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2023 | Buch

Gabe versus Tausch

Reziprozität in Organisationen

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Über dieses Buch

In diesem Buch geht es um die Bedeutung der Gabe im Gegensatz zum Tausch, mit dem sie gleichwohl verflochten ist. In der einen, der Welt der überreichen ethnologischen, anthropologischen, kulturwissenschaftlichen und -soziologischen Literatur wimmelt es von Gaben, die in der anderen, der Welt der ökonomischen und Rational-Choice-theoretischen Literatur, nicht gesehen, bestritten, unsichtbar gemacht und vielmehr mit Tausch gleichgesetzt werden. In beiden kommen Gaben in Organisationen kaum vor, in der einen, weil man dort Gaben inmitten der Wirtschaft, der Unternehmen, der Organisationen kaum Aufmerksamkeit widmet (obwohl gerade das im Sinne Marcel Mauss‘ gewesen wäre), in der anderen, weil sie da ein Geben jenseits eines do ut des überhaupt nicht wahrhaben können und wollen.

Sonstige Ingredienzien unter anderem: Eine scharfe Kritik der Gabentheorie Bourdieus, eine Erörterung der Missachtung der Gabe bei Luhmann, Konsequenzen für die Organisations- und die Unternehmungstheorie und ein paar launige kleine Stücke zu Weihnachts- und zu Festschriftgaben.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Falschgeld
Geben, Tauschen und Täuschen
Zusammenfassung
Das Gegenteil von Lügen, Täuschen und Scheinheiligkeit ist Wahrhaftigkeit. Wie geben Vertrauen, Versprechen und andere Gaben und müssen es ohne berechnenden Blick auf Gegengaben tun, wenn wir der Ethik der Gabe gerecht werden und unser Geben nicht durch Nutzenkalküle entwerten wollen. Aus solchen Gründen ist die Gabe, sonst eher Thema von Ethnologen, organisationstheoretisch von höchstem Interesse. Hier, in diesem Kapitel, gibt es eine Auseinandersetzung mit Durkheim, Mauss, Bourdieu und Derrida. Zur Diskussion stehen Nutzen, Moral, Altruismus und Reziprozität. Auch die Gabe, wie sich zeigt, ist von einem Als und einem Als Ob abhängig: von einem Gelten-als-Gabe und von der vorgreifenden Fiktion der Einlösbarkeit eines inhärenten Versprechens. Das eröffnet vielfältige Möglichkeiten der Täuschung und der Prätention. Sie alle aber müssen auf einem moralischen Gehalt aufsetzen, der die Nutzenkalkulation verpönt – auch in Organisationen.
Günther Ortmann
Kapitel 2. Zwischenschritt: Die Unzugänglichkeit des intentionalen Sinns
Geheimnis, Konsens und Verständigung in Organisationen
Zusammenfassung
Was hat es mit der von Derrida postulierten Unmöglichkeit reiner Gaben auf sich? Und wie hätte ein sozialwissenschaftlich dennoch brauchbarer Gabenbegriff auszusehen?
Günther Ortmann
Kapitel 3. Kassengift
Die Gabe der Organisation und die Organisation der Gabe
Zusammenfassung
In diesem Kapitel geht es um Gaben in und zwischen Unternehmen und um bedeutende Ökonomen, die, wenn auch unter utilitaristischen Vorzeichen, die Relevanz der Gabe – des Vertrauens, des kooperativen Verhaltens, der Loyalität gegenüber Partnern – auch für die moderne Wirtschaft anerkennen. Zu studieren ist, wie sie dadurch zur Anerkennung der Grenzen ökonomischer Theorie und Praxis geführt werden, oder jedenfalls in die Nähe der Einsicht, dass es jenseits von Märkten und Organisationen ein Drittes gibt: Normen und Moral. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion der von Derrida postulierten „Dissemination“ aller Bedeutung und einem Versuch, Sinn als Eigenwert performativer Sprechakte und zugehöriger sozialer Praktiken zu bestimmen – am Beispiel des Begriffs und des Sinns der Gabe.
Günther Ortmann
Kapitel 4. Reziprozität – Kooperation zwischen Nutzen und Pflicht
(zusammen mit Markus Göbel und Christiana Weber)
Zusammenfassung
Spektakulären Ergebnissen der experimentellen Wirtschaftsforschung vor allem ist es zu verdanken, dass Normen der Reziprozität neues Aufsehen unter Ökonomen erregen (Abschnitt 1). Zwar hatten bedeutende Fachvertreter wie Kenneth Arrow oder George Akerlof reziproken Pflichten des Gebens und Nehmens schon vor einem Vierteljahrhundert theoretischen Tribut gezollt (2). Auch ist das Konzept unter Ethnologen und Soziologen seit Langem wohl etabliert (3). Allerdings zeigen Ökonomen bis heute eine ex professione starke Neigung, das rezi-proke Geben und Nehmen in Kooperationsverhältnissen auf schiere Nutzenorientierung zurückzuführen, und viele Soziologen und selbst Ethnologen sind ihnen darin gefolgt. Demgegenüber argumentiert der vorliegende Beitrag, dass Reziprozität in Interaktion und Kooperation nicht ausschließlich auf Nutzenkalkülen gegründet sein kann und durch solche Kalküle unter Umständen sogar unterminiert wird (4). Wirtschaftliches Handeln ist insoweit auf eine Reziprozitätsmoral angewiesen, die es aus sich selbst heraus nicht generieren kann. Reziprozitätspflichten zu befolgen, darf andererseits nicht mit Altruismus verwechselt werden, wie es gerade Ökonomen oft tun (5). Nach diesen theoretischen Klärungen konkretisiert der Beitrag die unverzichtbare Rolle der Pflicht als treibender Kraft eines Gebens und Nehmens neben dem Nutzen an den Konzepten des Vertrauens, der Loyalität, der Fairness und der Reputation (6) und an (inter-) organisationalen Kooperationsverhältnissen (7). Den Schluss bilden Überlegungen zur Genese einer solchen Moralität respektive einschlägiger institutioneller und näherhin organisatorischer Arrangements (8).
Günther Ortmann
Kapitel 5. Gabe versus Tausch
Zusammenfassung
Dass Gabe und Tausch empirisch in Mischformen auftreten können, ja sogar nur so, ändert nichts daran, dass sie begrifflich unterschieden werden müssen. Dazu gibt es in der Literatur viele, viele, oft sehr komplizierte Vorschläge. Aus Gründen, die hier erläutert werden sollen, lautet die einfachste und für das Folgende einzig wichtige Unterscheidung: Tausch folgt der Logik „do ut des“, „Ich gebe, damit du gibst“, die Gabe folgt Pflichten des Gebens, Nehmens du Erwiderns und der Logik eines „do et des“: „Ich gebe, und du mögest/sollst geben“.
Günther Ortmann
Kapitel 6. Der hingerichtete Weihnachtsmann
Zusammenfassung
Ein hinreissender Beitrag von Claude Lévi-Strauss, Der hingerichtete Weihnachtsmann, dient als Anlass für eine Kritik der Art, wie Rationa-Choice-Theoretikerinnen und Ökonomen über Weihnachts- und andere Gaben denken. Das Weihnachtsfest – eine gigantische Verschwendung?
Günther Ortmann
Kapitel 7. Termingeschäfte?
Eine selbstreferentielle Festgab
Zusammenfassung
Auch Festschriften im Wissenschaftsbetrieb sind Gaben. Die Schwierigkeiten rationalistischer Ansätze damit führen noch einmal zu „Christmas Economics“ und der Kritik an der Reduktion auf Nutzen.
Günther Ortmann
Kapitel 8. Vertrauen? Einrede gegen eine Äquivokation
Zusammenfassung
James Coleman kann Vertrauen nicht von einer Wette oder einem Investitionskalkül unterscheiden. Wie Vertrauen im Unterschied zu einem kalkulativen Sich-Verlassen-auf zu bestimmen ist, welche Rolle Moral dabei spielt und inwiefern Zeugenschaft ein Fall von Vertrauen ist, das ist Gegenstand dieses Kapitels.
Günther Ortmann
Kapitel 9. Die Ehre der Prizzis, oder: Vertrauen ist nicht der Anfang von allem
Über Vertrauen und Relianz
Zusammenfassung
Es ist wichtig, Vertrauen von einem nur macht- und interessebasierten Sich-Verlassen-auf zu unterscheiden. Von Vertrauen sollte man nur sprechen, wenn das Sich-Verlassen-auf seinen Grund in der moralischen Qualität des Gegenüber hat. Daher wird in diesem Beitrag der Oberbegriff  'Relianz' für jedwedes Sich-Verlassen-auf gebildet, mit den Unterfällen: Vertrauen und bloß macht- und interessebasiertes Sich-Verlassen-auf.
Günther Ortmann
Kapitel 10. Die Theorie der Unternehmung grunderneuern!
Zusammenfassung
Ist die Theorie der Unternehmung noch immer das orientierende Zentrum der Betriebswirtschaftslehre? Das ist umstritten. Dieses Kapitel plädiert für eine Grunderneuerung, die nicht mit (nutzenbedachtem) Tausch als dem einzigen Grundbegriff der Interaktion operiert, sondern mit Tausch und Gabe. Das kann der Mainstream nicht, solange er den Theorieanfang so macht, wie er ihn macht – etwa mit Hobbes‘ Naturzustand oder Williamsons „In the beginning there are marketes“.
Günther Ortmann
Kapitel 11. Betriebswirtschaftslehre – Teil der Sozioökonomik
Zusammenfassung
Wie unterscheidet sich die Auffassung von der Betriebswirtschaftslehre als Sozioökonomik von ihrem mikroökonomischen Mainstream? Das wird in diesem Kapitel anhand der Absetzung von diesen sieben konstitutiven Merkmalen des Mainstreams erläutert: methodologischer Individualismus, (Eigen-)Nutzenbasierung, Rolle der (begrenzten) Information, Machtblindheit, disembedding der Wirtschaft und eine radikale Selbstbezüglichkeit, mit der an einer reinen Ökonomie festgehalten wird, der gegenüber Moral und Werturteile nur als extern aufzufassen sind, daher auch: eine Ethik der Gabe.
Günther Ortmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Gabe versus Tausch
verfasst von
Günther Ortmann
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-40916-6
Print ISBN
978-3-658-40915-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40916-6

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