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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Begriffliche Grundlagen und theoretische Ordnungsvorschläge

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Zusammenfassung

Das Forschungsinteresse der vorliegenden Studie richtet sich auf organisierte Interessen in der Kultur- und Medienarbeit. Eine knappe Bestimmung, die jedoch bereits drei Hinweise auf zentrale Grundbegriffe der Untersuchung enthält.

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Fußnoten
1
Ich weise darauf hin, dass eine Auseinandersetzung mit den Quellen und Strategien zum Aufbau von Organisationsmacht in dieser Arbeit als ebenso wichtig erachtet wird, wie die von Sebaldt/Straßner herausgestellten Strategien zur Durchsetzung von Interessen. Es ist damit bereits eine basale analytische Unterscheidung angedeutet, die im weiteren Gang der Untersuchung immer wieder zum Tragen kommen wird: die Differenzierung zwischen den Außen- und Innenaktivitäten bzw. zwischen der Einfluss- und der Mitgliedersphäre von Interessenorganisationen (siehe hierzu grundlegend den folgenden Abschnitt 2.1.3.1).
 
2
In Übereinstimmung mit anderen Autor*innen erläutern Sebaldt/Straßner (2004) diesen Aspekt ausgehend von dem ursprünglichen Wortsinn. Danach handelt es sich bei einer ,Lobby‘ um die vor einem Plenarsaal eines Parlaments gelegene Wandelhalle, in die auch Nicht-Parlamentarier Zutritt haben und die von ,Lobbyisten‘ mithin dazu genutzt wird, um Abgeordneten „Wünsche vorzutragen und sie durch Versprechungen oder Druck zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zu bewegen“ (19). Hat die Lobby als Ort zur Beeinflussung von Parlamentarier*innen ihre Bedeutung längt weitgehend verloren, wird unter ,Lobbyismus‘ heute im übertragenen Sinne „die Beeinflussung von primär staatlichen Repräsentanten, von der Kommune bis zur nationalen und europäischen Ebene, verstanden, um im eigenen partikularen Interesse die Gesetzgebung bzw. die Durchführung, die Implementation der Gesetze mitzugestalten“ (Lösche 2007: 20).
 
3
Als konkretes Beispiel aus dem Bereich organisierter Interessen bietet sich der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) an, der gleichzeitig u. a. als Verbraucher*innenverband (von Autofahrer*innen), Service-Organisation und Autolobby agiert und insofern kaum eindeutig klassifizierbar scheint (vgl. Alemann 1989: 71). Ähnliches gilt für den Umstand, dass Gewerkschaften oder kirchliche Organisationen sowohl soziale und kulturelle als auch gesellschaftspolitische Interessen vertreten (vgl. ebd.).
 
4
Weber (ebd.) bezieht sich konkret auf die Typologie von Ellwein (1973).
 
5
In Anbetracht des von ihr betonten Prinzips der freien Assoziation und Artikulation von divergierenden Interessen beschreibt Lösche (2007: 105) die Pluralismustheorie passend dazu auch als Kontrapunkt zur ständischen Gesellschaft des Mittelalters und insofern als Theorie der bürgerlichen Gesellschaft.
 
6
Die Frage, ob eine theoretische Verortung von speziellen Formen organisierter Interessen wie etwa den Gewerkschaften als ,intermediäre Institutionen‘ auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe insbesondere der kapitalistischen Gesellschaften des globalen Nordens noch sinnvoll ist, „sofern mit Intermediarität mehr ausgedrückt werden soll als eine bloße Vermittlungsfunktion zwischen System- und Mitgliederinteressen“ (Brinkmann et al. 2008: 149), wird in der Arbeits- und Industriesoziologie bereits seit geraumer Zeit teilweise kontrovers diskutiert (vgl. dazu etwa die Debatte in der Zeitschrift Industrielle Beziehungen, Jahrgang 12, Heft 2).
 
7
Sie tut dies dem Autor zufolge in weitgehender Übereinstimmung mit systemtheoretischen Analysen, auf die hier nicht gesondert eingegangen wird (siehe dazu v. Alemann 1989: 39 ff., 187 ff. sowie grundlegend auch Weber 1977: 49 ff.).
 
8
Das ,duale System‘ wird hier so vergleichsweise ausführlich erläutert, da es in der Auseinandersetzung mit den Interessenvertretungsstrukturen im Bereich der Kultur- und Medienarbeit einen nicht unwichtigen Bezugspunkt darstellen wird.
 
9
In differenzierteren Analysen, die hier nicht im Detail wiedergegeben werden können, sind ergänzend auch Machtasymmetrien innerhalb korporatistischer Arrangements Gegenstand der Diskussion. Im Zentrum stehen dabei die oben angesprochenen tripartistischen Kooperationen, die Staat, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften in erster Linie zur Aushandlung von wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen eingehen. So weist etwa v. Alemann (1989) darauf hin, dass Gewerkschaften in diesen Konstellationen durchaus die schwächste Position innehaben bzw. sie mit ihrer Teilnahme ein größeres Risiko eingehen als die anderen beiden Verhandlungspartner*innen: „Sie [die Gewerkschaften] haben die geringeren Sanktionsmittel, denn sie sind allein auf ihre Position im Tarifkonflikt verwiesen. Als Massenverbände müssen sie sich durch kurzfristige Erfolge immer wieder der Unterstützung ihrer Mitglieder versichern. Es bleibt also die Option des ,Exit‘ (Abwanderung) bestehen […]“ (177).
 
10
Der Begriff der ,Konfliktfähigkeit‘ wird hier gleich noch ausführlicher im Kontext der Konflikttheorie erläutert.
 
11
Stattdessen wird mittlerweile weithin von einer begrenzten Rationalität (,bounded rationality‘) ausgegangen. Ein Individuum richtet sein Verhalten demnach nicht nur an der individuellen Nutzenmaximierung aus, sondern darüber hinaus u. a. „an konkreten Situationen, tradierten Normen und den Bedürfnissen der Mitmenschen“ (Sebaldt/Straßner 2004: 40). Der egoistische Charakter erfährt auf diese Weise, so formulieren es die genannten Autoren, eine „Zähmung durch gesellschaftliche Triebkräfte, aber auch durch andere Individuen […], die Rationalität der individuellen Entscheidung ist somit eingehegt und begrenzt (,bounded‘)“ (ebd.).
 
12
Die Aussage wird hier bewusst auf den Gegenstand der Interessenorganisation verengt. Wohl wissend, dass Marx/Engels Konflikten in ihren Analysen einen weitaus fundamentaleren Stellenwert einräumen; in ihnen nicht weniger als die „Motoren gesellschaftlichen Fortschritts“ (Bonacker 2005: 20) sehen. Dies bringt bereits früh und vermutlich am prominentesten ihre berühmte These aus dem ,Manifest der Kommunistischen Partei‘ (1974 [1848]: 462) zum Ausdruck, wonach die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen ist.
 
13
Informierte Leser*innen mögen einwenden, dass Marx die ihm häufig zugeschriebene Gegenüberstellung einer ,Klasse an sich/für sich‘ selbst nirgendwo so formuliert hat. Tatsächlich spricht er in seiner in diesem Zusammenhang üblicherweise angeführten Schrift ,Das Elend der Philosophie‘ (zuerst 1847) zwar von der ,Klasse für sich‘, nicht aber von der ,Klasse an sich‘ (vgl. Haug 2008 und ausf. Vester 2008). So begründet dieser Hinweis auch sein mag, ändert er doch nichts am Inhalt der Aussage, die hier im Original-Wortlaut wiedergegen werden soll, um Missverständnissen vorzubeugen: „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf […] findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf“ (Marx 1974 [1847]: 180 f.).
 
14
Mit ,Veröffentlichung‘ meint v. Alemann „die Möglichkeit des Herstellens von Öffentlichkeit von Interessen durch Gruppenhandeln über die Medien der öffentlichen Meinung oder auch an ihnen vorbei durch Gegenöffentlichkeit mit Hilfe von Protest, Manifestationen und Demonstrationen, um Ansprüche von Betroffenen zu formulieren, die von den vermachteten Medien nicht aufgegriffen werden“ (ebd.: 193).
Als ,Transformation‘ bezeichnet der Autor die Chance, durch die drei zuvor genannten Funktionen (Partizipation, Selbstregulierung, Veröffentlichung) „zur Veränderung der Gesellschaft durch die Organisierung von Interessen beitragen zu können“ (ebd.). Dabei merkt er an, dass „die Gesellschaft natürlich jeden Tag durch Interessen“ (ebd.) verändert werde und der von ihm verwendete Transformationsbegriff insofern auf Veränderungen im Sinne von jenen Interessen abhebe, „die im Prozess der Interessenberücksichtigung in der Regel zu kurz kommen“ (ebd.).
 
15
Ein Beispiel für die anhaltende Relevanz dieser Position hat unlängst der Soziologe Alex Demirović (2019) geliefert, als er in einem Vortrag ebendiese Argumentation auf die Frage des politischen Einflusspotenzials der Fridays-For-Future-Bewegung (FFF) anwandte. So wies er darauf hin, dass sich das Machtpotenzial von FFF erheblich steigern würde, sobald sich eine Masse von unmittelbar in die kapitalistische Produktionssphäre einbezogenen Menschen der Bewegung anschlösse. Die offenkundige Bündnisorientierung der Bewegung insbesondere in Richtung gewerkschaftlicher Organisationen deutet darauf hin, dass FFF selbst ebenfalls darauf aus ist, derartige Potenziale zu erschließen.
 
16
Offes Fokussierung auf die Kategorien der Organisations- und Konfliktfähigkeit ist in der weiteren Debatte um die Organisierung von in diesem Sinne ,schwachen Interessen‘ auch kritisiert bzw. ergänzt worden. So weisen etwa Autor*innen wie Nullmeier (2000) oder Willems/v. Winter (2000) auf die Existenz weiterer, eher symbolischer Ressourcen hin, über die soziale Gruppen, die außerhalb der Produktionssphäre stehen bzw. als sozial randständig gelten können, durchaus verfügen können – so über ,Argumentations-‘ und ,Rechtfertigungsfähigkeiten‘ (vgl. ebd.). Die genannten Autoren weisen damit auf alternative Machtressourcen hin, die hier später noch eingehender betrachtet werden (siehe grundlegend den Abschnitt 2.3.3.2 sowie für feldbezogene empirische Beispiele insbesondere den Abschnitt 4.​3.​2.​5).
 
17
V. Alemann (1989) macht einen alternativen Vorschlag. Er ordnet die von Himmelmann unterschiedenen Konfliktlinien nicht gemäß ihrer historischen Abfolge, die sich nach seiner Auffassung nur bedingt nachvollziehen lässt, sondern nach der Bedeutung, die er den sich in den einzelnen Konfliktfeldern manifestierenden Interessen zuschreibt (vgl. ebd.). Ich weise hier auf dieses Vorgehen hin, da v. Alemann dabei die Bedeutung des Konfliktfeldes ,Kapital/Lohnarbeit‘ besonders hervorhebt, was mir im Anschluss an die eben geführte Diskussion bemerkenswert erscheint. So konstatiert v. Alemann, dass dieses Konfliktfeld für die organisierten Interessen in einer Gesellschaft so zentral sei, „daß es von vielen […] als die exemplarische Ebene von Interessenpolitik überhaupt herausgestellt wird“ (73).
 
18
Angesichts des in den vergangenen zwei Jahrzenten vollzogenen Umbaus des von Himmelmann angesprochenen ,Interventions-‘ bzw. ,fürsorgenden Sozialstaates‘ zu einem ,Gewährleistungs-‘ bzw. ,aktivierenden (Sozial-)Staat‘ (vgl. exempl. Lessenich 2008; Butterwegge 2014; zusammenf. Bosančić 2016 und im vorliegenden Text noch den Abschnitt 2.5.4.4) wäre nach Einschätzung des Verfassers in einer aktuellen Auseinandersetzung die Frage angezeigt, wie sich derart veränderte ,Staatszielfunktionen‘ ggfs. auf das Konfliktfeld ,Bürger*innen versus Staat‘ auswirken. Entsprechende Überlegungen können im Rahmen der vorliegenden Untersuchung indes allenfalls angeregt, nicht aber ausführlicher entfaltet werden.
 
19
Ich verkürze die Darstellung hier in dem Wissen, dass sich der Konflikt weitaus komplexer darstellt und speziell auch die (konkurrierenden) Interessen von alten und neuen Verwerter*innen künstlerischer Werke eine Rolle spielen.
 
20
Sie können mit Koppetsch (ebd.) insofern als ,radikal‘ bezeichnet werden, als sie betonen, „dass wir uns im Entstehungsprozeß einer neuen kapitalistischen Gesellschaftsformation […] befinden, die einen signifikanten Bruch mit den Verhältnissen der Industriegesellschaft markiert“ (52).
 
21
Ausnahmen werde ich dort machen, wo ich den Wortlaut anderer Autor*innen übernehme.
 
22
Neben dem genannten Standartwerk von Raschke (1985) seien zur Übersicht die Arbeiten von Roland Roth und Dieter Rucht (1987, 2008), von Donatella della Porta und Mario Diani (zuletzt 2020) sowie zur weiteren Orientierung die Website des Instituts für Protest und Bewegungsforschung (https://​protestinstitut.​eu) empfohlen.
 
23
Was genauer unter Kultur- und Medienarbeit verstanden werden kann, entfaltet ausführlich Abschnitt 2.5.
 
24
Auch an dieser Stelle sei noch einmal der Hinweis eingebracht, dass sich die Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse innerhalb gegenwärtiger real existierender Kapitalismen weitaus komplexer und vielfältiger darstellen, als es hier erläutert werden kann. Die Ausführungen zu den Arbeits- und Sozialverhältnissen in der Kultur- und Medienarbeit in Abschnitt 2.5.4 dieser Untersuchung mögen dazu beitragen, sie zumindest feldbezogen etwas zu erhellen. Dabei wird auch die seit Mitte der 1980er Jahre in Teilen der Sozialwissenschaften verbreitete Diagnose weithin aufgelöster Klassenstrukturen nicht unberücksichtigt bleiben.
 
25
Der Terminus ,atypische Beschäftigung‘ stellt das Gegenstück zum Begriff ,Normalarbeitsverhältnis‘ dar. Beide werden im Rahmen dieser Studie noch mehrfach auftauchen, weshalb sie bereits an dieser Stelle kurz näher erläutert werden sollen. Dabei wird zur Bestimmung des Begriffs ,Normalarbeitsverhältnis‘, der seit seiner Verbreitung ab Mitte der 1980er Jahre (vgl. zuerst Mückenberger 1985) im Detail durchaus unterschiedlich definiert worden ist, auf eine Synopse von Stephan/Ludwig-Mayerhofer (2014) zurückgegriffen. Ihr zufolge ist den verschiedenen Auslegungen gemein, „dass (1.) die Arbeit in Vollzeit ausgeübt wird, (2.) der Arbeitsvertrag zeitlich unbegrenzt und (3.) die ausgeübte Tätigkeit sozialversicherungspflichtig ist, und schließlich (4.) der Arbeitnehmer seine Anweisungen von dem Arbeitgeber bekommt, mit dem er einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat“ (379 f.). Auf Basis dieser Definition lassen sich mit den Autoren bestimmte Beschäftigungsverhältnisse als ,atypisch‘ abgrenzen: Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung (als besondere Form von Teilzeitbeschäftigung), befristete Beschäftigung, Leih- oder Zeitarbeit (vgl. ausf. ebd.: 380).
 
26
Das dieser Studie zugrunde liegende Verständnis von ,prekärer Beschäftigung‘ basiert auf einer in der Debatte etablierten Definition von Ulrich Brinkmann, Klaus Dörre und Silke Röbenack (2006): „Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert“ (17).
Dieser Definition zufolge „ist Prekarität nicht identisch mit vollständiger Ausgrenzung aus dem Erwerbssystem, absoluter Armut, totaler sozialer Isolation und erzwungener politischer Apathie. Vielmehr handelt es sich um eine relationale Kategorie, deren Aussagekraft wesentlich von der Definition gesellschaftlicher Normalitätsstandards abhängt. Wo unsichere Arbeit zum Dauerzustand wird und die Verrichtung solcher Tätigkeiten eine soziale Lage für gesellschaftliche Gruppen konstituiert, kann […] von der Herausbildung einer ,Zone der Prekarität‘ gesprochen werden, die deutlich von der ,Zone der Integration‘ mit geschützten Normalarbeitsverhältnissen, aber auch von einer ,Zone der Entkoppelung‘ […] abgrenzbar ist. Mit Prekarisierung soll indessen ein sozialer Prozess bezeichnet werden, über den die Erosion von Normalitätsstandards auf die Integrierten zurückwirkt“ (ebd., Hervorhebungen im Original).
 
27
Als Solo-Selbstständige gelten allgemein Selbstständige, die keine Mitarbeiter*innen beschäftigen und ihre selbstständige Tätigkeit (Werke und/oder Dienstleistungen) mithin allein gegen Honorar erbringen. Ihre Integration in den hier verwendeten Arbeiter*innenbegriff trägt dem Umstand Rechnung, dass wenngleich sich ihre Tätigkeit zumindest formal als weniger fremdbestimmt bzw. weisungsgebunden als jene von abhängig Beschäftigten darstellt, Solo-Selbstständige dennoch ebenfalls Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse mit ihren Auftraggeber*innen eingehen. Die Spezifität und Komplexität dieser Verhältnisse wird in der vorliegenden Untersuchung noch verschiedentlich thematisiert und nicht zuletzt als Herausforderung für die Organisierung von Arbeitsinteressen diskutiert.
 
28
Der Machtressourcen-Ansatz, den Brinkmann et al. (2008: 25) unter Bezugnahme auf Überlegungen von Wright (2000) und Silver (2005) entfalten, unterscheidet insgesamt drei Quellen bzw. Formen von Arbeiter*innenmacht. Von der angesprochenen Organisationsmacht sind demnach strukturelle Macht und institutionelle Macht zu unterscheiden. Strukturelle Arbeiter*innenmacht erwächst dem Konzept zufolge aus der Stellung von Lohnabhängigengruppen im ökonomischen System und kann auf zweierlei Art zum Ausdruck kommen: als primäre Verhandlungsmacht, die aus einer angespannten Arbeitsmarktsituation entspringt sowie als Produktionsmacht, die durch eine besondere strategische Stellung von Arbeiter*innengruppen in Produktionsprozessen bedingt wird. Institutionelle Arbeiter*innenmacht ist laut Brinkmann et al. wiederum ein „Resultat von Aushandlungen und Konflikten, die auf struktureller Macht und Organisationsmacht beruhen“ (ebd.), wobei ihre Besonderheit auf dem Faktum basiert, „dass Institutionen soziale Basiskompromisse über ökonomische Konjunkturen und kurzzeitige Veränderungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse hinweg festschreiben und teilweise gesetzlich fixieren“ (ebd.). Alle drei Formen von Arbeiter*innenmacht sind für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung relevant. Die Ausführungen im aktuellen Kapitel betreffen in erster Linie Formen von Organisationsmacht sowie auch deren Transformierung in institutionelle Macht. Aspekte von struktureller bzw. von Primärmacht werden zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert, wenn neben kollektivem auch bestimmte Formen von individuellem Interessenhandeln von Beschäftigen in die Überlegungen einbezogen werden (siehe insb. die Abschnitte 4.​1.​1.​3 und 4.​1.​1.​4).
 
29
Dieses Regime ermöglichte es Angehörigen der besitzlosen Klassen respektive Lohnabhängigen laut Sennett, „Stufen einer normgerechten beruflichen Laufbahn zu definieren und eine langfristige Arbeit im Dienst eines Unternehmens in Zusammenhang mit bestimmten Einkommenszuwächsen zu bringen“ (ebd.: 24).
 
30
Parallelen zu dieser Sichtweise finden sich in den Ausführungen zu den allgemeinen Funktionen von Interessenorganisationen in der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft in Abschnitt 2.2 (Stichworte: politische Integration der Bürger*innen und Legitimierung bzw. Systemstabilisierung).
 
31
Ich verzichte hier auf die Nennung von weiteren sowie auf eine nähere Erläuterung der aufgezählten Ursachen für die konstatierten gewerkschaftlichen Organisationsprobleme und stelle stattdessen auf deren Folgen für die institutionelle Macht von Gewerkschaften und das System organisierter Arbeitsbeziehungen insgesamt ab. Eine differenziertere Auseinandersetzung mit ausgewählten Ursachen für gewerkschaftliche Organisationsprobleme erfolgt feldbezogen in Abschnitt 4.​1, in dem ich neben organisationsformalen bzw. strukturellen Hindernissen (z. B. spezifische Formen der Arbeits-/Unternehmensorganisation in der Kultur- und Kreativwirtschaft) und institutionellen Defiziten u. a. aufseiten von Gewerkschaften, nicht zuletzt auch subjektive Faktoren aufseiten von Kultur- und Medienarbeiter*innen (z. B. ihre spezifische Arbeitshaltung) diskutieren werde.
 
32
Als Beispiel für eine zuletzt vielbeachtete Publikation an der Schnittstelle zwischen akademischem Diskurs und praktischer Anleitung kann Jane McAleveys (2016, 2019) Studie „No Shortcuts. Organizing for Power in the new Gilded Age“ gelten, die unter dem Titel „Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing“ unlängst auch auf Deutsch erschienen ist. Sie hat nicht nur erheblichen Anklang sowohl in wissenschaftlichen als auch in gewerkschaftsinternen (Strategie-)Debatten gefunden, sondern dient darüber hinaus als konzeptueller Rahmen für die mittlerweile auch hierzulande zahlreich durchgeführten ,Organizing-Workshops‘ für Gewerkschaftspraktiker*innen.
 
33
Die Bezeichnung ,neue Selbstständige‘ bringt mehrere Entwicklungen im Bereich selbstständiger Erwerbsarbeit auf den Begriff. Zunächst kennzeichnet sie einen Rückgang der Selbstständigenzahlen in „,klassischen‘ Dienstleistungsbranchen wie Gastgewerbe oder Handel, die bisher das Bild des Unternehmertums und der Selbstständigkeit bestimmt haben, in den letzten […] Jahren“ (Schulze Buschoff 2010: 169), bei gleichzeitiger Zunahme an Selbstständigen in den „‚modernen‘ Dienstleistungen wie den unternehmensorientierten Dienstleistungen, dem Gesundheits- und Pflegebereich und den sonstigen personennahen Dienstleistungen“ (ebd.). Charakteristisch für diese Formen ‚neuer Selbstständigkeit‘ ist, dass sie häufig „auf der Entwicklung neuer Tätigkeitsprofile“ (ebd.) basieren, die wiederum „auf persönlichen Wissensbeständen und Fähigkeiten beruhen und vergleichsweise geringe Anforderungen an ökonomische und personelle Ressourcen zur Gründung stellen“ (ebd.; Schulze Buschoff 2007). Eine andere Form ‚neuer Selbstständigkeit‘ entsteht laut Schulze Buschoff „nicht durch neue Tätigkeitsbereiche, sondern durch eine Veränderung der Arbeitsformen auch in traditionellen Wirtschaftszweigen wie dem Bausektor“ (ebd.). Dort und anderswo werden „Arbeitsverhältnisse in abhängiger Beschäftigung […] über Subunternehmertum, Contracting-Out und Franchising durch Formen selbstständiger Erwerbsarbeit zunehmend ersetzt“ (ebd.; Schulze Buschoff 2007). Unzweifelhaft ist, dass die skizzierten Formen ,neuer Selbstständigkeit‘ auch neue Risiken für die so Erwerbstätigen implizieren – allen voran vergleichsweise unstete und geringe Einkommen (vgl. ebd. sowie zuletzt auch Pongratz 2020) –, weshalb sie auch in der Debatte um die Prekarisierung von Arbeit eine wichtige Bezugsgruppe bilden.
 
34
Weitere in der Literatur beschriebene allgemeine Entwicklungstrends, wie etwa eine wachsende Bedeutung sogenannter ,politischer Unternehmer*innen‘ oder eine Zunahme ,advokatorischer Interessenvertretung‘ (vgl. ebd.), bleiben hier unberücksichtigt, weil keine Hinweise dafür gefunden wurden, dass sie aktuell auch die Interessenorganisierung von Kultur- und Medienarbeiter*innen prägen.
 
35
Zur Einordnung sei jedoch kurz gesagt, dass Sebaldt/Straßner die genannten Phänomene modernisierungstheoretisch herleiten bzw. diskutieren und sich dabei im Kern auf ,klassische‘ Ansätze wie etwa jenen von Wolfgang Zapf (1979) beziehen (siehe dazu ausf. vor allem Sebaldt 2004). Aus dieser Perspektive ist es den Autoren zufolge zunächst angezeigt, den „Wandel der systemischen Rahmenbedingungen“ (ebd.: 277) zu analysieren, „dem westliche Verbandssysteme im Allgemeinen und das deutsche im Besonderen ausgesetzt sind“ (ebd.; vgl. auch Zimmer/Priller 2004). Demgemäß unterscheidet Sebaldt (ebd.) in Anlehnung an Zapf (1979) zwischen sozialen, kulturellen, ökonomischen, politischen, technologischen und ökologischen Modernisierungsprozessen, in deren Kontext sich die westlichen Industrienationen und das ihnen innewohnende Spektrum an Interessen seiner Einschätzung nach in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert hat. Die Feststellung eines sich parallel vollziehenden substanziellen Wandels „der Organisations- und Mobilisierungsmuster von Interessen“ (ebd.) greifen Straßner/Sebaldt (2006: 307 f.) auf und konkretisieren ebendiesen Wandel auf drei Ebenen, um sodann die oben angeführten Einzelerscheinungen (Verstetigung von Zusatzanreizen, Verbreitung von Nicht-Mitgliedschaftsorganisationen usw.) systematisch als Merkmale eines (1) Eliten-, (2) Beziehungs- oder (3) Ressourcenwandels zu verorten.
 
36
Es ist damit eine wichtige Dimension sogenannter Individualisierungsthesen angesprochen, die auch Teile der Debatte um Kultur- und Medienarbeit prägen (siehe dazu ausf. insb. noch Abschnitt 4.​1).
 
37
Als Beispiel führt der Text die Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM) an, die sich selbst als „Verband für Verbände“ (www.​dgvm.​de 2020) charakterisiert, und die mit ihrer verbandseigenen Unternehmung, der businessForum mbH, diverse Dienstleistungen im Bereich von Verbands- und Industriemarketing anbietet.
 
38
In Abgrenzung zu ,Staat‘ und ,Markt‘ ordnet der gleichnamige Theorieansatz dem sogenannten ,Dritten Sektor‘ „das gesamte Spektrum nichtkommerziell arbeitender Organisationen“ (ebd.) zu (vgl. ausf. Straßner/Sebaldt 2006: 327 ff. und im vorliegenden Text die noch folgenden Ausführungen zum ,Drei-Sektoren-Modell des Kultur- und Kreativsektors‘ in Abschnitt 2.5 sowie auch bereits die einleitenden Erläuterungen im Kontext der KPOeMK-Perspektive).
 
39
Zur Diskussion des Konzepts der KuK als (wirtschaftspolitischem) Deutungsrahmen für Kultur- und Medienarbeit siehe den nachstehenden Abschnitt 2.5.3.
 
40
Laut dem Arbeitskreis Kulturstatistik e. V. und Michael Söndermann (2012) umfassen „die künstlerischen Kulturberufe […] Musiker/innen, darstellende Künstler/innen, bildende Künstler/innen, Film-/Fernsehkünstler/innen, Fotografen/innen und Artisten/innen; die publizistischen Kulturberufe […] Publizisten/innen, Dolmetscher/innen, Übersetzer/innen und Bibliothekare/Museumsfachleute; die weiteren Kulturberufe […] Architekten/innen, Werbefachleute, Lehrer/innen für musische Fächer, Geisteswissenschaftler/innen sowie ausgewählte handwerkliche Kulturberufe“ (26, Hervorhebung durch Paulus).
 
41
Die KldB 2010 ist eine unter Federführung der Bundesagentur für Arbeit erstellte hierarchische Berufsklassifikation, die insgesamt zehn Berufsbereiche, 37 Berufshauptgruppen, 144 Berufsgruppen, 700 Berufsuntergruppen und 1286 Berufsgattungen umfasst (vgl. Liersch/Asef 2015 und ausf. Bundesagentur für Arbeit 2011a, b).
 
42
In den statistischen Erhebungen des BMWi bilden Unternehmen wie die o. g. das Segment der sogenannten ,Digitalwirtschaft‘. Dem aktuellsten ,Monitoring-Report‘ zufolge waren im Jahr 2017 hierzulande insgesamt 1.176.324 Menschen in dieser Branche erwerbstätig (sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbstständig) (vgl. Weber/Bertschek/Weinzierl/Speich/Ohnemus/ Rammer/Niebel 2018). Wie viele von ihnen als Kultur- und Medienarbeit*innen im Sinne der oben entwickelten Definition gelten können, lässt sich auf Grundlage der vorhandenen Daten nicht ermitteln, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass es Überschneidungen mit den amtlichen Kennzahlen zur Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe dazu ausführlich den folgenden Abschnitt 2.5.4) gibt.
 
43
Die Plattformökonomie basiert auf digitalen, datenbasierten und algorithmisch strukturierenden soziotechnischen Infrastrukturen (Plattformen) (vgl. Dolata 2018: 6), die größtenteils von Konzernen wie den o. g. entwickelt und bereitgestellt werden, oder die zumindest auf von diesen Unternehmen entwickelter bzw. bereitgestellter Technologie (z. B. Server, Betriebssysteme) fußen (vgl. Kirchner/Matiaske 2020: 106). Charakteristisch ist sodann eine dreiseitige Markt- bzw. Akteurskonstellation, die neben den Marktteilnehmer*innen auf der Angebots- und Nachfrageseite immer auch noch die/den Plattformbetreiber*in beinhaltet (vgl. Greef et al. 2017: 15 f.). Letztere*r bietet die nachgefragten Waren oder Dienstleistungen in der Regel nicht selbst an, sondern stellt lediglich die Infrastruktur zur Verfügung (vgl. ebd.). Gleichwohl hat die/der Plattformbetreiber*in die zentrale Position inne, da sie/er zwischen Angebot und Nachfrage vermittelt und durch ihre/seine AGBs zudem allein über die Handlungsbedingungen auf den Plattformen bestimmt (vgl. ebd. und ergänzend Dobusch 2016; Kalkhake 2016).
Angesichts der Tatsache, dass in der Plattformökonomie sehr disparate Formen an Wertschöpfung und Arbeit organisiert bzw. vermittelt werden, differenziert die Literatur u. a. die folgenden Plattformtypen: (1) Handelsplattformen für Waren aller Art (z. B. Amazon, eBay), für digitale Medieninhalte (z. B. Netflix, Spotify), für Essen (z. B. Delivery Hero); (2) Networking- und Messaging-Plattformen (z. B. Instagram, WhatsApp), die teilweise ebenfalls als Handelsplattformen betrachtet werden, da sie (wie z. B. Facebook und YouTube) mit der Aufmerksamkeit und den Daten ihrer Nutzer*innen sowie mit Werbung handeln (vgl. Greef et al. 2017: 17); (3) Informationsplattformen wie Suchmaschinen (z. B. Bing), Newsaggregatoren (z. B. Google News) oder (Preis-)Vergleichsportale (z. B. check24); (4) Bezahl- und Kapitalvermittlungsplattformen (z. B. PayPal, Kickstarter); (5) Vermittlungsplattformen für Dienstleistungen (z. B. Upwork); (6) Non-Profit- und Open-Source-Plattformen wie Enzyklopädien (z. B. Wikipedia); (7) unternehmensinterne Plattformen z. B. für Projektmanagement (z. B. IBM Liquid) (vgl. ebd.; Kirchner/Matiaske 2020; vgl. für frühere diskussionsprägende Differenzierungsvorschläge auch Srnicek 2016).
 
44
,Crowdwork‘ wird in einschlägigen Untersuchungen (vgl. z. B. Greef et al. 2017; Staab/Prediger 2019) anhand von drei Merkmalen charakterisiert. Erstens erfolgt die Ausschreibung und/oder die Vergabe der Arbeitsaufträge über internetbasierte Plattformen und damit herausgelöst aus betrieblichen Kontexten (vgl. auch Gerber/Krzywdzinski 2017). Zweitens ist die Zahl der Auftraggeber*innen gegenüber der Zahl der potenziellen (anonymen) Auftragnehmer*innen (der ,Crowd‘) auf den Vermittlungsplattformen verhältnismäßig gering. Letztere konkurrieren hauptsächlich als Solo-Selbstständige und/oder auch im Rahmen einer Teil- bzw. Nebenerwerbstätigkeit um die vergleichsweise wenigen ausgeschriebenen Arbeitsaufträge (vgl. Greef et al. 2017; Staab/Prediger 2019). Drittens ist für Crowdwork die ,Dreiecksbeziehung‘ zwischen Plattformbetreiber*in, Auftraggeber*in und Auftragnehmer*in charakteristisch. Die Plattformbetreiber*innen definieren sich weder als Arbeitgeber*in noch sind sie selbst an der konkreten Werk-/Produkterstellung oder Dienstleistungserbringung beteiligt. Sie beschränken und finanzieren sich vielmehr auf bzw. durch die Vermittlung zwischen Auftragsangebot und -nachfrage, für die sie im Erfolgsfall eine Provision erhalten (vgl. ebd.; Schmidt 2016).
Unter dem Oberbegriff ,Crowdwork‘ werden in der Literatur unterschiedliche Typen von plattformvermittelter bezahlter Dienstleistungsarbeit differenziert. Greef et al. (2017: 18 f.) führen mehrere Ansätze zusammen und schlagen eine Kategorisierung entlang einer ortsbezogenen Dimension sowie einer zweiten Dimension vor, die auf die Komplexität und den Anspruch der vermittelten Aufträge bzw. Arbeit abhebt. So kann entlang der Ortsdimension zwischen einer Dienstleistungserbringung vor Ort (,Gigwork‘) sowie rein online über das Internet erbrachten Dienstleistungen (,Cloudwork‘) unterschieden werden. Anhand des Komplexitätskriteriums lassen sich diese Formen sodann weiter differenzieren in digitale oder ortsgebundene Einfacharbeit (,Clickwork‘, ,Microjobbing‘) sowie in wissensintensive bzw. kreative ,Macrowork‘, die durch hochqualifizierte Freelancer*innen online (,High-Qualified Cloudwork‘) oder ortsgebunden (,Qualified Gigworkʻ) erbracht wird (vgl. ebd.).
 
45
Als Beispiel für ein solches Tätigkeitsfeld eignet sich die Musikwirtschaft besonders, da ihre im 20. Jahrhundert etablierte Funktionsweise und Wertschöpfungsordnung im Kontext der Digitalisierung und insbesondere im Zuge der Verbreitung von neuen, digitalen Netzwerkmedien seit Ende der 1990er Jahre früher und tiefgreifender als andere Kultur- und Medienbranchen herausgefordert und restrukturiert wurde (vgl. zur Übersicht zuletzt z. B. Endreß/Wandjo 2021 und früh z. B. Tschmuck 2003; Wikström 2009 sowie spezifisch z. B. Winter 2011b, 2012, 2013; Hermes/Knoflach/Winter 2016).
 
46
Im Kontext seiner Analyse, wie im Kapitalismus Strukturen transformiert werden, hat der Ökonom Joseph Schumpeter ein Unternehmer*innenverständnis geprägt, dem zufolge Unternehmer*innen vor allem mittels Innovationen zu wirtschaftlichem Fortschritt und Wachstum beitragen und in diesem Sinne gleichsam als ,schöpferische Zerstörer*innen‘ agieren (vgl. Manske 2016: 185; Schumpeter 2005[1947]). Die wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung dieser Funktion sieht Schumpeter in der Eigenschaft von Unternehmer*innen, auf der Grundlage von persönlicher Stärke und Eigenverantwortung nach Erfolg zu streben (vgl. ebd.). Was Kapitalprofite als konkrete Ausprägung wirtschaftlichen Erfolgs anbelangt, erscheinen diese mit Blick auf die Innovationsorientierung des Ansatzes sodann weniger als Ergebnis der Rationalität einer Unternehmerin/eines Unternehmers, sondern vielmehr als Resultat ihrer/seiner Kreativität, verstanden als die Fähigkeit, „neue Kombinationen (neue Produkte, Technologien, organisatorische und logistische Problemlösungen, Bezugsquellen und Absatzmärkte) zu entwickeln und durchzusetzen“ (Deutschmann 2010: 46).
 
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Die Figur der/des ,Kulturunternehmer*in‘ wird in den nachfolgenden Kapiteln noch näher betrachtet.
 
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Es sei ergänzt, dass die von Manske als ,Unternehmer*innen-These‘ pointierte Verortung von künstlerisch-kreativer Arbeit und ihren Akteur*innen nicht allein in Floridas Ideen wurzelt. So sind als weitere wichtige Quelle insbesondere auch die Aktivitäten der britischen ,New Labour‘-Regierung unter Tony Blair und ihres Department of Culture, Media and Sport (DMCS) in den späten 1990er Jahren zu nennen. In dem von ihm herausgegebenen sogenannten ,Task Force Mapping Document‘ wurden erstmals verschiedene künstlerische und kreative Tätigkeiten und Branchen zusammengefasst und zu einem Supersektor namens ,Creative Industries‘ modelliert (vgl. DCMS 1998, 2001; Olma 2009). Als zentrales konstitutives und verbindendes Element formuliert die dortige Definition, dass jede Creative Industry auf individueller Kreativität sowie subjektiven Fähigkeiten und Talenten basiert und ein Potenzial besitzt, durch die Schaffung und Nutzung von geistigem Eigentum Arbeitsplätze und Wohlstand zu generieren (vgl. DCMS 2001: 4). Mit der Betonung der individuellen Leistungsfähigkeit einerseits und der Prämisse einer kommerziellen Inwertsetzung bzw. Ausbeutung von Kreativität andererseits wurde sodann eine Förderpolitik verbunden, die Künstler*innen und Kreative explizit dazu anhielt, sich als Unternehmer*innen zu begreifen (vgl. Hesmondhalgh/Pratt 2005; Olma 2009). Zu Beginn des Jahrtausends wurde dieser Ansatz international von vielen Regierungen adaptiert – programmatisch häufig verknüpft mit Floridas Thesen und in der Annahme, mit der Entwicklung regionaler und nationaler Kreativwirtschaften einen aussichtsreichen Weg in eine ,postindustrielle Zukunft‘ zu beschreiten (vgl. Olma 2009). In der BRD waren sowohl Debattenbeiträge wie etwa die Milieustudie zur ,digitalen Bohème‘ von Holm Friebe und Sascha Lobo (2006) als auch politische Initiativen zur Definition und Förderung der hiesigen Kultur- und Kreativwirtschaft (vgl. Söndermann et al. 2009 und im vorliegenden Text ausführlich der voranstehende Abschnitt 2.5.1) Ausdruck dieser Entwicklung, die sich bis heute fortsetzt (vgl. ebd.).
 
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Neben der von Manske rekonstruierten soziologischen Kritik wird die wirtschaftspolitische Modellierung und Vereinnahmung von Kunst, Kultur und Kreativität im Anschluss an Florida und das politische Programm der Creative Industries bzw. der Kultur- und Kreativwirtschaft auch aus kulturwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen sowie nicht zuletzt auch aus politisch-aktivistischen Kreisen kritisiert. In Ergänzung zu Manskes Darstellung bietet Sebastian Olma (2009) eine Übersicht über den insofern durchaus noch umfangreicheren Kritikapparat.
 
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Der Begriff der ,Künstler*innenkritik‘ ist zuletzt maßgeblich von Boltanski/Chiapello (2003) geprägt worden. Laut der Zusammenfassung von Manske (2016: 117) gehen sie davon aus, dass der ,moralische Wandel der Arbeitsgesellschaft‘ grundsätzlich von zwei Kritikformen vorangetrieben wird: von Sozial- und von Künstler*innenkritik. Ihre basale Differenzierung besagt, dass „[w]ährend die Sozialkritik vorrangig von gewerkschaftlicher Seite bzw. historisch von der Arbeiterbewegung repräsentiert wurde, soziale Gerechtigkeits- und Verteilungskonflikte im Blick habe und den Kapitalismus als Quelle von Elend, Ungleichheit und Ausbeutung anprangere, […] die Künstlerkritik in Bohème-Kreisen des 19. Jahrhunderts [wurzele]. Sie beklage vor allem den Mangel an Authentizität, Fremdbestimmung, Disziplinierung und den daraus folgenden Sinnverlust der Lebensführung in der sich etablierenden modernen Arbeitsgesellschaft“ (ebd.). Als „die eine Seite der Kapitalismuskritik“ (ebd.) trete sie mithin ein „für die Freiheit des Künstlers“ (Boltanski/Chiapello 2003: 82 zit. n. Manske ebd.). In der weiteren Diskussion ist die theoretische Stichhaltigkeit des Konzepts der Künstler*innenkritik auch kritisch hinterfragt worden (siehe z. B. Lazzarato 2007).
 
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Besonders eindrücklich manifestiert sich das Interesse in sogenannten Kultur- und Kreativwirtschaftsberichten, die, von staatlichen Stellen initiiert, seither regelmäßig und zahlreich sowohl auf regionaler, auf Länder- wie auf Bundesebene erschienen sind (siehe für eine [unvollständige] Übersicht www.​kulturwirtschaft​.​de).
 
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Zur Ermittlung der Erwerbstätigenzahlen stützen sich die Berichte maßgeblich auf die Beschäftigungsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA). Als weitere wichtige Datenquellen weist der aktuelle Bericht außerdem die Umsatzsteuerstatistik des Destatis und die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) des Destatis aus (vgl. Birkel et al. 2020).
 
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So ist etwa die Künstlersozialkasse (KSK), auf die im Abschnitt ,Soziale Absicherung‘ gleich noch näher eingegangen wird, nicht auf hybride Erwerbslagen eingestellt. Sie nimmt ausschließlich Kultur- und Medienarbeiter*innen auf, deren Erwerbsform eindeutig als ,selbstständig‘ klassifizierbar ist (vgl. Manske 2016: 206).
 
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Der letzte Hinweis ist nicht unwichtig, da Arbeit durchaus auch innerhalb von Betrieben projektförmig organisiert werden kann. Daraus resultierende Konsequenzen für das Interessenhandeln von abhängig Beschäftigten werden in Abschnitt 4.​1.​2.​4 unter Bezugnahme auf Forschungsbefunde zu Unternehmen der Digitalwirtschaft noch thematisiert. Da ein Großteil der gesichteten Beiträge jedoch auf die im Tätigkeitsfeld der Kultur- und Medienarbeit offensichtlich dominante Form einer betrieblich ungebundenen bzw. selbstständig ausgeübten Projektarbeit abhebt, beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung ebenfalls vorrangig mit dieser Form.
 
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Konkret basieren projektförmige Arbeitsverhältnisse häufig auf Werkverträgen. In ihnen verpflichten sich Solo-Selbstständige nach § 631 ff. BGB, „ein bestimmtes Arbeitsergebnis bzw. Werk bis zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine festgesetzte Vergütung herzustellen. Hierbei ist der/die Auftragnehmer*in haftbar bei Nichterfüllung des Vertrages und das Arbeitswerk ist von dem/der Auftraggeber*in abzunehmen“ (Ruiner/Apitzsch/Wilkesmann 2018: 195).
 
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Neben der zeitlichen Befristung, die Projektarbeit kennzeichnet und der Beobachtung, dass sie zudem häufig als geringfügige Erwerbstätigkeit in Erscheinung tritt (vgl. ebd.; Bertschek/Ohnemus/Erdsiek/Hogrefe/Kappler/Kimpeler/Rammer/Shala 2014), begründet ebendieser Mangel die in der arbeitssoziologischen Diskussion verbreitete Verortung von Projektarbeit als prekäre Arbeit.
 
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Beim SOEP handelt es sich um eine multidisziplinäre Panelstudie, in deren Rahmen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bzw. das von ihm beauftragte Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung GmbH jährlich etwa 30.000 Menschen in knapp 15.000 Haushalten befragt (vgl. https://​www.​DIW.​de).
 
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Die genannten und weitere Maßnahmen werden in den folgenden Kapiteln noch ergänzend als Gegenstände bzw. auch als historische Erfolge des kollektiven Interessenhandelns von Kultur- und Medienarbeiter*innen thematisiert.
 
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Kurz gesagt können Personen als ,arbeitnehmer*innenähnlich‘ gelten, wenn sie auf Dauer und im Wesentlichen nur für eine*n Auftraggeber*in selbstständig tätig sind (vgl. Schulze Buschoff 2010: 176). Das Tarifvertragsgesetz (TVG) fasst darunter präziser „Personen, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind […], wenn sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und a) überwiegend für eine Person tätig sind oder b) ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht“ (§ 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG).
 
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Das Angebot umfasst eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Eine Absicherung gegen Arbeitslosigkeit leistet die KSK nicht. Auch ist lediglich ein bestimmter Kreis an Kultur- und Medienarbeiter*innen versicherungsberechtigt. Im Anschluss an die bereits in Abschnitt 2.5.1 formulierte Definition von Künstler*innen und Publizist*innen im KSVG sind die entscheidenden Kriterien für einen Versicherungsanspruch, dass die künstlerische oder publizistische Tätigkeit selbstständig und erwerbsmäßig, d. h. nicht nur vorübergehend ausgeübt wird (vgl. § 1 KSVG). Für die Erwerbsmäßigkeit ist ferner entscheidend, dass mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit ein Jahreseinkommen von mindestens 3.900 Euro (Geringfügigkeitsgrenze) erarbeitet wird (für Berufsanfänger*innen gelten Ausnahmen) (vgl. § 3 KSVG). Zur Aufnahme in die KSK ist eine Antragsstellung erforderlich, die eine Prüfung der Künstler*innen- bzw. Publizist*inneneigenschaften gemäß des KSVG beinhaltet. Nach erfolgreicher Aufnahme wird die Finanzierung der Versicherungsbeiträge zu 50 Prozent von den Versicherungsnehmer*innen selbst getragen (Pendant zum Arbeitnehmer*innenanteil im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung), 30 Prozent stammen aus Sozialabgaben von Unternehmen, die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten (Pendent zum Arbeitgeber*innenanteil), die übrigen 20 Prozent leistet der Staat (vgl. www.​kuenstlersozialk​asse.​de 2020).
Die KSK ist seit ihrer Gründung ein gesellschaftspolitischer Streitfall, der sich letztlich immer wieder an der Grundfrage entzündet, inwiefern künstlerisch-publizistische Arbeit und ihre Akteur*innen eines besonderen wohlfahrtsstaatlichen Schutzes bedürfen (vgl. dazu Manske 2016: 205 ff.). Jüngere Analysen bescheinigen der KSK im Lichte erwerbsstruktureller Wandlungsprozesse (u. a. Zunahme von hybriden Erwerbslagen) und insbesondere angesichts stark angewachsener Antrags- und Versichertenzahlen außerdem einen erheblichen Reformbedarf (vgl. ebd. und ergänzend Manske 2012, 2013).
 
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Das bereits in Abschnitt 2.2.4.4 angesprochene Begriffspaar verweist auf eine weitreichende Transformierung des bundesdeutschen Sozialstaates in den vergangenen 25 Jahren, dessen Regierungen ihre Arbeits- und Sozialpolitiken seither, sehr verkürzt formuliert, an dem Slogan ,fördern und fordern‘ ausrichten und die Bürger*innen bei der Bewältigung sozialer Risiken gleichsam als ,Aktiv-Bürger*innen‘ zu mehr Eigenverantwortung und Selbststeuerung verpflichten (vgl. ausf. z. B. Lessenich 2008).
 
Metadaten
Titel
Begriffliche Grundlagen und theoretische Ordnungsvorschläge
verfasst von
Aljoscha Paulus
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40652-3_2