Skip to main content

2018 | Buch

Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Dieses Buch behandelt die völkerrechtliche Immunität von Staaten und ihren Untergliederungen gegen hoheitliche Zwangsmaßnahmen anderer Staaten. Solche Maßnahmen umfassen jegliche Zugriffe auf staatliches Vermögen, die in gerichtlichen Vollstreckungs- und Anspruchssicherungsverfahren vorgenommen werden. Diese Immunität hat mit einem sich wandelnden Souveränitätsverständnis im Völkerrecht kontinuierlich Modifikationen erfahren, die sich zunächst in Ausnahmen für privatwirtschaftliches Handeln des Staates und später in Ansätzen zur normativen Einschränkung der Immunität nach schweren Völkerrechtsbrüchen äußerten. In diesem Buch werden die Entstehung und der aktuelle völkerrechtliche Gehalt der Vollstreckungsimmunität und ihrer Einschränkungen aus verschiedenen Quellen ermittelt. Zuvorderst wird die nationale Gesetzgebungs- und Spruchpraxis verschiedener Staaten untersucht und verglichen. Auch internationale Kodifikationen zur Staatenimmunität, vor allem die United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Fall "Jurisdictional Immunities of the State" aus dem Jahre 2012 werden im Zusammenhang dargestellt. Anders als die kommerzielle Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität lässt sich eine Ausnahme für die Aufarbeitung schwerer Völkerrechtsbrüche nicht auf eine gewachsene Staatenpraxis stützen, sondern wird in der Literatur mit dogmatischen Argumenten begründet. Hierzu zählen die Heranziehung einer Normenhierarchie, übergreifender Gerechtigkeitsargumente oder des völkerrechtlichen Instruments der Gegenmaßnahme ebenso wie die Darstellung, die der Staatenimmunität eine Kollision mit fundamentalen Menschenrechten attestiert und diesen Normenkonflikt zulasten der Immunität auflöst. Diese Ansätze werden im vorliegenden Buch eingehend auf ihre Stichhaltigkeit nach dem geltenden Völkerrecht untersucht und auf die besondere Situation einer Geltendmachung der Vollstreckungsimmunität übertragen. Schließlich gibt das Werk einen Überblick über die Völkerrechtsentwicklung und das aus ihr jeweils folgende Souveränitäts- und Immunitätsverständnis. Aus dieser Analyse heraus werden Prognosen und Vorschläge dafür erarbeitet, wie sich die Staaten- und Vollstreckungsimmunität - als Ausfluss der staatlichen Souveränität - zukünftig im völkerrechtlichen Gefüge positionieren kann und welche Ansätze dazu genutzt werden könnten, auftretende Adjudikations- und Vollstreckungsdefizite völkerrechtskonform zu bewältigen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Teil I: Grundlagen der Staaten- und Vollstreckungsimmunität

Frontmatter
Kapitel 1: Einleitung
Zusammenfassung
Der wohl schwerwiegendste Vorwurf an einen Rechtssatz ist der der Ungerechtigkeit: Ist das Recht nicht gerecht, ist seine Legitimität und sogar sein Geltungsgrund in Frage gestellt. Genau dieser Vorwurf aber hat das Recht der Staatenimmunität, das jeden Staat vor der Inanspruchnahme durch Gerichte und Behörden fremder Staaten schützt, in den letzten Jahrzehnten immer wieder getroffen. Bereits 1952 stellte Hersch Lauterpacht fest, dass das Recht der Staatenimmunität in seiner aktuellen Form überwiegend als „künstlich, ungerecht und archaisch“ empfunden werde. Grund dafür sei die mangelnde Anpassung an einen sich wandelnden, für Individualbelange durchlässigen Souveränitätsbegriff.1 Dieser Befund hat sich seitdem nicht entschärft – im Gegenteil: Die im Völkerrecht vermehrt wahrgenommenen Gerechtigkeitslücken befeuern eine Reformdiskussion, die immer wieder auch die Staatenimmunität in Frage stellt.
Anja Höfelmeier
Kapitel 2: Abgrenzung und Rechtserkenntnisquellen der Staatenimmunität
Zusammenfassung
Der Begriff der Immunität findet sich in der Rechtswissenschaft in vielerlei Kontexten. Dabei bezeichnet er stets den Schutz von Rechtssubjekten vor hoheitlicher Rechtsetzung oder Rechtsdurchsetzung. Die rechtlichen Konstruktionen, mit denen der gewünschte Schutz bewirkt wird, sind bei den verschiedenen Immunitäten jedoch unterschiedlich. Auch die Zweckbestimmungen der jeweiligen Institute variieren.
Anja Höfelmeier
Kapitel 3: Historische Entwicklung der Staatenimmunität
Zusammenfassung
Wie oben bereits festgestellt wurde,1 spielt der teleologische und historische Hintergrund eines Immunitätsinstituts eine entscheidende Rolle für seine Deutung und die Untersuchung seiner Entwicklung im Zuge genereller Wandlungsprozesse des Völkerrechts. Daher soll die Genese und der inhaltliche Verlauf der Vollstreckungsimmunität – mit ihren Bezügen und Parallelen zur Immunität im Erkenntnisverfahren – dargestellt werden, bevor der aktuelle Völkerrechtsstand ermittelt wird.
Anja Höfelmeier
Kapitel 4: Die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren
Zusammenfassung
Wie der Blick auf die Genese der Staatenimmunität und ihrer Ausnahmen gezeigt hat, fußen die völkerrechtliche Staatenimmunität im Erkenntnis- und diejenige im Vollstreckungsverfahren auf denselben völkerrechtlichen Souveränitäts- und Strukturvorstellungen.Stoll, State Immunity, MPEPIL IX, 2013, 498, 504.Ebenso ging die Entwicklung von Ausnahmen zur absoluten Immunität für beide Bereiche von grundsätzlichen, durch Bedürfnisse aus dem Rechtsalltag hervorgerufenen Überlegungen aus, für die durch die nationalen Gerichte und Gesetzgeber in den spezifischen Materien des Verfahrens- und des Vollstreckungsrechts geeignete Rezeptionen entwickelt wurden. Dabei war festzustellen, dass sich die Ausnahmen im Erkenntnisverfahren prinzipiell schneller festigten und die Herausbildung von Vollstreckungsmöglichkeiten dieser Entwicklung in zeitlichem Abstand und mit größerer Zögerlichkeit nachfolgte. Insofern ist es wichtig, gerade im Hinblick auf neuere Entwicklungstendenzen, das aktuelle Ausmaß der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren im Blick zu behalten. Im Folgenden sollen daher Grundlagen und Grenzen dieser Immunität zusammenfassend dargestellt werden. Trotz der engen ideengeschichtlichen Verbindung der Immunität im Erkenntnisverfahren zu derjenigen im Vollstreckungsverfahren soll aber auch die grundsätzliche Trennung der beiden Institute – und damit die Existenz zweier Regimes ohne übergreifenden, rechtlich verbindenden Mechanismus – im Völkergewohnheitsrecht verortet und begründet werden.
Anja Höfelmeier

Teil II: Die Vollstreckungsimmunität von Staaten nach dem heutigen Völkerrecht

Frontmatter
Kapitel 5: Grundsatzfragen zur Vollstreckungsimmunität
Zusammenfassung
Analysiert man den aktuellen Völkerrechtsstand zur Vollstreckungsimmunität, so muss der Blick zunächst den basalen Strukturen gelten, auf denen sowohl die anerkannten Ausnahmen als auch die neueren Einschränkungsansätze beruhen. Am Anfang steht dabei die Frage, ob die Vollstreckungsimmunität als Grundsatz des Völkerrechts zu betrachten ist, von dem bestimmte Ausnahmen zu machen sind, oder ob nicht die Territorialhoheit des Forumstaates und damit der hoheitliche Vollstreckungszugriff auf alle im Staatsgebiet befindlichen Sachwerte die völkerrechtliche Basis ist, von der die Vollstreckungsimmunität eine – zunehmend begrenzte – Ausnahme darstellt.1 Zudem wird untersucht, ob durch das Völkergewohnheitsrecht neben der ergebnisorientierten Pflicht zur Freistellung fremder Staaten von der nationalen Gerichtsbarkeit verfahrensrechtliche Vorkehrungen für das Vollstreckungsverfahren gefordert werden, in die die Vollstreckungsimmunität eingebettet ist.2
Anja Höfelmeier
Kapitel 6: Traditionelle Ausnahmen von der Vollstreckungsimmunität
Zusammenfassung
Auf der Basis der Feststellung, dass im Völkergewohnheitsrecht ein Prinzip der Vollstreckungsimmunität existiert, das staatliches Vermögen vor Vollstreckungs- und Anspruchssicherungsmaßnahmen durch die Organe eines anderen Staates schützt, soll der Blick nun den Ausnahmen von diesem Prinzip gelten. Zunächst werden diejenigen Ausnahmen untersucht, die als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt gelten und allgemein mit dem Konzept der „relativen Staatenimmunität“ in Verbindung gebracht werden. Dazu zählt neben den Vollstreckungsmöglichkeiten kraft einer Zustimmung des Schuldnerstaates auch die Zulässigkeit der Vollstreckung in nichthoheitlich verwendetes Vermögen.
Anja Höfelmeier
Kapitel 7: Besondere Vermögenskategorien
Zusammenfassung
In der internationalen Praxis sowie in den verschiedenen Kodifikationen zum Immunitätsrecht finden sich häufig bestimmte Kategorien staatlichen Vermögens, deren Immunität ohne Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Vermögen bestimmt oder deren Schutzwürdigkeit besonders betont wird.
Anja Höfelmeier

Teil III: Die Vollstreckungsimmunität im Wandel des Völkerrechts

Frontmatter
Kapitel 8: Strukturwandel im Völkerrecht
Zusammenfassung
Die bisher dargestellten Inhalte des Völkergewohnheitsrechts zur Vollstreckungsimmunität sind zwar im Einzelnen umstritten und, wie festzustellen war, einem ständigen Entwicklungs- und Festigungsprozess unterworfen; dennoch werden sie in der völkerrechtlichen Diskussion oft als anerkannt oder hergebracht eingeordnet. Sie entspringen – abgesehen von den besonderen Immunitäten, wie etwa aus dem Diplomatenrecht – der relativen Staatenimmunität und ihrer Unterscheidung zwischen hoheitlichen und nichthoheitlichen Bereichen staatlichen Agierens, die sich bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts in der Staatenpraxis anzudeuten begann.Diese ist Produkt eines Völkerrechtswandels, der auf das Auftreten des Staates als wirtschaftlich handelnde juristische Person mit korrespondierenden Haftungs- und Durchsetzungsregeln reagiert.
Anja Höfelmeier
Kapitel 9: Bedeutung des Völkerrechtswandels für die Vollstreckungsimmunität
Zusammenfassung
Nach der Feststellung einer graduellen Völkerrechtsentwicklung stellt sich nunmehr die Frage, ob und wie sich diese in der Vollstreckungsimmunität der Staaten niederschlagen kann oder es bereits getan hat. In der ideellen Konstruktion eines menschenzentrierten, konstitutionalisierten Weltrechts als Nachfolgeordnung des souveränitätsfixierten Koordinationsvölkerrechts muss das Durchsetzungshemmnis der Staatenimmunität letztlich durch die Rule of Law abgelöst werden.Denn wo die Staaten nur noch als Koordinations- und Vertretungseinheiten zugunsten ihrer Bevölkerung im Rahmen einer klar strukturierten Rechts- und Werteordnung dienen, ist für Ausnahmen von der Durchsetzung der in dieser Rechtsordnung begründeten Individualrechte zugunsten der Staaten kein Platz mehr. Wie bereits festgestellt,ist die Konstitutionalisierung jedoch ein Idealzustand und der Prozess dahin langsam und ungewissen Ausgangs. Zudem ist ein vollständiges Abschaffen der Souveränität schon aus Gründen der Funktionalität der Völkerrechtsordnung nicht erstrebenswert.
Anja Höfelmeier

Teil IV: Schluss

Frontmatter
Kapitel 10: Thesen zur völkerrechtlichen Vollstreckungsimmunität
Zusammenfassung
Was also ist die Vollstreckungsimmunität heute? Ein standhaftes Relikt der archaischen Fixierung des Völkerrechts auf den Staat als impermeable Einheit? Oder eine durch die Ablösung der Souveränität als internationale Handlungsmaxime ausgehöhlte Rechtsposition, die nur noch dann Wirkung entfaltet, wenn die Funktionsfähigkeit ihres Trägers unmittelbar auf dem Spiel steht? Eine Norm, die in der heutigen Realität ihre Daseinsberechtigung verloren hat, da sie Ungerechtigkeit nach sich zieht, oder ein notwendiger Teil des dogmatischen Gerüsts, das unsere Völkerrechtsordnung aufrecht erhält?
Anja Höfelmeier
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts
verfasst von
Anja Höfelmeier
Copyright-Jahr
2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-55384-8
Print ISBN
978-3-662-55383-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55384-8

Premium Partner