2014 | OriginalPaper | Buchkapitel
Systeme der Kostenrechnung
verfasst von : Ralf Ewert, Alfred Wagenhofer
Erschienen in: Interne Unternehmensrechnung
Verlag: Springer Berlin Heidelberg
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Die früheren Kapitel gingen stillschweigend von der Annahme aus, die relevanten Daten für die Entscheidungskalküle seien im Unternehmen im benötigten Detaillierungsgrad verfügbar. Dies ist jedoch meist nicht ohne weiteres der Fall. Bedenkt man die Unmenge von Einzelinformationen, die sich im Unternehmen während seiner Tätigkeit ansammeln, werden
leistungsfähige Systeme der Kostenrechnung
benötigt. Die bekanntesten Grundtypen sind die
Grenzplankostenrechnung
(GPKR), die
Prozesskostenrechnung
und die
Relative Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung
(REDR).
Die Grenzplankostenrechnung fußt auf den
Prämissen
, dass die Beschäftigung die maßgebliche Kosteneinflussgröße darstellt und die Kosten in Abhängigkeit von der Beschäftigung eindeutig in variable und fixe Bestandteile getrennt werden können. Die variablen Kosten werden als linear (und damit proportional) zur Beschäftigung angenommen. Als entscheidungsrelevante Kosten werden nur die proportionalen Kosten verwendet. Die Kostenplanung erfolgt – wie auch bei der REDR – deterministisch.
Wie die Grenzplankostenrechnung lässt sich eine
Grenzplanerlösrechnung
aufbauen, die auf analogen Prämissen ruht. Sie kann mit der Grenzplankostenrechnung in einer Ergebnisrechnung zusammengefasst werden. Die typische Darstellungsform ist die
mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung
(Fixkostendeckungsrechnung), bei der die Fixkosten nach ihrer Zurechenbarkeit auf Produkte, Produktgruppen und Bereiche untergliedert werden.
Die
Prozesskostenrechnung
versucht, eine
beanspruchungsgerechtere
Behandlung insbesondere der Gemeinkosten in den indirekten Leistungsbereichen zu realisieren. Dazu wird – typischerweise auf Basis der existierenden Stellengliederung – eine detaillierte Analyse der im Unternehmen ablaufenden Prozesse und Tätigkeiten durchgeführt. Diesen Aktivitäten werden (Voll-)Kosten zugeordnet, so dass
Prozesskostensätze
je Einheit der jeweiligen
Aktivität
resultieren. Die Prozesse werden auch unternehmensweit analysiert, indem sogenannte
Hauptprozesse
betrachtet werden, die sich aus Teilprozessen in mehreren Stellen zusammensetzen. Die Prozesskostenrechnung beinhaltet rechnungstechnisch zahlreiche
Schlüsselungen
und
Proportionalitätsannahmen
. Wegen ihrer Ausrichtung als Vollkostenrechnung hat sie einen explizit langfristigen Aspekt, bezieht grundsätzlich auch Kapazitätsanpassungen in ihre Betrachtung ein und soll daher auch eine Grundlage für strategische Entscheidungen liefern.
Die Relative Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung löst sich grundsätzlich von einem verbrauchsorientierten Kostenbegriff und basiert auf einer veränderten Kostenzurechnung aufgrund des
Identitätsprinzips
. Einem Bezugsobjekt werden nur jene Kosten und Erlöse zugerechnet, die durch die Entscheidung über das betrachtete Bezugsobjekt ausgelöst werden (
relative
Einzelkosten und Einzelerlöse). Die REDR besteht aus zweckneutralen
Grundrechnungen
, die als möglichst detaillierter Datenspeicher für
Sonderrechnungen
fungieren. Eine periodische
Deckungsbeitragsrechnung
liefert nur eine Gegenüberstellung von (Perioden-)Einzelerlösen und Einzelkosten; der Deckungsbeitrag muss zur Gewinnung von Erfolgsinformationen mit einem
Deckungsbudget
verglichen werden.
Das Verdienst der REDR besteht zweifellos darin, die
Problematik
und
Relativität von Kostenzurechnungen
in eindrucksvoller Weise aufzuzeigen. Damit wird das Bewusstsein für unsachgemäße Proportionalisierungen und Schlüsselungen geschärft. Diese Kenntnisse können außerordentlich wertvoll sein, wenn in einem Unternehmen spezifische Rechnungen außerhalb des „üblichen“ Rechnungssystems angefertigt werden sollen, um etwa die Wirtschaftlichkeit bestimmter Fertigungsbereiche, des Logistiksystems oder der Verwaltungsstellen beurteilen zu können. Bei solchen Rechnungen müssen oftmals völlig neuartige Gruppierungen bestehender Kosten- und Erlösdaten vorgenommen werden. Grundsätze für solche Zurechnungen werden durch die REDR bereitgestellt.
Die Grenzplankostenrechnung und (in etwas geringerem Umfang) die Prozesskostenrechnung haben im Gegensatz zur REDR große
praktische Verbreitung
gefunden. Ein wesentlicher Grund dafür liegt im schematischen Charakter und den detaillierten Empfehlungen für die Vorgangsweise bei der Kostenrechnung. Im Gegensatz dazu geht die REDR wesentlich differenzierter vor und ist daher komplexer. Um die Praktikabilität der REDR zu gewährleisten, werden
Annäherungen
an „traditionelle“ Vorgehensweisen propagiert, wodurch die Unterschiede zwischen GPKR und REDR abnehmen. Geht man davon aus, dass wegen der hohen Dynamik der Märkte die standardisierten Entscheidungstypen eher geringer werden, die besonderen und nur situationsabhängig zu präzisierenden Entscheidungsprobleme dagegen zunehmen, dann wird die Erstellung
fallweiser Sonderrechnungen
zur Vorbereitung von Entscheidungen eine große Bedeutung erlangen. Damit gewinnen auch die differenzierten Zurechnungsgrundsätze der REDR an Gewicht.
Für Entscheidungsmodelle, wie sie in diesem Buch im Vordergrund stehen, hat die Qualität der Daten natürlich eine wesentliche Bedeutung für die
Qualität der Lösungen
der Modelle. Im Grunde hat man auch hier wieder ein Problem des optimalen
Komplexionsgrades
zu lösen. Lineare Entscheidungsmodelle, wie sie auf den („linearisierten“) Daten der Grenzplankostenrechnung (und der Prozesskostenrechnung) aufgebaut werden können, lassen sich mit leistungsfähigen Standardalgorithmen lösen. Sie benötigen zwingend lineare Eingangsdaten, wodurch sich allerdings Verzerrungen hinsichtlich der Abbildung tatsächlicher Kostenabhängigkeiten ergeben können. Dadurch wird auch die „optimale“ Lösung des linearen Entscheidungsmodells vom tatsächlichen Optimum regelmäßig abweichen. Diese Abweichungen ließen sich zwar durch eine präzisere Abbildung der Kostenabhängigkeiten, wie etwa bei Anwendung der REDR, vermindern oder gar ausschalten, doch würde dies auch den Übergang auf nichtlineare Entscheidungskalküle implizieren, deren Lösung im Allgemeinen aufwendiger und vielfach nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Das relativiert wiederum den Vorteil einer präziseren Erfassung der Kostenabhängigkeiten.
Allgemeine
Empfehlungen
zur Lösung dieser Problematik lassen sich kaum geben. Man kann sich auch fragen, ob das obige Komplexionsproblem in seinen Konsequenzen für optimale Lösungen nicht als relativ gering einzustufen ist, wenn man berücksichtigt, welche impliziten Prämissen zB dem grundsätzlichen Ansatz eines kurzfristig wirksamen Entscheidungsproblems ohnehin schon anhaften. Selbst eine noch so präzise Erfassung von Kostenabhängigkeiten löst nämlich beispielsweise nicht das Problem der Berücksichtigung mehrperiodiger Wirkungen heutiger Maßnahmen.