Die aktuell festzustellende Krisenhaftigkeit von Care-Arbeit verweist auf die Notwendigkeit einer Neuorganisation und Neubewertung solcher Tätigkeiten. Diese Erkenntnis ist, zumindest in der Pluralen Ökonomik, zunehmend und, insbesondere in der Feministischen Ökonomik, ein Kristallisationspunkt für zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen. In Bezugnahme auf Erkenntnisse aus der Pluralen Ökonomik, sollen Lösungsansätze aus der konventionellen Umweltökonomik herangezogen und miteinander verknüpft werden. Aufgegriffen wird hierfür der Politikvorschlag einer ‚Care-Abgabe‘. Er soll die gesellschaftliche Finanzierung der privaten, freiwilligen und bezahlten Care-Arbeit für andere Menschen verbessern und so die Probleme der Unterbezahlung bzw. fehlenden Bezahlung von Care-Arbeit und damit einhergehende Missstände lösen (wie z. B. Überlastung, Zeitmangel und eine schwindende Qualität). Als Orientierung für die Weiterentwicklung eines solchen Politikvorschlags dient die Ökologische Steuerreform. Im Anschluss an diese Weiterentwicklung wird die Care-Abgabe aus der Perspektive Vorsorgenden Wirtschaftens evaluiert sowie abschließend ihr potenzielles Lösungs- und Umsetzungspotenzial wie auch eine mögliche Finanzierung diskutiert. Vorsorgendes Wirtschaften wird dabei als normative Beurteilungsgrundlage herangezogen und als plurales Ökonomie-Konzept eingeführt.
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Das Wort Ökonomie soll hier im Gegensatz zum volkswirtschaftlich geprägten Wort Sektor unterstreichen, dass Care-Arbeit sowohl auf dem Markt als auch außerhalb von Märkten geleistet wird.
Die Feministische Ökonomik dekonstruiert die Dimensionen Geschlecht, Rasse, Ethnie und Klasse, welche in der zeitgenössischen Ökonomik oftmals unhinterfragt eingeschlossen sind, und entwirft neue theoretische Zugänge und empirische Methoden, welche feministische Erkenntnisse einbeziehen (Code 2004, S. 157). Ein Anliegen der Feministischen Ökonomik ist es daher, die soziale Konstruktion der Wirtschaftswissenschaften und ihre Verbindungen zur sozialen Konstruktion von Gender aufzudecken (vgl. Ferber und Nelson 1997).
Dies mag möglicherweise den Anschein erwecken, als sei bereits geklärt, dass eine krisenfreie Organisation von Care-Arbeit innerhalb kapitalistischer Gesellschaften überhaupt möglich ist. Eine solche Annahme kann grundsätzlich bezweifelt werden (vgl. Mies 2009; Müller 2013). Darüber hinaus stellen sich auch grundsätzliche Fragen: Beispielsweise, ob in Zukunft alle Care-Arbeit bezahlt werden sollte oder lediglich Teile davon. Dies sind berechtigte und wichtige Fragen, die allerdings nicht im Fokus dieses Beitrages liegen.
Plurale Ökonomik betrachte ich als Überbegriff, der verschiedene Plurale Ökonomiken umfasst. Plurale Ökonomik umfasst Wirtschaftstheorien, die nicht den neoklassischen Wirtschaftstheorien entsprechen oder diese auf bisher weniger theoretisierte Bereiche, wie Umwelt oder Care, anwenden.
Soiland spricht vom Care-Sektor, wobei das Wort Sektor volkswirtschaftlich für einen klar beschreibbaren Teilbereich einer Volkswirtschaft steht. Allerdings wurde von manchen Staaten (z. B. dem Vereinigten Königreich) bisher nur Hausarbeit, also ein Teil von Care-Arbeit, volkswirtschaftlich auf Satellitenkonten für den Haushaltssektor erfasst. Die Feministische Ökonomik legitimiert die volkswirtschaftliche Erfassung der gesamten Care-Arbeit: Ihre Monetarisierung steht allerdings noch aus, weshalb noch nicht von der Etablierung eines solchen volkswirtschaftlichen Care-Sektors gesprochen werden kann (vgl. Folbre 2001; Madörin 2011a, b). Daher wird im Folgenden die gesamte bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit mit dem Begriff Care-Ökonomie bezeichnet.
Mit größeren finanziellen Mitteln könnten Menschen, die im Haushalt unbezahlt Care-Arbeit leisten und unter Zeitdruck leiden, z. B. weniger Erwerbsarbeit zugunsten von mehr Care-Arbeit tauschen. Oder sie könnten mehr Care-Arbeit einkaufen, wodurch sie mehr Zeit für Erwerbsarbeit zur Verfügung hätten (vgl. Himmelweit 2007). Bezahlte Care-Arbeiter*innen könnten z. B. durch die Aufstockung des Personals von Zeitdruck entlastet werden.
Die Care-Abgabe findet in dem Memo ‚Die Pflege ist weiblich‘ von Kerstin Scharfenberg (vgl. 2014) von der Gewerkschaft ver.di und im Zukunftsdossier ‚Auf der Suche nach einem neuen Wohlstandsmodell‘ des österreichischen Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (vgl. 2015) Erwähnung.
Dies umfasst Haus- und Gartenarbeit, Bauen und handwerkliche Tätigkeiten, Pflege und Betreuung sowie Ehrenamt und informelle Hilfen (Statistisches Bundesamt 2016, S. 47).
Ökologische Ökonom*innen merken kritisch an, dass solche Produktivitätssteigerungen letztlich eine Intensivierung des Energieverbrauchs verursachen und dies in der Beurteilung der vermeintlichen Effizienz einer Tätigkeit berücksichtigt werden müsse (vgl. Sorrell 2010).
Diesen Umstand interpretieren einige Autorinnen auch als Grund für die Auslagerung der Care-Arbeit aus der kapitalistischen Produktionsweise (vgl. Biesecker und von Winterfeld 2014; Feministische Autorinnengruppe 2013).
Innerhalb dieses Ansatzes gilt als das Produktive, was ökonomisch in Wert gesetzt wurde, und als das Reproduktive, was Teil der ökonomisch nicht bewerteten Prozesse und Leistungen ist. Jedoch ließen sich „weder in der sozialen Lebenswelt noch in der ökologischen Natur produktive von reproduktiven Prozessen trennen, da alle lebendige Tätigkeit produktiv und ihre Trennung dagegen eine bewertende Erzählung“ sei (Hofmeister 2013, S. 129–130).
Ergebnisse aus der Frauenforschung sowie der feministischen Geschichtswissenschaft und Ökonomik zeigen, dass die ökonomische Ideengeschichte eng mit der Zuordnung der Attribute männlich und weiblich verbunden sind (z. B. Produktivität). Das Begriffspaar produktiv versus reproduktiv ist Teil einer Reihe geschlechtlich kodierter Dualismen (vgl. Hoppe 2002). Dualismen und ihre oftmals verschleierte Fortsetzung in scheinbar neutralen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien waren beispielsweise ein zentrales Thema der Hausarbeitsdebatte der 70er und 80er Jahre (vgl. Bock und Duden 1977).
Die ‚nicht-essenzialistische‘ Herangehensweise meint, dass die drei Handlungsprinzipien aufgrund von Sozialisation bzw. Erfahrung als weiblich aufgefasst werden statt als weiblich aufgrund von Geburt oder biologischem Determinismus (Hoppe 2002, S. 114).
In Publikationen zu Vorsorgendem Wirtschaften wird häufiger von sozialer Reproduktion als von Care-Arbeit gesprochen. Vgl. Biesecker und Gottschlich (2013) für eine kritische Diskussion der Begrifflichkeiten innerhalb Vorsorgenden Wirtschaftens. Vgl. Heck (2011) für eine generelle Abgrenzung der Begriffe.
Neben diesem Effekt stellt die Feministische Ökonomik weitere Erklärungsansätze für geringe Löhne in der Care-Arbeit zur Verfügung. Beispielsweise, dass Care-Arbeiter*innen deshalb einen so geringen Lohn empfangen, weil Care-Arbeit als typisch weiblich klassifiziert wird und es allein deshalb weniger Lohn bedürfe, oder weil nur eine geringe Qualifikation nötig sei, um Care-Arbeit auszuüben; oder weil Care-Arbeit gewerkschaftlich schlecht vertreten werde (vgl. Folbre 2001).
In Anlehnung an Marx, erklärt Rosa, dass sich Zeitgewinne in überlebensnotwendige Profite übersetzen lassen und somit Zeit im „Wirtschaftssystem der Moderne“ ein entscheidender Wettbewerbsfaktor ist, der „in hohem Maße die […] Beschleunigungsimperative der Moderne“ (Rosa 2006, S. 91–92) verstehen lässt. Dieser Imperativ ist auch in der protestantischen Ethik, wie sie Max Weber darstellt, mit der „Verpflichtung, die Zeit so intensiv wie möglich zu nutzen“ (Rosa 2006, S. 93), erkennbar. Diese Ethik ist für Weber Teil eines grundlegenden Rationalisierungsprozesses, der auf Effizienzsteigerung zielt. Die Effizienzsteigerung zeichnet nach Weber „die rationalen abendländischen Organisations- und Herrschaftsformen der Bürokratie, des Rechtsstaates und der kapitalistischen Wirtschaftsorganisation“ (Rosa 2006, S. 94) aus. Somit betrifft das Prinzip der Effizienzsteigerung jeden Menschen in einer abendländischen Gesellschaft, sofern er oder sie in die Bürokratie, den Rechtsstaat oder die Wirtschaft eingebunden ist.
Hierbei legen die Autorinnen ihr Konzept der (Re)Produktivität zugrunde und beziehen sich nicht auf die mehrwerttheoretische Bedeutung produktiver Arbeit im Marx’schen Sinne (vgl. Biesecker und Hofmeister 2013).