2003 | OriginalPaper | Buchkapitel
Der Essayist auf der Weltbühne: Erasmus und Montaigne
verfasst von : Reinhard Heinritz
Erschienen in: Literatur und Journalismus
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Enthalten in: Professional Book Archive
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Der Essay ist heute ein allseits beliebtes Genre. Er begegnet als eine Form der philosophischen oder kulturkritischen Reflexion, des politischen Kommentars oder der Betrachtung zu Phänomenen des Alltagslebens. Essays treten in Buchform ebenso in Erscheinung wie in der journalistischen Publizistik; inzwischen spricht man vom Radio-Essay, ja sogar vom Film-Essay. Die Vielzahl der Spielarten weckt Zweifel an einem präzisen Gattungsbegriff. Dennoch besteht heute — trotz der zahlreichen und oft divergierenden Definitionsversuche — ein Konsens darüber, dass der Essay zwei Eigenschaften miteinander vereint, die gewöhnlich in einem konträren Verhältnis stehen. Zum einen ist ein essayistischer Text behauptend, oft auch argumentativ, das heißt er vertritt einen Wahrheitsanspruch und bezieht sich in empirisch nachprüfbarer Weise auf die Wirklichkeit. Zum anderen weist er literarische Qualitäten auf, die von stilistischen bzw. rhetorischen Merkmalen über narrative Verfahren bis hin zu quasi-fiktionalen Formen reichen können.1 Dieser Misch-Charakter hat nicht gerade zur Anerkennung als Gattung beigetragen. Inzwischen darf man von einer integrativen Form sprechen, deren experimentelle Möglichkeiten in der Zusammenführung — oder auch in der Subversion — heterogener Denk- und Schreibweisen liegen. Als eine litera-risch-argumentative Mischform kann dem Essay, der Wortbedeutung nach ein ,Versuch‘, eine „Affinität zur offenen geistigen Erfahrung“ zugesprochen werden (Adorno 1974: 21). Diese Flexibilität ließe sich auch mit der These in Übereinstimmung bringen, wonach der Ursprung dieser Form im (platonischen) Dialog liege (vgl. Rohner 1966: 595f.). Es handelt sich also um eine Schreibart, mit der das Subjekt über ganz unterschiedliche Strategien der Selbst- und Weltdarstellung verfügt.2