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15.11.2023 | Energiegesetz | Schwerpunkt | Online-Artikel

Ab 2024 gilt ein größtenteils steuerlich geführter Industriestrompreis

verfasst von: Frank Urbansky

5 Min. Lesedauer

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Ab 2024 werden rund 350 Unternehmen in Deutschland von einem Industriestrompreis profitieren, der steuerbasiert ist. Das erntet – zumindest in großen Teilen – Zuspruch aus der Branche. In Wissenschaftskreisen ist die Wirksamkeit der Maßnahme hingegen umstritten.

Die Bundesregierung hat am 9. November 2023 ein Strompreispaket zur Entlastung energieintensiver Unternehmen vorgestellt. Nötig ist das, denn im internationalen Vergleich ist der deutsche Strompreis aktuell ziemlich hoch – sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen. Nach Schätzungen der IEA zahlen Unternehmen in Deutschland fast dreimal so viel pro Megawattstunde wie in den USA oder Kanada. In der EU liegt Deutschland im Mittelfeld: Teurer ist Strom etwa in Dänemark und Italien. Günstiger ist er zum Beispiel in Frankreich.

Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam

Dies stößt seit geraumer Zeit auf Widerstand sowohl der Arbeitgeber, insbesondere der Metallindustrie, als auch der Gewerkschaften, die sich für einen Industriestrompreis aussprechen. Die Wissenschaft hingegen ist sich uneins über die Wirksamkeit einer solchen Dauersubvention.

Was kommt nun konkret?

2024 soll die energieintensive Industrie von Entlastungen von etwa zwölf Milliarden Euro profitieren. Zentraler Punkt ist die massive Senkung der Stromsteuer in den Jahren 2024 und 2025 auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Davon profitieren erst mal alle Unternehmen. Zudem wurde eine Änderung bei der Strompreiskompensation beschlossen. Diese sieht vor, dass Unternehmen 75 Prozent der Kosten für den Kauf von CO₂-Zertifikaten, maximal jedoch 1,5 Prozent ihrer Bruttowertschöpfung, erstattet bekommen.

Von dieser Kompensation profitieren etwa 350 energieintensive Unternehmen, die unter anderem Stahl, Chlor oder Papier produzieren. Der bisherige Selbstbehalt pro Anlage entfällt nun. Eine kleinere Gruppe von etwa 90 Konzernen mit höherem Stromverbrauch und stärkerer internationaler Konkurrenz soll noch mehr Entlastung erhalten. Der bisherige Sockelbetrag von fünf Prozent des Zertifikatspreises oder mindestens fünf Euro pro Tonne CO₂ wird abgeschafft, was eine weitere Entlastung von 1,1 Milliarden Euro bedeutet.

Sechs Cent je Kilowattstunde

Die energieintensiven Unternehmen, die die Strompreiskompensation erhalten, werden voraussichtlich etwa sechs Cent pro Kilowattstunde zahlen (etwa ein Fünftel der aktuellen Strompreise für Endverbraucher). Das entspräche dem ursprünglichen Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck, der auch in der Koalition umstritten war.

Für die 90 Firmen mit besonders starker internationaler Konkurrenz könnte der Preis sogar noch niedriger liegen. Dieser Kompromiss der Ampelkoalition ist weitgehend EU-wettbewerbsrechtskonform – sowohl bei der Stromsteuer als auch bei der Strompreiskompensation – und umfasst bereits von der EU genehmigte Regelungen.

Ab 2026 nur mit Gegenfinanzierung

Die Regierung plant, die Schuldenbremse im nächsten Jahr einzuhalten, wobei die Stromsteuersenkung aus dem Haushalt und die Strompreiskompensation aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden sollen. Ab 2026 stehen diese Entlastungen jedoch unter dem Vorbehalt der Gegenfinanzierung.

Von den Wirtschaftsverbänden wurde dies begrüßt – mit Einschränkungen. "Die deutliche Senkung der Stromsteuer, die Verlängerung und Ausweitung der Strompreiskompensation und des Super-Caps für Unternehmen mit hohem Energiebedarf stärken energieintensive Unternehmen und tragen zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei. Positiv ist auch, dass keine Eingriffe in die Energiepreisbildung vorgenommen werden, was negative Auswirkungen auf den Stromgroßhandelsmarkt hätte. Allerdings wäre es konsequenter gewesen, die Stromsteuersenkung nicht nur auf das produzierende Gewerbe zu beschränken, um auch umweltfreundliche Technologien wie Elektromobilität zu fördern", erklärt etwa Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

"Es wäre wünschenswert gewesen, diese Senkung für alle Kunden umzusetzen. Eine dauerhafte Reform der Energiesteuern und -abgaben, insbesondere die Senkung der Mehrwertsteuer für Gas- und Wärmelieferungen, wäre vorteilhaft, um auch private Verbraucher zu entlasten. Die Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte ist ein positiver Schritt, der allen zugutekommt, und es sollte ein ähnlicher Mechanismus auch für die Stromverteilnetzbetreiber geschaffen werden, da über 90 Prozent der Erneuerbaren-Energien-Anlagen in die unteren Netzebenen einspeisen", so Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU, in dem vor allem Stadtwerke vertreten sind.

Langer Streit bis in die Koalition hinein

Dem nunmehrigen Industriestrompreis ging eine lange Geschichte mit viel Streit voraus. Habecks Pläne sahen einen subventionierten Strompreis von sechs Cent je kWh vor. Dieser Preis würde vorrangig Grundstoffindustrien wie Chemie und Stahl zugutekommen und soll für 80 Prozent des Verbrauchs gelten, um dennoch die Energieeffizienz zu fördern. Allerdings wären nur Unternehmen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, berechtigt. Trotz der geschätzten Kosten von 25 bis 30 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds stieß der Vorschlag auf Ablehnung von Finanzminister Christian Lindner, der auf eine steuerliche Lösung drängte, die nun auch vorliegt.

Der Streit um subventionierte Industriestrompreise spiegelt die Spannungen innerhalb der Koalition wider. Denn letztlich geht es um die Frage, wie Wirtschaftsinteressen und Klimaschutz in Einklang gebracht werden können. Und da unterscheiden sich die Vorstellungen von SPD, FDP und Grünen deutlich.

Wissenschaft bleibt gespalten

Das zeigt sich auch bei den Wirtschaftswissenschaftlern. Befürworter sehen Vorteile für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Eine Senkung der Stromkosten für Industrieunternehmen könnte diese im globalen Wettbewerb stärken, insbesondere gegenüber Ländern mit niedrigeren Energiekosten. Das könnte dazu beitragen, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und Unternehmen davon abzuhalten, ins Ausland abzuwandern.

Kritiker sehen hingegen eine mögliche Verzerrung des Strommarktes, die zu einer unfairen Kostenverteilung führen könnte. Wenn Industrieunternehmen weniger für ihren Strom zahlen als andere Verbrauchergruppen, müssten andere, etwa Haushalte, einen höheren Preis zahlen, um die Einnahmeverluste der Stromanbieter auszugleichen. Dies könnte soziale Ungleichheit verstärken, da Privathaushalte und kleinere Unternehmen einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Stromkosten tragen müssten. Das wiederum führt zu steigenden Verbraucherpreisen.

Zudem könnten niedrigere Strompreise den Anreiz für Unternehmen verringern, in energieeffiziente Technologien zu investieren. Dann könnte der Druck zur Einführung von Energiesparmaßnahmen nachlassen. Das wiederum hätte langfristig negative Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit.
Dennoch: Als befristetes Instrument, so wie jetzt geplant, könnte der Industriepreis helfen, energieintensive Industrien in Deutschland zu halten. Eine Dauersubvention wäre hingegen kontraproduktiv.

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