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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

1. Einleitung

verfasst von : Anna Landherr

Erschienen in: Die unsichtbaren Folgen des Extraktivismus

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Am 31. Dezember 2003 strahlen alle nationalen chilenischen Nachrichtensender die gleichen Bilder aus: der damalige Präsident Ricardo Lagos läuft in Badehose über einen weißen Sandstrand in ein türkisfarbenes Meer und badet vor den Augen lokaler PolitikerInnen, AnwohnerInnen und gefolgt von mehreren Kameramännern ausgelassen in der Bucht von Chañaral. Nach einem erfolgreichen Dekontaminierungsplan sei einer der größten Umweltskandale des Landes nun behoben und der Sandstrand offiziell wieder zum Baden freigegeben, wodurch die Region eine neue Tourismusattraktion dazugewinnen würde, kommentieren die NachrichtensprecherInnen die Bilder. Sie berichten, es handle sich dabei um ein öffentliches Zeichen des Präsidenten, das sein Engagement für die Umwelt unterstreiche.
Am 31. Dezember 2003 strahlen alle nationalen chilenischen Nachrichtensender die gleichen Bilder aus: der damalige Präsident Ricardo Lagos läuft in Badehose über einen weißen Sandstrand in ein türkisfarbenes Meer und badet vor den Augen lokaler PolitikerInnen, AnwohnerInnen und gefolgt von mehreren Kameramännern ausgelassen in der Bucht von Chañaral. Nach einem erfolgreichen Dekontaminierungsplan sei einer der größten Umweltskandale des Landes nun behoben und der Sandstrand offiziell wieder zum Baden freigegeben, wodurch die Region eine neue Tourismusattraktion dazugewinnen würde, kommentieren die NachrichtensprecherInnen die Bilder. Sie berichten, es handle sich dabei um ein öffentliches Zeichen des Präsidenten, das sein Engagement für die Umwelt unterstreiche. Was die AnwohnerInnen und ZuschauerInnen nicht sehen können, ist der Grund für die paradiesische Farbenpracht, in der sich ihr Präsident badet: Was aussieht wie Bilder aus einem Reisekatalog für die Karibik, stellt in Wahrheit einen Ausschnitt einer weiterhin hoch giftigen Lagerstätte von Industrieabfällen des Bergbaus (Tailings) des staatlichen Unternehmens Codelco dar (siehe Abbildung 8.​1 in Kapitel 8). Die ZuschauerInnen wissen nicht, dass sich diese Abfälle in den nächsten zwei Jahrzehnten weiter unbemerkt über Luft und Böden, aber vor allem über das Meer ausbreiten werden oder dass schon zwei Jahre später ein erneutes massives Artensterben in der Bucht einen Großteil der Fischer und Taucher in die Arbeitslosigkeit führen wird. Sie wissen auch nicht, dass sich in den Körpern der AnwohnerInnen und den Körpern ihrer Kinder nun jahrelang weiterhin Schwermetalle und Chemikalien ansammeln werden, deren astronomische Werte erst fünfzehn Jahre später aufgedeckt werden.
Im kollektiven Gedächtnis vieler ChilenInnen steht dieses Bild des badenden Präsidenten Lagos heute für die symbolische Vertuschung einer der größten bis heute ungelösten und bestehenden Umweltskandale des Landes und des ganzen Pazifikraums. Die heutige Sichtbarkeit und die Bekanntheit dieser Umweltbelastung ist allerdings gleichzeitig eine große Ausnahme bei Umweltproblemen, die von Tailings ausgehen. Tailings sind feinkörnige Rückstände aus der Aufarbeitung von Erzen, die im Bergbau in großen Mengen produziert werden und teilweise hochgradig giftige, chemische Substanzen und Schwermetalle enthalten. Die meisten Fälle von Schadstoffbelastungen durch Tailings erreichen nie die breite Öffentlichkeit oder die nationalen Medien. Sie bestehen fort, ohne dass sie als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden oder dass für sie je eine Lösung gefunden wird. Dennoch verbreitet sich mit ihnen eine schleichende und unsichtbare Gewalt über die Menschen in ihrer Umgebung. Es ist eine Gewalt, die ihre Wirkung erst allmählich im Laufe der Zeit entfaltet. Diese slow violence1 (Nixon 2011, siehe Kapitel 2) betrifft, schädigt und benachteiligt allerdings nicht nur die in der Nähe angesiedelten Bevölkerungsgruppen und die lokalen Ökosysteme, sondern in ihrer Summe auch in erheblichem Maße die globalen ökologischen Kreisläufe. Der toxische Müll der chilenischen Bergbauindustrie, um den es in der vorliegenden Forschungsarbeit geht, bleibt nicht lokal begrenzt. Die Schadstoffe und giftigen Substanzen, die in ihm enthalten sind, breiten sich im Laufe der Zeit über Luft, Wasser und Böden weit über ihren Lagerungsort hinaus aus. Durch ihre Beschaffenheit gelangen sie in Pflanzen und Lebewesen, werden Teil von Nahrungsketten und landen beispielsweise über den Export von Lebensmitteln, die in nahegelegenen landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden, auch in fernen Ländern auf dem Teller von ahnungslosen Menschen. Besonders betroffen sind allerdings diejenigen, meist ärmeren Bevölkerungsgruppen, die diesen Substanzen ungefragt und oftmals unwissentlich tagtäglich ausgesetzt sind und die bei ihnen schwerwiegende gesundheitliche, soziale und ökonomische Konsequenzen verursachen und sich in vielen Fällen mit anderen strukturellen Ungleichheiten überschneiden – ein Phänomen, das der Forschung zu Umweltproblemen unter dem Stichwort environmental (in)justice (Pulido 1996) bekannt ist.

1.1 Aus den Augen, aus dem Sinn: slow violence im Kontext der globalen ökologischen Krise

Gleichzeitig findet diese Art der vermeintlich lokalen, unbemerkten Umweltverseuchung und -zerstörung überall auf dem Planeten und besonders in den Peripherien des Weltsystems statt (Nixon 2011). Was auf den ersten Blick als ein lokales Problem erscheint, ist in seiner Summe wesentlicher Bestandteil der aktuellen, globalen ökologischen Krise. Während das gesamte Augenmerk derzeit auf die Treibhausgase – allen voran CO2 und Methan – gerichtet wird, tritt die langsame, aber massive Vergiftung großer Landstriche und Wasserreserven, die Zerstörung von Ökosystemen und natürlichen Kreisläufen, die Vernichtung oder gar Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten und der damit einhergehende Verlust natürlicher Senken und Lebensräume erst als öffentliches Problem und Teil der Krise in Erscheinung, wenn die Schäden schon eine irreversible Form angenommen haben oder wenn sich ihre Wirkung durch ein katastrophales Ereignis – wie Unfälle, Dammbrüche, Überschwemmungen, Waldbrände, Verwüstung ganzer Landstriche und daraus resultierenden Hungersnöten – deutlich macht. Die allermeisten Umweltdesaster treten aber nicht plötzlich in Form von Katastrophen ein, sondern bahnen sich langsam an, verbreiten sich – wie im Fall von Chañaral – über lange Zeiträume und große Distanzen hinweg und entfalten ihre Wirkung auf Mensch und Natur für eine geraume Dauer unbemerkt.
Ökologische Kreisläufe lassen sich nicht wie etwa ein Produktionsprozess künstlich unterteilen. Wenn Veränderungen an und in ihnen unternommen werden, wirken sich diese Veränderungen auch auf die anderen Bestandteile dieser Kreisläufe aus. Slow violence-Phänomene sind demnach nicht nur lokal höchst problematisch, sondern können in ihrer Summe das ökologische Gleichgewicht auf planetarischer Ebene ins Wanken bringen. Auch das, was wir unter Klimawandel verstehen und heute als Kernproblem der ökologischen Krise begreifen, wird von materiell unsichtbaren (meist gasförmigen) Stoffen hervorgerufen und auch diese haben sich über lange Zeiträume hinweg unbemerkt in der Atmosphäre ausgebreitet (Malm 2016). Als wissenschaftliche Prognosen die negativen Auswirkungen von CO2 in der Atmosphäre erstmalig vorausgesagt haben, konnte das Ausbleiben sofortiger, unmittelbarer und dramatischer Konsequenzen von den hauptverantwortlichen WirtschaftsakteurInnen politisch genutzt werden, um das Ausmaß ihrer langfristigen Auswirkungen zu vertuschen (Meadows et al. 1972; Rich 2019a, 2019b). Das Problem wurde auf diese Weise immer weiter in die Zukunft externalisiert2 (Altvater 1992: 110 ff.) und durch die kumulative Wirkung, der in den letzten 50 Jahren stetig immer weiter steigenden globalen Emissionen, drastisch verschärft.
Die ökologische Krise, in der sich unser Planet derzeit befindet bzw. all das, was vereinfacht meist dem Klimawandel zugeordnet wird, ist ein sich seit Jahrzehnten langsam und schleichend anbahnender Prozess. Das Wissen über das Eintreten der Phänomene, die wir heute beobachten, ist schon spätestens seit dem 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit und den Grenzen des Wachstums allgemein verfügbar (Meadows et al. 1972). Die Ursachen und die VerursacherInnen der heute sichtbaren und spürbaren Auswirkungen dieser Krise, die sich etwa in Form von Dürren, Überschwemmungen, extremen Hitzewellen und den damit einhergehenden Waldbränden zeigen, befinden sich oft nicht nur geografisch (Lessenich 2016), sondern auch zeitlich weit entfernt. Die Ursachen liegen vorwiegend in der Vergangenheit – so, wie die Konsequenzen unserer heutigen Handlungen noch in entfernter Zukunft liegen (Nixon 2011; Malm 2016). Und je mehr die Zeit voranschreitet und sich die Auswirkungen summieren, desto unaufhaltsamer und irreversibler wird die ökologische Krise und desto unberechenbarer wird sie für die Wissenschaft und deren Prognosen (Wehling 2006: 83 ff., 110 ff.; Groß 2014: 93 ff.). Die Wissenschaft, die ein wichtiges Hilfsmittel zur Eindämmung des Klimawandels sein könnte, verliert ihre Aussagekraft, wenn die Krise – wie Latour sagt – zur „Mutation“ wird. Das heißt, wenn sich die materiellen Gegebenheiten, ökologischen Kreisläufe und natürlichen Prozesse derart verändern, dass die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr für zukünftige Prognosen herangezogen werden können (Latour 2017:21).
Im Gegensatz zur Erderwärmung – deren Ursachen und Existenz den politischen EntscheidungsträgerInnen bereits seit Ende der 1970er Jahre bekannt waren (Rich 2019b:11) – hat das Bestehen vieler Umweltprobleme auch mit mangelndem Wissen, mangelhafter Verbreitung von Wissen über diese und dem Ausbleiben einer gesellschaftlichen Risikowahrnehmung zu tun. Je weniger wir über diese Phänomene wissen und je unbemerkter sie bleiben, desto weniger können ihre ökologischen Konsequenzen vorausgesagt oder eingeschätzt und demnach auch keine wirksamen Alternativen entwickelt werden. Unter diesen Bedingungen bleibt die Bekämpfung der ökologischen Krise eine Gouvernance des Nichtwissens (Wehling 2011). Gleichzeitig zeigt u. a. auch meine Forschung im Folgenden, dass selbst dann, wenn relevantes oder sogar alarmierendes Wissen vorliegt, ein großer Bestandteil der Ursachen ökologischer Probleme von den politischen EntscheidungsträgerInnen nicht berücksichtigt wird und teilweise auch nicht berücksichtigt werden kann. Dies hat nicht zuletzt mit einer aktiven Unsichtbarmachung der Probleme durch bestimmte dominante Akteursgruppen zu tun. Dadurch zeigt sich die Relevanz, jene Umweltprobleme und Formen der Naturzerstörung, die die Gestalt von slow violence annehmen, einerseits sichtbar zu machen und ihre Ursachen und Konsequenzen frühzeitig aufzuzeigen, um die heutige ökologische Krise, so gut es geht eindämmen zu können. Andererseits reicht dafür die reine Wissensgenerierung über die Existenz von slow violence-Phänomenen scheinbar nicht aus. Es müssen auch die Gründe ihrer Unsichtbarkeit, der oft fehlenden gesellschaftlichen Risikowahrnehmung und der größtenteils ausbleibenden Handlungen ihnen gegenüber untersucht werden.
Das derzeitige Missverhältnis zwischen dem sich aus der Dramatik der ökologischen Krise ergebenden kollektivem Handlungsdruck und dem politischen Handeln ist offensichtlich und wirft zugleich die Frage auf, warum der Situation gegenüber adäquate Reaktionen ausbleiben: Wie konnte ein Großteil der Menschen in dem Wissen leben, dass der gesellschaftliche Metabolismus (Fischer-Kowalsky 1997) eines auf grenzenlosem Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystems auf einem begrenzten Planeten (Meadows 1972) über kurz oder lang die Lebensgrundlagen der Menschheit und die Reproduktion ökologischer Kreisläufe vieler Lebensformen der Natur untergraben würde, ohne etwas dagegen zu unternehmen? Oder kurz: Wie konnte sich die heute global dominante westliche Gesellschaftsform durchsetzen und hegemonial bleiben, obwohl ihr Kollaps vorauszusehen war (Diamond 2010)? Es sind diese übergeordneten Fragen, die das Forschungsinteresse dieser Arbeit entfacht haben. Anhand von lokalen, empirisch untersuchbaren Fällen soll mit dem Ziel geforscht werden, einen Beitrag zur Beantwortung dieser großen Fragen leisten zu können.

1.2 Eine empirische Annäherung an die slow violence im chilenischen Bergbausektor: (Nicht-)Wissen, (in)action und die gesellschaftliche (Un-)Sichtbarkeit von Tailings

Meine Dissertation beschäftigt sich mit drei Grundvoraussetzungen einer möglichen sozial-ökologischen Transformation: Erstens die Sichtbarkeit eines ökologisch schädlichen Phänomens; zweitens das Wissen über die ökologische Problematik sowie ihrer Ursachen und Folgen und drittens das lösungsorientierte Handeln der beteiligten Akteure in Bezug auf die Umweltproblematik. Aus diesen Grundvoraussetzungen ergeben sich drei Kategorienpaare für die Untersuchung sozial-ökologischer slow violence-Phänomene: (Un-)Sichtbarkeit, (Nicht-) Wissen und (in)action.3
Die drei Kategorien werden auf den gesellschaftlichen Umgang mit Tailings und der von ihnen ausgehenden slow violence bezogen, die durch die Schadstoffbelastung mit Chemikalien und Schwermetallen hervorgerufen wird und ein hohes Risiko für die Umwelt und die menschliche Gesundheit darstellt. Für diesen Untersuchungsgegenstand ist Chile ein geradezu prädestinierter Fall, da die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes auf den Export von Kupfer, Lithium und anderen Bergbauprodukten zu einer besonders hohen Produktion von Tailings im internationalen Vergleich führt. Es handelt sich dabei um ein Land, in dem sich, wie in der gesamten lateinamerikanischen Region, Umweltprobleme häufen, die die Form einer slow violence annehmen. Trotz der hohen Konzentration an Tailings auf chilenischem Territorium und den potenziell schwerwiegenden und irreversiblen Konsequenzen, die von ihnen ausgehen, wird die vom Bergbau und dessen Tailings hervorgerufene slow violence in Chile derzeit weder in der Öffentlichkeit noch von den politischen EntscheidungsträgerInnen als gesamtgesellschaftliches sozial-ökologisches Problem wahrgenommen (Ureta 2022).
Um das sozial-ökologisch destruktive Phänomen der Tailings zu untersuchen, konzentriere ich mich deshalb in der vorliegenden Arbeit auf den chilenischen Bergbau und seine giftigen Hinterlassenschaften. Die slow violence, die von ihnen ausgeht, wird anhand von drei Fallstudien in Pabellón, Chañaral und Tierra Amarilla empirisch untersucht. Dabei wird die Forschung von folgenden Forschungsfragen geleitet: Warum bleiben Tailings trotz ihrer enormen Belastung für Mensch und Umwelt weitgehend „unsichtbar“? In welcher Beziehung stehen Wissen/Nichtwissen und action/inaction der Akteure zur Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit des Phänomens? Wie, warum und durch wen wird das slow violence-Phänomen unsichtbar gehalten oder sichtbar gemacht? Welche sozialen Mechanismen, Interessen und Strukturen stecken hinter dem Phänomen der Unsichtbarkeit und führen zu ihrer konkreten aktuellen Ausprägung? Welche Strukturen, Mechanismen und Akteure verhindern die Sichtbarkeit? Wann kommt es zu latenten und wann zu manifesten Konflikten in Bezug auf Tailings? Unter welchen Umständen wird dieses slow violence-Phänomen sichtbar? Die zentrale These dieser Arbeit besteht darin, dass alle drei Kategorien – (Un-)Sichtbarkeit, (Nicht-)Wissen und (in-)action – in ihren jeweiligen positiven oder negativen Ausprägungsformen miteinander korrelieren und sich wechselseitig verstärken, wobei die Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Akteure gegenüber der Problematik direkt von den Wechselwirkungen abhängen.
Slow violence-Phänomene treten vermehrt in den Peripherien des Weltsystems und als Konsequenz extraktivistischer Aktivitäten am Anfang globaler Güterketten auf (Nixon 2011; Wallerstein 2019). Der Extraktivismus4 als Akkumulationsmodell ist Ausdruck einer globalen Arbeitsteilung, die die Länder der Peripherie zum Export von Rohstoffen zwingt und unter anderem zur Intensivierung der Ausbeutung und geringfügigen Weiterverarbeitung von Metallen, Mineralien und seltenen Erden im globalen Süden5 führt (Svampa 2012). In Chile stellen allein diese Produkte rund 60 Prozent der Gesamtexporte dar (INE 2016). Die im Bergbausektor in großen Mengen produzierten, giftigen Industrieabfälle haben schwerwiegende soziale und ökologische Konsequenzen und stellen somit eine der größten Quellen von slow violence in diesem Land und der gesamten Region dar. Die Industrieabfälle des Bergbaus entstehen größtenteils in Form von Tailings. In Chile bestehen derzeit 758 bekannte – größtenteils ungesicherte – Tailingdeponien (Sernageomin 2020), deren teils hoch giftige Komponenten sich stetig und unbemerkt auf ihre Umgebung ausbreiten. Die Ausbreitung dieser Elemente in Böden, Luft und Wasserkreisläufe führt zu Gesundheitsproblemen und zur Zerstörung der Lebens-, Produktions- und Subsistenzgrundlagen der lokalen Bevölkerung. Dabei sind Tailings – obwohl über sie wenig berichtet wird – kein rein lokales oder regionales Phänomen, sondern ein kaum in Zahlen fassbares, weltweites Problem. Sie umfassen global mittlerweile schätzungsweise 282,5 Milliarden Tonnen an über die Zeit akkumulierten giftigen Altlasten. Jährlich kommen durch die globale Bergbauproduktion 12,3 km3 an Volumen hinzu. 46 Prozent aller Tailings weltweit sind Ergebnis des Kupferabbaus und Chile ist mit einem Weltmarktanteil von 30,9 Prozent global gesehen der größte Kupferproduzent und -Exporteur.6 Chile kommt deshalb allein jährlich auf 700–800 Millionen Tonnen an Bergbauabfällen – 537 Millionen Tonnen davon Tailings, mit steigender Tendenz (Sernageomin 2015, 2018). Die Situation wird noch verschärft, da es sich bei dieser Art von Industrieabfällen um ein zeitlich kaum zu überblickendes weit in die Zukunft reichendes Problem handelt. ExpertInnen sprechen von einer Toxizität, die je nach Komponenten und Lagerungsform über Tausende bis hundert Tausende von Jahren weiterhin von diesen Materialien ausgehen kann.7
Da von Tailings ausgehende slow violence-Phänomene nicht nur von politischen EntscheidungsträgerInnen nicht als sozial-ökologischen Problem wahrgenommen werden, sondern oftmals sogar für die Betroffenen selbst unsichtbar bleiben, entstehen in diesem Bereich selten sozial-ökologische Konflikte, weshalb auch die mit ihnen verbundenen Ungleichheiten und sozio-ökologischen Kosten größtenteils unbemerkt bleiben. Slow violence-Phänomene betreffen zudem besonders häufig sozial benachteiligte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen (Singer 2011; Folchi 2003; Martinez-Alier 2002; Nixon 2011; Davis 2006) und sind gleichzeitig selbst Ursache für die Entstehung und Vertiefung sozialer Ungleichheiten. Die generelle Unsichtbarkeit des Phänomens sowie das Nichtwissen und die inaction der unterschiedlichen beteiligten AkteurInnen – von staatlichen Institutionen, über die Unternehmen, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bis hin zur lokalen Bevölkerung – gegenüber der Problematik kennzeichnen demnach die slow violence der Abfallproduktion des chilenischen Bergbaus in besonderem Maße.
Dieser Zusammenhang zwischen Nichtwissen, inaction und Unsichtbarkeit wurde schon in früheren eigenen Forschungen als entscheidendes Element im Umgang mit der Abfallproduktion der chilenischen Bergbauindustrie identifiziert.8 Die Unsichtbarkeit der Tailings – verstanden als ausbleibende gesellschaftliche Risikowahrnehmung – wird dabei auch von den handelnden Akteuren und ihren actions (Handlungen und Praktiken) direkt (re)produziert. Diese actions verstärken die sozialen Mechanismen und strukturellen Aspekte der Unsichtbarkeit von slow violence-Phänomenen, die Nixon (2011:41) als „capitalism’s innate tendency to abstract in order to extract“ beschreibt. Diese Abstraktion von konkreten ökologischen Problematiken findet jedoch nicht nur innerhalb von Wirtschaft und Politik statt, sondern betrifft auch die akademische Welt. Zu Tailings gibt es bisher – im Vergleich zu anderen ökologischen Themen – kaum sozialwissenschaftliche Untersuchungen und Forschungsprojekte (Ojeda-Pereira & Campos-Medina 2021). Die Untersuchung der handelnden Akteure innerhalb der strukturellen Rahmenbedingungen sowie der bestehenden sozialen Mechanismen der (Un-)Sichtbarkeit von slow violence-Phänomenen stellt demnach eine Forschungslücke innerhalb der Sozialwissenschaften dar und soll in der Dissertation anhand der drei Fallstudien zu Pabellón, Tierra Amarilla und Chañaral erforscht werden.
Ziel dieser Arbeit ist es nicht nur, anhand des chilenischen Bergbaus die lokalen Gegebenheiten, Mechanismen, Praktiken und Handlungen zu untersuchen, die zur (Un-)Sichtbarkeit der von Tailings ausgehenden slow violence vor Ort führen, sondern diese in Bezug zu den Mechanismen und Strukturen auf nationaler und globaler Ebene zu setzen, die ebenfalls zu deren Unsichtbarkeit beitragen. Damit soll eine Brücke zwischen den bestehenden vielzähligen Erklärungsansätzen auf der Makroebene (u. a Wallerstein 1986; Galtung 1972b; Moore 2020; Lessenich 2016; Martínez-Alier & Walter 2015; Bunker 1984) und der Mikroebene (u. a Dietz 2017; Bechtum 2022; Prause 2017; Auyero & Swinstun 2008b; Ureta 2016a) geschlagen werden, die bisher größtenteils nebeneinander existieren, sich allerdings meist nicht aufeinander beziehen und demnach zu teils widersprüchlichen Ergebnissen führen. Es soll der Versuch unternommen werden, ein Gesamtbild der (Un-)Sichtbarkeit zu erstellen, das sowohl die lokal spezifischen materiellen und sozialen Gegebenheiten, die übergeordneten strukturellen Gegebenheiten als auch die in ihnen handelnden und interagierenden Akteure und die daraus resultierenden sozialen Mechanismen berücksichtigt.

1.3 Der Weg hin zu einem Gesamtbild der (Un)-Sichtbarkeit von Tailings: Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus zehn Kapiteln inklusive Einleitung und Fazit und lässt sich grob in drei Teile gliedern: Der erste Teil dient der theoretischen und methodischen Einbettung der darauffolgenden empirischen Forschung sowie der Darstellung der Fragestellung und der Heuristik. Im zweiten Teil der Arbeit folgt die kontextuelle Einbettung des Forschungsgegenstands sowie die Ergebnisse der drei Fallstudien zu Pabellón, Tierra Amarilla und Chañaral. Im letzten Teil werden die Ergebnisse der drei Fälle zueinander in Bezug gesetzt, analysiert, theoretisch reflektiert und ein Gesamtbild der (Un-)Sichtbarkeit der Tailings erstellt sowie abschließend die zentralen Beiträge und Grenzen dieser Forschungsarbeit dargestellt.
Das auf die Einleitung folgende Kapitel 2 erfüllt mehrere Funktionen innerhalb dieser Arbeit. In ihm werden einerseits die zentralen Theorien dargelegt, die Erklärungsansätze für jene strukturellen Aspekte liefern, die dazu beitragen, dass sich diese Art von Naturzerstörung schleichend und unbemerkt ausbreitet. Gleichzeitig werden auch die bestehenden theoretischen Leerstellen und Forschungslücken aufgezeigt, die anschließend in der empirischen Untersuchung aufgegriffen werden. In einem ersten Schritt wird (2.​1) das für diese Forschung zentrale Konzept der slow violence (Nixon 2011) ausführlich dargestellt, um danach näher auf ihren Ursprung und den ihr zugrunde liegenden Gewaltbegriff einzugehen. Anschließend wird (2.​2) kurz das übergeordnete Theoriegerüst dargelegt, das es ermöglicht, das Problem der Tailings nicht nur als losgelöstes Phänomen, sondern als Teil globaler Warenketten und Resultat der internationalen Arbeitsteilung des kapitalistischen Weltsystems (u. a. Wallerstein 1986) zu begreifen. Es wird gleichzeitig auf die globalen Ungleichheiten (u. a Emmanuel 1972; Marini 1974), Abhängigkeiten (u. a Prebisch 1950; Frank 1969), kolonialen Kontinuitäten (u. a Alimonda 2011; Quijano 2000) und bestehenden nationalen und globalen Macht- und Herrschaftsstrukturen eingegangen, die diese aufrechterhalten und reproduzieren. Auch die epistemologischen Folgen eines westlich geprägten Naturverständnisses (u. a Merchant 1987; Escobar 1996; Leff 1986; Mies & Shiva 2016) und deren Konsequenzen für die Wissensproduktion und ihren Beitrag zur Unsichtbarkeit bestimmter Phänomene – u. a der slow violence – durch die daraus resultierenden Leerstellen, werden hierbei berücksichtigt. Dies ermöglicht es in einem nächsten Schritt (2.​3), den derzeit bestehenden globalen sozialen Metabolismus (u. a Fischer-Kowalsky 1997) zu problematisieren, indem auf die ungleiche Verteilung von Ressourcen und der Nutzung der Senken (u. a Altvater 1992) sowie auf den mit ihm verbundenen ökologisch ungleichen Tausch (u. a Hornborg & Martinez-Alier 2016), die Exklusivität der Produktion- und Lebensweise des globalen Nordens (u. a. Lessenich 2016; Brand & Wissen 2017) und den zentralen Mechanismen, die diese gewährleisten, eingegangen wird. Auf diese Weise wird deutlich, dass die Produktion von (Industrie-)Abfällen in Chile Resultat einer Reihe struktureller Rahmenbedingungen und internationaler Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist und sich gleichzeitig als ungleiche Verteilung der sozial-ökologischen Kosten des globalen sozialen Metabolismus darstellt. Anschließend werden (ab 2.​3.​6) die bestehenden Erklärungsansätze und Theorieströmungen dargestellt, die sich mit diesen sozial-ökologischen Ungleichheiten (u. a Martinez-Alier 2002; Machado 2015; Dietz 2014; Gudynas 2009; Pulido 1996; Davis 2004) beschäftigen und ihre zentralen Forschungslücken bezüglich unsichtbaren slow violence-Phänomenen offengelegt. Nachdem bis hier hauptsächlich die bestehende Literatur zu den genannten Themen wiedergegeben wurde, folgt (2.​4) eine theoretische Annäherung an den Bergbau in Lateinamerika (u. a Svampa 2020; Machado 2011; Bebbington 2007), eine kurze Darstellung der Tailings als Mittelpunkt des Forschungsgegenstands dieser Arbeit und anschließend der bestehenden sozialwissenschaftlichen Forschungen zu materiell unsichtbaren Umweltproblemen und Schadstoffbelastungen durch Chemikalien und Schwermetalle (u. a. Carson 2000; Frickel 2008; Latour 2000; Nash 2008), wie sie von Tailings ausgehen. Schließlich wird die vereinzelt bestehende Forschung zu Tailings selbst mit Fokus auf den chilenischen Kontext (u. a. Ureta & Contreras 2020; Ureta & Flores 2022) dargelegt. Auf diese Weise werden auch die in diesem Bereich bestehenden Forschungslücken, die teilweise in dieser Arbeit behandelt werden, explizit aufgezeigt. Nach der Darstellung der strukturellen Rahmenbedingungen, die im Wesentlichen auch zur Unsichtbarkeit der Tailings beitragen und der theoretischen Einbettung und Kontextualisierung der darauffolgenden empirischen Forschung zum chilenischen Bergbau und seinen Hinterlassenschaften, wird in Kapitel 3 anschließend ausführlich auf die dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsfragen und -thesen eingegangen und die Forschungsheuristik dargestellt. Dabei werden ihre drei Hauptkategorienpaare Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit (u. a. Slovic 1987; de Sousa Santos 2010), Wissen/Nichtwissen (u. a. Wehling 2001, 2006) und action/inaction (u. a. Schatzki 2002; Reckwitz 2003; Hirschauer 2016), verstanden als sensibilisierende Konzepte, definiert, beschrieben und theoretisch eingebettet. Darauf folgt in Kapitel 4 die Darlegung der Grounded Theory als übergeordnete Forschungsmethode, sowie der unterschiedlichen angewandten Erhebungs-, Auswertungs- und Analysemethoden, um anschließend ab Kapitel 5 in den empirischen Hauptteil dieser Arbeit überzugehen. Dieser basiert größtenteils auf den jeweils mehrwöchigen Feldforschungen zu den drei Untersuchungsfällen, wobei die durch teilnehmende Beobachtung und die Durchführung von insgesamt 164 teilstrukturierten Leitfadengestützten Interviews gewonnenen Daten, durch die systematische Aufarbeitung der bestehenden Sekundärliteratur ergänzt wurden.
In Kapitel 5 wird anhand dieser Daten zunächst (5.​1) der politische, soziale und wirtschaftliche Kontext wiedergegeben und das neoliberal-extraktivistische chilenische Modell, die ihm zugrunde liegende Sozialstruktur, sozial-ökologischen Kosten und Ungleichheiten sowie die bestehende Macht- und Ressourcenkonzentration innerhalb Chiles dargestellt, um anschließend auf die zentrale Rolle des Bergbaus einzugehen (5.​2). Der Fokus liegt hierbei auf der nationalen Situation der Tailings, deren massiver Produktion im Bergbausektor, auf dem politischen und gesellschaftlichen Umgang mit diesen Bergbauabfällen, der bestehenden Regulierung von Tailings sowie deren Unsichtbarkeit als zu lösendes gesamtgesellschaftliches Problem in Chile (5.​3). Darauf folgt ein erstes Zwischenfazit. Nachdem der Forschungsgegenstand somit umfangreich beschrieben und kontextualisiert wurde, werden in den folgenden drei Kapiteln die empirischen Fallstudien beschrieben und in einem jeweils darauffolgenden Zwischenfazit die zentralen Forschungsergebnisse präsentiert. Da die Ergebnisse der einzelnen Fallstudien aufeinander aufbauen, wird bei jedem der Fälle der Fokus auf seine spezifischen Merkmale gelegt, die der gezielten Fallauswahl verschuldet und zur Beantwortung der Forschungsfragen relevant sind. In Kapitel 6 werden demnach die empirischen Ergebnisse zum Fall Pabellón wiedergegeben, einer verlassenen historischen Tailingsdeponie, die sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene weitestgehend unsichtbar ist. Der Fall Tierra Amarilla, eine Kleinstadt inmitten eines Bergbaugebiets, die von einer Großzahl an Tailings und einer Reihe aktiver Unternehmen umgeben ist, steht im Zentrum des 7.Kapitels. Das internationaloperierende Großunternehmen Candelaria zeigt hier eine besondere lokale Präsenz auf. Schließlich wird in Kapitel 8 auf einen der wenigen bekannten und zeitweise öffentlich sichtbaren durch Tailings verursachten Umweltskandale in Chañaral eingegangen.
Die unterschiedlichen Unsichtbarkeitsgrade und Ausprägungen des (Nicht-)Wissens und (in)actions in den drei Fällen sowie unter den in jedem Fall beteiligten Akteuren, ermöglichen es anschließend in Kapitel 9 ein Gesamtbild der gesellschaftlichen (Un-)Sichtbarkeit der chilenischen Tailings zu erstellen. Aus den Forschungsergebnissen der drei Fallstudien wurde hierfür ein Stufenmodell entwickelt (9.​1), das es ermöglicht, den jeweiligen (Un-)Sichtbarkeitsgrad der Tailings – von ihrer allgemeinen Unsichtbarkeit bis hin zur gesellschaftlichen Anerkennung des von ihnen ausgehenden sozial-ökologischen Problems – mit den unterschiedlichen Ausprägungen der anderen beiden Kategorienpaare in Verbindung zu bringen. In der (Un-)Sichtbarkeitspyramide werden sowohl die auf jeder Stufe beteiligten Akteure, ihr (Nicht-)Wissen über die Tailings als potenzielles Risiko sowie ihre (in)actions ihnen gegenüber, als auch ihre Interaktionen und Netzwerke und die bestehenden (Macht-)Verhältnisse unter den Akteuren identifiziert. Gleichzeitig werden dabei auch die auf jeder Stufe für die (Un-)Sichtbarkeit der Tailings ausschlaggebenden sozialen und materiellen Gegebenheiten, sozialen Mechanismen und bestehenden Strukturen berücksichtigt. Hier steht sowohl die Prozesshaftigkeit der (Un-)Sichtbarkeit als auch die Entstehungsmöglichkeit eines sozial-ökologischen Konflikts im Mittelpunkt der Analyse. Aus diesem Stufenmodell ergibt sich ein Gesamtbild der (Un-)Sichtbarkeit der Tailings, das nicht nur einen Einblick in den derzeitigen gesellschaftlichen Umgang mit den sozial-ökologischen Konsequenzen der Tailings in Chile ermöglicht9, sondern auch ein Forschungswerkzeug für die Untersuchung von Tailings und anderen slow violence-Phänomenen darstellt, indem es zur Identifikation der unterschiedlichen Faktoren und Akteure auf den verschiedenen Stufen dient. Anschließend werden in Kapitel 9 noch einige übergeordnete Zusammenhänge der Kernkategorien der Heuristik sowie zentrale Forschungsergebnisse wiedergegeben und analysiert (9.​29.​4), die eine detailliertere Beantwortung der Forschungsfragen ermöglichen. Diese werden daraufhin kurz in ihren nationalen und internationalen Kontext eingebettet und ein Bezug der Forschungsergebnisse der drei Fallstudien zu den in Kapitel 2 beschriebenen strukturellen Rahmenbedingungen und der dazu bestehenden Theorieansätzen hergestellt (9.​5). Dadurch soll ein Dialog zum aktuellen Forschungsstand und zu den anfangs dargestellten Theorien hergestellt werden, der es ermöglicht, zur Schließung gewisser Forschungslücken beizutragen, Strukturen, Mechanismen und Akteure, ihre Praktiken und Handlungen sowie die materiellen und sozialen Gegebenheiten der unterschiedlichen Ebenen miteinander in Beziehung zu setzen und auf diese Weise eine möglichst große Bandbreite an Ursachen für die (Un-)Sichtbarkeit der toxischen Industrieabfälle des chilenischen Bergbaus fassen zu können. Im Schlusskapitel (Kapitel 10) werden noch einmal kurz die zentralen empirischen Ergebnisse und Befunde in Bezug auf die Forschungsfrage dargelegt, die wichtigsten Beiträge und Grenzen der vorliegenden Arbeit aufgezeigt und anschließend Rückschlüsse auf den sozialwissenschaftlichen Umgang mit slow violence-Phänomenen gezogen und auf die Möglichkeitsbedingungen einer weiterführenden sozialwissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema eingegangen. Zuletzt wird noch einmal die gesellschaftspolitische Relevanz dieser Forschung im Hinblick auf die (Un-)Sichtbarkeit der Tailings im globalen Kontext hervorgehoben.
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Fußnoten
1
Es handelt sich dabei um eine Gewalt, die graduell und schleichend eintritt und eine Zerstörung ohne klare räumliche und zeitliche Grenzen zur Folge hat. Trotz ihrer verhängnisvollen Langzeitfolgen wird sie typischerweise überhaupt nicht als Gewalt angesehen (vgl. Nixon 2011).
 
2
Häufig werden die sozialen und ökologischen Kosten aber auch in andere Weltregionen –vorwiegend in die Peripherien des kapitalistischen Weltsystems – externalisiert (Lessenich 2016). Dies trifft auch auf die in dieser Arbeit untersuchten Industrieabfälle des Bergbaus zu.
 
3
In der vorliegenden Arbeit werde ich häufig nicht von Handeln, sondern von action und inaction sprechen, weil der Begriff des Handelns im Deutschen stets eine Intention nahelegt, währen action und inaction, kognitive Prozesse zunächst weniger direkt implizieren und sowohl Tätigkeiten als auch soziale Praktiken miteinschließen (siehe ausführliche Definition in Kapitel 3).
 
4
Unter Extraktivismus wird in dieser Arbeit die Orientierung einer Volkswirtschaft auf den Abbau von Rohstoffen, die größtenteils nicht oder kaum weiterverarbeitet exportiert werden, verstanden (Gudynas 2019: 22).
 
5
Die Begriffe globaler Norden und globaler Süden, werden in dieser Arbeit aufgrund der Lesbarkeit nicht hervorgehoben. Es sollte allerdings dennoch angemerkt werden, dass die analytischen Unschärfen und die geografische Flexibilität, die diese Begriffe aufweisen, in dieser Arbeit berücksichtigt werden. In gegebenen Fällen werden deshalb präzisere Kategorien gewählt. Dennoch werden die beiden Begriffe in dieser Arbeit teilweise verwendet, da sie wesentlicher Bestandteil wichtiger Debatten und Erklärungsansätze sind, die eine Überwindung des methodologischen Nationalismus, die Erforschung transnationaler und -regionaler Phänomene und den Zugang zu alternativen und subalternen Deutungsmustern erlauben.
 
6
LePan, Nicholas – VC Elements (2021, 17. Mai): Visualizing the size of mine tailings, [online] https://​www.​mining.​com/​web/​visualizing-the-size-of-mine-tailings [01.07.22]. Siehe auch: Weltexporte, das Fachmagazin (2020, 5. Dezember): Die international größten Exportländer von Kupfer, [online] https://​www.​weltexporte.​de/​kupferexporte/​ [01.07.22].
 
7
Die Langzeiteffekte der Tailings werden in Kapitel 5 dieser Arbeit ausführlich dargestellt und die Ungenauigkeit der Zeitangaben problematisiert.
 
8
Es handelt sich dabei um zwei Teilstudien im Rahmen des von Prof. Sebastián Ureta geleiteten Fondecyt-Projekts „El desecho de Chile: Un análisis sociotécnico de las prácticas y políticas respecto del manejo de relaves mineros en el país”. Siehe hierzu auch Ureta, Mondaca & Landherr 2018.
 
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Wobei die Repräsentativität in Bezug auf die Gesamtzahl der chilenischen Tailings dabei sowohl durch die Fallzahl und die Kriterien der Fallauswahl als auch die Methode eingeschränkt sind.
 
Metadaten
Titel
Einleitung
verfasst von
Anna Landherr
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43288-1_1