewis 2018; Smith 2018). Und im nicht so guten Fall die Aussicht darauf, sich mit am Ende vergleichsweise wenig Geld eine reichweitenstarke, einflussreiche Plattform für eigene Anliegen gesichert zu haben (vgl. Herrmann 28. November 2017).
 
2.
Allein im Zeitraum von 2010 bis 2015 haben insgesamt 6568 US-Stiftungen 1,8 Milliarden (!) Dollar für 32.462 journalistische Non-Profit-Aktivitäten gestiftet. Die lesenswerte Studie von Nisbet et al. (2018) zeigt, dass die Mittel vor allem in das Segment „Public Media“ geflossen sind, also in einen Bereich der Medien, der bislang von (privatwirtschaftlich organisierten) massenmedialen Angeboten bestimmt war und der aus den schon genannten Gründen besonders stark vom Verlust des Geschäftsmodells tangiert ist.
 
Was hier deutlich wird ist nicht nur das gewaltige Ausmaß des Engagements, sondern auch, auf wie vielen Ebenen US-Stiftungen versuchen, den Medienstrukturwandel zu begleiten und zu gestalten.
Von derartigen Verhältnissen15 und von einem solchen Problembewusstsein sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt (siehe zum überschaubaren Engagement deutscher Stiftungen auf dem Feld des Journalismus Friedland und Konieczna 2011, S. 40–46). Hierzulande gilt es bereits als großes Stiftungsinvestment, wenn ein tolles Start-up wie das noch junge medizinjournalistische Blog „Medwatch“ mit 10.000 Euro unterstützt wird.16 Um nicht falsch verstanden zu werden: Dass Stiftungen diesen Preis verleihen, ist ohne jeden Zweifel ehrenwert und wertvoll. Doch zugleich zeigt sich darin auch das ganze Dilemma der deutschen Situation: Trotz analoger Strukturprobleme des Mediensystems fehlt momentan noch die Bereitschaft, dieser für die Demokratie so zentralen Herausforderung problemadäquat und substanziell zu begegnen. Man muss es so drastisch formulieren: Der Qualitätsjournalismus befindet sich mitten im größten Überlebenskampf seiner Geschichte – und die deutsche Gesellschaft schaut ihm vor allem beim Sterben zu.

Ein mögliches neues Finanzierungsmodell

Getrieben von der Sorge um den Wissenschaftsjournalismus, den die beschriebene Strukturkrise aufgrund seiner zumeist kleinteiligen Ressortstruktur noch existenzieller trifft als andere journalistische Felder – und das angesichts einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die inzwischen in jedem Politikfeld mit komplexer Wissenschaft konfrontiert ist, deren Implikationen und Herausforderungen sich nicht von selbst erschließen –, haben Reinhard Hüttl und Volker Stollorz kürzlich einen neuen Vorschlag formuliert: Sie regen die Gründung einer „Stiftung für Wissenschaftsjournalismus“ an. Das Stiftungskapital, so die Autoren, könne „aus der öffentlichen Forschungsförderung und aus privaten Mitteln kommen“. Die Stiftung solle „die Aus- und Weiterbildung von Journalisten aller Ressorts fördern“ und zudem „als Experimentierraum für neue journalistische Formen“ dienen. (Hüttl und Stollorz 11. Oktober 2018) Es gelte in einer Gesellschaft, in der Wissenschaft für politische Entscheidungen immer wichtiger werde, auch die journalistische Beobachtung der Wissenschaft zu verbessern – Augmented Science Journalism sozusagen.
Der Vorschlag geriet schnell in die Kritik. Hauptvorwurf: Wer als Journalist Geld vom Staat nehme, verliere seine Unabhängigkeit. Schlimmer noch: Wenn Wissenschaftsjournalisten gefördert würden von jenem Ministerium, das für die Forschungsförderung zuständig ist, verliere er die professionell notwendige Distanz zu einem gewichtigen Teil seines täglichen Berichterstattungsfeldes (König 2018; vgl. Helmholtz-Gemeinschaft 2019).
Das klingt auf den ersten Blick, ähnlich wie das eingangs erwähnte Argument des australischen Medizinjournalisten Ray Moynihan zum Umgang mit Journalistenpreisen, sehr plausibel – und ist es beim genauen Hinsehen doch auch nicht.
Zunächst: Warum sollte der Journalismus seine Unabhängigkeit verlieren, wenn er das Geld einer derart finanzierten Stiftung annimmt? Gibt die Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre kommunismusaffine Haltung auf, weil sie sich ausschließlich aus Steuermitteln eines bürgerlich-kapitalistischen Staates finanzieren lässt? Hat die katholische Kirche ein kritikloses, affirmatives Verhältnis zur Regierung, weil allein diese darüber entscheidet, wie viel Steuergeld in die katholische Begabtenförderung Cusanuswerk fließt? Ist die Wissenschaft unfähig, sich kritisch mit dem Gebahren des Staates innerhalb und außerhalb der Wissenschaft auseinanderzusetzen, weil sie ohne staatliche Mittel schlichtweg nicht existieren könnte? Und ist die deutsche Kulturlandschaft bevölkert von lauter staatsergebenen Künstlern, nur weil der Staat Museen, Theater oder Filmförderungsstiftungen unterhält?
Die Herkunft des Geldes allein erzeugt offenbar kein unauflösbares Dilemma.17 Vielmehr hängt die Frage der Unabhängigkeit des Geförderten maßgeblich davon ab, unter welchen formalen Bedingungen wer Unterstützung erhalten kann. Selbstverständlich ist eine Governance denkbar, in der der Staat zwar Kapital zur Verfügung stellt, aber keinen Einfluss auf die Vergabe der bereitgestellten Mittel nimmt. Das funktioniert aus unterschiedlichen Gründen beispielsweise bei der DFG ebenso wie bei der Filmförderung von Bund und Ländern, beide zu 100 Prozent ausgestattet mit staatlichen Mitteln. (In welcher Weise Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit eine Herausforderung sind für stiftungsfinanzierte Projekte, erläutern Schnedler und Schuster 2015, S 42–46).
Plausibler erscheint hingegen der zweite Vorwurf, Wissenschaftsjournalisten sollten sich nicht ausgerechnet von jenem Ministerium fördern lassen, über dessen politisches Gebahren sie kritisch und unabhängig berichten sollen. Aber auch hier lohnt ein detaillierterer Blick: Würde eine Stiftung für Wissenschaftsjournalismus gezielt Themenrecherchen fördern, einzelne Medien finanzieren oder diese gar infolge kontinuierlicher Förderung auf Dauer in finanzielle Abhängigkeit von der Förderstiftung geraten, sähe sich die Stiftung aus guten Gründen diesem Verdacht ausgesetzt. Doch müsste die von Hüttl und Stollorz propagierte Stiftung einer solchen Förderlogik folgen?
Nimmt man die oben beschriebene Analyse der Medienkrise zum Maßstab, dann ist klar, dass keine Stiftung denkbar ist, die finanziell überhaupt in der Lage wäre, zum Beispiel eine Tageszeitung auf Dauer vor dem Untergang zu retten. Und aus dem Gesagten sollte ebenfalls deutlich geworden sein, dass man der Medienstrukturkrise nicht dadurch sinnvoll begegnet, dass man versucht, den unwiederbringlichen Wegfall des bisherigen Geschäftsmodells zu kompensieren.
Blickt man auf die Aktivitäten der US-Stiftungen, dann erkennt man aber, dass diese ihr Engagement vor allem als flankierende Transformationshilfe in Zeiten des Strukturwandels begreifen. Das bedeutet: Die US-Stiftungen halten nicht künstlich moribunde Medienakteure am Leben, sondern ermöglichen es finanzschwachen Start-ups überhaupt, innovative Konzepte für einen Journalismus im digitalen Zeitalter auszuprobieren. Sie helfen völlig neuen Institutionen wie dem weltweit beachteten, gemeinnützigen Investigativrecherchebüro ProPublica dabei, ein substanzielles Angebotsportfolio zu entfalten, das anschließend vom bestehenden Mediensystem kostenfrei genutzt werden kann. Derartig riskante, mindestens auf mittlere Sicht nicht aus sich selbst heraus finanzierbare, aber für die Gestaltung des Medienstrukturwandels unverzichtbare Projekte können ohne Förderung durch Dritte nicht entstehen und auch nicht gedeihen.
Da man in der deutschen Stiftungslandschaft aber weitgehend vergeblich nach potenten Stiftungen18 sucht, die eine solche Funktion einnehmen könnten, fehlt es hierzulande schlicht an der nötigen Förderinfrastruktur, an die sich Start-ups und Träger gemeinnütziger neuer Konzeptideen wenden können. Die Gründung einer eigenen Stiftung, deren einziger Daseinszweck es wäre, solche Innovationen zu ermutigen und zu unterstützen, könnte zumindest in dieser Hinsicht die dringend benötigte Abhilfe schaffen, mithin ein dringend benötigter Anfang sein.
Aus dieser Gründungsintention folgt schon, dass die Sorge unbegründet ist, eine solche Stiftung würde sich in Interessenkonflikten aufreiben, sollte sie mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gegründet werden können. Worin sollten diese Interessenkonflikte bestehen? Der Zweck der Stiftung wäre ja eben nicht, thematische wissenschaftsjournalistische Recherchen/Projekte zu befördern, die womöglich Überschneidungen hätten zu Förderschwerpunkten des BMBF. Die Stiftung würde sich allein dem Ziel verpflichtet fühlen, im Geiste der Transformationshilfe Strukturen zu befördern, die es dem Wissenschaftsjournalismus ermöglichen würden, ein künftiges mediales Biotop hervorzubringen.
Welche wissenschaftsjournalistischen Pflanzen dort später wurzeln und gedeihen, entscheiden allein unabhängig besetzte Stiftungsgremien. Unabhängig meint hier, dass nicht die Geldgeber über die Förderanträge entscheiden, sondern berufene Experten aus Journalismus und Journalismusforschung, die fachlich in der Lage sind, die journalistische Substanz eines Antrags zu erkennen, und die zugleich Weitsicht genug besitzen, um das Projekt und seine Chancen vor dem Hintergrund des rasanten ökonomischen und technischen Strukturwandels der Öffentlichkeit richtig zu verorten.
Eine derartige Förderorganisation würde überhaupt und somit erstmals ermöglichen, dass der Wissenschaftsjournalismus praktisch erproben kann, ob er Wege findet, seine gesellschaftlich unverzichtbare Einordnungsfunktion in neu zu schaffenden Strukturen zu übertragen, weil die bisherigen Strukturen unwiederbringlich verloren gehen. Er könnte, ähnlich dem Science Media Center, neue Intermediärkonzepte erproben, indem er zum Beispiel zentral wissenschaftsjournalistische Dienstleistungen erbringt und diese anderen Redaktionen und Journalisten kostenfrei zur Verfügung stellt. Warum nicht mithilfe einer Stiftung ein Science Center für Computational Science Journalism gründen? Warum keine Akademie entwickeln, die dem Wissenschaftsjournalismus hilft, kostenlos den Zugang zu besten wissenschaftlichen Primärquellen zu eröffnen? Weshalb kein gemeinnütziges Lab schaffen, das Tools wie etwa den ExpertExplorer19 weiterentwickelt, die wissenschaftsjournalistische Recherchen nach Experten und Daten erleichtern oder die Auswertung und Visualisierung großer Datenmengen vereinfachen? Wieso keinen neuen Akteur befördern, der in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern Verifikations-Werkzeuge für Journalisten erforscht und bereitstellt, die Desinformationskampagnen in sozialen Medien und Fake News enttarnen können? Warum nicht Beratungs- und Professionalisierungs-Strukturen aufbauen, die auch Journalisten ohne regelmäßigen Kontakt in die Wissenschaft die Beobachtung derselben erleichtern, weil die Wissenschaften und ihre Disziplinen von außen einem undurchdringlichen Dschungel an Expertisen gleicht?

Ausblick

Ideen wie diese und andere gäbe es vermutlich zu Genüge. Doch bislang fehlt es den Trägern dieser Ideen an einer Institution, an die man mit derartigen Ideen herantreten kann und die hilft, sie rasch und unbürokratisch umzusetzen, und das mit langem Atem. Eine Stiftung für künftigen Journalismus über Wissenschaft wäre genau diese Institution, mit deren Hilfe der Wissenschaftsjournalismus den Strukturwandel des Mediensystems aktiv gestalten könnte.
Natürlich weiß auch der Autor dieses Textes, dass Unabhängigkeit das höchste Gut im Journalismus ist. Und hätten wir in Deutschland auch nur eine annähernd so risikofreudige wie spendable Stiftungslandschaft wie in den USA, müsste man über die Idee einer primär durch staatliche Mittel ermöglichte Stiftung zur Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus wohl nicht reden. Aber der Text sollte deutlich gemacht haben, dass alle Finanzierungskonzepte für den Journalismus, sowohl die bislang praktizierten als auch jene, die sich für die Zukunft womöglich neu abzeichnen, die Unabhängigkeit des Journalismus herausfordern und ihn zwingen, Antworten für die jeweils mit dem Finanzierungsmodell verknüpften Unabhängigkeitsrisiken zu finden. Die Antwort, grundsätzlich auf staatliche Unterstützung zu verzichten, kann dabei keinen per se höheren moralischen Status für sich reklamieren als jene, die darauf setzt, sich von Mäzenen, Stiftungen oder Communitys tragen zu lassen.
Der Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl hat sich schon vor einigen Jahren in einem sehr lesenswerten Text mit der Frage befasst, unter welchen Bedingungen es statthaft wäre, Geld von Dritten für die journalistische Arbeit zu nehmen (Lehmkuhl 2014). Ausgehend von einem Bewertungsschema, das die beiden neuseeländischen Philosophen Peter Adams und Fiona Rossen entwickelt haben, formuliert Lehmkuhl drei ethische Prüfsteine/Risikodimensionen:
  • Verlust oder Einschränkung der Unabhängigkeit
  • Verlust von Reputation und Glaubwürdigkeit
  • Risiken für die Zusammenarbeit in einer Redaktion.
Lehmkuhls Analyse zeigt sehr schön, dass diese Risikodimensionen prinzipiell für alle journalistischen Finanzierungskonzepte gelten, für die neuen ebenso wie für die tradierten. In Österreich etwa finanziert das dortige Forschungsministerium seit fast zwei Jahrzehnten die Wissenschaftsseiten renommierter Tageszeitungen direkt. In der Schweiz haben zwei renommierte Stiftungen eine Wissenschafts-PR-Agentur gefördert, die mithilfe dieser Förderung in einer Gratis-Zeitung eine Wissenschaftsseite produziert hat. Solche und andere Beispiele erzeugen begründete Skepsis, ganz unabhängig davon, ob nun in dem einen Fall der Staat und in dem anderen Stiftungen als Finanzier fungieren. Das Problem ist hier weniger die Quelle, aus der das Geld stammt, als vielmehr die Konstruktion und die damit einhergehenden, unvermeidbaren Kollateraleffekte, die letztlich die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Projekte untergraben und überdies große Organisationsrisiken nach sich ziehen.
Der neuralgische Punkt künftiger Finanzierungsmodelle ist also nicht so sehr, woher das Geld stammt. Vielmehr muss für jedes Projekt eine Güterabwägung innerhalb der drei von Lehmkuhl formulierten Rahmenbedingungen erfolgen. Die entscheidende Frage lautet dann: Überwiegen die Vorteile, die sich aus den eingeworbenen Mitteln mit Blick auf das intendierte journalistische Ziel ergeben, die möglichen Nachteile, die sich in der Öffentlichkeit und in der geförderten journalistischen Redaktion durch die externe Finanzierung ergeben können?
Ausgehend von diesem Bewertungsraster erscheint so manche Entwicklung in jüngerer Zeit in einem anderen Licht. So anerkennenswert es zum Beispiel ist, dass immer mehr NGOs in den USA dazu übergehen, journalistische Recherchen zu finanzieren, weil das tradierte redaktionelle Mediensystem diese Recherchen eben nicht mehr selbst hervorbringt, so fragwürdig ist es grundsätzlich, wenn Journalismus zum verlängerten Arm von Agendasetting-Strategien Dritter mutiert (vgl. Weissenburger 3. November 2018). Die Kolonialisierung des öffentlichen und medialen Raumes durch Interessengruppen birgt enorme Glaubwürdigkeits- und Unabhängigkeitsrisiken für den Journalismus, ganz unabhängig davon, ob man den journalistischen Beiträgen auf Anhieb ansieht, wer die Recherchen finanziert hat.
Einer Stiftung mit den oben skizzierten Förderschwerpunkten jedoch kann man meines Erachtens diesen Vorwurf gerade nicht machen. Zwar basiert ihre Initialfinanzierung auf staatlichen Mitteln – aber daraus folgt weder, dass sich das in ihrer Governancestruktur niederschlagen muss, noch, dass die von ihr geförderten Projekte zum verlängerten Arm des Forschungsministeriums werden. Gemäß des Lehmkuhlschen Bewertungsrasters ist eine Stiftungsstruktur denkbar, die auf Grundlage staatlicher Finanzierung unabhängig Start-ups und Intermediäre fördern kann.
Aber damit die Stiftung überhaupt als Transformationshilfe fungieren kann, muss es sie erst einmal geben. Das kann, das soll, das muss der Staat ermöglichen, auch weil aus genannten Gründen kaum andere potente Akteure zur Verfügung stehen und es zudem keine Zeit mehr zu vergeuden gilt, soll die Transformationshilfe der Stiftung noch konstruktiv auf die beschriebene Krise des (Wissenschafts-)Journalismus einwirken können. Nichts spricht dagegen, die Initialförderung durch das Forschungsministerium zu ergänzen und auszuweiten um weitere Geldgeber, die eine solche Stiftung mit weiterem Kapital anreichern – wünschenswert ist das allemal. Eine Studie der Hamburg Business School und des Hans-Bredow-Instituts, die sich mit der Frage befasst hat, wie zukünftig trotz Medienkrise noch ebenso kostspieliger wie gesellschaftlich notwendiger investigativer Journalismus ermöglicht werden kann, formuliert ein Fazit, das ohne Abstriche auch Stiftung mit weiterem Kapital anreichern Stiftung mit weiterem Kapital anreichern Stiftung mit weiterem Kapital anreichern und eine ihn fördernde Stiftung gelten kann: Je pluralistischer die Finanzierungsformen, desto geringer das Risiko sachfremder Kontrolle durch Kapitalgeber. Das Forscherteam empfiehlt daher in diesem Fall der EU (also einem staatlichen Akteur), sowohl gemeinnützigen als auch gewinnorientierten Journalismus zu unterstützen. „Reine Marktmechanismen“, so die Autoren, „werden nicht zu einem zufriedenstellenden Level von investigativem Journalismus führen.“ (Clement et al. 2018)
So sieht es aus. Und nicht anders.
Für einen wissenschaftsjournalistischen Berufsverband wie die Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK), für die der Autor dieses Textes tätig ist, erwachsen aus dem Gesagten vielfältige Herausforderungen. Denn die bisherige Arbeit der WPK und jedes anderen journalistischen Berufsverbandes basiert auf der stillschweigenden Annahme, dass das Biotop, in dem journalistische Arbeit verwurzelt ist, zwar vielfältigen Wandlungen unterliegt, aber nicht substanziell bedroht ist. Was aber, wenn der Realitätsbezug dieser Annahme zunehmend schwindet?
Für dieses Worst-Case-Szenario sind nicht nur die hilflos agierenden Verlage nicht gerüstet. Auch die Organisationen, die sich als Anwälte qualitätsjournalistischer Anliegen verstehen, haben bislang auf diese Maximalbedrohung nicht adäquat reagiert, weil sie strukturell und konzeptionell auf eine Medienwelt ausgerichtet sind, die sich gerade in atemberaubender Geschwindigkeit auflöst. Die bloße Klage darüber, dass die alte Medienwelt schwindet und die neue für Journalisten vor allem Härten und Zumutungen zu bieten hat, ist keine zukunftsträchtige Strategie.
Sinnvoller scheint mir, wenn sich Verbände aus der bisweilen lähmenden Fixierung auf die Entwicklungen in taumelnden Verlagen und kriselnden Sendern lösen. Sie könnten sich stattdessen neu positionieren als zivilgesellschaftliche Kraft, die neue Finanzierungskonzepte entwickelt für zukünftig tragfähigen Journalismus. Sie könnten Architekten ganz neuer Aktionsbündnisse zwischen Journalismus, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlichem Sektor werden, die die Überzeugung eint, dass eine gedeihliche Entwicklung der Demokratie ohne einen starken, unabhängigen und kompetenten Journalismus nicht zu haben ist. Freilich wäre ein Kollateraleffekt dieser partiellen Neuausrichtung, dass Verbände auch mit ihren journalistischen Mitgliedern intensiver als bisher darüber diskutieren müssen, wo genau die Schmerzgrenzen zwischen neuen Bündnissen und innovativen Finanzierungskonzepten auf der einen und dem journalistischen Anspruch, seinem Beruf in Freiheit und Unabhängigkeit nachgehen zu können, auf der anderen Seite verlaufen. Diese Einsichten werden nicht konfliktfrei zu haben sein. Doch diese Auseinandersetzung lohnt sich.
Zumindest weit mehr, als das Warten darauf, dass der Markt allein ein neues Geschäftsmodell für den Journalismus gebiert. Wer die berühmte Eingangssequenz aus dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ kennt, der ahnt jedenfalls, dass bloßes langes Warten schlussendlich kein glückliches Ende nimmt.
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Fußnoten
2
Und das nicht nur deshalb, weil Moynihan inzwischen den Beruf gewechselt hat und drittmittelfinanziert als Forscher arbeitet, sondern weil er darüber hinaus doch Preise für seine medizinjournalistische Arbeit angenommen hat (siehe unter: https://​raymoynihan.​org/​about).
 
3
Allein schon die Geschichte der BBC hält hier interessante Lektionen bereit (siehe unter: https://​www.​bbc.​co.​uk/​editorialguideli​nes/​guidance/​financial-journalism-guidelines/​guidance-full).
 
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Er ergänzt diese besorgniserregende These mit dem wichtigen Hinweis auf eine daraus folgende, zusätzliche Strukturnotwendigkeit, nämlich die „Einsicht, dass ein effektiver Service public für Qualitätsjournalismus im neuen [digitalen, F.Z.] Paradigma immer auch – und zu einem grossen und wachsenden Anteil – ein Content Marketing für guten Content mitumfassen muss.“ Demnach müssten auch dafür „neue, umfangreiche Budgets einkalkuliert und eingesetzt werden, die es dem Service public ermöglichen, sich für das neue Paradigma quasi selbst in eine mit allen nötigen Kompetenzen und Mitteln ausgestattete digitale Content Marketing Agentur zu transformieren, freilich in eine Agentur ausschliesslich für ‚guten digitalen Content‘ – namentlich in eine Digitalagentur für wirksamen digitalen Qualitätsjournalismus im neuen Paradigma.“ (Lobigs 2016/2017, S. 61).
 
15
Vgl. dazu den aktuellen Report „Global Media Philanthropy“, der u. a. zeigt, wie sehr das Medienengagement europäischer Philanthropen hinter dem zurückfällt, was im gleichen Zeitraum Philanthopen in den USA investiert haben https://​mediaimpactfunde​rs.​org/​wp-content/​uploads/​2019/​03/​Gates-Report-Final-3-26-19.​pdf.
 
16
Mehr dazu unter: https://​netzwende.​com.
 
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Und das gilt, auch wenn eine hartnäckig sich haltende, sehr verbreitete Folklore (bedauerlicherweise auch und gerade unter Journalisten) permanent den Eindruck erweckt, es genüge, auf Geldflüsse zu verweisen, um Akteure und ihre Arbeit in ein fragwürdiges Licht nackter Eigeninteressenverfolgung zu rücken. Interessanterweise wird auch das Wissenschaftssystem regelmäßig mit dem zersetzenden Verdacht konfrontiert, das (staatliches) Geld keine gute Wissenschaft ermögliche, sondern am Ende nur eine Art von staatshörigem Vasallentum der Wissenschaftler hervorbringe. Häufig kaschiert hier aber der eher billige Vorwurf fehlender Unabhängigkeit die Unfähigkeit des Kritikers, sich mit den Produkten wissenschaftlicher Forschung so substanziell auseinanderzusetzen, dass er an ihnen selbst den formulierten Anfangsverdacht auch erhärten kann. Der fatale Nebeneffekt hier wie auch in der Auseinandersetzung mit neuen Finanzierungsstrukturen im Journalismus ist, dass komplexe Wirklichkeiten mithilfe des Interessenbegriffs so zurechtgestutzt werden, dass man die komplexe Wirklichkeit hinter dieser simplen Inszenierung, dass ein jeder Träger von Interessen ist, gar nicht mehr zu verstehen sucht. Im Grunde fängt qualitätsjournalistische Recherche und Wahrheitssuche aber erst an diesem Punkt an.
 
18
Eine große Ausnahme ist die in Nordrhein-Westfalen gegen erhebliche Widerstände 2015 ins Leben gerufene Stiftung Vor Ort NRW, die ausschließlich in Nordrhein-Westfalen Medienexperimente fördert. Die Stiftung wurde inzwischen wieder aufgelöst und firmiert nun als gemeinnützige GmbH unter dem Dach der Landesmedienanstalt (https://​www.​vor-ort.​nrw/​ueber-uns/​wer-wir-sind/​). Überdies haben einige wenige Stiftungen wie die Klaus Tschira Stiftung, die Brost Stiftung oder die August Schwingenstein Stiftung mithilfe ihrer Förderung einzelne neue journalistische Entitäten zum Leben erweckt (Science Media Center, CORRECTIV, piqd).
 
Literatur
Zurück zum Zitat Benjamin, W. (1978). Über den Begriff der Geschichte. In R. Tiedemann & H. Schweppenhäuser (Hrsg.), Gesammelte Schriften (2. Aufl., Vol. I.2, S. 691–704). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Benjamin, W. (1978). Über den Begriff der Geschichte. In R. Tiedemann & H. Schweppenhäuser (Hrsg.), Gesammelte Schriften (2. Aufl., Vol. I.2, S. 691–704). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
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Metadaten
Titel
Woher nehmen und nicht stehlen?
verfasst von
Franco Zotta
Copyright-Jahr
2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-59466-7_5