1 Entstehungskontext
2 Innovative Lösung im Sinne einer pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung
2.1 Was kann unter forschendem Lernen verstanden werden?
2.2 Was kann unter gestaltungsorientierter Forschung verstanden werden?
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Präzisierung des Problems unter anderem durch die Formulierung begründeter Forschungs- und Gestaltungsfragen.
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Auswertung von Literatur und Erfahrungen zur Erstellung eines theoretischen Bezugsrahmens.
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Entwicklung und Verfeinerung des Designs durch die Erarbeitung von Prototypen.
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Erprobung und formative Evaluation des Designs.
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Generierung von Gestaltungsprinzipien.
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Ggf. (erneute) Verfeinerung in Form eines Re-Designs bis die Intervention ggf. summativ evaluiert und ein neu aufkommendes Problem präzisiert werden kann.
2.3 Was kann unter konstruktivistischem Lernen verstanden werden?
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Perturbationen sind subjektiv wahrgenommene Störungen, Irritationen, Konflikte, Überraschungen oder Widersprüche, die zu sogenannten Krisen führen. Beispielsweise kann bereits die Konfrontation von Lernenden mit ‚schlecht‘ strukturierten Lernaufgaben eine krisenauslösende Perturbation bedeuten, da die Lernenden hierbei zunächst vor die Herausforderung gestellt werden, sich ihre eigene (Aufgaben-)Struktur zu erarbeiten (Fischer und Hantke 2017, S. 181 ff.). Im Prozess der Krisenbewältigung werden „kognitive Strukturen eines subjektiven Erfahrungsbereichs weiterentwickelt“ (Rebmann und Tenfelde 2008, S. 38) oder „ein neuer subjektiver Erfahrungsbereich“ (ebd.) ausgebildet. Perturbationen können nicht intendierte Veränderungen herausbilden. Wie Perturbationen wirken, ist somit abhängig vom perturbierten Individuum.
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Wahrnehmungen, die von Perturbationen ausgelöst werden, sind somit Konstruktionen, die erstens „nicht von außen an Individuen herangetragen werden [können] und zweitens von ihrer Vielfalt her bereits im Nervensystem vorhanden“ (ebd., S. 39) sind.
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Erfahrungen basieren zum einen auf den von Perturbationen ausgelösten Wahrnehmungen und zum anderen auf durch Sprache assimilierte Situationen, Gegenstände etc. Erfahrungen entstehen somit „aus aktuellen Wahrnehmungen, die mit Erinnerungen an vergangene Wahrnehmungen verkettet werden“ (ebd.). Erfahrungen sind also im eigenen Tun verankert und erzeugen damit individuelle – und nicht vorgegebene – Wirklichkeiten.
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Wissen oder ein Wirklichkeitskonstrukt kann vor diesem Hintergrund nur durch Wissen oder andere Wirklichkeitskonstrukte validiert werden. Eine derartige Überprüfung kann „lediglich dazu führen, dass Wirklichkeitskonstrukte anschlussfähig sind“ (ebd., S. 42) – also, dass das vorherige Wissen mit dem angeeigneten Wissen viabel ist. Diese Viabilität – also die Passung oder die Brauchbarkeit – des Wissens als individuelle Vorstellungen, Begriffe oder Ähnlichem ist abhängig von individuellen, sozialen und kulturellen Einflussfaktoren auf die Wissenden. Aus der Viabilität folgt jedoch nicht, „dass die Konstruktion von Wissen willkürlich oder beliebig“ (ebd.) ist. Vielmehr stellen individuelle Erfahrungen die Grundlage des Wissens dar. Aufgebaut wird das Wissen auf dieser Grundlage dann durch den Versuch, die individuellen Erfahrungen zu ordnen. Wissen kann demnach nicht instruktiv vermittelt werden. Vielmehr wird Wissen von Individuen „nur selbst in der handelnden Auseinandersetzung und auf der Grundlage ihrer aktuellen und bisherigen Erfahrungen“ (ebd., S. 44) erzeugt und schafft damit die Grundlage für Verstehen.
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Handlungen sind im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen Anwendungen des angeeigneten Wissens. Somit ist Wissen dann effektiv, „wenn es in Handlungen im Sinne von Anwenden bzw. tatsächliches Herstellen von Vorstellungen durch Tätigkeiten erprobt wird“ (ebd.). Umgekehrt ist Wissen gleichzeitig das Ergebnis von Handlungen, die alles umfassen, was getan wird. Somit ist beispielsweise auch Denken als Handeln und damit aktiver Prozess anzusehen, „bei dem kognitive Systeme ihr Wissen in Beziehung zu ihren früheren Erfahrungen in komplexen ‚realen‘ Lebenssituationen herstellen und an Kriterien des Erfolgs bzw. Misserfolgs bewerten“ (ebd., S. 46). Durch das Handeln wird den Individuen also Erkennen ermöglicht.
2.4 Was kann unter design thinking verstanden werden?
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Verstehen: Ziel dieser Phase ist es, auf theoretischer Basis die Problemstellung und ihren Kontext zu erfassen.
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Beobachten: Ziel dieser Phase ist es, die Problemstellung zu konkretisieren, indem man sich beispielsweise mithilfe ethnografischer Forschung in die Lebenswelten der Betroffenen hineinversetzt.
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Standpunkt definieren: Ziel dieser Phase ist es, die zuvor gewonnenen Erkenntnisse auszuwerten und zu interpretieren, indem beispielsweise ein idealtypischer, fiktiver Stellvertreter der Betroffenen („Persona“) entwickelt wird.
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Ideen finden: Ziel dieser Phase ist es – beispielsweise durch den Einsatz der Brainstorming-Methode – in kurzer Zeit möglichst viele Ideen zu entwickeln, die zur Lösung des identifizierten Problems der „Persona“ beitragen könnten.
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Prototypen entwickeln: Ziel dieser Phase ist es, Stärken und Schwächen der entwickelten Ideen im Hinblick auf mögliche Lösungsansätze mithilfe von Prototypen zu konkretisieren, sichtbar bzw. erlebbar und damit nachvollziehbar zu machen.
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Testen: Ziel dieser Phase ist es, die in der vorangegangenen Phase konkretisierten Lösungsansätze mit den Betroffenen auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen und Bedarfe für weitere Entwicklungen und Überarbeitungen aufzudecken.
2.5 Wie kann design thinking als gestaltungsorientierter Lern-Forschungs-Prozess konkretisiert werden?
design thinking-Phase | Ziele | Aufgabenstellungen/Inhalte/Methoden | Medien |
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Verstehen | Ziel dieser Phase ist es, auf theoretischer Basis die Problemstellung und ihren Kontext zu erfassen | – Bilden Sie Gruppen, die jeweils aus vier bis fünf Personen bestehen – Setzen Sie sich mithilfe eines Desk-Researchs theoretisch mit folgender Ausgangsfragestellung auseinander: – Wie müssen „Systemische Visualisierungen“ als Lehr-Lern-Arrangements konfiguriert sein, die im Kontext des Lernfeldparadoxons die Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Wissens- und Handlungsräume der Lernenden über ihre gegenwärtigen betrieblichen Lebenssituationen hinaus nachhaltigkeitsorientiert erweitern, – Formulieren Sie zu den für Sie wichtigsten Begriffen der Ausgangsfragestellung im Rahmen eines Brainstormings eigene Assoziationen –Clustern Sie Ihre Assoziationen thematisch | • Literatur (Auswahl): • Fischer und Hantke (2019) • Hantke (2018) • Fischer et al. (2018) • Verschiedenfarbige Stifte • Verschiedenfarbige und verschiedengroße Klebezettel • Grundsätzlich: Großer Raum, in dem die Stühle und Tische möglichst verschiebbar sind |
Beobachten | Ziel dieser Phase ist es, die Problemstellung zu konkretisieren, indem man sich in die Lebenswelten der Betroffenen hineinversetzt | – Ermitteln Sie Personen, die von der Ausgangsfragestellung betroffen sind – Stellen Sie Verbindungen zwischen diesen Personen mithilfe einer Netzwerkkarte dar – Führen Sie mit den für Sie drei wichtigsten Personen des Netzwerks im Hinblick auf die Ausgangsfragestellung Expertengespräche in Form von qualitativen Interviews durch | • Vorlage zur Durchführung qualitativer Interviews |
Standpunkt definieren | Ziel dieser Phase ist es, die zuvor gewonnenen Erkenntnisse auszuwerten und zu interpretieren, indem ein idealtypischer, fiktiver Stellvertreter der Betroffenen („Persona“) entwickelt wird | – Entwickeln Sie auf Basis Ihrer bisherigen Erkenntnisse einen idealtypischen, fiktiven Stellvertreter der Betroffenen („Persona“) – Entwickeln Sie eine Geschichte, die Ihre Persona in das Feld der Ausgangsfragestellung einbettet – Entwickeln Sie eine theatrale Performance zu Ihrer Geschichte – Präsentieren Sie Ihre theatrale Performance | • Vorlage zur Entwicklung einer „Persona“ |
Ideen finden | Ziel dieser Phase ist es, in kurzer Zeit möglichst viele Ideen zu entwickeln, die zur Lösung des identifizierten Problems der „Persona“ beitragen könnten | – Entwickeln Sie für Ihre „Persona“ im Rahmen eines Brainstormings Antworten auf die Ausgangsfragestellung – Clustern Sie Ihre Ideen thematisch – Bewerten Sie Ihre Ideen nach den Kriterien Mehrwert, Übertragbarkeit und Machbarkeit – Bauen Sie zu Ihrer favorisierten Idee einen Ideenturm | • Vorlage zur Bewertung der Ideen • Diverse verschiedenfarbige Stifte • Verschiedenfarbige und verschiedengroße Klebezettel • Holzklötze |
Prototypen entwickeln | Ziel dieser Phase ist es, Stärken und Schwächen der entwickelten Ideen im Hinblick auf mögliche Lösungsansätze mithilfe von Prototypen zu konkretisieren, sichtbar bzw. erlebbar und damit nachvollziehbar zu machen | – Bauen Sie einen sogenannten „Prototypen“, mit dem Sie Stärken und Schwächen Ihrer favorisierten Idee sichtbar bzw. erlebbar und damit nachvollziehbar machen – Konfigurieren Sie auf Basis Ihres „Prototypen“ eine „Systemische Visualisierung“ als Antwort auf die Ausgangsfragestellung | • Diverse verschiedenfarbige Stifte • Verschiedenfarbige und verschiedengroße Klebezettel • Diverse Gestaltungsmaterialien (z. B. Klebeband, Scheren, Klebstoff, Tonkarton, Paketschnur, Spielbausteine, Holzklötze, Knete, Luftballons) |
Testen | Ziel dieser Phase ist es, die in der vorangegangenen Phase konkretisierten Lösungsansätze mit den Betroffenen auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen und Bedarfe für weitere Entwicklungen und Überarbeitungen aufzudecken | – Erproben Sie Ihre selbstkonfigurierte „Systemische Visualisierung“ in der Unterrichtspraxis – Führen Sie nach der Erprobung qualitative Interviews mit den Lernenden durch – Formulieren Sie auf Basis Ihrer Erkenntnisse drei Prinzipien zur Konfiguration von „Systemischen Visualisierungen“ im Hinblick auf die Ausgangsfragestellung – Identifizieren Sie Korridore und Perspektiven für weitere Forschungen | • Vorlage zur Durchführung qualitativer Interviews |
3 Folgen und Wirkungen
„Schnell wurde mir klar, dass sich dieses Modul stark von den bisherigen Modulen unterscheiden würde.“ (Auszug aus einem Forschungstagebuch).
„So viel Kreativität in einem Seminar, wo ich anfangs nicht mit gerechnet habe, finde ich spitze. Ich hoffe sehr, dass das in den nächsten Phasen beibehalten wird, denn es steigert meine Motivation enorm.“ (Auszug aus einem Forschungstagebuch).
„… was ich eigentlich noch sagen will ist, dass ich mir nach den ersten drei Vorbereitungssitzungen nicht wirklich vorstellen konnte, wie man den ganzen Forschungsprozess in nur einem Semester schaffen soll. […] Als wir in der Gruppe die Gedanken über unsere fiktive Persona verdichten und diese performativ darstellen sollten hat es bei mir einfach „klick“ gemacht. Auf einmal habe ich Zusammenhänge erkannt und war erstaunt wie zielführend die ersten beiden Sitzungen bereits waren. Ich habe jetzt eine Idee und Vorstellung wo das ganze hinführen kann und bin sehr gespannt auf die nächsten Phasen dieses Forschungsprozesses.“ (Auszug aus einem Forschungstagebuch).
„Im weiteren Verlauf des Seminars haben wir uns zunehmend in die Herausforderung hineinversetzt. Ursächlich hierfür ist meines Erachtens nach die unkonventionelle Seminargestaltung. Diese ist interaktiv, locker, teilweise sogar verspielt. Ich habe stets das Gefühl die Ergebnisse selber zu generieren, ganz im Stile des Konstruktivismus. Aufgrund ebendieser Vorgehensweise habe ich jedoch, insbesondere in den Anfängen des Prozesses, häufig das Gefühl gehabt mich im ‚luftleeren Raum‘ zu befinden. […] Ohne jeden Zweifel hat dieses Empfinden mit dem konstruktivistischen Ansatz zu tun, welchen ich in meiner persönlichen Schullaufbahn leider nur bedingt erfahren durfte.“ (Auszug aus einem Forschungstagebuch).
„Dieser ganze Design-Thinking-Prozess lässt in mir so viele Fragen aufkommen, für die ich bisher keine angemessene Lösung finden konnte. Um es gleich mal vorwegzunehmen: Das ist frustrierend. Immer, wenn ich aus dem Seminar komme, habe ich mehr anstatt weniger Fragen.“ (Auszug aus einem Forschungstagebuch).