Es gibt kaum ein anderes Gebiet, das wie die Organisationstheorie aus der Sicht so vieler wissenschaftlicher Disziplinen betrachtet und unter Einsatz so verschiedenartiger methodischer Instrumente untersucht wird. Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, daß in der Literatur eine Fülle von Definitionen des Ausdrucks ‚Organisation‘ nachzuweisen ist.
Zu Beginn des vorigen Abschnitts wurde darauf hingewiesen, daß organisatorische Fragestellungen von vielen wissenschaftlichen Disziplinen untersucht werden. Die Organisationstheorie ist zudem noch eine junge Disziplin; allgemein akzeptierte theoretische Bezugsrahmen haben sich deshalb noch nicht herausgebildet. Unter diesen Umständen muß jeder Versuch, die Fülle organisationstheoretischer Beiträge zu systematisieren, unvollkommen bleiben. Selbst das Werk eines einzelnen Forschers kann häufig nur schwer eindeutig ‚etikettiert‘ werden. Das zeigt sich z. B. an der organisationstheoretischen Arbeit eines Mannes wie Herbert A. Simon, dessen Forschungsinteressen ursprünglich dem klassischen Strukturansatz der Soziologie galten und der sich dann über die Analyse von Entscheidungsprozessen in Organisationen sowie die Untersuchung informationstechnologischer und systemtheoretischer Fragen der psychologischen Erforschung menschlicher Problemlösungsprozesse zuwandte. Und dennoch lassen sich bei aller Vielfalt im einzelnen ‚Schulen‘ und ‚Richtungen‘ feststellen, die Ansatzpunkte für eine pragmatische Klassifikation liefern und für den an organisationstheoretischen Fragen interessierten Leser ein gewisses Maß an Ordnung in den ‚Dschungel‘1 organisationstheoretischer Theorien bringen.2
In dieser Arbeit werden Systeme mit interpersoneller Arbeitsteilung untersucht. Zu Beginn dieses Abschnitts, in dem entscheidungslogische Grundtatbestände dargestellt werden, soll der Begriff der Handlung sowie die Beziehung zwischen Handlung und Entscheidung geklärt werden.
In die vorangegangene Analyse entscheidungslogischer und organisationstheoretischer Grundtatbestände wurde eine Entscheidungseinheit lediglich als Größe einbezogen, deren begrenzte Kapazität zur Informationsgewinnung und -Verarbeitung eine arbeitsteilige Lösung komplexer Entscheidungsprobleme erfordert und dadurch die Notwendigkeit koordinierender Maßnahmen begründet. Eine solche primär entscheidungslogische Betrachtungsweise ist bei der Analyse der Koordinationsproblematik ohne Zweifel sinnvoll. Allerdings kann und soll eine derartige Perspektive nicht den Anspruch erheben, das Verhalten von Organisationsmitgliedern in Entscheidungssituationen zu erfassen. Aussagen über das tatsächliche Verhalten sind nur unter Rückgriff auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen möglich.
Alle in den folgenden beiden Abschnitten darzustellenden empirischen Studien haben ein gemeinsames Merkmal: Im Mittelpunkt des für jede Studie gültigen — wenn auch unterschiedlich differenzierten — theoretischen Konzepts stehen Begriffe bzw. Maße zur Abbildung von Organisationsstrukturen.
In diesem Abschnitt werden empirische Studien analysiert, die den Einfluß der unabhängigen Größe ‚Kontext‘ (‚Situation‘) auf die abhängige Größe ‚Organisationsstruktur‘ untersuchen2.
Die vorangegangene Auseinandersetzung mit dem Stand der empirischen Organisationsforschung beschränkt sich auf die Frage, welche Faktoren die Struktur organisatorischer Systeme bestimmen. In diesem Abschnitt werden Ergebnisse der empirischen Organisationsforschung daraufhin überprüft, welche Aussagen sie zum Zusammenhang zwischen Organisationsstruktur und individuellem Verhalten zulassen.
In den vorangegangenen Abschnitten dieses dritten Teils der Arbeit wurden die wichtigsten Beiträge des strukturorientierten und des verhaltensorientierten Ansatzes dargestellt und kritisch analysiert. Die Kritik konzentrierte sich — unter weitgehender Ausklammerung der Problematik des statistischen Instrumentariums — auf zwei Aspekte. Es wurde einmal die Aussagefähigkeit der in den Studien eingeführten Variablen untersucht, zum anderen erfolgte eine Überprüfung der von den Autoren zur Interpretation ihrer Ergebnisse angestellten Plausibilitätsüberlegungen auf ihre Schlüssigkeit. Die Arbeiten wurden damit einer primär ‚internen‘ Kritik unterzogen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Aussagefähigkeit der Variablen zum Teil sehr zweifelhaft ist — hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf das Zentralisationsmaß der Aston-Studien274 — und daß viele Plausibilitätsüberlegungen widersprüchlich sind.
Die Diskussion um aktuelle Organisationskonzepte wird in der Praxis durch eine Reihe von Begriffen wie Spartenorganisation, Produktmanagement, Matrixorganisation und Projektorganisation bestimmt. In diesem Teil der Arbeit werden die verschiedenartigen, in den weiteren Abschnitten zu analysierenden Konzepte systematisiert und auf verschiedene Ausprägungen eines grundlegenden Gestaltungsprinzips zurückgeführt.
Tiefgreifende Änderungen der Organisationsstruktur von Unternehmungen sind in jüngster Zeit keine Seltenheit. Betrachtet man etwa die Chemische Industrie, so kann man im Hinblick auf das letzte Jahrzehnt geradezu von einer Reorganisationswelle sprechen. Der überwiegende Teil der großen Chemiekonzerne hat in diesem Zeitraum die Spartenorganisation eingeführt. Bedenkt man, daß solche Umstrukturierungen weitreichende ökonomische Konsequenzen haben, so stellt sich die Frage, an welchen Kriterien sich diese Strukturentscheidungen zu orientieren haben, und inwieweit sich Aussagen über die Effizienz von Organisationsstrukturen unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der Organisationstheorie wissenschaftlich fundieren lassen.
In den letzten Jahren findet in Deutschland das Konzept der Spartenorganisation — auch als Profit-Center-Konzept oder Divisionalisierungskonzept bezeichnet — verstärktes Interesse28. Es handelt sich dabei um eine Organisationsstruktur, die nicht mehr die traditionelle funktionale Gliederung — etwa in die Bereiche ‚Beschaffung‘, ‚Produktion‘ und ‚Absatz‘ — vorsieht, sondern bei der die Gesamtunternehmung nach dem Spartenprinzip in produktbezogene Teilbereiche gegliedert ist. Beispiele sind die in Abb. 78 und Abb. 79 wiedergegebenen Organisationsstrukturen der Siemens AG und der BASF AG.
Häufige Änderungen der Technologie und der Märkte sowie wachsende Unternehmungsgrößen haben zur Entwicklung der Organisationskonzepte des Produkt- und Projektmanagements geführt. Durch diese in letzter Zeit viel diskutierten Lösungen sollen bestimmte Grenzen der traditionellen Organisation bei der Bewältigung komplexer Aufgaben überwunden werden. Während das Produktmanagement vor allem eine Organisationsform zur Sicherung der Aufgabenerfüllung bei einem hohen Grad marktlicher Ungewißheit darstellt, ist das Projektmanagement vorwiegend eine Konzeption zur Berücksichtigung technologischer Ungewißheit131.
Das organisatorische Konzept des Produktmanagements — auch Produktmanager-System genannt — stammt ebenso wie das des Projektmanagements aus den USA. Es fand dort Anfang der dreißiger Jahre systematisch Anwendung und verbreitete sich vor allem nach dem zweiten Weltkrieg sehr stark207. Inzwischen ist die Konzeption auch in Deutschland in den verschiedensten Branchen eingeführt worden und hat insbesondere in der Konsumgüterindustrie weite Verbreitung gefunden208.
Erich Frese
Aussagewert einer entscheidungslogisch orientierten Organisationskonzeption
Im ersten einführenden Teil der Arbeit wurde der Versuch unternommen, dem Leser einen Überblick über die wichtigsten Ansätze der Organisationstheorie zu vermitteln. Es bot sich dabei ein vielfältiges Bild: Der Zugang zu dem komplexen Phänomen ‚Organisation‘ wird von den einzelnen Autoren auf den unterschiedlichsten Wegen gesucht. Von der Analogie zu biologischen und technischen Systemen über die Übertragung nationalökonomischer Erkenntnisse auf organisatorische Fragestellungen, die Entwicklung mathematischer Modelle, die Verwertung praktischer Managementerfahrung, die Verfolgung soziologischer, sozialpsychologischer und psychologischer Perspektiven bis hin zur engagierten Auseinandersetzung mit den Prinzipien einer ‚neuen organisatorischen Ethik‘ spannt sich der Bogen organisationstheoretischer Beiträge.