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2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

Demokratie und digitale Kommunikationsökonomie: Lässt sich ein Fake-News-Verbot liberal-demokratisch begründen?

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Zusammenfassung

Die massenmediale Kommunikation von Fake News tangiert einen Grundpfeiler der liberalen Demokratie, nämlich die kooperative Bewahrung der gesellschaftlichen „Vertrauensallmende“. Die in der digitalen Kommunikationsökonomie vorherrschenden Anreizstrukturen werden dem öffentlichen Gut des Vertrauens womöglich stark zusetzen. Insbesondere von Deepfakes geht ein erhebliches Schadenspotenzial aus. Um das Schadensausmaß wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nicht sicher, doch sollten wir gerade deshalb keine unnötigen Risiken eingehen und Gegenmaßnahmen prüfen. Wer bewusst gefälschte Information massenkommunikativ verbreitet, schädigt andere epistemisch und praktisch. Sein Sprechakt ist nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, denn er äußert keine Meinung, die er tatsächlich hat, sondern agiert manipulativ. Ein qualifiziertes Fake-News-Verbot ist daher liberal-demokratisch begründbar.

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Fußnoten
1
Eine aktuell prominent vertretene Fake-News-Definition verbindet die beiden Elemente der Falschheit und der bewussten Fälschung bzw. der Unaufrichtigkeit seitens des Sprechers (Jaster und Lanius 2019a, b). Entsprechend wäre nicht von ‚Fake News‘ die Rede, wenn bewusst gefälschte Informationen entgegen der Intention des Fälschers zufällig der Wahrheit entsprächen. Andere Autoren haben sechs verschiedene Definitionen bestimmt, denen der Gebrauch des Ausdrucks ‚Fake News‘ aktuell folgt (Tandoc et al. 2018). Die terminologische Frage, wie genau der Ausdruck ‚Fake News‘ verwendet wird, ist substanziell – etwa für die Zwecke der normativen Ethik und der politischen Theorie – jedoch irrelevant. Ich konzentriere mich im vorliegenden Artikel auf den Aspekt der bewussten Fälschung und Täuschung bzw. der Manipulation, weil dieser in liberal-demokratischer Perspektive von besonderer Relevanz ist.
 
2
Die Bezeichnung des Gefangenendilemmas geht zurück auf ein illustratives Beispiel, das in den 1950er-Jahren von der RAND Corporation in die spieltheoretische Debatte eingebracht wurde: Zwei Ganoven A und B befinden sich in Untersuchungshaft und werden getrennt verhört. Sagt A gegen B aus und schweigt B, kommt A frei und B erhält die maximale Haftstrafe; sagt B gegen A aus und schweigt A, kommt B frei und A erhält die maximale Haftstrafe; sagen beide gegeneinander aus, erhalten beide eine mittlere Haftstrafe; schweigen beide, erhalten beide eine kurze Haftstrafe. Eine klare Einsicht in dieses Kooperationsdilemma findet sich erstmals in Hobbes’ Leviathan (1998 [1651]). Für die Tragik der Allmende wurde illustrativ die mittelalterliche Allmende herangezogen, auf der die Bauern ihr Vieh weiden ließen – mit dem steten Anreiz, sie egoistisch zu übernutzen.
 
3
Der hier unterstellte Begriff der ‚strategischen‘ Kommunikation entstammt der philosophischen Debatte – namentlich dem Werk Habermas’ – und bezieht sich auf Sprechakte, die manipulativen Charakter haben, also bewusst fälschen und täuschen. Demgegenüber hat der sozial- und politikwissenschaftlich gebräuchliche Begriff einen viel breiteren Anwendungsbereich (vgl. Oswald und Johann 2018; Oswald 2019). In diesem breiteren Sinn kann man selbstredend in vielen Formen strategisch kommunizieren, ohne zu fälschen und zu täuschen.
 
4
Selbst Akteure, die einen (Bürger-)Krieg planen, haben kein Interesse am Zusammenbruch jeder wahrheitsorientierten Kommunikation mit ihrem Feind. Die wechselseitig vorteilhafte Begrenzung von Kollateralschäden etwa setzt kommunikative Akte voraus, denen die Parteien vertrauen können.
 
5
VertreterInnen der sogenannten Ordnungsethik würden den moralischen “Überschuss” monieren, der hier vorausgesetzt wird (vgl. Lütge 2015): Die deontologisch-altruistische Achtung anderer ist eine moralische Einstellung, die dem homo oeconomicus nicht allgemein zugeschrieben werden dürfe. Auch die Ordnungsethik befürwortet aber die Etablierung rechtlicher Normen zur wechselseitig vorteilhaften Auflösung von Gefangenendilemmata, etwa die Sanktionierung von TrittbrettfahrerInnen im Sinne eines negativen Anreizes, der die Lukrativität des Trittbrettfahrens reduziert. Das könnte – mit Blick auf Fake-News-Negativsummenspiele – auch für die VertreterInnen agonistischer Demokratietheorien zustimmungsfähig sein. Mehr als ihnen aufgrund ihrer Provenienz lieb ist begreifen sie politische AkteurInnen als homines oeconomici, die ihren politischen Eigennutzen maximieren.
 
6
Wie erwähnt ist die digitale Transformation der Kommunikationsökonomie für die liberale Demokratie sowohl Chance als auch Risiko. Mit der Tatsache, dass im digitalen Raum mehr AkteurInnen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit massenkommunikativer Wirkung wahrnehmen können, sind Vorteile und Nachteile verbunden. Was letztlich überwiegt, wird erst retrospektiv verlässlich zu bestimmen sein und ist für unser gegenwärtiges Handeln weniger relevant als die Frage, wie die nachteiligen Effekte eingedämmt und die Vorteile ausgeschöpft werden können.
 
7
Ein ähnlicher Effekt könnte von der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie ausgehen. Die entsprechenden empirischen Daten sind noch nicht belastbar, doch es mehren sich die Anzeichen, dass die Nachfrage nach Fake-News-affinen Medien sinkt. In der Katastrophenlage tritt der Wert verlässlicher Information bzw. vertrauenswürdiger Kommunikation deutlicher zutage und steigt am Markt.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Demokratie und digitale Kommunikationsökonomie: Lässt sich ein Fake-News-Verbot liberal-demokratisch begründen?
verfasst von
Adriano Mannino
Copyright-Jahr
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30997-8_12